Eine Frage an Dich... (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd (Wiesbaden), Stammposter, Tuesday, 01.03.2005, 21:42 (vor 7150 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Lieber Michael,

was empfindest Du konkret, wenn Du barfuß im Winter durch eine Großstadt gehst und dabei erstaunte Menschen wahrnimmst?

Bernd

Samstag, 26.2.2004: Nachdem ich den Frankfurter Stadtteil Höchst unsicher gemacht hatte, verließ ich am Willy-Brandt-Platz die Straßenbahn der Linie 11 (nicht 12), um danach in den Anlagen der U-Bahn "unterzutauchen". Während ich die Treppen hinunterlief, fragte eine alte Frau eine andere: "Hast du den gesehen? Läuft der etwa barfuß?" Die Frau hatte sich nicht getäuscht. Ich bestieg einen Zug der Linie U1 nach Ginnheim. Es schneite immer noch leicht, als der Zug aus dem Untergrund wieder an Tageslicht kam (halt: ans Lampenlicht, es war nämlich schon dunkel). Ebenso fiel einigen Leuten der Kinnladen runter, als ich In Ginnheim aus der U-Bahn in die Straßenbahn der Linie 16 (Rolf, bitte verbessern, wenn ich mir eine falsche Zahl eingeprägt habe) Richtung Offenbach Stadtgrenze rüberhüpfte. Trotz des leichten Schneefalls war die Straße "nur" wassernaß und ein öffentliches Thermometer zeigte 1°C an (plus 1°C) also (noch) kein Grund, prinzipiell auf das Barfußlaufen zu verzichten und Beiträge, die dieses beschreiben, ins Reich der Trolle zu verweisen. Am Lokalbahnhof (das ist kein Scherz!) verließ ich das Tram, um zur S-Bahn zu gelangen. Die gleichnamigen Haltestellen von S- und Straßenbahn sind relativ weit voneinander entfernt, die Wege waren stark geschottert.
Nur wenige Leute warteten auf dem unterirdischen S-Bahnsteig. Während ich die Treppe runterrannte (ich rannte, weil ich auf der Treppe eine S-Bahn einfahren hörte, es war allerdings eine, die in die "falsche" Richtung fuhr), schauten ein paar Leute ganz erschreckt. Auch gab es erstaunte Blicke. Die "richtige" S-Bahn brachte mich zur Konstablerwache, wo diese Station war deutlich belebter, einige warteten schon darauf, einsteigen zu dürfen, während der Zug einrollte. Dort, wo ich aussteigen wollte, warteten schon einige weibliche Teenager und ahnten nichts böses (bei geschlossener Tür sieht man ja nur die "Oberteile" der dahinter stehenden Fahrgäste). Als ich aber die Doppel-Schiebetür aufstieß, vernahm ich ein lautes "Huch" (nicht ihhhhhh). Ich verließ die S-Bahnstation und wanderte durch die Fußgängerzone quasi oberhalb der unterirdischen S-Bahn vorbei an der Hauptwache in Richtung Taunusanlage. Ab und zu hörte ich Leute lästern oder das Wort : "Barfuß!"
Aber was war das? Überall Polizeifahrzeuge! Einige Polizisten standen hinter Abschrankungen. Die Alte Oper war in bläuliches Licht gehüllt, es war laute Musik (alles andere als "typische Opernmusik") zu hören. Die Schneeflocken im Scheinwerferlicht wirkten gespenstisch. Offensichtlich war irgendeine Demonstration im Gange (weiß jemand näheres?), gelegentlich Polizisten mit Hunden im Laufschritt, dann wieder jüngere Leute, die hinter der Abschrankung rannten. Vor der Abschrankung neugierige Zuschauer. Auch die Grünanlagen waren voller Leute. Sogar 2 berittene Polizisten saßen auf ihren Rössern und ritten durch die Grünanlage. Sowohl diese, als auch die hinter der Abschrankung hätten eigentlich meine Barfüßig- und Kurzhosigkeit bemerken müssen. Und was taten sie? Mir Handschellen anlegen? Die Hunde auf mich hetzen? Ausweiskontrolle? Nein! Sie taten mir nichts! Schlicht und einfach nichts! Ist doch toll, nicht wahr?
In der Anlage mußte ich übrigens über Schnee gehen, so daß meine Füße abkühlten. An der Station Taunusanlage bestieg ich eine S-Bahn, fuhr zur Konstablerwache und mit der U5 zum Dom. Ich umrundete das sakrale Gebäude, das wegen Bauarbeiten ziemlich verhüllt war (wenigstens waren die verlegten Holzplanken der Baustelle angenehm barfuß begehbar. Ich ging ans Mainufer, überquerte nochmals den Eisernen Steg, ging noch ein paar Schritte durch den Schnee (der Flohmarkt war abgebaut). Wieder zurück über den Steg, wo gerade eine Gruppe bekopftuchter junger Frauen standen und meine Aufmachung doch als eher unüblich ansahen. Am anderen Ufer fragte mich ein Mann, ob es Abhärtung wäre, was ich bejahte. Auf dem Weg, vorbei am Römer zur Hauptwache, fragte mich ein kleines Mädchen: "Ist das nicht zu kalt?" "Es ist nicht zu kalt!" Nach einer Pause sagte sie: "Aber Sie holen sich doch hier den Tod!" "Nein!" antwortete ich. "Doch!" "Nein!" "Doch!"
Mit der S-Bahn fuhr ich zum Hauptbahnhof. Bevor mein Zug um 20.05 Uhr abfuhr, hatte ich noch etwas Zeit, barfuß durch Unterführungen und Bahnhofshalle zu schlendern. Keine Bahnpolizeikontrolle, nur ein paar Fragen, ob es nicht zu kalt sei. In der Halle war übrigens eine Ausstellung "Oase", die eine Rasenfläche imitierte und Blumen (allerdings alles aus Plastik). Auf war dort ein Feinschotterweg, und eine Bank stand dort. Über Kunst kann man sich natürlich streiten aber irgendwie passend. Inmitten der Hektik einer großen Stadt im kalten Winter eine "blühende" Oase der Ruhe. Und was paßt dazu nicht besser als einer, der barfuß diese Oase durchschreitet. Ein schöner Abschied von einer hessischen Großstadt. Mit Umsteigen in Karlsruhe und Basel erreichte ich gegen Mitternacht meine Heimatstadt, bei -1°C. Auch die Rückfahrt mit dem Fahrrad zu meiner Wohnung verlief ohne Probleme. Ein im großen und ganzen schöner Barfußtag ging zu Ende. Wer ahnte schon, daß noch "richtige" Wintertage folgen würden, an denen auch nicht draußen barfuß laufen würde.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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