Im Fadenkreuz der Geschütze (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 07.02.2005, 12:24 (vor 7173 Tagen)

Sonntag, 6.2.2005, 9.30 Uhr: Hochnebel, Temperatur um 0°C oder knapp darunter, kein Wind, trockene Straßen, Grünflächen mit verharschtem Schnee überzogen. Kein Wetter, um den ganzen Tag hinterm Ofen zu hocken, also raus. Wirklich? Meine Füße schmerzten noch etwas von Vortag, den linken Fuß konnte ich nicht mehr richtig abrollen. Wandern ist sicher leichtsinnig unter den Bedingungen. Unter der Abwägung, daß es gleichermaßen leichtsinnig ist, ob man mit oder Schuhe loswandert, ließ ich die Schuhe "selbstverständlich" zu Hause. Der Weg führte mich durch die leere Zofinger Altstadt nach Oftringen. Die Kirche war gerade zu Ende, etliche starre Blicke in meine Richtung. Weiter zog es mich nach Aarburg. Die Hauptstraße war wegen Bauarbeiten nicht gerade ideal für barfüßige Wanderungen.

Ich setzte mich wie am Tag zuvor am Fuße der Aarburger Festung auf eine Bank, diesmal um Mittagspause zu machen. Die Sonne besiegte gerade den Hochnebel. Eine Frau führte ihren Hund die Treppe hinauf. Das Tier beschnüffelte zuerst meine Füße, dann wollte es auch noch an meine Kekstüte (ersteres störte mich nicht, letzteres schon). Ich genoß den herrlichen Blick über die schneebedeckten Dächer des Städtchens, dann stieg ich hinab, was etwas mühsam war, da meine Füße eine Zeit unbewegt waren. Auf der Kantonsstraße wanderte ich Richtung Olten. Ich kam auch an einem Restaurant mit riesiger Fensterfront vorbei. Genauso wie die Gäste drinnen erkennen konnten, ob Passanten fett beschuht oder barfuß vorbei säckeln, konnten Passanten erkennen, ob es barfüßige Gäste gab. Ich sah "merkwürdigerweise" keine, Schilder, die nackte Füße hätten verbergen können, waren auch nicht vorhanden.

Ich erreichte die Stadt Olten. Die Holzbrücke war von 6 Sekuritas-Schergen hermetisch abgeriegelt, sie verlangten Eintritt für den bevorstehenden Karnevalsumzug. Da Barfußlaufen für mich ein Hobby ist, was umsonst zu haben sein sollte, ging ich da nicht durch. Ich hörte, wie sie sprachen: "Das gibt's doch nicht, worauf einer sein Handy nahm. Ich aber ging weiter, unterm Bahnhof hindurch, wo mir etliche in Karnevalskostümen entgegen kamen. Sie staunten nicht schlecht, als sie mich sahen. Ich ging über Quartierstraßen und bog dann auf einen Fußweg ein, der mit hartem, festgetretenem Schnee bedeckt war. Einige Leute kamen entgegen und schüttelten mit dem Kopf. Endlich erreichte ich eine Straße. Ein Polizeifahrzeug kam angeschossen (wurde auch mal wieder Zeit). Ich befand mich zwar nicht im Fadenkreuz der Beamten, aber die übliche Ausweiskontrolle. Sie konnten einfach nicht glauben, daß Barfußlaufen gesund ist. Zuletzt sagte ein Beamter: "Sie sind auf Verdacht freigelassen!"

Die Straße weiter, in den Wald. Obwohl auch dieser Weg schneebedeckt war, bemerkten die meisten Leute meine Barfüßigkeit hier nicht, wohl aber ein schwarzer Hund. Er hatte nichts besseres zu tun als an meinen Füßen zu lecken. Eigentlich stört mich das auch nicht, aber wenn man gleichzeitig auf Schnee steht, ist es doch weniger angenehm. Schließlich gelang es Herrchen, seinen "Negro" von mir fortzuziehen. So ging ich dann sicher einen Kilometer ununterbrochen über Schnee, dann folgte eine Asphaltstraße, dann wieder ein verschneiter Weg. Ein kleiner Junge machte große Glotzaugen und sagte: "Nein! Barfuß!" Er konnte einfach nicht meine Füße aus den Augen lassen. Wieder unterquerte ich den Bahnhof, überquerte die Aare auf der Bahnhofsbrücke und gelangte so ins Getümmel des Fasnachtsumzuges.

Viele bemerkten dort meine Barfüßigkeit nicht, manche aber schon, vor allem Kinder und jugendliche. "Schuhe verloren?" "Ausgeraubt?" waren häufige Fragen. Ein Mann sagte: "Der hat selber Schuld, wenn er in Scherben tritt!" Sind wir schon so weit? Ich dachte immer, daß derjenige Schuld ist, der das Glas zerschmeißt! Ich hatte aber Glück. Ich entdeckte lediglich ein noch heiles Sektglas und eine Underbergflasche mit abgebrochenem Hals, ansonsten kein Glas. Dafür jede Menge Konfetti, was sich wirklich angenehm unter den Füßen anfühlt. Sogar Stroh lag teilweise auf der Straße. Und zur Abkühlung steht es jedem offen, über einen Schneehaufen zu steigen. Obwohl das Wetter sonnig war und mit ca. 4°C nicht übermäßig winterlich, war ich der einzige Barfüßer. Ist mein Verhalten denn wirklich so abwegig? Wann sonst bietet sich die Möglichkeit, auf einem Konfettiteppich durch die Stadt zu wandeln? Die Leute ahnen nicht, was sie versäumen. Von einem Karnevalwagen wurde mit Kanonen Konfetti abgefeuert. Vermutlich lautete der Befehl des Kommandanten: "Auf erkannten Barfüßer ein Schuß Einzelfeuer, Feuer frei!" und schon befand ich mich im Fadenkreuz der Kanoniere. Es kam noch schlimmer: Ein Maskierter aus dem Umzug kam auf mich zu und sprach mich an, als wäre nichts geschehen. Erst aufgrund seiner Stimme erkannte ich, daß es ein Arbeitskollege war. Während er mit mir sprach, zog ein zweiter aus der Gruppe Jacke und T-Shirt ein wenig von meinem Leib und eine Frau aus der Gruppe schüttete mir eine Tüte voll Konfetti hinein. Kinder versuchten daraufhin, von unten mir Konfetti in die Hose zu werfen. Ein Mädchen sprach: "Ihhhhhhhhh! Der läuft ja barfuß!" Frühreife Göre! Die plappert nur das nach, was junge Frauen (und typisch Frauen) immer sagen.

Im ganzen hat mir der Karnevalszug gefallen. Allerdings spürte ich allmählich den Druck meiner Beine auf die Hüften. Da ich mich ruhig verhalten hatte, schwoll auf mein linker Fuß an, so daß ich beim weiteren Gehen Schmerzen verspürte. Aus dem Grunde benutzte ich auch die Kantonsstraße nach Aarburg. Jugendliche meinten, daß barfuß ungesund wäre. Der weitere Weg ist normalerweise: Wohnquartier, Industriequartier, Zofinger Altstadt, Bahnhof. Diesmal aber kam mir der Weg mühsamer vor. Hinterm Bahnhof kam mir noch ein Arbeitskollege entgegen und eine Frau fragte mich, ob es nicht zu kalt sei. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß es möglich sei, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt barfuß und in kurzen Hosen unterwegs zu sein. Sie fragte noch, ob ich allein nach Hause finde, was ich bejahte (und auch schaffte). Gegen 19.45 Uhr war ich zu Hause, meine Füße schmerzten stark. Das Konfetti verursachte eine ziemliche Mohrerei in meiner Wohnung

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

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