"Unechte" Barfußwanderung bei Dauerfrost (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 31.01.2005, 08:16 (vor 7180 Tagen)

Dauerfrost im Schweizer Mittelland! Nachts sanken die Temperaturen in den zweistelligen Minusbereich. Aber auch tagsüber lagen die Temperaturen nicht gerade in dem Bereich, in dem man ohne jegliche Einschränkungen draußen barfuß laufen konnte. Am Sonntag (30.1.2005) gegen 11 Uhr zeigte das Thermometer an meinem Fenster (Nordseite) gerade -4°C an. Im Gegensatz zum Vortag wehte auch kein kräftiger Wind. Die Straßen waren trocken, aber den Feldern lag Schnee. Sollte ich barfuß losziehen? Ich hatte noch die Bilder von den "erfrorenen Fingern" in Erinnerung, sicher nicht die schönsten Fotos, die man in diesem Forum zu Gesicht bekommt. Andererseits schien auch die Sonne vom blauem Himmel, wer möchte sich da schon verschließen? Immerhin verzichtete ich auf meine "Echtheit" und steckte Schuhe in den Rucksack. Da ich nicht wußte, wie anderswo die Wege beschaffen sind, kann ein paar fette Flipflops mich vielleicht vor dem schlimmsten bewahren.

So zog ich also los, zunächst über sonnenbeschienenen Asphalt. Teilweise war der Asphalt auch weiß vom Streusalz, dort trat ich möglichst hinein. Da ich als Chemiker im Labor schon des öfteren aus Eis und Kochsalz eine Kältemischung hergestellt habe, um chemische Reaktionen abzukühlen, hatte ich nicht das Verlangen, dieses auch noch in meiner Freizeit zu praktizieren, und schon gar nicht unter MEINEN Füßen! Nach etwa einem Kilometer hatte ich wohl die "lausige" Periode erwischt. In der Zofinger Altstadt kam ich mir vor wie in einem Eiskeller. Die für eine Kleinstadt vergleichsweise hohen Patrizierhäuser verhinderten, daß die Sonne in die engen Gassen gelangte. Reaktionen gab es hier keine. Ich ging zum Bahnhof, der Bahnsteig war stark gesplittet. Einige Leute glaubten ihren Augen kaum. Ein Blick auf ein Thermometer auf dem Dach: -7°C! Ich wollte aber nicht auf das Dach, ich blieb auf dem Boden der wärmeren Tatsachen. Die sonnenbeschienenen Holzbohlen des Fußgängersteges parallel zur Bahn über die Henzmannstraße waren angenehm unter den Füßen.

Parallel zur Bahn wanderte ich nun nordwärts. Kurze (maximal 20 Meter lange) Stücke waren mit einer Eisdecke bedeckt, aber das machte mir nichts aus. Dann folgte wieder sonnenbeschienener Asphalt. Allerdings spürte ich hier den kalten Ostwind, so daß ich aufpassen mußte, daß er nicht in die Ärmel der Jacke wehte. Unterhalb der Gürtellinie war es jedoch windstill, was so ein paar Büsche doch ausmachen konnten. Ein Ehepaar mit Kind kam mir entgegen. Das Kind schaute immer nur auf den Schnee neben den Weg, während die Eltern mich schon von weitem erspäht hatten. Vermutlich waren sie wohl genauso neugierig wie ich, wie das Kind auf meine nicht übermäßig winterliche Aufmachung reagieren würde. Erst als ich etwa einen Meter entfernt war, fiel sein Blick erst auf mich, dann auf meine Füße, worauf es laut tönte: "Barfuß!" "Ja!" war die Antwort des Vaters.

Ich gelangte nach Strengelbach, wo ich nicht sonderlich auffiel. Dann folgte ich einer Seitenstraße, die aber plötzlich nicht mehr frei von Schnee war, und das auf einer Länge von bestimmt 200 Metern. Da half nur eines, wenn man neben der "Echtheit" nicht gleich die "ganze" Barfüßigkeit aufgeben wollte: Auf dem letzten trocknen Stück dreimal tief durchatmen und dann: Im Laufschritt, lauf, lauf! (Wer hätte gedacht, daß mir beim Barfußlaufen Dinge aus der fett beschuhten Militärzeit noch nützlich sind!) Auf dem festgefahrenen Schnee spürte ich die Füße nicht. Als ich hinterher aber wieder trocknen, sonnenbeschienenen Asphalt erreichte, kam es mir vor, als ob sich unter meinen Füßen irgendeine zusätzliche "Sohle" befand. Danach fragte mich eine Frau, ob ich das aus gesundheitlichen Gründen täte, was ich bejahte. Sie fand es gut, traute sich es selber aber nicht zu.

In Brittnau mußte ich die Autobahn überqueren. Die Straße war trocken und schneefrei, jedoch das Trottoir war vereist und stark gesplittet. Ausgerechnet jetzt fuhren viele Autos auf der Straße, so daß mir nur das Trottoir blieb. Als ich in einen Seitenweg parallel zum Ufer der W i g g e r einbog, hörte der Autoverkehr auf der bisher stark befahrenen Straße auch auf. Waren das einfach Murphy'sche Gesetze? Oder haben sich die Autofahrer abgesprochen, mich ausgerechnet da zu überholen, daß ich über den Split mußte? Ich ging am Flußufer ein Stück aufwärts und dann wieder zurück. Viele Fußgänger waren unterwegs, meist blieb es bei Blicken. Einmal fragte mich ein Mann, ob nicht die Zehen zu kalt werden. Wurden sie nicht, solange ich auf Asphalt war. Ich mußte aber noch mal ein vereistes Wegstück unter die Füße nehmen, abermals im Laufschritt. Diesmal gingen fünf Menschen nebeneinander, gerade so, daß ich nicht überholen konnte. Erst im letzten Augenblick ging einer zur Seite. Erst dann merkten sie, was ich an den Füßen trug. Der Weg, den ich ging, ist eigentlich für den regulären Autoverkehr gesperrt. Trotzdem kamen aber drei Auto hintereinander (sie gehörten zusammen) und wollten an mir vorbeifahren. Die schneefreie Zone war gerade so breit wie ein Auto, so daß ich in den tieferen Schnee ausweichen mußte. Jetzt fuhren sie auch noch EXTRA langsam, die Kinder in den Autos schauten aus den Fenstern.

Von Brittnau wanderte ich auf dem Trottoir einer Straße nach Zofingen. Aus einem Haus hörte ich eine männliche Stimme: "Schau mal, barfuß!" Darauf eine weibliche Stimme: "Ihhhhhhhhhh!" Ein älteres Ehepaar kam mir entgegen, der Mann fragte: "Ist das nicht zu kalt?" Ich antwortete: "Mir ist es nicht zu kalt." Darauf die Frau: "Schön!" Ich erreichte die Ausläufer von Zofingen, überall "komische" Blicke, auch in der Altstadt. ich ging noch mal kurz zur Vogelvoliere am Trottenweiher. Während die Vögel meine Aufmachung für "normal" hielten, kam sie den Kindern doch etwas exotisch vor. Immer riefen sie: "Der Mann". Auf dem Rückweg mußte ich wieder den Bahnhof unterqueren, wo weibliche Teenager auf einen Zug warteten. Sie waren gerade am Tratschen, als sie mich aber registrierten, sagte eine: "Uuuuuuuuuuuuuuuuuuu!" (Womit ich merkte, daß ich der deutschen Sprache doch nicht so mächtig bin wie ich immer dachte).

Auf dem Weg nach Hause kam ich noch an einer Mutter mit einem Mädchen. Die kleine sagte immer nur: "Blutt!", was natürlich nicht stimmte. Zu guter Letzt kam mir auch noch eine Sachbearbeiterin aus der Firma entgegen, die mit ihrem Mann einen Spaziergang machte. Keinerlei böse Worte, nur freundliche. Eines weiß ich aber: Diese ist alles andere als schweigsam, sie verbreitet Informationen innerhalb der Firma reichlich ungefiltert. Soll die doch! Nach 5 Stunden war ich wieder zu Hause, eine "unechte" Barfußwanderung ging zu Ende. Die Schuhe bleiben aber unberührt im Rucksack. Soll ich mich darüber ärgern, daß ich meine "Echtheit" verloren habe? Nein! Weil ich kein echter Bürokrat bin!

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen


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