Barfussausführungen eines katholischen Priesters (Hobby? Barfuß! 2)

Lothar, Stammposter, Thursday, 27.01.2005, 19:04 (vor 7184 Tagen)

Texte zu Glauben und Leben
Die biblischen Schnürsenkel

Eine Betrachtung von Pfarrer Klaus Weyers
in der Katholischen Kirchenzeitung Bistum Berlin

Bei der Taufe Jesu sagt Johannes "Ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren " Es ist nicht praktisch, wenn mir mitten im Bahnhof Alexanderplatz während des dicksten Berufsverkehrs der Schnürsenkel aufgeht. Dann ist man nicht mehr aktionsfähig. Deshalb ist es eine Frage, warum Johannes dem Herrn die Schuhbändel aufmachen wollte. Manchmal ist es allerdings gut, sich die Schnürsenkel zu lösen. Man sitzt bei einer Konferenz und bekommt dicke Füße. Da drückt der Schuh. Man möchte diesen quälenden Zustand beseitigen und löst heimlich die Schuhriemen.

Ganz sicher hat unserem Herrn Jesus Christus auch der Schuh gedrückt, als er den merkwürdigen Zustand der Welt und die Uneinsichtigkeit der lieben Klugschieter aller Bauarten erlebte. Wir trampeln gefühllos über alles und alle weg. Die heutige Schuhmode mit ihren elefantenhaften Fußbekleidungen zeigt das sehr deutlich. Junge Mädchen tragen hübsche Kleidung. Sie sähen darin nett aus, wenn sie nicht diese Gewaltschuhe an den Füßen hätten oder die Springerstiefel der Rechtsradikalen.

Wo der Mensch die Möglichkeit hat, sollte er ruhig barfuß laufen. Da merkt man, wie sensibel die Füße sind, und welche Nachrichten wir über unsere Fußsohlen von der Welt und den Menschen bekommen. Es gibt viele Ordensleute, die sogar im Winter Sandalen tragen. Hier handelt es sich nicht um Mode, sondern um Religion. Ich könnte mir Franziskus nicht mit wadenlangen Schnürstiefeln vorstellen.

In manchen Kapellen findet sich die Bitte "Nur ohne Schuhe betreten". Freilich kann das Barfußlaufen Schwierigkeiten bringen. Man versuche einmal, barfuß über ein Stoppelfeld zu gehen. Der Mensch ist mit bloßen Füßen verwundbar. Die gegenteilige Schlussfolgerung: Der Mensch ist mit Stiefeln brutaler. Am brennenden Dornbusch muss Mose die Schuhe ausziehen. Offensichtlich wollte Gott nicht, dass Mose mit ledergepanzerten Trampelfüßen den sensiblen Ort seiner Erscheinung zertrete.

In der Gründonnerstagsliturgie geht es auch barfuß zu. Jesus hatte nicht vor, seinen Jüngern die schweren Stiefel der bedenkenlosen Gewalt zu putzen. Er wollte ihnen die Füße der sensiblen Demut waschen. Früher haben wir Priester am Karfreitag zur Kreuzverehrung die Schuhe ausgezogen. Es war eine Geste, die mir an die Nieren ging. Am Tag, an dem Johannes Jesus taufte, stieg Jesus barfuß in das Wasser des Jordan. Man rettet niemanden gestiefelt und gespornt vor dem Ertrinken. Jesus ging barfuß ans Kreuz und erstand barfuß.

Barfussausführungen eines katholischen Priesters

Bernhard aus HH, Stammposter, Friday, 28.01.2005, 11:40 (vor 7183 Tagen) @ Lothar

Hallo Lothar,

schön, wie der Theologe da seine Gedanken aufblättert. Ich habe auch schon viel in diese Richtung gedacht und das Thema Verwundbarkeit berührt mich immer wieder im doppelten Sinne. Die Barfüßigkeit lässt einen noch tiefer über diese Dinge und unsere teilweise selbstverständlichen Automatismen beim Selbstschutz nachdenken. Es scheint doch noch immer ein radikal revolutionärer Gedanke zu sein, auf Schutz zu verzichten, um gerade durch die Verwundbarkeit sensibler zu werden.

Ich habe auch an anderen praktisch erfahrbaren Stellen schon viel darüber nachgedacht. So musste ich mir mal von einer Frau sagen lassen, es sei unmöglich, dass ich beim Fahrradfahren keinen Helm tragen würde. Ist schon einige Jahre her. Damals war ich noch in der aktiven Phase des Ringens um Anschaffung oder Nichtanschaffung eines Fahrradhelmes. Ich fühlte mich ertappt, wenn gleich auch auf unangenehm brutale Weise zurechtgewiesen.
Als ich dann später auf mein Fahrrad stieg und an den nicht vorhandenen Helm dachte, sah ich, wie die Dame ins Auto stieg. Und jetzt kommt es: Es war irgend so ein hochbeiniges schwarzes Gefährt mit Bullfänger, das problemlos jeden Fahrradfahrer mit oder ohne Helm zu Tode touchieren kann. 10km/h Auffahrgeschwindigkeit reichen wohl locker. Wie soll man mit derart gepanzerten Menschen über die Möglichkeiten neuer Sensibilisierung reden ?

Verletzbarkeit gehört nicht in die Reihe meiner Motive, die mir zu meiner Barfüßigkeit einfallen. Der von dir eingestellt Text hat mich aber daran erinnert, dass es ein Grundthema für mich ist, das durch Barfüßigkeit hervorragend unterstrichen wird.

Grüße aus Hamburg,

Bernhard

Sensibilität ist Stärke

Lorenz ⌂, Stammposter, Friday, 28.01.2005, 15:02 (vor 7183 Tagen) @ Bernhard aus HH

Hallo Bernhard, hallo Lothar,

Verletzbarkeit gehört nicht in die Reihe meiner Motive, die mir zu meiner Barfüßigkeit einfallen. Der von dir eingestellt Text hat mich aber daran erinnert, dass es ein Grundthema für mich ist, das durch Barfüßigkeit hervorragend unterstrichen wird.

Jede Art hat als Ergebnis der Evolution die Eigenschaften, die für ihren Fortbestand ideal sind. Wären unverletzliche, hart zutretende Füße für uns Menschen besonders wichtig, so hätte uns die Natur mit Pferdehufen beglückt. Stattdessen haben wir aber als Verbindungsstück zur Erde sensible Tastorgane mit Tausenden von Sinnesorganellen und Nervenendigungen bekommen -- unter einer Haut, die keinen Millimeter dicker ist als nötig.

Offenbar sind diese verletzlichen Füße genau das, was wir Menschen für unseren beispiellosen Werdegang als erstes aufrecht gehendes Säugetier gebraucht haben. Die vielfältigen Tastwahrnehmungen sind für in und mit der Natur lebende Menschen offenbar ein Vorteil, der die bei gut trainiertem Bewegungsgefühl ohnehin geringe Verletzlichkeit mehr als kompensiert.

Die moderne Menschheit versucht die Evolution zu korrigieren und sich mit dicken Schuhsohlen den Rindern und Pferden anzunähern -- ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kann und mag nicht glauben, dass die sensiblen Sohlen, die sich einige Millionen Jahre lang bewährt haben, plötzlich unnütz sein sollen........

Ich glaube vielmehr, dass unser Weiterbestand nur in Symbiose mit der Natur möglich ist -- und dass wir hierfür alle unsere Sinne noch mehr schärfen, weiterentwickeln und einsetzen müssen. Bei uns Menschen ist Sensibilität eine Stärke. Wir machen also gewiss nichts falsch, wenn wir uns den Spaß am Barfußgehen gönnen!

Barfüßige Grüße, Lorenz

[image] Gesundes Leben auf freiem Fuß

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