Barfuß - ich bin eifersüchtig! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 24.01.2005, 08:54 (vor 7187 Tagen)

Samstag, 22.1.2005. Die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt am frühen Morgen. Erst fiel Regen, dann Schneeregen. Genauso schnell aber war der Spuk vorbei, gegen 11 Uhr brach die Sonne durch. Also auch Zeit für mich, mich auf den Weg zu machen, natürlich barfuß, wie es sich für einen "vernünftigen" Menschen gehört. Etwa 300 Meter von meiner Wohnung entfernt überholte mich eine Arbeitskollegin mit dem Fahrrad. Sie wohnt im Nachbarblock, ist chinesischer Abstammung und war deutlich winterlicher angezogen als ich, nicht nur in Sachen Schuhe. Sie rief nur: "Nein! Barfuß! Ich bin eifersüchtig!" Ich glaube einmal, daß sie nicht ganz das passende Wort gefunden hat. Deutsch ist schließlich nicht ihre Muttersprache.

Über nasse Asphaltstraßen erreichte ich die Zofinger Altstadt. Es waren viele Leute beim Einkaufen, aber böse Kommentare erntete ich nicht. Auch blickte kaum jemand auf den Boden. Die Leute hatten wohl andere Gedanken im Kopf. Ich wanderte nach Oftringen, um dann auf einem asphaltiertem Feldweg (oder besser: auf dem matschigen Grasstreifen neben dem Feldweg) Richtung Safenwil zu gehen. Ich machte Pause auf einer Bank an einem Graben, der jetzt zu einem rauschenden Bächlein angeschwollen war. Ein romantisches Plätzchen, doch leider nicht romantisch genug, um Leute daran zu hindern, hier Flaschen zu zerdeppern. Beinahe wäre ich in eine Scherbe getreten, aber ich hatte noch Glück. als ich den Platz verließ, lagen die Scherben im Papierkorb. In Safenwil kamen mir Jugendliche entgegen, die selbstverständlich anfingen zu lästern. Im Abstand von 200 Metern kamen mir noch zwei indische Familien entgegen. Die Kinder starrten auf meine nackten Füße, während die Erwachsenen keine Miene verzogen. Vermutlich sind die Kinder in der Schweiz aufgewachsen und wissen nicht, daß in ihrer Heimat etliche Leute nur barfuß laufen (müssen), selbst im tiefsten Winter.

Über angenehme Wege erreichte ich Walterswil, wo ich unbeobachtet an der Kirche und am Haus der schnurrfreudigen Sekretärin vorbeikam. Dann folgte der Aufstieg auf den Engelberg, dieser Weg war matschig und somit ideal barfuß begehbar. Auf dem Berg waren einige Grasflächen mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Daß ich um die keinen Bogen machte, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Ein Ehepaar traute den Augen kaum. Es folgte der Abstieg, der etwas beschwerlicher war. Auch hier war es matschig, aber ich mußte aufpassen, daß ich nicht ins Rutschen kam, um dann mit den Zehen etwa gegen einen Felsbrocken zu stoßen oder an unterspültem Wurzelwerk hängen zu bleiben (nicht immer bricht die Wurzel zuerst). Schließlich aber erreichte ich einen Feldweg entlang einer Wiese, wo ich wieder eine schnellere Gangart einlegen konnte ich sich meine Füße erholen konnten. In einem Waldstück begegnete ich mehrere Spaziergängern, ohne Ausnahme in fettem Schuhwerk, fast ohne Ausnahme mit Handschuhen, und auch Mützen/Hüte hatten keinen Seltenheitswert.

Dann kam ich einer Mutter mit zwei Kindern entgegen. Das ältere Mädchen erblickte meine Füße und rief: "Mami, der Mann läuft barfuß!" Die Antwort lautete: "Der macht es richtig. Jetzt scheint die Sonne, und barfuß laufen ist gesund!" "Mami, darf ich auch?" "Nein!" war die Antwort. Darauf das Mädchen: "Wieso nicht? Du hast doch selber gesagt, daß das gesund ist!" Ganz schön schlau! Mit der Mutter möchte ich nicht tauschen. Und nicht nur deswegen, weil sie dicker vermummt war als ich. Etwas später kam ich an einem Kinderspielplatz vorbei, wo sich eine Mutter mit zwei Jungen aufhielt, mit Handschuhen und Mützen derart verpackt, daß man annehmen könnte, es wäre richtiger Winter. Ein Junge rief immer: "Mami, blutte Beine!" Bei der Gelegenheit riß er Handschuhe und Mütze vom Leib und warf sei vor den Augen der entsetzten Mutter auf den Boden. Es blieben die einzigen Dinge, denen er sich entledigte - leider!

Dann sah ich etwas, was ich ganz verdrängt hatte - Polizei! Die Beamten waren gerade dabei, ein Auto zu kontrollieren. Somit konnten sie nicht weg, Pech gehabt. Ich schaute mich noch manches Mal um, ob nicht plötzlich das Polizeifahrzeug von hinten angebraust kam, aber es kam nicht. Noch vierhundert Meter, und ich war am "rettenden" Oltner Hauptbahnhof angelangt. Niemals würde ein Polizeiauto die Treppen runterfahren. In der Unterführung recht erstaunte Blicke. Vor der Unterführung am Aareufer stand eine Gruppe frierender Leute, die mit einem Plakat verkündigten, daß sie gegen das "World Economy Forum" (WEF) in Davos waren. Als ich noch eine Runde durch die Oltner Altstadt barfüßerte, sagte ein Passant: "Wieder ein WEF-Gegner!" Woher will er denn das wissen? Tatsache ist, daß sich Jahr für Jahr (und meist in Davos) hochkarätige Wirtschaftsbonzen, Politiker usw. treffen. Diese sind selbstverständlich fett beschuht, bin ich also als Barfüßer ein Gegner. Sicher bin ich kein Freund von Großkapitalisten, die durch Nichtstun immer reicher werden, während die Mehrheit der Bevölkerung entweder keine Arbeit hat oder gar trotz reichlicher Arbeit immer ärmer wird. Noch mehr verurteile ich aber die WEF-Gegner. Nicht die Gegner an sich, sondern speziell die Chaoten, die demonstrieren und dabei die Fenster völlig unbeteiligter Leute zerschlagen und somit uns Barfüßern das Barfußlaufen vermiesen. Von mir aus sollen die Großkapitalisten in der Wüste tagen, wo sie keiner stört und wo die Polizei sie schützen kann, ohne daß die Freiheit der normalen Bevölkerung eingeschränkt wird, wie es in Davos immer der Fall ist. Vielleicht war die Polizei derart mit WEF-spezifischen Angelegenheiten beschäftigt, daß ich ausnahmsweise in Ruhe gelassen wurde. Die Polizei hat, wie ich im Radio gehört habe, mehrere WEF-Gegner festgenommen, nämlich solche, die irgendwelche gefährlichen Dinge auf sich trugen. Zwar ist ein Barfüßer nicht in der Lage, mal eben die Stiefelspitze abzuziehen und dann nach Art einer russischen Agentin im James-Bond-Film mit einer vergifteten Nadel am Schuh auf Feinde zu treten. Aber auch ich war, obwohl ich scheinbar schutzlos dem "Gegner" ausgeliefert war, nicht absolut wehrlos. Immerhin hatte ich behufs Entfernung allfälliger Splitter und Dornen Nagelschere und Pinzette dabei, mit denen man auch ganz andere Dinge verrichten könnte. Eine noch wirksamere "Waffe" des Barfüßers ist übrigens das Pflaster. Mit dem kann man auch allzu großkotzigen Kapitalisten den Mund zukleben.

Am Aareufer wanderte ich nach Aarburg. Ich ging bis zu der Stelle, wo die W i g g e r in die Aare mündet. Eine eiserne Leiter führt vom Wanderweg auf die etwas über einen Meter tiefer gelegenen Kiesbänke. Ein Elternpaar mit zwei kleinen Kindern hielten sich am Wasser auf. Die Tochter war gerade dabei, unmittelbar neben der Leiter Moos aus der Betonmauer zu puhlen. Sie war völlig überrascht, als sie in Kopfhöhe plötzlich zwei nackte Füße auf der Leiter erblickte, die dann tiefer stiegen, während nicht gerade schneeweiße behaarte Beine folgten, bis dann endlich mal der Hosensaum kam. Der Junge bemerkte mein Kommen nicht, weil er zu sehr mit dem Werfen von Steinen in den Fluß beschäftigt war. Erst entdeckte er einen verrosteten Fahrradlenker, dann einen alten Schuh (ein zweiter lag etwa 20 Meter weiter, etwa gleiche Größe und gleicher Typ, aber beides waren linke). "Ein Schuh!" rief er den Eltern zu. "Laß ihn liegen", rief die Mutter. Dann entdeckte er auch mich, sah meine Füße, zeigte auf mich und rief: "Da!" Die Eltern, die mich erst jetzt entdeckten, mußten nun lachen. Als ich später wieder ging, hörte ich ihn fragen: "Wieso läßt er die Schuhe hier?"

Der Rückweg ging wie üblich über eine matschige Wiese, ein Wohnquartier, eine Industriestraße (in der Unterführung unter der Bahn lagen Scherben, die ich nur deswegen im Dunkeln fand, weil ich wußte, daß dort welche lagen) und durch die Zofinger Altstadt. Hier stieg gerade eine Gruppe von Frauen um die Vierzig aus einem Auto, eine davon war kostümiert. Als ich vorbei war, rief eine: "Nein, das habe ich ja noch nie gesehen!" Sie glotterten noch lange, wie die kleinen Kinder, was ich nur mit einem Grinsen quittieren konnte. In der Stadt selbst gab es nur einige erstaunte Blicke, ebenso am Bahnhof, wo eine jugendliche Eishockeymannschaft gerade mit einem Zug angekommen war. Gegen 19 Uhr war ich zu Hause, etwas erschöpft, aber zufrieden - und nicht eifersüchtig. Auf wen denn?

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen

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