Barfuß bei (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 17.01.2005, 14:15 (vor 7194 Tagen)

Ein Hoch lag am vergangenen Wochenende über der Schweiz. Das bedeutet Sonne in den Bergen und Nebel über dem Mittelland, wo ich wohne. Irgendwie frustrierend, wenn man einerseits nicht vor hat, etliche Kilometer mit dem Fahrrad bei Temperaturen unter 0°C zurückzulegen (dafür hätte ich Schuhe benötigt), um dann vielleicht in eine Gegend zu kommen, die vielleicht nicht ideal zum Barfußlaufen ist, andererseits auch nicht vor hat, für die Anreise unnötig viel Geld zu investieren, mehr, als zwei Batterien bei einer Tankstelle der Marke "Wucherpfennig" kosten. Am Sonntag gegen 12.45 Uhr zog es mich aber doch aus der Wohnung. Es war zwar neblig, aber die Straßen waren trocken, und mit etwa 0°C war die Temperatur auch so, daß kein "vernünftiger" Mensch das Tragen von Schuhen für zwingend notwendig hält. Auf dem Asphalt kam ich barfuß eigentlich ganz gut voran, ein Ausweichen auf Felder war weniger empfehlenswert, da alles steinhart gefroren war. Ich folgte dem Ufer des Flusses W i g g e r (hoffentlich akzeptiert der Computer die gesperrte Schreibweise des "nicht jugendfreien" Flußnamens, bisher sah man immer nur Striche) zunächst bis Mehlsecken. Dann schritt ich auf dem stark mit Split (zum Glück einheimischer, kein "saarländischer") Trottoir einer Straße über die Autobahn, um dann einen Feldweg parallel zur Autobahn weiter zu wandern.

Als ich die Autobahn erreichte, sah ich, wie ein Polizeifahrzeug auf der Autobahn in meiner Richtung fuhr. Da Polizeifahrzeuge keine Panzer sind, war es den Beamten nicht möglich, die Autobahn zu verlassen, eine Leitplanke platt zu walzen und mich armen Barfüßer in die Mangel zu nehmen. Fünf Minuten würde es wohl dauern, bis sie die nächste Abfahrt verlassen haben und mir entgegen kommen würden. Als die 5 Minuten etwa um waren, sah ich, wie ein Polizeifahrzeug (ob es dasselbe oder ein anderes war, kann ich nicht sagen) die Autobahn auf einer Brücke überquerte, um dann auf "meinen" Feldweg zu gelangen. Etwa 50 Meter vor mir ging eine Frau. Die Beamten hielten bei ihr an, wechselten ein paar Worte, dann ging die Frau weiter, während die Beamten warteten, bis ich an ihnen vorbeikam. Dann die übliche Kontrolle, die etwa 15 Minuten dauerte, die üblichen Fragen usw. Ein Beamter riet mir, in Zukunft immer im Voraus die Kantonspolizei zu verständigen, wenn ich vorhabe, barfuß zu wandern. Vielleicht hat er (aus seiner Sicht recht) aber als freier Bürger in einem freien Staat sollte man sich auch frei bewegen dürfen, auch mit "freien" Füßen. Während mich die Polizisten kontrollierte, wurden wir von ein paar alten Leuten, die auf der Brücke standen, beobachtet. Sie ärgerten sich wohl, daß mich die Beamten nicht in Handschellen zur relativ nahen Strafanstalt in Wauwil zu verfrachten. Denselben Beamten begegnete ich noch zwei weitere Male, ohne das sie anhielten. Vielleicht hagelte es noch mehrere Anrufe, und die Beamten wollte sich überzeugen, daß nicht noch ein anderer Barfüßer die Gegend unsicher macht.

Beim Bahnhof Dagmersellen spielten winterlich vermummte Kinder auf der Straße. Sie starrten mich an und riefen dann ein paar türkische (oder was weiß ich) Worte in Richtung eines Hauses zu. Dort standen weitere Kinder im Hauseingang, die sich auch "unverständlich" unterhielten. Dann rief das älteste Mädchen in bestem Schweizerdeutsch: "Ist es nicht zu kalt?" Die Kinder im Eingang trugen offensichtlich die Kleidung, die sie auch im Haus trugen, auch keine Schuhe. Zwar waren sie nicht barfuß, sondern sie trugen Socken, aber immerhin. Vielleicht laufen sie wenigstens im Sommer barfuß, dann, wenn es zu warm ist, um Socken zu tragen. Durch ein Industriegebiet kam ich ins Ortszentrum von Dagmersellen, wo ich wieder einmal "große Glotzaugen produzierte". Da ich eine Kantonsstraße ohne Trottoir nicht benutzen wollte, bog ich ab, um dann ein kurzes Stück der W i g g e r zu folgen. Auf dem zermahlenem eiskalten Schotterbelag ging es erstaunlich gut, noch besser auf dem Asphalt. Das letzte Stück Richtung Reiden benutzte ich den Veloweg der Kantonsstraße.

Auf einem Fußweg fragte mich eine Frau, ob alles in Ordnung wäre. Der Weg führte mich hinauf zur Kommende, dann ging es eine Straße wieder hinunter. Dort war gerade eine größere Menschengruppe (Großfamilie). Ein Junge rief aufgeregt: "Der Mann! Kurze Hosen und barfuß! Kurze Hosen und barfuß!" In einem Durchgang kamen mir zwei weibliche Teenager entgegen, die nur "Huch" riefen. Im Ort hörte man schon Guggemusik , etliche Kinder waren geschminkt, auch waren viele in Karnevalskleidung unterwegs. Erstaunlicherweise beachtete man hier meine Barfüßigkeit nicht. Ob man glaubte, daß ich als Kostüm hautfarbene Leggings und "Fußschuhe" gewählt habe. Oder ist es nicht unüblich, während der Karnevalszeit eine "Kostümierung mit umgekehrtem Vorzeichen" durchzuführen? Ich kam auch erstaunlich gut mit dem Split auf dem Trottoir zurecht, vielleicht, weil ich mich hier nicht blamieren wollte?

Hinter Reiden benutzte ich einen Nebenweg nach Wikon, um von dort der Kantonsstraße (mit Trottoir ohne Split) nach Zofingen zu folgen. Ich hatte mal wieder Verlangen nach dem Pflaster der Altstadt. Viele Leute waren nicht unterwegs, erstaunt waren vor allem die Kinder. Auch die Familie des Stadtweibels schien erstaunt zu sein, ich glaube aber nicht, daß er mich als einen derjenigen erkannt hat, dem die Stadt Zofingen das Gemeindebürgerrecht zugesagt hat. Nachdem ich die Altstadt durchschritten hatte, unterquerte ich noch den Bahnhof, wo gerade ein Regionalzug einrollte. wieder die üblichen Blicke. Hinter dem Bahnhof kam mir ein Auto entgegen, wurde langsamer, fuhr dann weiter. Wie ich heute erfahren habe, handelte es sich um eine Mitarbeiterein, die der Sekretärin in meiner Abteilung mitgeteilt hat, sie hätte mich beobachtet und wäre nicht sicher gewesen, ob ich hautfarbene Leggins oder kurze Hosen getragen bzw. ob ich mit oder ohne Schuhe unterwegs gewesen war. Das Thermometer zeigte noch -1°C an. Noch einen Kilometer hatte ich bis zu meiner Wohnung. Als ich auf den Hof ging, kam auch gerade der Hausmeister mit seiner Frau und zwei weiteren Personen mit dem Auto auf den Hof gefahren. Was die gesagt/gedacht haben, weiß ich nicht. Ich wartete nicht, bis sie aus dem Auto ausgestiegen waren. Etwa 5 Stunden war ich unterwegs gewesen, im Nebel, bei Temperaturen nicht über 0°C, und "selbstverständlich" barfuß, wie es sich für einen "vernünftigen" Menschen gehört.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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