Elfstündige Barfußwanderung im "Polizeistaat" Schweiz (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 10.01.2005, 10:46 (vor 7201 Tagen)

Samstag, 8.1.2005. Als morgens um 6 der Wetterdienst die aktuelle Temperatur in Basel mit 8°C angab, war ich neidisch. Bei mir war es nämlich noch -1°C, da tags zuvor sich der Nebel im Mittelland nicht aufgelöst hatte. Aber die angekündigten Temperaturen von 8-11°C ließen doch hoffen. Gegen 7.30 Uhr verließ ich meine Wohnung, im Süden ließ ein Nebelloch die schmale Sichel des abnehmenden Mondes sichtbar werden. In der Zofinger Altstadt wurde gerade der Wochenmarkt aufgebaut. Die meisten Marktfahrer waren noch derart übermüdet, daß sie meine nicht übermäßig winterliche Kleidung (dunkelblaue Sommerjacke, kurze Hose und "selbstverständlich" barfuß) nicht registrierten. Nur ein Mädchen machte große Glotzaugen, war jedoch zu müde, um irgendwas zu sagen. Vor einer Bäckerei waren 3 junge weibliche Angestellte (Lehrlinge?) damit beschäftigt, irgendwas draußen aufzustellen. Als sie mich sahen, hörten sie sofort auf, sich zu unterhalten. Als ich aber um die nächste Ecke verschwunden war, hörte ich ein lautes Geglotter!

Da die Wege trocken waren, spürte ich nach etwa 2 km die Kälte nicht mehr. In Oftringen überholte mich ein Polizeifahrzeug, ohne daß sich die Beamten nach mir umdrehten. Ich erreichte Aarburg und stellte fest, daß ich nicht Richtung Olten "konnte", weil es dort noch sehr neblig war. Also schwenkte ich auf einen ungenehmen Matschweg über, um von dort im Sonnenschein nach Rothrist zu wandern. Im Ort fragte mich ein Mann, ob es nicht zu kalt sei. Ich überschritt die Grütbrücke, wo es doch recht zugig war, folgte einem Weg parallel zur Bahn, um dann wieder an die Kantonsstraße zu kommen, der ich (auf dem parallel verlaufenden Veloweg) nach Murgenthal folgte. In Murgenthal (es war mittlerweile +2°C) hielt eine etwa dreißigjährige Frau mit dem Auto an und fragte, ob es beabsichtigt sei, daß ich barfuß laufe, was ich bejahte. Es wäre gesund für Rücken und Gelenke und würde Erkältungen vorbeugen. Darauf erzählte sie, daß sie auch nicht viel von "richtigen" Medikamenten halte und alles mögliche in der Familie ausprobiere, um gesund zu leben, aber daß jemand barfuß im Winter laufe, hätte sie noch nie gesehen. Worauf ich ihr erzählte, daß dieses in Düsseldorf nicht unüblich sei. Ich riet ihr noch, nicht sofort damit anzufangen, sondern erst im Frühjahr und dann nie mehr aufhören. Sie entschuldigte sich noch, daß sie extra wegen mir gewendet hätte, mir hätte ja auch etwas zugestoßen sein können.

Hinter Murgenthal folgte ein Weg parallel zum Rothbach, dieser war fies geschottert. Teilweise konnte ich ausweichen, an einer Stelle ging es aber nicht. Ein älteres Ehepaar meinte: "Das ist aber mühsam!" Es war 12 Uhr, als ich mich auf einer Wiese an der Murg niederließ zu einer Pause. Mittlerweile war die Temperatur derart angestiegen, daß ich die Jacke ausziehen konnte. Das Gras war angenehm frisch, ich hörte das Glucksen des Wassers und die vorbeidonnernden Züge auf der alten und der neuen Strecke nach Bern. Ein Mann rief vom Wanderweg, ob alles in Ordnung sei.

Es folgte ein herrlicher Wanderweg über Wiesen, die noch von einem alten Gräbensystem bewässert werden und somit ideal barfuß begehbar sind. Leute, die mir entgegen kamen, glaubten wohl selber, daß ich das richtige "Schuhwerk" anhatte und nicht sie. Vor dem alten Walliswiler Wasserrad kam mir eine Joggerin entgegen. Wenige Minuten später überholte sie mich. Wollte sie etwa doch einen anderen Weg als ursprünglich geplant laufen? Nein! Sie hielt an, um mich zu fragen: "Machen Sie das aus gesundheitlichen Gründen?" Dieses bejahte ich. Als ich ihr erzählte, woher ich komme und wohin ich noch wollte, war sie doch erstaunt. Sie fand die Idee aber ganz gut, dann lief sie ihren ursprünglichen Weg weiter. Bis zum Kloster St. Urban war der Weg gut begehbar. Dann aber ging es im Wald bergauf, teilweise lag noch Rauhreif auf dem Gras, einige Pfützen waren noch gefroren, aber das Eis war so dünn, daß es auch ohne fettes Schuhwerk möglich war, das Eis zu zertreten. Allmählich wurden die Füße wieder kälter. Die Joggerin kam mir abermals entgegen, sie war ihren Weg gelaufen. Dann folgte aber ein herrlicher Weg durch trocknes Laub im warmen Sonnenschein. Ich kam an einer Menschengruppe vorbei, die gar nicht mal erstaunt war. Wieder folgte ein Aufstieg über eine Wiese, diesen Weg habe ich schon häufig verflucht, weil ich mir da die Schuhe dreckig gemacht hatte. Nun aber ging ich genüßlich den Berg hoch, während sich meine Zehen tief in den Schlamm bohrten. Mir kam ein Ehepaar mit total verschmierten Wanderschuhen entgegen. Als sie mich zufrieden wandernd sahen, meinte der Mann: "Auch eine Idee, barfuß!"

Es folgte eine sonnige Passage über einen Asphaltweg am Waldrand, während mich eine Familie auf Fahrrädern überholte. Als das Kind auf dem Rücksitz mich nur anstarrte, meinte der Vater: "Der läuft barfuß, das ist gesund." Dann erreichte ich die Ausläufer von Pfaffnau. Ich benutzte einen Nebenweg parallel zur Hauptstraße, der bald in einen Waldweg überging. Hinter dem Wald führte das Gelände ein "Schattendasein", der Boden war gefroren, Maulwurfshügel waren steinhart. Ich erreichte einige Bauernhäuser. Eine Frau fragte mich, ob es nicht zu kalt sei. Ich erreichte wieder die Kantonsstraße, die hier kein Trottoir hat, und das bei dem Verkehr. Als ich einen zur Gemeinde Brittnau (Kanton Aargau) gehörenden Weiler erreichte, hielt ein Polizeifahrzeug der Aargauer Kantonspolizeien, die übliche Kontrolle, aber nichts weiter.

Nach etwa 400 m hatte ich die Autobahnabfahrt erreicht, sie befindet sich bereits auf dem Gebiet der Gemeinde Langnau (Kanton Luzern). Ich mußte die Autobahn überqueren, das Trottoir der Brücke war aber mit Splitt nur so übersät, vermutlich von der Kehrmaschine dorthin geschleudert. Zum Glück sah ich, daß ein 30 cm breiter Absatz am Geländer splittfrei war. Ich sprang dorthin, als ein Krankenfahrzeug, das sich in der Linksabbiegespur Richtung Autobahn befand, eine Vollbremsung machte. Der Beifahrer schrie mich an: "Was machen Sie denn da?" "Ich überquer die Autobahnbrücke?" Der Mann sprang aus dem Fahrzeug, zog sich Gummihandschuhe über, als ob er Angst hatte, ich könnte ihn irgendwie anstecken, mit Fußpilz, Aids, Grippe, Sars, Gicht oder was ich. Auch er wollte meinen Ausweis sehen (wozu er meines Erachtens nicht befugt ist), dann rief er die Polizei. Während dieser Zeit blockierte der Krankenwagen mit Kastenaufbau die Linksabbiegerspur, ein nachfolgender Wagen, der rechts ausscherte, wäre beinahe mit einem anderen Fahrzeug zusammengestoßen (hätte man mich als "Unfallverursacher" auch zur Rechenschaft ziehen können oder nur den Krankenfahrer?). Endlich kam die Polizei, ein neutrales Fahrzeug der Luzerner Kantonspolizei, wieder Kontrolle. Diese Polizisten wußten noch nichts von der vorgängigen Kontrolle, da auch unter Schweizer Polizeiorganisationen Kantönligeist vorherrscht. Ich war gerade wieder 50 Meter weiter, da hielt erneut ein Fahrzeug, diesmal ein "richtiges" Polizeifahrzeug der Luzerner Kantonspolizei. Wieder wollte mich einer kontrollieren, als ein Kollege aus dem Auto rief: "Nicht nötig! Er wurde schon kontrolliert! So viele Barfüßer auf einem Haufen gibt es nicht!" Im ganzen kann ich sagen, daß sich alle Polizisten anständig verhalten haben, während die Besatzung des Krankenwagens arrogant und unsympathisch war. Erst danach fiel mir ein, daß die vielleicht mein schnelles Bewegen Richtung Geländer nicht als "Weg des geringsten Widerstandes", interpretiert haben, sondern als Versuch, mich von der Brücke auf die Autobahn zu stürzen. Sind denn Selbstmordkandidaten bevorzugt barfuß (außer diejenigen, die sich mit einer Überdosis Schlaftabletten ins Bett legen)?

Ich folgte (mittlerweile wieder mit Jacke) der Wigger Richtung Zofingen, machte noch einen Abstecher in die Altstadt, wo ich kaum beachtet wurden. Irgendwie reizt mich das Altstadtpflaster. Am Bahnhof begegnete ich noch einem Arbeitskollegen, ohne Kommentar. Ein paar erstaunte Blicke aus einem gerade dort haltendem Zug. Gegen 18.30 Uhr erreichte ich meine Wohnung, es war noch 7°C. Eine elfstündige Wanderung war zu Ende. Zwar war es keine 17°C warm geworden wie in Stuttgart, aber es bleib wenigstens trocken über Nacht. Die Bewölkung ab 17 Uhr verhinderte, daß es schnell abkühlte.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

Verständnisfrage

Markus U., Stammposter, Monday, 10.01.2005, 14:32 (vor 7201 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Also schwenkte ich auf einen ungenehmen Matschweg über, um von dort im Sonnenschein nach Rothrist zu wandern.

Hi Michael!

Was meintest Du mit "ungenehm": "unangenehm" oder "angenehm"?
Mir wäre es beispielsweise wegen allfälliger Dreckspritzer auf der Hose (ich mag es nicht, in schmutziger Kleidung herumzulaufen) unangenehm, durch Matsch zu gehen, während manche Barfüßer dies hingegen angenehm finden (den Matsch als Untergrund, nicht die Dreckspritzer).

Sonnige milde Barfußgrüße trotz Januar,
Markus U.

Verständnisfrage

Michael aus Zofingen, Stammposter, Monday, 10.01.2005, 14:51 (vor 7201 Tagen) @ Markus U.

"Was meintest Du mit "ungenehm": "unangenehm" oder "angenehm"?
Mir wäre es beispielsweise wegen allfälliger Dreckspritzer auf der Hose (ich mag es nicht, in schmutziger Kleidung herumzulaufen) unangenehm, durch Matsch zu gehen, während manche Barfüßer dies hingegen angenehm finden (den Matsch als Untergrund, nicht die Dreckspritzer)."

Hallo Markus,

Ich meinte natürlich "angenehm". Es bezog sich auf den Untergrund. Und solange man nicht gerade stürzt, gelingt es einem auch mühelos, ohne Dreckspritzer an der Kleidung durchzukommen, vorausgesetzt, man paßt die Kleidung entsprechend an. Und das war bei mir der Fall, wie Du Dir sicher denken kannst.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

Elfstündige Barfußwanderung im "Polizeistaat" Schweiz

Ulrich (Berlin) @, Stammposter, Tuesday, 11.01.2005, 00:20 (vor 7200 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Hallo Michael

Nach meiner Karte müssen das ja mindestens 30 Kilometer gewesen sein, sofern ich deine Wanderung richtig nachvollzogen habe. Damit verdienst du wirklich meine Hochachtung. Eine so weite Wanderung habe ich noch nie gemacht, ob mit oder ohne Schuhe. Meinen Respekt!

Viele Grüße nach Zofingen

Ulrich

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