Barfüßiger Silvesterspaziergang (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 03.01.2005, 10:10 (vor 7208 Tagen)

Ich sehnte schon den Feierabend herbei am Silvestertag 2004. Es war sonnig, aber die Temperatur zeigte lange Zeit noch unter 0°C. Als ich gegen 13 Uhr die Firma verließ, war die Temperatur auf +1°C angestiegen. Somit war die Möglichkeit, am Nachmittag noch eine Barfußwanderung vorzunehmen, nicht im Bereich des Unmöglichen. Und ich tat es auch. Wieder einmal mußte ich feststellen, daß es einen Unterschied macht, ob man beim Start einer Wanderung schon längere Zeit im Haus barfuß war oder ob man Schuhe getragen hat wie ich diesmal bei der Arbeit. Etwas 7 Stunden in geschlossenen Schuhen in einem Gebäude und die meiste Zeit am Schreibtisch, dann ist eine Akklimatisationszeit von weniger als 30 Minuten bis zum Losgehen wohl zu wenig. Andererseits wollte ich die Sonne aber auch nicht durch Wohnzimmerfenster betrachten.

Also ging ich los, barfuß und auch sonst nicht übermäßig winterlich angezogen. Noch in der Wohnstraße sah ich, wie eine relativ neue Mitarbeiterin der Firma und ihr Lebenspartner ihr Auto entluden. Die junge Frau, die mich bisher nur in Dienstkleidung kannte, starrte mich an und überlegte wohl, ob ich wohl identisch bin mit jenem "reichlich zugeknöpften" Entwicklungschemiker. Als ich aber das parkierte Auto erreichte, waren beide bereits im Haus verschwunden. Der Asphalt schmerzte unter meinen Fußsohlen. Wie würde es wohl im Wald aussehen? Zuerst war der Weg noch asphaltiert, dann folgte ziemlich zermahlener Schotter, naß und teilweise gefroren. Ein Weg, der normalerweise angenehm barfuß begehbar war, war es diesmal nicht. Teilweise lag Schnee, an den schneefreien Stellen war das Laub gefroren. Bei jedem Schritt hörte ich das Zerbrechen von Eiskristallen. Das Gefühl in den Füßen kam mir abhanden. Da andererseits die Lufttemperatur im Wald deutlich tiefer zu sein schien als auf er sonnenbeschienenen Straße, kehrte ich um.

Auf der Straße (bzw. dem daneben liegenden Feld) ging es wieder besser. Hier begegnete ich einem Ehepaar (der Mann arbeitete früher in derselben Firma wie ich) kam mir entgegen, sie wünschten mir einen guten Rutsch. Allmählich spürte ich gewisse Schmerzen an den Knöcheln (erst links, später rechts). Ich glaubte schon, daß es besser wurde, nachdem ich den Ortskern von Brittnau durchquert hatte. Dann aber führte die relativ stark befahrene Straße Richtung Langnau ohne Trottoir weiter. Da hier die Sonne nicht hin kam, war der Boden recht kalt, vielfach lag Schnee. Endlich erreichte ich die Abzweigung nach links.

Nachdem ich Autobahn und Wigger überquert hatte, kam ich am Bauernhof vorbei, auf dem zwei kleine Mädchen spielten. Die beiden habe ich schon häufiger gesehen. Von Mitte April bis Mitte Oktober habe ich sie schon barfuß spielen gesehen, für sie scheint barfußlaufen das normalste von der Welt zu sein, und in den unterschiedlichsten Situationen: Beim Spielen auf dem Misthaufen, beim Klettern in Bäumen, beim Spielen auf den Steinen am Wiggerufer, beim Mitfahren auf dem Trecker, beim Benutzen von Tretrollern, an einem nebligen Herbsttag in Jeans und dickem Wollpullover oder während eines sommerlichen Gewitters im Sonntagskleid mit Regenschirm. Diesmal aber trugen beide beim Spielen einen Wintermantel, eine warme Wollhose, Handschuhe, Mütze und fette Winterstiefel. Als sie mich sahen, starrten sie mich fassungslos an. Ausgerechnet die beiden Mädchen, die zweifellos gerne (und nicht etwa aus Not) barfuß laufen, reagierten so, warum nur? Weil sie glauben, daß nur Kinder und allenfalls erwachsene Frauen barfuß laufen dürfen, niemals aber erwachsene Männer? Weil deren Eltern, die, was ich anerkennend sagen muß, ihren Kindern ziemlich viel Freiheiten bezüglich Barfüßigkeit lassen, aber es nicht zulassen, auch im Winter barfuß zu laufen? Oder ist es einfach nur Neid, daß ich scheinbar ohne Probleme auch im Winter auf Schuhe verzichten kann?

Ohne Probleme ging es bei mir allerdings auch nicht ab. Erst war der linke Fuß gefühllos, dann der rechte. Erst dann konnte ich so gehen wie bei "sommerlicher" Temperatur. Eine ältere Frau fragte mich, ob mir was zugestoßen sei, was ich verneinte. "Das habe ich mir fast gedacht, aber ich wollte nur sicher gehen!" Als nächstes kam ich beim Brittnauer Trödlerladen vorbei. Der Trödler, ein mittlerweile pensionierter Gabelstaplerfahrer aus der Firma, in der ich arbeite, stand vor der Tür und unterhielt sich mit einem Menschen mit Hund. Der Hundebesitzer deutete auf mich und sagte: "Den hat man sicher überfallen!" "Nein," antwortete der Trödler, hielt werden nur selten Leute überfallen. Und wenn schon, wieso sollte man immer denselben Menschen überfallen?" Der Hund zog schon derart an der Leine, daß Herrchen mitkommen mußte. Der Trödler sagte: "Das kann nur einer sein!" Er zählte noch auf, was er an Kleidungsstücken anhatte (Stiefel, 2 Paar Socken, 2 lange Hosen übereinander, darunter eine lange Unterhose, 3 Wollpullover, eine dicke Jacke, eine Mütze). Er sprach noch: "Irgendwann wirst du dafür büßen, daß du so rumläufst." Er meinte sicher gesundheitliche Gründe - und ahnt gar nicht, wie sehr er sich irrt. Im Grunde genommen muß ich schon jetzt dafür büßen, jedoch nicht in Form von mangelhafter Gesundheit, sondern in Form vermehrter Polizeikontrollen. Er wünschte mir noch einen guten Rutsch.

Ich folgte dem Wiggerufer, als mir das "Buechenschietli" auf dem Fahrrad entgegen kam. Der Chemiker kam zu dem Übernamen, weil er angeblich genauso viel Humor wie ein Stück Buchenholz besitzt, nämlich gar keinen. Da er mir aber freundlich grinsend entgegen kam, muß ich annehmen, daß er seinen "Namen" zu Unrecht trägt. Da ich noch keine Lust nach Hause hatte, benutzte ich noch einen weg, um in die Zofinger Altstadt zu gelangen. Etwa 50 Meter vor mir kam mir ein gelber Omnibus entgegen (Seit Fahrplanwechsel fahren Busse dieser Linie (Altachen - Bf. Aarburg-Oftringen) durch die Straße, in der ich wohne). Obwohl kein Gegenverkehr war, bog er nicht nach links ab, sondern wartete. Der Fahrer starrte immer in meine Richtung, ebenso einige (wenige) Fahrgäste. Erst als ich kurz vor dem Bus war, fuhr er weiter - und hinter ihm etwa 8 Autos, die er an der Weiterfahrt gehindert hat!

Das Kopfsteinpflaster der Altstadt fühlte sich angenehm unter den nackten Füßen an. Viele Leute waren nicht mehr in der Stadt. Die Läden hatten geschlossen, es war schon dunkel - und für Kneipenbesuche war es noch zu früh. So ziemlich jede Altstadtgasse nahm ich mit (natürlich nur im übertragenen Sinne, eine wirkliche Mitnahme wäre im Gegensatz zum Barfußlaufen verboten). Als ich den Bahnhof unterquerte, waren gerade zwei Züge eingerollt. Die Fahrgäste, die die Treppe runterkamen, trauten ihren Augen kaum. Ich vernahm auch das Geglotter weiblicher Teenager, das ich nur mit einem überlegenen Grinsen quittieren konnte. Ich durchquerte noch eine dunkle Straße, wo man einen Menschen noch sehen konnte, nicht aber was er trug. Kinder spielten dort. Während ich vorbeiging, zündete eines gerade zufällig ein bengalisches Licht an. Da hört ich plötzlich: "Der Mann läuft ja barfuß!" Eine Erwachsenenstimme antwortete: "Das ist sicher eine Wette!"

In der Schweiz wird Silvester nicht so intensiv gefeiert wie etwa in Deutschland. Als ich um Mitternacht noch mal kurz rausging (mittlerweile fiel leichter Sprühregen), war ich in der Straße der einzige der rausging (zum Schuhe anziehen war ich zu faul), nur vereinzelt vernahm ich Raketen. Auch ich hatte die pyrotechnische Industrie nicht unterstützt. Oder war es nur so ruhig wegen der Seebebenkatastrophe?

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

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