Ein "schräger Siech" in Bern (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 25.10.2004, 13:18 (vor 7278 Tagen)

Für den letzten Samstag (23.10.2004) hatte ich mir rechtzeitig eine Fahrkarte im Sonderzug Olten - Bern gebucht. Ich wollte mir die Premiere auf der Neubaustrecke nicht entgehen lassen. Für nur 5 SFR hatte ich die Möglichkeit, mit dem Sonderzug nach Bern und mit irgendeinem regulären Zug wieder zurück nach Olten zu reisen. Daß ich beim Erwerb der Fahrkarte "heimlich" mit dem Gedanken spielte, diese Zugfahrt barfuß anzutreten, überrascht vielleicht nicht. Das Wetter war morgens zwar neblig und 9°C warm, aber für mich kein Grund, beim Verlassen des Hauses Schuhe anzuziehen. Und ebenso war es für mich kein Grund, die Strecke Zofingen-Olten ebenfalls mit dem Zug zurückzulegen und dafür mehr zu bezahlen wie für die wesentlich längere Strecke Olten-Bern. Also radelte ich morgens barfuß zum Oltner Hauptbahnhof. Da in der Nähe des Bahnhofs auch eine Ausstellung auf dem Bahnhofsgelände war, hatte ich Flipflops dabei, um ja nicht vor Gleisschotter oder allfälligen Zurückweisungen von "Bahnschergen" kapitulieren zu müssen. Auch radelte ich rechtzeitig los, um ja nicht durch "böse Polizisten" die Abfahrt um 8.24 Uhr zu verpassen.

Aber nichts dergleichen geschah, daher erreichte ich den Zug viel zu früh. Keine bösen Blicke des Aufsichtspersonals zu meiner Barfüßigkeit. Lediglich ein Fahrgast meinte: "Der Sommer scheint noch nicht zu Ende zu sein!" Während der Fahrt über die Neubaustrecke wurden durch den Lautsprecher teilweise mir bis dahin unbekannte Fakten erklärt. Dieses hier darzubringen, würde den Rahmen sprengen. Aber es war so interessant, daß ich jeden Gedanken bzl. Schuhlosigkeit vergaß. Viel zu schnell war ich in Bern, wo ich mir die dortige Bahnausstellung ansah. Nach dem nächsten Fahrplanwechsel werden reguläre Züge diese Strecke benutzen, allerdings nicht für 5 SFR. Ob ich dann auch mal barfuß von Zofingen nach Bern in nur 30 Minuten ohne Zwischenhalt und Umsteigen fahren werde?

Die Sonne war durchgebrochen. Ich wollte noch nicht sofort zurück. Im Bahnhof fiel meine Barfüßigkeit nicht sonderlich auf, nur ein Soldat sagte zu einem anderen: "Ein schräger Siech!" Ich war etwas überrascht. So etwas sagt ein Schweizer Soldat? Immerhin habe ich für die Schweizer Armee etwas über, was ich für richtiges Militär nicht habe - ein Lächeln! Ich verließ den Bahnhof ging durch die Altstadt zum Bärengraben. Auch hier fiel ich kaum auf, die Kinder interessierten sich mehr für die Teddys als für meine nackten Füße. Wen überrascht das. Die Bären waren schließlich auch barfuß, trugen im Gegensatz zu mir aber einen dicken Pelz! Durch die Unterstadt wanderte ich über die hölzerne Frick-Treppe (dort tönte es aus einem Lautsprecher, daß dort noch immer ein Geist spukt, ob man mich dafür hielt?) zum Münsterplatz, über die Kirchenfeldbrücke, hinunter zur Aare, bis zum Eingang des Tierparks, dann über eine Fußgängerbrücke zum Marzilibad.

Eigentlich wollte ich hier nur eine kurze Pause machen. Als aber die Sonne immer erbarmungsloser vom Himmel brannte, beschloß ich, hier länger zu bleiben. Obwohl die Aare nur 12°C warm war, badeten hier einige. Auch ich schwamm ein kurzes Stück im Fluß. Leider hatte ich kein Handtuch dabei, aber die Kraft der Sonne reichte noch aus. Übrigens: Alle Leute, die sich ins Wasser trauten, waren barfuß. Im Sommer schwimmen hier häufiger welche mit Badeschuhen. Auch hielten sich einige dort auf, die sich in Badekleidung sonnten, jedoch nicht ins Wasser gingen. Andere zogen auch lediglich Schuhe und Strümpfe aus, um sich in die Sonne zu setzen. Viele aber wanderten nur in "normaler" Kleidung durch, darunter ein Buchhalter aus der Firma, in der ich arbeite, den aber meine Aufmachung nicht störte. Von Joggern einmal abgesehen, kamen und gingen die Leute aber eher winterlich gekleidet, nur selten mal ein Rentner in kurzen Hosen oder eine Frau in Flipflops. Auch fiel mir auf, daß sich recht viele Leute im Rentenalter im Badekleidung aufhielten. Kinder dagegen sah man nur auf der "Durchreise", deren Kleidung ohne Ausnahme nicht der "Isttemperatur", sondern der "Solltemperatur" angepaßt war. Aber was soll's! Lieber genoß ich die Ruhe, die nur gelegentlich vom Pfeifen des an diesem Tage verkehrenden Dampftrams http://www.dampftram.ch/fahrzeuge.html unterbrochen wurde.

Gegen 17 Uhr verließ ich das Bad. Ich wollte noch einmal barfuß durch die Stadt gehen. Die Altstadt war voll, und nun registrierte ich auch öfter komische Bemerkungen, unter anderem von Leuten, die bettelten. Als ich durch den Bahnhof ging, fiel ich wiederum nicht auf. Da eine Musikgruppe spielte, waren derart viele Leute dort, daß man kaum die eigenen Füße sehen konnte. Um 18.52 Uhr fuhr mein Zug Richtung Olten. Ein Ehepaar setzte sich in meine Nähe, und meinte, daß ich sehr sommerlich angezogen wäre. Aber trotzdem kam es zu einem interessanten Gespräch zu ganz anderen Angelegenheiten. In Langenthal verließen sie den Zug, und ich in Olten. Die Ausstellung war längst vorbei, aber ich bereue es nicht. Vor mir lag noch eine Fahrradfahrt nach Zofingen. Trotz meiner leichten Kleidung bemühte ich mich nicht, auf dem kürzesten Weg nach Hause zu radeln.

Mir fielen die Worte des Soldaten wieder ein. Was ist der passende Ausdruck für einen Menschen, der barfuß Bahn fährt, eigentlich hinterher noch ein Bahnausstellung besichtigen wollte, dann aber im Schwimmbad hängen bleibt, und während der gesamten Zeit auch noch Schuhe im Gepäck hat? Richtig! Ein "schräger Siech".

Mit "geraden" Grüßen

Michael aus Zofingen


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