Tessin, Milano, San Gottardo (Hobby? Barfuß! 2)

Harald 2, Wednesday, 13.10.2004, 21:33 (vor 7290 Tagen)

Liebe Barfüßler!
Reisen ins Tessin scheinen ja unter uns Barfußmenschen richtig in Mode zu sein (Liebe Grüße an Michael aus Zofingen!). Ich war jetzt auch ein paar Tage dort. Es waren ein paar sehr angenehme Tage, die ich fast ganz ohne Schuhe verbracht habe. Ein erholsamer Ausklang eines recht arbeitsreichen Sommers.
Wie so oft konnte ich mich vor der Abreise nicht so recht entschließen: ganz ohne Schuhe oder doch "Notschuhe" ins Gepäck. Ich entschied mich für ein Paar Sportschuhe ganz unten in den Rucksack. Ganz am Ende der Reise sollte ich Recht behalten. Aber zunächst blieben sie, wo sie hingehörten.
Zunächst ging es mit dem Nachtzug von Wien nach Zürich und dann weiter mit dem "Cisalpino" nach Lugano. Ganz in Kurzform, was ich dort gemacht habe: Wanderung vom Monte Bre über Gandria und den See entlang nach Lugano zurück, Wanderung durch Kastanienwälder im Malcantone, abendlicher Ausflug auf den San Salvatore (noch ein Aussichtsberg bei Lugano), Kaffeehaussitzen bei Regen, ein Besuch im Hermann Hesse-Museum in Montagnola (Es ist beeindruckend, wie viele Glück mir ein Mensch wie Hermann Hesse schon schenken konnte, den ich nur durch seine Bücher kenne!), ein Tagesausflug nach Milano, mit der Centovallibahn über Brig nach Hospental in der Nähe vom St.Gotthardpass; bis hierher war ich ausschließlich barfuß unterwegs. Das Wetter bisher: herrlich warm, v.a. am Nachmittag, meistens ein wenig Nebel über den Seen, angenehm laue Abende. Übernachtet habe ich in den Jugendherbergen von Lugano und Hospental.
In den Schweizer Bergen ist es dann aber doch ziemlich kalt geworden. Zu einer Wanderung auf den 2100 m hohen Pass (vom 1500 m hoch gelegenen Dorf aus) bin ich dann doch mit meinen Schuhen aufgebrochen, hab sie dann später doch im Regen ausgezogen, am nächsten Tag bei Morgenfrost aber gerne wieder an. In Sargans auf den Eurocity nach Wien wartend hab ich mich fröstelnd über Schuhe und meinen warmen Schafwollpullover gefreut. Ja, nördlich der Alpen ist es ganz schnell ganz schön kalt geworden. (Wieder zuhause im Weinviertel stelle ich fest, dass auch so manche Pflanze in meinem Gemüsegarten schon erfroren ist.)
So ganz viel barfuß unterwegs zu sein war wieder einmal herrlich. Es war nicht so wie ganz ohne Schuhe, aber fast. Bei Ausflügen im Tessein und auch nach Milano blieben die Schuhe jedenfalls in der Jugendherberge. Immer wieder bin ich dann so richtig stolz auf meine Füsse. Und auch darauf, dass ich mutig genug bin zu so einem barfüßigen Leben. Ich war immer schon gerne barfuß, hätte das aber früher nicht gedacht, dass man so viel barfuß sein kann - und dass das so schön ist.
Kommentare zu meinen nackten Füssen gab es kaum. Ein Deutscher in der Jugendherberge, mit dem ich am Abend öfters geplaudert habe, meinte nur: "Du bist ein Naturbursche!". Beim Eingang in den Mailänder Dom gibt es Taschenkontrolle durch die Polizei. Die beanstandeten tatsächlich mein Taschenmesser, das ich beim Eingang deponieren musste, sagten aber nichts zu meinen nackten Füssen. Ein bisschen schade war nur: Ich hab keinen einzigen Barfüßler gesehen in der ganzen Woche.
Liebe Grüße aus dem schon recht herbstlichen Osten Österreichs!
Harald

Tessin, Milano, San Gottardo

RainerL @, Stammposter, Thursday, 14.10.2004, 12:45 (vor 7289 Tagen) @ Harald 2

Hallo Harald,

Dank Dir für den schönen Bericht. Vielleicht schaffe ich es ja eines Tages auch mal wieder ins Tessin. Dein Bericht war so schön geschrieben daß man Lust bekommt gleich da hin zu fahren.

Immer wieder bin ich dann so richtig stolz auf meine Füsse. Und auch darauf, dass ich mutig genug bin zu so einem barfüßigen Leben. Ich war immer schon gerne barfuß, hätte das aber früher nicht gedacht, dass man so viel barfuß sein kann - und dass das so schön ist.

Das geht mir auch so und ohne das Forum wäre es bestimmt nicht so geworden ;-)

Barfüßige herbstliche Grüße
Rainer L.

Tessin, Milano, San Gottardo

Lorenz, Stammposter, Thursday, 14.10.2004, 23:02 (vor 7289 Tagen) @ Harald 2

hallo Harald,

Deinen Bericht habe ich gerne gelesen, dabei allerdings mit Wehmut feststellen müssen, dass ich diesem Jahr viel zu wenige Ausflüge zustandegebracht habe.

Wie so oft konnte ich mich vor der Abreise nicht so recht entschließen: ganz ohne Schuhe oder doch "Notschuhe" ins Gepäck. Ich entschied mich für ein Paar Sportschuhe ganz unten in den Rucksack. Ganz am Ende der Reise sollte ich Recht behalten.

Da sollte man nicht ideologisch sondern praxisbezogen entscheiden! Ich habe mich einmal geärgert, weil ich ganz ohne Schuhe unterwegs war und dann nach fünf Tagen wegen eines blöden Hornhautrisses eine Wanderung nicht nachen konnte, die mich eigentlich sehr gereizt hätte.

Die beanstandeten tatsächlich mein Taschenmesser, das ich beim Eingang deponieren musste, sagten aber nichts zu meinen nackten Füssen.

Seitdem die Terroristen Bomben in ihren Schuhen verstecken, entdecken die Security-Leute ihr Herz für die Barfußläufer! Mir hat vor ein paar Jahren einer erzählt, dass er nicht barfuß in den Mailänder Dom gelassen wurde. Aber vielleicht hat der betreffende Türsteher seinen Job inzwischen bei der Neuen Pinakothek in München ;-))
und wirft dort barfüßige Kinder hinaus.....

Mach's gut und unbeschuht, Lorenz

Tessin, Milano, San Gottardo

Harald 2, Sunday, 17.10.2004, 20:57 (vor 7286 Tagen) @ Lorenz

Lieber Lorenz!

Wie so oft konnte ich mich vor der Abreise nicht so recht entschließen: ganz ohne Schuhe oder doch "Notschuhe" ins Gepäck. Ich entschied mich für ein Paar Sportschuhe ganz unten in den Rucksack. Ganz am Ende der Reise sollte ich Recht behalten.

Da sollte man nicht ideologisch sondern praxisbezogen entscheiden!

Ich hoffe ja nicht, dass ich ein "verbissener Barfußideologe" bin:-) Trotzdem: Ganz ohne Schuhe unterwegs zu sein ist für mich einfach die schönste Art des Reisens. Zwei, drei Wochen früher hätte ich es sicher getan. Im Oktober bin ich vorsichtig. Zunächst im Tessin hab ich das ein wenig bereut, in der Nähe des Sankt Gotthardpasses und erst recht auf der Heimreise überhaupt nicht mehr (Eis auf jedem Grashalm am Morgen in Hospental, ich mit zwei Pullovern noch immer frierend beim Warten auf den Anschlusszug in Sargans).

Die beanstandeten tatsächlich mein Taschenmesser, das ich beim Eingang deponieren musste, sagten aber nichts zu meinen nackten Füssen.

Seitdem die Terroristen Bomben in ihren Schuhen verstecken, entdecken die Security-Leute ihr Herz für die Barfußläufer! Mir hat vor ein paar Jahren einer erzählt, dass er nicht barfuß in den Mailänder Dom gelassen wurde.

In italienischen Kirchen gibt es ja immer eine Art Aufsicht, die auf "angemessene Kleidung" achtet. Meiner Erfahrung nach haben die kein Problem mit barfüßigen Menschen, sehr wohl aber mit ärmellosen Shirts bei Frauen und Männern. Ich war auch schon einmal problemlos barfuß in der Abendmesse in Assisi. Neu war für mich in Milano, dass es da zusätzlich noch richtige Polizisten vor der Tür gibt. Auch wenn ich barfuß reingekommen bin, störte mich ihr machohaftes Gehabe gewaltig. Gerade vor einer Kirche. Noch dazu habe ich das Gefühl, dass die Terroristen heutzutage nicht in erster Linie mit Schweizer Messern bewaffnet sind.
Aber doch gleich noch zu positiven Erlebnissen: Einfach herrlich ist der Aufstieg auf das Dach des Mailänder Domes, Flanieren zwischen gotischem Zierrat, Marmor unter den Füßen...

Tessin, Milano, San Gottardo

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Friday, 15.10.2004, 07:24 (vor 7289 Tagen) @ Harald 2

Hallo Harald,
vielen Dank für Deinen interessanten Bericht. Wenn wir zum gleichen Zeitpunkt unterwegs gewesen wären, hätten wir uns vielleicht zufällig getroffen. Oder wenn Du vom Gipfel des San Salvatore einen Barfüßer gesehen hättest, der gerade Lugano oder Campione unsicher macht, dann hätte ich es sein können. Hast Du jeweils die Standseilbahn benutzt, um auf den Monte Bre bzw. den San Salvatore zu kommen?

Vor Jahren war ich auch schon auf beiden "Hausbergen" Luganos, allerdings mit Schuhen (und ohne Benutzung der Seilbahnen).
Einmal war ich an einem Ostersonntag auf dem San Salvatore, es war noch relativ früh. Drei ältere Männer, Wanderer aus der Deutschschweiz, waren bereits oben. Obwohl sie selber dick vermummt und fett bewanderschuht waren, schien sie meine "nicht übermäßig winterliche" Kleidung nicht zu stören. Sie schienen sich auch nicht zu wundern, daß ich Sandalen (mit Fersenriemen) ohne Socken trug. Dann kam plötzlich eine Reisegruppe von ca. 20 Personen auf die Plattform, sie waren mit der Seilbahn hochgekommen. Man sah gleich, daß "Flachlandtiroler" waren. Lediglich ein paar ältere Herren dieser Gruppe trugen einigermaßen taugliche Kleidung, einer (der Reiseleiter) war in Anzug und Krawatte unterwegs, mit seinen Halbschuhen wäre er fast ausgerutscht. Eine Frau kam mit ihren hochhackigen Schuhen nicht zurecht, nahm sie deswegen in die Hand und lief auf Socken. Weiterhin unterhielten sie sich lautstark. Ein Deutschschweizer schüttelte nur den Kopf und meinte: "Diese Engländer oder Amerikaner! Sowas von leichtsinnig!" Es waren aber keine Engländer und sie unterhielten sich in einer Sprache, die vielleicht für einen Schweizer "englisch" klingt, aber es war plattdeutsch, das die älteren Leute sprachen (die jüngeren sprachen hochdeutsch)! Die Gruppe war aus Flensburg angereist. Viele froren, obwohl sie deutlich winterlicher angezogen waren als ich. Eine Frau meinte zur anderen: "Der friert sich noch mal den Arsch ab!" Endlich brach ich mein Schweigen und antwortete. "Nein, der bleibt dran! Es ist alles nur Gewöhnungssache." Sie schienen überrascht zu sein, daß ich nicht italienisch, sondern deutsch mit eindeutig norddeutschen Einschlag sprach. Ich erzählte denen, daß ich das ganze Wochenende im Tessin wäre, am Tag zuvor auf den Monte Generoso gewandert wäre und die Gründonnerstag noch die Gründonnerstagsprozession in Mendrisio beobachtet hätte. Ich erwähnte auch, daß es dort einen gegeben hätte, der noch leichter gekleidet war als ich. Es war der Jesus-Darsteller, er lief als einziger barfuß durch die Straßen der Stadt, während die "Schächer", "Soldaten", "Hohepriester" usw. Schuhe trugen.

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen

Tessin, Milano, San Gottardo

Harald 2, Sunday, 17.10.2004, 20:40 (vor 7286 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Lieber Michael!

Ein zufälliges barfüßiges Treffen in Lugano wäre tatsächlich witzig gewesen. Ich hab es aber auch schon lustig gefunden, kurz vor meiner Abreise noch Deine ausführlichen Tessin-Berichte zu lesen. Für Reisetipps bin ich immer dankbar, die Warnung vor den Schalen der Esskastanien ist mir im Gedächtnis geblieben, obwohl sie mir gar nichts Neues war, ich kenne die Dinger aus den Bergen Portugals. Ich hab aber meine Wanderungen durch Kastanienwälder trotzdem barfuß geschafft, wenn auch abschnittsweise ganz langsam und vorsichtig. Manchmal bin ich ein Fan von "slow travelling":-))

Hast Du jeweils die Standseilbahn benutzt, um auf den Monte Bre bzw. den San Salvatore zu kommen?

Ja, ich war zu faul zum bergauf gehen:-) Außerdem hat mich auch ein wenig die Technik dieser Standseilbahnen fasziniert (genauso wie die traumhafte Centovallibahn, von der Du, wenn ich mich recht erinnere, auch schon einmal geschrieben hast). Vom Monte Bre bin ich zu Fuß nach Gandria gegangen, ein herrliches Dorf Ufer des Luganosees, speziell für Barfüßler mit so richtig tollem Steinpflaster. Am Salvatore war ich nur kurz gegen Abend, obwohl klar war, dass die Aussicht nicht so toll wird, aber mit meiner 3-Tagesnetzkarte hat es nicht extra gekostet und ich wollte mir diesen Berg nicht entgehen lassen. Da bin ich auch wieder mit der Bahn hinuntergefahren.

Dass es so überhaupt keine Kommentare zu meinen nackten Füssen gab, hat mich wie schon bei meiner Italienreise vor einem Jahr ein bisschen gefreut und doch auch ein bisschen enttäuscht. Deutsche im Postbus ins Malcantone meinten nur lapidar: "Der ist barfuß" und wandten sich dann wichtigeren Gesprächsthemen zu. Kein Kommentar in Cafés, Museen, im Zug, in den Jugendherbergen ... Manchmal nette Gespräche über ganz etwas anderes...

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