Schall und Rauch und Meer (Hobby? Barfuß! 2)

Arved, Sunday, 03.10.2004, 11:55 (vor 7300 Tagen)

Alljährlich an einem Wochenende um den Tag der Deutschen Einheit herum veranstaltet die Mecklenburger Bäderbahn "Molli" (Bad Doberan - Kühlungsborn) ein Fest namens "Schall & Rauch" zum Wechsel von Sommer- auf Winterfahrplan.

Da ich den klassischen Eisenbahnen, insbesondere aber den Dampfloks, total verfallen bin, lasse ich mir diese Veranstaltung schon seit Jahren nicht entgehen!

So bin ich also auch gestern jeweils rund 2,5 Stunden hin u. 2,5 Stunden zurück gefahren, um mir den Fahrtwind und den Ruß um die Nase wehen zu lassen, doch es hat sich gestern im Gegensatz zu den Vorjahren in ganz besonderem Maße gelohnt, vor allem weil das Wetter glücklicherweise recht schön geblieben ist. Vielleicht 5 Minuten fielen mal ein paar einzelne Regentropfen, ansonsten war es durchgehend trocken, ziemlich windstill und häufig sogar sonnig.

Die Schuhe habe ich gleich zuhause gelassen. Die ersten 100 km war ich mir allerdings unsicher, ob das klug war, da es morgens hier im Norden doch noch recht heftig geregnet hat und ich zwar normalerweise auch bei Regen gern auf Schuhe verzichte, dies dann aber nicht als besonderen Genuß empfinde, wenn es sich nicht gerade um einen lauen Sommerregen handelt. Als ich dann aber Mecklenburg erreicht hatte, begann sich meine Laune angesichts des strahlenden Sonnenscheins zu heben.

Gegen Mittag erreichte ich den Bahnhof des kleinen Städtchens Bad Doberan, daß insgesamt recht hübsch herausgeputzt ist, zumindest wenn man den Blick vor den im Osten noch immer allgegenwärtigen leerstehenden und dem Verfall preisgegebenen Bauten verschließt. Das Bahnhofsgebäude befindet sich zwischen den regelspurigen Gleisen der "großen Bahn" und den schmalspurigen der Dampfeisenbahn, man kann hier quasi "im Trockenen" vom modernen Dieseltriebwagen der Ostmecklenburg-Bahn in die zum Teil 100 Jahre alten Waggons des "Molli" umsteigen. Der Dampfzug fährt im noch geltenden Sommerfahrplan stündlich, ich hatte bis zur Abfahrt etwa 30 Min. Zeit. Daher schaute ich mich zunächst ein wenig auf dem Bahnsteig um.

Hier wurde ich dann auch das erstemal angesprochen. Aus dem Bahnhofsklo kam ein älterer, recht naiv und einfach strukturiert wirkender Toilettenwärter, der sogleich ausrief: "Barfuß! Also das wäre mir viel zu kalt!", worauf ich erwiderte, daß es noch lange nicht wirklich kalt sei und daß man problemlos ohne Schuhe laufen kann, solange man auch noch keine Handschuhe benötigt. Das erregte dann die Aufmerksamkeit des Toilettenbenutzers, der nach dem Wärter aus der Tür trat. Es handelte sich um einen ziemlich schmierig und ungepflegt wirkenden Typen Marke Dauersäufer, dessen Schnapsfahne man über mehrere Meter Entfernung wahrnehmen konnte, und der vernehmlich schwankte und lallte. Nachdem er mir zunächst sekundenlang auf die Füße schielte (dauerte wohl ein bißchen, bis er das Bild scharfgestellt hatte), fragte er schließlich: "Was'n das, wassu da annen Füßen hast?" Ich bestätigte ihm wahrheitsgemäß, das es sich um jeweils einen Zehenring pro Fuß handelte, was ihn offenbar noch mehr als der eigentlich Anblick zu erstaunen schien: "Genau, deswegen binnich so'n büschen verwunnert, das habbich ja noch nie gesehen, Ringe am Fuß!" Ich wünschte den beiden noch einen angenehmen Tag und zog von dannen, bevor seine Verwunderung womöglich noch in Aggressivität umschlagen konnte, bei diesen Schnapsleichen weiß man ja nie...

Inzwischen war der Zug eingetroffen und ich stieg ein. Beim Durchschlendern der Waggons gab es die üblichen erstaunten Blicke, aber keine weiteren Kommentare. Das Publikum im Zug war in diesem Jahr anders als in den Vorjahren, wenig junge Eltern mit kleinen Kindern, dafür viele Senioren.

Ich suchte mit einen Platz auf der Plattform eines Waggons in Zugmitte, denn von dort aus kann man Sound u. Geruch der Lok meistens am besten wahrnehmen und hat einen prima Blick auf die Lok, wenn der Zug eine Kurve durchfährt. Von denen gibt es auf der Strecke reichlich! Die Fahrt dauert insgesamt rund 45 Minuten pro Strecke, obwohl es nur etwa 15 km sind.

Kurze Zeit später kontrollierte die junge Zugbegleiterin meine Fahrkarte. Es war ihr deutlich anzumerken, daß sie meine Füße bemerkte, aber sie reagierte nicht darauf, sondern blieb freundlich und gab mir auch bereitwillig Auskunft auf meine Frage, ob ich die Fahrt zwischendurch unterbrechen und später fortsetzen kann. Ich konnte. Doch zunächst blieb ich bis zur Endstation Kühlungsborn West im Zug.

Die Fahrt war u.a. auch deshalb sehr amüsant, da im Zug ein Akkordeon-Spieler die Fahrgäste unterhielt, indem er mit ihnen Volkslieder, hauptsächlich von der Küste, trällerte. Gerade die älteren Reisenden sangen begeistert mit und es entstand eine lockere und gelöste Athmospäre im Zug, die sogar mich mitriß, der ich eigentlich derlei Musik nicht sonderlich mag.

An der Endstation habe ich es erstmal genossen, bei den Rangierarbeiten und beim sogenannten Restaurieren der Lok (= Versorgen mit Kohle u. Wasser) zugesehen, bevor ich dann mit dem Zug wieder 2 Stationen zurückfuhr bis Kühlungsborn Ost, denn dort fand das eigentliche Fest statt.

Hier stellt ich überrascht fest, daß auf der Bühne eine erstklassige Jazz-Rock-Band namens Tunefish (offenbar aus Rostock) spielte! Ich setze mich auf eine Bank, genoß die Musik, ein Alsterwasser, eine Bratwurst und ein Stück Kuchen, denn ich hatte ja eine Stunde Zeit, bis ich mit dem nächsten Zug weiterfahren wollte.

Leider kam die Musik beim Publikum nicht wirklich gut an, das Klatschen wirkte er pflichtbewußt als begeistert. Ich hingegen fand die Band grandios und wippte fleißig im Takt mit. Ab und zu lächelte mir eine ältere Dame zu, deren Blick ständig zwischen der Band und meinen Füßen hin und her ging, sie wußte wohl nicht genau, wovon sie nun mehr fasziniert war. :-)

Kurz bevor mein Zug kam, hatte ich das Verlangen, meine übervolle Blase zu entleeren, und suchte daher das WC im Bahnhof auf. Dort hatten wohl vorher etliche Gäste nicht richtig zielen können, denn der Boden vor den Pinkelbecken war klatschnaß und schmutzig. Um Wasser handelte es sich vermutlich nicht, aber was soll's? Meine Füße waren eh alles andere als sauber, nachdem ich die ganze Zeit durch Staub, Ruß und Öl gelaufen war. Ich trat also in die Pfützen und sah mich vor, dort wenigstens nicht auszurutschen...

Anschließend ging es dann mit dem Zug weiter nach Heiligendamm, ins älteste deutsche Seebad. Hier wollte ich mir die klassische Bäderarchitektur am Strand ansehen. Im Zug traf ich dann auch meine freundliche Schaffnerin wieder! Als sie mich sah, sagte sie zunächst mit einem Grinsen "Ich glaube, wir kennen uns schon, nicht?", bevor sie meine Fahrkarte kontrollierte. Ich war ihr sicher nicht wegen meiner schönen graugrünen Augen in Erinnerung geblieben. :-)

In Heiligendamm machte ich dann einen schönen Spaziergang durch ein Wäldchen, ehe ich den Strand erreichte. Im Wald war es teilweise matschig, so daß meine Füße auch auf der Oberseite schwarz geworden waren. Ich beschloß, die Füße in der Ostsee etwas zu reinigen, lief mit aufgekrempelten Hosenbeinen am Ufer lang und ließ mir die Wellen über die Zehen spülen. Obwohl das Ostseewasser kaum kälter als die Luft war (vermutlich so um die 15 Grad) und man es daher noch ganz gut aushalten konnte, war ich der einzige weit und breit, der seinen Füßen diesen Genuß gönnte! Im Wasser plantschte sonst nur noch eine gummibestiefelte Familie mit 2 kleinen Kindern.

Auf der Kurpromenade ließ ich dann meine Füße in der Luft trocken, bevor ich mir den anheftenden Sand abwischte. Für den Rückweg wählte ich dann eine Passage quer über das Gelände des noblen Kempinski Grand Hotels.

Zurück auf dem Bahnhof hatte ich noch etwa 20 Minuten Zeit, die ich zunächst damit verbrachte, den dort befindlichen Bahnhofs-Shop anzusehen. Die Mitarbeiterin der örtlichen Tourist-Info, die dort ebenfalls untergebracht ist, sprach mich dann auch sogleich an: Ob das nicht viel zu kalt sei, wollte sie wissen. Und als ich mit meinem üblichen "Handschuh-Spruch" antwortete, fragte sie, ob ich denn das ganze Jahr über barfuß laufe. Ich erklärte ihr, daß das zwar grundsätzlich zutrifft, es aber Ausnahmen gibt, weil ich nämlich auf der Arbeit grundsätzlich Schuhe trage (wenn auch im Sommerhalbjahr nur Flip-Flops oder Sportsandalen) und auch bei Eis und Schnee das Vergnügen eher in der kalten Luft zwischen den Zehen als im direkten Kontakt mit den frostigen Elementen sehe und daher auch dann sockenlose Sandalen bevorzuge. Sie wollte dann auch noch wissen, wie lange ich das schon mache, und ich erklärte ihr, daß es mittlerweile das dritte Jahr sei. Daß meine barfüßige Zeit im Jahr sich allerdings erst allmählich mit zunehmender Gewöhnung so weit ausgedehnt hatte, ersparte ich mir zu erzählen.

Nun ja, auf den Souvenirkauf verzichtete ich trotzdem, da es nur teueren Kitsch gab.

Auf dem Bahnsteig setzte ich mich auf eine Bank. In der Nähe spielten 2 kleine Mädchen, die Mütter saßen in der Nähe. Nachdem das eine Kind meine schwarzen Fußsohlen bemerkt hatte, begann eine wilde Tuschelei und Kicherei. Ich entgegnete dem, indem ich den Mädchen freundlich lächelnd direkt in die Augen blickte, worauf das Tuscheln auch umgehend verstummte. :-)

Diesmal erwischte ich einen anderen Zug. "Meine" Schaffnerin sah ich aber auf dem anderen Bahnsteig wieder, wo der Gegenzug schon wartete. Bei der Ausfahrt meines Zuges nickte ich ihr zu und sie winkte zurück. :-)

Nach etwa 15 Minuten Fahrt traf ich dann wieder in Bad Doberan ein, wo ich mich zu meinem Auto begab und die Rückfahrt antrat, denn inzwischen war es relativ spät geworden und ich hatte ja noch eine ordentliche Strecke vor mir.

Insgesamt war dies ein superschöner Tag und ich kam erschöpft aber zufrieden zuhause an, wo ich die erbärmlich nach Rauch stinkenden Klamotten sogleich in die Waschmaschine stopfte und mir glücklich die Rußkrümel aus den Haaren kämmte. Dampfloks und Barfußlaufen, was kann es schöneres auf der Welt geben?

Gruß,
Arved


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