Barfuß in der Sonnenstube - Sommer befohlen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 27.09.2004, 07:50 (vor 7307 Tagen)

Wenn es draußen naß und ungemütlich wird, wer träumt da nicht vom Aufenthalt unter Palmen und der warmen Sonne? Manchmal liegt das gute näher als man denkt. In 3-4 Stunden ist man dort, mit der Bahn. Am letzten Samstag (25.9.2004) sollte es losgehen, ein Wochenende lang die letzten Reste des Sommers genießen. Wer beim Militär war, weiß, daß Jahreszeiten nicht einfach vorhanden sind sondern "befohlen" werden. Ich befahl mir selber den Sommer bereits von zu Hause aus - und radelte entsprechend gekleidet zum Zofinger Bahnhof. 1 Kilometer bei ca. 7°C und leichtem Sprühregen, für das kurze Stück braucht man sicher weder Jacke, noch Wollpullover, noch Schuhe. Einige Leute, die mich so auf dem Bahnhof sahen, schauten etwas merkwürdig, aber niemand sagte etwas. Um 6.25 Uhr fuhr der Zug ab, der Regen wurde stärker. In Arth-Goldau mußte ich umsteigen, ich hörte eine Stimme: "Der will den Sommer wohl erzwingen". Ein Radfahrer mit Mountainbike wollte ebenfalls in den sonnigen Süden, auch er hatte noch die Montur für Sommerfahrten an. Im Schnellzug nach Locarno waren übrigens etliche Radfahrer unterwegs, offensichtlich gehörten sie zusammen, alle in spezieller Velomontur, aber offensichtlich hatten sie unterschiedliche Meinung über das Wetter. Die meisten Männer der Gruppe trugen kurze Rennfahrerhosen, meistens aber langärmelige Oberbekleidung und fast ohne Ausnahme Socken. Die Frauen dagegen bevorzugten teilweise ein kurzärmeliges oder gar ärmelloser Trikot in Kombination mit langen Rennfahrerhosen. Soweit sie überhaupt Socken anhatten, dann in Form von Füßlingen.

Während ich zur Zugtoilette ging, durchfuhr der Zug gerade eine Kurve, so daß eine leere Coladose über den Boden rollte, mir direkt vor die nackten Füße. Gerade in dem Augenblick hörte ich jemanden schadenfroh sagen: "Selber Schuld!" Ich dachte zunächst, daß er mich meinte, aber die Schadenfreude bezog sich nicht auf mich, sondern auf die Autofahrer auf der parallel zur Eisenbahn verlaufenden Autobahn, die ebenfalls vom sonnigen Süden träumten, sich nun aber noch im "obligatorischen" Stau vor dem Gotthardtunnel gedulden mußten. Der Zug aber rollte ohne Stau unter dem Alpenhauptkamm hindurch, und dahinter war das Wetter gleich viel freundlicher.

In Locarno verließ ich den Zug, ich wanderte über die Piazza Grande Richtung Schloß. Eine angenehme Wärme empfing mich. Die Leute waren hier gleich viel sommerlicher angezogen als nördlich der Alpen, das traf speziell für Rentner zu, am wenigsten für Kinder. Ich war der einzige, der ohne Schuhe durch die Stadt ging, aber niemanden schien das zu stören. Nachdem ich die Maggiabrücke überquert hatte, ging ich hinunter, um am westlichen Ufer flußaufwärts zu gehen. Direkt unter der Brücke ist der Weg sehr steinig. Aufgerechnet hier kam mir auch noch eine ältere Frau auf dem Fahrrad entgegen, wegen der Steigung mußte sie absteigen. Sie sah auf meine Füße, sprach ein paar Worte auf italienisch, die ich nicht verstand (ich konnte mir aber denken was sie meinte). Als ich auf deutsch sagte, daß ich kein italienisch verstünde, sagte sie in gebrochenem Deutsch: "Ohne Schuhe, schön!" Bis Ponte Brolla war es angenehm, barfuß über feinen Karnickelsand und Gras zu wandern. Ich folgte jedoch nicht dem Fluß Maggia, sondern den Nebenfluß Melazzo, den ich auf einer Hängebrücke überquerte, weiter. Teilweise war hier der Weg steinig, vielfach konnte ich aber auf einen Grasstreifen am Rand oder auf Sportplätze ausweichen. Kurz vor Intragna machte ich Pause direkt am Flußufer, hier fließen Isorno und Melazzo zusammen. Richtiger Spätsommer, herrlich! Ich kletterte ein wenig über die großen Steine, vergrub meine Füße im warmen, silbrig schimmernden Sand, tauchte sie kurzzeitig ins kalte Wasser. Hier hätte ich stundenlang verweilen können. Aber ich hatte mir noch mehr vorgenommen.


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