Barfüßiger Nachtspaziergang durch in Zürich (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 20.09.2004, 13:54 (vor 7313 Tagen)

Samstag, 18.9.2004, ca. 19.30 Uhr. Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Ich verließ das Freibad Tiefenbrunnen und schob mein Velo am Zürichsee entlang Richtung Zürcher Stadtzentrum. Auf einigen Wiesen spielten noch einige junge Leute barfuß irgendwelche Ballspiele, aber mit Einbruch der Dunkelheit sank die Temperatur recht schnell. Ebenso schnell stieg auch der Bedeckungsgrad der Kleidung bei den Leuten. Ich hatte einen barfüßigen Altstadtbummel vor mir, wollte jedoch das Velo nicht die ganze Zeit mit mir rumschleppen. Also radelte ich über die Quaibrücke Richtung Enge. Am Seeufer fand ich einen Baum, an den ich das Rad anketten konnte und ich auch nicht Gefahr lief, daß es mir geklaut oder beschädigt wurde. Mein Spaziergang führte mich über die Bellevue hinauf ins Univiertel, einige Jugendliche lästerten. Aus einer Gruppe tönte es: "Noch so ein Schwuler ohne Schuhe!" Hat der ne Ahnung! Dort werden zwei Dinge in einen Topf geworfen, die sich zwar nicht gegenseitig ausschließen, aber doch in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Aus dem "noch" muß ich schließen, daß den Jugendlichen vorher ein anderer Barfüßer begegnet sein muß. Aber was soll ich mich darüber aufregen? Ich setzte mich auf eine Bank auf der Terrasse vor der Uni, von der ich einen Überblick auf die Stadt hatte: Unter mir das Lichtermeer der prächtigen Großstadt, aus der die meist angestrahlten Türme der Predigerkirche, des doppeltürmigen Großmünsters, des eingerüsteten Fraumünsters, der Peterskirche mit der Monsteruhr usw. herausragten, hatte. Im Hintergrund der Üetliberg mit den Anlagen. Gerade in diesem Augenblick ging auch die schmale Sichel des Mondes unter, gerade hinter diesem Berg. Über mir funkelten die Sterne. Und ich war barfuß! Was benötigt man mehr zum glücklich sein? Ich verweilte noch einige Zeit auf der Terrasse, auch andere Leute beobachteten den Monduntergang, allerdings trugen sie im Gegensatz zu mir Schuhe. Aber das ist doch sicher weder verboten, noch unanständig.

Ich schritt die die angenehm kühle Treppe hinunter in die Altstadt, marschierte zum Hauptbahnhof, hatte das Verlangen nach den abwechslungsreichen Untergründen auf den Bahnsteigen von Fernbahn, S-Bahn, SZU sowie im Zwischengeschoß. Auch hier gab es einige Reaktionen von Jugendlichen. Beim Gang durch die Bahnhofstraße erfuhr ich allerdings keinerlei Reaktion, vielleicht ist die Bahnhofstraße nach Geschäftsschluß nicht das richtige Pflaster für "notorische Lästerer". Ich überquerte die Quaibrücke und schritt am anderen Limmatufer zurück, überquerte wieder eine Limmatbrücke und ging über diverse, fast menschenleere Altstadtgassen mit Kopfsteinpflaster und Treppen bis zu einer Holzbrücke, die ich selbstverständlich auch überqueren "mußte", man gönnt seinen Füßen ja sonst nichts! Ich erreichte den Central, mogelte mich zwischen den dort gerade haltenden oder fahrenden Straßenbahnen hindurch, dann ging ich durchs Niederdorf. Hier hieß es aufpassen. Immer mittig auf die Pflastersteine treten, soweit man nicht gerade das Verlangen nach Scherben in den Fugen verspürt wie Helmut Kohl nach Fettnäpfchen. Weiterhin muß man aufpassen, daß man bei dem Gedränge weder auf Leute aufrennt, noch von Leuten angerannt wird. Lästerer gab es zweifellos auch hier an den Biertischen, aber gewalttätig wurde keiner. Barfüßer gab es überhaupt keine in der Stadt, auch von den Frauen war der Anteil derjenigen, die in Sandalen ohne Strümpfe unterwegs waren, waren nicht allzu viele vorhanden. Das waren auch überwiegend Personen, deren Muttersprache nicht (schweizer)deutsch war, die Einheimischen bevorzugten Kleidung und Schuhe mit höherem Bedeckungsgrad. Nur wenige Frauen waren in kurzärmeliger oder gar ärmelloser Kleidung unterwegs (höchstens unter der Jacke). Einige junge Damen öffneten gelegentlich ihre Jacken oder Mäntel, damit ja jeder sehen kann, was für einen Nabelring sie sich leisten konnten. Ich barfüßelte durch die Seefeldstraße bis fast zum Bahnhof Tiefenbrunnen, dann ging ich durch eine fast menschenleere Parallelstraße wieder zur Quaibrücke. Beim Schiffsanleger am Bürkliplatz stand eine Gruppe Leute. Eine Frau fragte nicht, ob es nicht zu kalt sei, so rumzulaufen. Als ich sie aufklärte, wunderte sich nur. Ich ging zurück zum Fahrrad, fand es auch ohne Schwierigkeiten wieder und radelte los. Am Seeufer wollte ich mir keinen Schlafplatz suchen, dort treibt sich zuviel Gesocks rum. Wie wäre es mit dem Limmatufer bei Höngg? Also radelte ich über den Central Richtung Hauptbahnhof, wo ich an der Ampel warten mußte. Etliche der vielen Fußgänger mußten wohl mindestens zweimal hinsehen um zu glauben, daß es zu dieser Jahres- und Tageszeit noch barfüßige Radfahrer gibt. Bei der Gelegenheit verpaßte ich es auch, in die Linksabbiegerspur einzuscheren. Da viel Verkehr war, wollte ich nichts riskieren. Als ich auf einem Wegweiser jedoch die Bezeichnung "Zoo" las, warf ich meine Pläne bezüglich Schlafplatz über den Haufen. Obwohl der Weg ständig bergauf ging, hatte ich keine Mühe, diesen barfuß zu erradeln. Die Verkehrsdichte nahm rasch ab. Die Trams, die mich überholten bzw. mir entgegenkamen, waren schon ziemlich leer. Auch Radfahrer waren nicht mehr viele unterwegs, und diejenigen, die es waren, trugen mindestens Schuhe. Schließlich erreichte ich die Tram-Endhaltestelle bei Zoo, ich bog nach rechts ab in ein Waldstück, in einen beleuchteten Waldweg, wo sich ein Reh durch meine Anwesenheit irritiert fühlte, dann wenige Meter in einen dunkeln Seitenweg. Ich stieg ab, und voll in ein Schlammloch, herrlich! Also mit dem anderen Fuß gleich auch. Wie schön, daß ich barfuß war. Mit Schuhen hätte das eine Riesenmohrerei gegeben. Ich breitete meinen Schlafsack aus, ich war müde. Die Sterne leuchteten noch immer, die orangen Lampen gaben den Bäumen etwas unnatürliches. Aber es war ruhig, kaum mehr Autos, keine Straßenbahn. Dann schlug es Mitternacht von allen Türmen der Stadt.

Gegen acht Uhr machte ich mich wieder auf den Weg, ich radelte, vorbei am Hotel Dolder zurück in die Stadt. Ich mußte diesmal meine Hände anstrengen, nicht die Füße, nämlich zum Bremsen auf dem Weg nach unten, beinahe hätte ich ein Eichhörnchen erwischt, das plötzlich über die Straße säckelte. Und eine Kollision mit einem Tram wäre sicher noch unangenehmer gewesen. Einige meist ältere Leute mit Hunden (jüngere schlafen noch, und für die Kirche war es noch zu früh) blickten nur erstaunt auf den Radfahrer, der barfuß und in nicht gerade winterlicher Kleidung bergab raste. Ich radelte noch durch etliche Straßen der Stadt, dann fuhr ich zum Freibad Tiefenbrunnen.

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen


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