Barfüßige Kindheit eines Radrennfahrers / in der Literatur (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 14.09.2004, 08:49 (vor 7320 Tagen) @ Ralf RSK

An dieser Stelle möchte ich noch ein älteres Buch erwähnen, in dem auch Leute barfuß wegen Armut laufen mußten.
Titel: "Training, Kämpfe, große Siege : Ein Leben als Rennfahrer", Autor: Ferdinand Kübler, erschienen 1963 beim Schweizer Druck- und Verlagshaus in Zürich. In humorvoller Weise hat der 1919 geborene Schweizer Radrennfahrer selber über seine Karriere als Sportler, aber auch über seine Kindheit in bitterster Armut unter dem strengen Regime seines Vaters geschrieben. Hier einige Passagen:
"Vater war unsagbar streng zu uns. Wahrscheinlich lag seine Unerbittlichkeit in seinem schweren Beruf begründet, in dem er oft mit brutal um sich schlagenden Kranken zu tun hatte. Seit vielen Jahren arbeitete er als Oberwärter in einer Abteilung für hoffnungslose Fälle in der Nervenheilanstalt von Rheinau..."
Wirklich ein unangenehmer und zumindest damals schlecht bezahlter Beruf. Kein Wunder, wenn der Vater so handelt: "Vater sparte nämlich eisern. Er wollte sein Leben nicht unter unheilbar kranken, armen Wesen beschließen. Er wollte ein freier, selbstständiger Mann werden."
Und darunter mußten die Frau und ursprünglich fünf Kinder (ein Mädchen ist im Kindesalter gestorben) bitter leiden, etwa beim Essen und bei der Kleidung: "Von all dem jedoch so wenig, daß es manchmal ZU wenig war. Schuhe? Kannten wir nur im Winter. Vom Frühjahr bis zum Herbst liefen wir täglich viermal je zwei Kilometer barfuß zur Schule. Barfuß standen wir auch auf den Feldern, wenn wir den benachbarten Bauern bei der Ernte helfen durften. Wir taten es gerne, denn für unsere Arbeit bekamen wir Brote mit Speck oder eine kräftige Mahlzeit..."
Als Ferdi 11 Jahre war, hatte sein Vater es mit seinem Geiz geschafft, in Marthalen ein Haus zu kaufen, mit Schuhgeschäft samt Reparaturwerkstatt, kombiniert mit Velo- und Autoreparaturwerkstatt. Aber der Wohlstand brach nicht aus: "Mutter stand jetzt oft im Schuhladen. Doch sie war keine gute Geschäftsfrau. Sie war einzig und allein eines: eine gute Frau. Erschien eine arme Nachbarin, der bloßen Füße ihres Kindes wegen jammernd "ich bezahle die Schuhe bestimmt im nächsten Monat" - sie gab ein paar Schuhe für das arme Würmchen her. Und vergaß, eine Rechnung dafür auszustellen. Natürlich kam Vater früher oder später dahinter..."
Das gab aber Ärger! Und beim nächsten Mal ging es wieder so! Nur in einem ging es den Kindern besser: "Wir trugen nun auch Schuhe, aber Butter kannten wir noch immer nur "heimlich"". Kein Wunder! Als Kinder eines "Flickschusters".
Der Vater bleib geizig. Es wurde schlecht geheizt, kaputte Fenster wurden nicht repariert, Ferdi litt an allen möglichen Krankheiten (Fieber, Husten, Brustfellentzündung, Gelenkrheumatismus). Sein Traum aber blieb, Radrennfahrer zu werden. Er riß zu Hause aus und wurde Brotfahrer bei einem Bäcker in Männedorf. Hier litt er wenigstens keinen Hunger mehr, und seine Dienstfahrten zu den Kunden im Zürcher Oberland (Pfannenstiel) kombinierte er mit Trainingsfahrten.
Der Rest des Buches hat mit barfuß nichts mehr zu tun, sein erstes Radrennen trat er mit normalen Turnschuhen an, während seine Gegner besser ausgerüstet waren. Dieses Buch erzählt deutlich, wie durch harte Erziehung des Vaters man in seinem ganzen Leben hart gegen sich selbst ist. Und das war Ferdi Kübler. Nur durch hartes Training (und ohne Doping) gelang ihm seine erfolgreiche Karriere als Radrennfahrer. Aber im Gegensatz zu seinem Vater ging er nicht hart zu seiner Frau und seinen Kindern um. Aber er blieb im Grunde genommen ein bescheidener Mann, er behielt seinen Humor. Ich weiß nicht, ob er heute noch lebt. In Adliswil, wo er lange Zeit gewohnt hat, gibt es noch heute ein Sportgeschäft Kübler.

Solche Zeiten wie zur Jugend des Ferdi Kübler wollen wir sicher nicht herbeisehnen. Barfuß aus Armut muß nicht sein. Und Krankheiten wegen schlechter Heizung oder nicht reparierter Scheiben erst recht nicht. Aber Barfußverbot und überheizte Räume, wo jeder verweichlicht, sicher auch nicht. Immer den goldenen Mittelweg, also die Räume bei einer mäßigen Temperatur belassen und barfuß laufen, wenn es Spaß macht.
Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen


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