Barfußwanderung im Zürcher Oberland (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 13.09.2004, 08:34 (vor 7321 Tagen)

Eine Barfußwanderung durch völlig unbekanntes Gelände im Zürcher Oberland stand mir bevor an jenem Samstag, den 11. September 2004. Ich war aber nicht allein, sondern hatte einen ortskundigen Führer dabei, PeterVonWald, er wollte mich am Bahnhof in Rüti mit dem Auto abholen. Als ich mich morgens auf den Weg machte, kontrollierte ich noch meinen Rucksack. Hatte ich wirklich nichts vergessen. Nein! ich hatte alles, sogar Flipflops für Notfälle. Es war bewölkt, aber recht warm, als ich barfuß zum Zofinger Bahnhof radelte. Ich hatte mir vorgenommen, auch die Anreise zu genießen, weswegen ich nicht die schnelle Verbindung über Olten nehmen wollte, sondern die "Nationalbahn", auf der moderne tramähnliche Fahrzeuge verkehren. Weder in Zofingen, noch in Suhr, wo ich ins "Tram" Richtung Wettingen wechselte, fiel meine Barfüßigkeit auf. Leider endete die gemütliche Reise in Lenzburg, die restliche Strecke war gesperrt. Statt des Ersatzbusses benutzte ich jedoch einen doppelstöckigen Intercity, der mich ohne Zwischenhalt nach Zürich bringen sollte. Einige Kinder starrten mich dort an, speziell dann, als ich beim Aussteigen noch auf halber Höhe auf der Treppe vom Obergeschoß stand, jedoch nicht weiter konnte, weil auch andere aussteigen wollten.

Nun war ich aber viel früher als geplant in Zürich, also hatte ich noch Zeit, durch die Stadt zu wandern, bevor ich die S-Bahn nach Rüti benutzte. In der riesigen Bahnhofshalle hörte ich nur eine lästernde Bemerkung (auf hochdeutsch mit sächsischem Akzent) über mich, jedoch nicht über meine Barfüßigkeit, sondern diesmal über meine kurze Hose. Im Zürcher Niederdorf waren noch nicht allzu viele Menschen. Ein Mann, der mir entgegen kam, sagte: "Vorsicht, da hinten liegen Scherben!" Und er hatte recht. An einigen Stellen lagen tatsächlich einige Scherben. Ich wurde also in Zürich ebenso vor Scherben gewarnt wie eine Woche vorher in Bern. Also ist der allgemeine Unterschied zwischen den Bernern und den Zürchern gar nicht so groß, wie viele glauben, zumindest wenn man versucht, die Meinungen der Politiker einer sogenannten Volkspartei zu interpretieren. Ich passierte den Bahnhof Stadelhofen, folgte den Tramgleisen nach Tiefenbrunnen und wanderte am Ufer des Zürichsees zurück. Hier joggte jemand barfuß über eine Wiese, auch eine Frau hatte sich ihrer Schuhe entledigt. Sie zog sie aber wieder an, als sie auf die Straße ging. Es waren nur relativ wenige Leute am See, überwiegend Leute mit Hunden und japanische Touristen. Letztere schienen doch recht erstaunt zu sein. Ist es denn in Tokio weniger üblich als in Zürich, ohne Schuhe auf die Straße zu gehen? Ich dachte immer, daß Asiaten ein natürlicheres Verhältnis zu barfuß haben als Mitteleuropäer. Als ich durch die belebte Bahnhofstraße zum Hauptbahnhof zurückging, schien sich keiner an meiner Aufmachung zu stören.

Während ich mit der S 5 nach Rüti reiste, machten die Wolken immer mehr der Sonne Platz. Peter wartete schon am Bahnhof und wir fuhren mit dem Auto zu einem Parkplatz in Fischenthal. Von hier aus sollte die Barfußwanderung losgehen, ein Rundweg. Der Aufstieg ging ganz gut, es folgten Passagen über Gras. Aber schon am Anfang merkte ich, daß wir einen unterschiedlichen Wanderstil hatten. Während Peter gleichmäßig ging, unabhängig vom Untergrund, bemühte ich mich immer, dort zu gehen, wo der Untergrund besonders angenehm war, was dazu führte, daß ich häufiger die Wegseite wechselte und gelegentlich von Moosinsel zu Moosinsel hüpfte. Bei Abstiegen kam ich nur langsamer voran, was auch damit zu tun hat, daß ich eine Gleitsichtbrille trage, bei der ich den Boden direkt vor den Füßen nicht scharf erkennen kann (der Optiker hat mich extra darauf hingewiesen, daß man beim Treppen hinuntergehen vorsichtig sein muß, sonst könne man stürzen). Wir hatten eine schöne Aussicht, obwohl es recht dunstig war. Leider folgte aber auch eine Passage, die alles andere als barfußfreundlich war. während Peter es vorzog, die Schuhe anzuziehen, gelang es mir auf merkwürdigste Weise, mich voranzutasten, etwa auf einem schmalen Grasgrat und mit Festhalten an Zäunen, Bäumen usw. Wenn diese Möglichkeit nicht bestand, quälte ich mich so durch. Als dann eine etwas bessere Passage folgte und Peter wieder sich seiner Schuhe entledigte, hatte er keine Schwierigkeiten, während ich jeden Stein spürte. ich war froh, als endlich eine Asphaltstraße folgte. Ich konnte wieder im normalen Tempo gehen. Ich bin wohl doch mehr der Stadtbarfüßer als der Bergbarfüßer.

Uns begegneten einige, aber nicht viele Leute auf der Wanderung. Keiner der Wanderer regte sich über unsere Barfüßigkeit auf, obwohl alle anderen Schuhe trugen, meist fette Wanderschuhe. Erstaunte Blicke gab es vielleicht. Nur ein Mädchen sagte: "Das macht Spaß", während ich mich über eine unangenehme Passage quälte. Ich glaubte, einen ironischen Unterton daraus zu hören. Das Zürcher Oberland gehört eben auch zu den Gebieten, die recht arm sind. Der Land- und Forstwirtschaft geht es nicht gut, kleine Industriebetriebe mußten schließen. Die Zeit, daß Leute hier aus Armut die Schuhe nur so wenig wie möglich benutzten, liegt hier noch gar nicht so lange zurück. Aber auch hier gibt es Ausnahmen: Wir gingen gerade einen Wanderweg hinunter an einem Bauernhof vorbei. Erst wurden wir von einem kleinen Hund angekläfft, ein richtiger Giftzwerg, aber er traute sich nicht näher an uns heran. Dann kam der Bauer und rief: "Wollen Sie die Schuhe schonen?", was ich bejahte. Ausgerechnet dann folgte ein Stück grobschottriger Weg. Darauf fragte der Bauer: "Laufen Sie zum ersten Mal barfuß?", was ich verneinte. Noch lange waren das schadenfrohe Lachen des Bauern und das heisere Gekläff seines Giftzwergs zu hören. Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln! Kartoffeln? Der Landwirtschaft geht es doch nicht gut im Zürcher Oberland. Da Sprichwörter bekanntlich immer zutreffen, wäre es doch die Idee, wenn gerade dieser Bauer in Zukunft Kartoffeln anbauen würde. Er könnte ein Bombengeschäft machen und die Gemeinde Fischenthal könnte endlich mal ihr Defizit ausgleichen.

Bevor ich wieder meine Heimfahrt antrat, fuhr mich Peter noch zu seinem hoch über dem Dorf liegenden Haus, von dem man einen herrlichen Ausblick auf die Berge und den Zürichsee hat. Mit Bier auf der Terrasse beendeten wir die trotz einiger Strapazen gelungene Barfußwanderung, dann brachte mich Peter zum Bahnhof unten im Tal. Es dämmerte, während die S-Bahn Richtung Zürich fuhr. Da ich nicht sofort Anschluß hatte, verließ ich den Hauptbahnhof und ging noch mal kurz in die Stadt. Da jetzt mehr Jugendliche unterwegs waren, war der prozentuale Anteil von Lästerern höher als noch am Morgen. Da es aber warm war, hielt sich auch dieses in Grenzen. Ich war übrigens nicht der einzige Barfüßer in Zürich. Ein kleines Mädchen ging in Begleitung der beschuhten Eltern barfuß über das Pflaster, trotz einiger Scherben. Und an einer Hauswand saßen zwei junge Frauen, die offensichtlich gar keine Schuhe dabei hatten. Es gibt also doch die die "barfüßigen Mädels in Zürich", die Christian vor einiger Zeit sehnsüchtig suchte. (Seit einiger Zeit hört man nichts mehr von ihm. Entweder ist er fündig geworden oder er hat resigniert).

Im Schnellzug nach Olten saßen 2 junge Männer und eine junge Frau, dem Gespräch nach Fußballfans. Irgendwann fiel einem auf, daß ich keine Schuhe anhatte. Erst sprach er zum anderen: "Der hat aber dreckige Füße", dann fragte er mich: "Hast du kein Geld, um dir Schuhe zu kaufen?" Ich sagte ihm, daß ich eine Barfußwanderung hinter mir hatte. Dann sagte die Frau, sie hätte von einer anderen Frau gehört, die auch im Winter barfuß wäre. Der andere Mann meinte, er kenne jemanden, der zwar nicht barfuß wäre, jedoch ständig Sandalen trägt, sogar im tiefsten Schnee. Und schon redeten sie wieder vom Fußball. Weder beim Umsteigen in Olten, noch beim Verlassen des Zofinger Bahnhofs störte sich jemand an meiner Barfüßigkeit. Es war ja noch warm, 18°C. Alles in allem ein gelungener Tag, zu dem ich vor allem Dir, lieber Peter danken möchte: Fürs Abholen am Bahnhof, für die schöne Wanderroute, für das Näherbringen des Zürcher Oberland und anderes mehr. Ach ja! Und nicht zuletzt für die Geduld, die Du aufwenden mußtest, während ich hinterherhinkte.

Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen

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