Barfuß in einer dunklen Stadt (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Thursday, 09.09.2004, 09:55 (vor 7325 Tagen)

Eigentlich wollte ich nur einen Briefumschlag (mit Einzahlungsschein zur Begleichung der Direkten Bundessteuer) einstecken. Als ich gestern gegen 20 Uhr von der Aare nach Hause gekommen war, hatte ich extra das Velo noch nicht in den Keller gestellt. Als ich gegen 20.30 Uhr losfahren wollte, stellte ich fest, daß die Straßenbeleuchtung außer Betrieb war. Da aber kein totaler Stromausfall war, erleuchteten die Lampen auf Hofplätzen und in den Fenstern die Straße noch ein wenig. Das war für mich Grund genug, das Velo zu Hause zu lassen und zu Fuß durch die dunklen Straßen zu gehen. Bei der Dunkelheit reicht die Sehfähigkeit der Augen nicht mehr aus. Man ist zusätzlich auf die "Sehkraft" der Füße, die ja in diesem Forum schon behandelt wurde, angewiesen. Und Schuhe behindern halt die Sehkraft der Füße ebenso wie eine Augenbinde die Sehkraft der Augen behindert. Als ein Grund (mehr), um barfuß zum Briefkasten zu zotteln. Als pünktlicher Steuerzahler genügte mir nicht der nächstbeste Briefkasten, sondern ich wollte schon einen nehmen, der möglichst bald geleert würde. Und das war der am Zofinger Postamt. Auf dem Weg dorthin gab es keinerlei Komplikationen. Keiner der jugendlichen Radfahrer lästerte über meine nackten Füße. Wie sollten sie auch. Sie selber fuhren "selbstverständlich" ohne Licht. Sie sehen nicht ein, daß sie nur deswegen stärker treten müssen, weil die Stadt nicht für eine angemessene Beleuchtung sorgen kann. Ganz anders die Autofahrer: Sie fuhren mit Licht, manche schalteten sogar Fernlicht an. Ob das mit meiner Barfüßigkeit zu tun hatte?

Am Postamt lungerte ein besoffener Siech und lallte etwas vor sich hin. Als er mich sah (das Postamt war beleuchtet), rief er: "Bist du wahnsinnig? Barfuß und kurze Hosen? Alter Senfsack!" Ich wollte schon sagen, daß ich zwar alt sein möge, aber längst nicht so alt, wie ER jetzt schon aussehe, dieses Alter würden nämlich nur Schildkröten erreichen. Aber ich kam nicht dazu. Eine etwa dreißigjährige, ziemlich aufgetakelte Frau (offensichtlich auch nicht mehr ganz nüchtern) rief ihm aus ca. 20 Meter Entfernung zu: "Du sollst nicht immer andere Leute ärgern!"

Andere "böse" Vorfälle erlebte ich nicht. Vom Postamt ging ich nicht direkt nach Hause, sondern in die historische Zofinger Altstadt. Anders als in Bern werden hier die Füße nicht mohrig-schwarz, sie besteht überwiegend aus Kopfsteinpflaster. Hier wechselten sich dunkle und helle Stellen ab. Die äußeren Straßen, wo früher die ärmeren Leute wohnten, waren dunkel, während die Einkaufsstraßen und die mit Beizen von den Fenstern erhellt waren. Es war wirklich angenehm, hier barfuß zu gehen, die Steine waren kühl, und die Füße "sahen" tatsächlich, wohin ich trat. Oder wie ist es sonst zu erklären, daß ich mir keine Verletzung zuzog? Etwas lustig fand ich die Situation, als ich eine alte Frau mit Hund überholte und eine Zeitlang vor ihr ging. Dann gelangte ich in einen Lichtkegel, worauf die Frau sagte: "Uhuuuu! Sie haben ja blutte Füße!" und nach einigem Zögern: "Aber gesund ist es!" Kurz bevor ich die Altstadt verließ, schritt ich noch durch eine Imitation des früheren Stadtbaches.

Ich hatte die Altstadt schon wieder verlassen, da kam mir ein Arbeitskollege (Betriebschemiker) entgegen. Er fragte: "Michael! Hat die Stellenstreichung in der Firma auch dich erwischt? Mußt du nun schon an Schuhen sparen?" "Noch nicht ganz. Aber ich übe schon für den Fall. Wenn ich im Winter kein Geld mehr für Schuhe habe, ist es schwieriger, sich ans Barfußlaufen zu gewöhnen", war meine nicht ernst gemeinte Antwort auf seine nicht ernst gemeinte Frage. Dabei ist die Situation in der Firma wirklich nicht rosig, auch wenn mein Arbeitsplatz noch nicht gefährdet ist. Und sicher auch nicht gefährdet wird, wenn mich statt des Betriebschemikers ein einer von den "oberen Siechen" aus der Direktion barfuß in der Stadt "erwischt" hätte.

Ich benutzte noch einen sehr dunklen Weg, auf dem Autofahren verboten ist und keine Häuser stehen. Aber die Sterne funkelten. Hier "sahen" meine Füße auch eine Wegschnecke (ob schwarz oder braun kann ich nicht sagen, meine Füße sind nämlich farbenblind) - und traten so zu, daß die Schnecke gerade in der Rille zwischen dem eigentlichen Fuß und den Zehen zu liegen kam. Somit kam sie ungeschoren davon. Unangenehm? Keineswegs! Ich fasse doch auch Schnecken mit der Hand an! Eklig wäre es nur, wenn man eine Schnecke zertritt und die Innereien sich am Fuß verkleben. Ich entwickelte mich langsam vom "Augen-" zum "Fußtier". Ich dachte schon daran, was wohl wäre, wenn nicht nur die Straßenbeleuchtung, sondern sämtliche Lampen ausgefallen wären. Aber ich verwarf den Gedanken wieder: Kein Licht, kein Strom! Was entstünde da für ein Chaos, etwa in Spitälern. Während ich so nachdachte über "sehende" Füße in der Finsternis, da bemerkte ich, daß auch meine Ohren deutlich mehr wahrnahmen als üblich. Aber das wäre nicht Thema für dieses, sondern für ein entsprechendes "Ohrenforum". Kaum war ich zu Hause, da kam die "große Erleuchtung". Die Straßenlampen flammten wieder auf, orange Natriumdampflampen, wie gewohnt. Ich durfte wieder zum "Augentier" mutieren.

Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen

RSS-Feed dieser Diskussion