Webfund: Blind und barfuß in Rutan (eine Geschichte) (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Stammposter, Monday, 30.08.2004, 13:34 (vor 7335 Tagen)

Auf der Homepage des Schweizer Künstlers Daniel Ambühl findet sich eine
Erzählung zu seinem Bildweg in Ludwigsburg. Hier ein Ausschnitt daraus:
Land, in welchem ich aufwuchs und meine Jugend verbrachte, heisst Rutan. Obwohl es ein mächtiges und riesiges Land ist, ist Rutan auf keiner Landkarte verzeichnet. Das hat seine guten Gründe. Alle Menschen, die in Rutan leben, sind blind. Für die Menschen in Rutan ist Blindheit aber kein Problem, denn wenn alle blind sind, gibt es eigentlich Blindheit nicht. In der Sprache von Rutan existierten nicht einmal Worte für "blind" oder "sehen", noch für Farben, Glanz und Schein. Die Dinge haben für den Rutaner kein Aussehen. Ein Kürbis ist eben einfach ein Kürbis. Der sieht nicht unreif oder gelb oder orange aus. Wenn ein Kürbis da ist, ist er ein Kürbis. Und sonst eben nicht.
Das oberste Gesetz in Rutan heisst "Das Gesetz des Weges". Die Wege sind heilig und werden peinlich sauber gehalten. Niemals darf ein Rutaner diese Wege verlassen, sonst wird er, wie es heisst, vom Unland verschlungen. Weil man die Wege in Rutan nicht sehen kann, liest man ihren Verlauf mit den Füssen. Die Bewohner Rutans gehen alle barfuss, und vom Belag des Weges lesen sie mit den Fussohlen alles, was sie wissen müssen: Zum Beispiel, wann und wo eine Kreuzung kommt, wohin die Abzweigungen führen, welches Haus am Wegrand liegt, wie der Weg heisst oder wie weit es bis zur nächsten Stadt ist. Auch Werbung liest man von den Wegen und Hinweise auf Veranstaltungen. Gewisse Wege sind Zeitungen, die man mit den Füssen lesen kann. Gesundheitswege sind mit speziellen Belägen versehen, die bei bestimmten Erkrankungen Heilung verschaffen. Andere Wege wiederum sind Unterhaltungswege, bei deren Begehung man eine Geschichte lesen und erleben kann. Und dann gibt es natürlich viele Labyrinthe. Ja, die Labyrinthe sind das grosse Spektakel von Rutan.

http://www.bildweg.ch/b/lu/he/luheft.htm

Dass dies ist eine schöne Geschichte für die Veranstalter von Barfußwanderungen, Erbauer von Fußfühlpfaden usw. ist, findet jedenfalls
Georg

Webfund: Blind und barfuß in Rutan (eine Geschichte)

Andreas (SU), Stammposter, Tuesday, 31.08.2004, 21:37 (vor 7333 Tagen) @ Georg

Dass dies ist eine schöne Geschichte für die Veranstalter von Barfußwanderungen, Erbauer von Fußfühlpfaden usw. ist, findet jedenfalls
Georg

Hallo Georg!

Eine phantasievolle Geschichte, die man noch weiterspinnen kann. Zum Beispiel würde ich gerne wissen, ob es in Rutan Musik und Discos gibt, ob man sich beim Joggen gegenseitig umrennt, und ob man da irgendeine Chance hat, einen Partner kennenzulernen, ohne den ganzen Bekanntschafts-Platz durchzulesen. Auf der Business-News-Street läuft wahrscheinlich ein Band mit den Börsenkursen unter den Füßen durch, damit die Banker nicht so lange tasten müssen...

Man kann aber auch daraus lernen: Denn vielleicht gibt es auch für uns sehende Menschen Dinge, die wir nicht wahrnehmen können, und diese andere Welt ist in gewissen "Landkarten" gar nicht eingezeichnet? Und vielleicht wird man auch bei uns von einer Art "Unland" verschlungen, wenn man von vorgegebenen Pfaden, z.B. der Schuhtragepflicht, abweicht?

Nachdenkliche Grüße,
Andreas (SU)

Webfund: Blind und barfuß in Rutan (eine Geschichte)

Georg, Stammposter, Wednesday, 01.09.2004, 11:06 (vor 7333 Tagen) @ Andreas (SU)

Dass dies ist eine schöne Geschichte für die Veranstalter von Barfußwanderungen, Erbauer von Fußfühlpfaden usw. ist, findet jedenfalls
Georg

Hallo Georg!
Eine phantasievolle Geschichte, die man noch weiterspinnen kann.

Hallo Andreas,
wie der Künstler weitergesponnen hat, kann man ja auf der verlinkten Seite nachlesen.
Ansonsten gibt es ja unter uns vielleicht kreative Schreiber?

Man kann aber auch daraus lernen: Denn vielleicht gibt es auch für uns sehende Menschen Dinge, die wir nicht wahrnehmen können, und diese andere Welt ist in gewissen "Landkarten" gar nicht eingezeichnet? Und vielleicht wird man auch bei uns von einer Art "Unland" verschlungen, wenn man von vorgegebenen Pfaden, z.B. der Schuhtragepflicht, abweicht?

Bislang fühle ich mich nicht verschlungen - und bin heilfroh, dass ich nicht ausschließlich auf Informationsaufnahme durch die Fußsohlen angewiesen bin.
Missen möchte ich diese Form von Informationsaufnahme aber auch auf keinen Fall! Und es wäre sehr wünschenswert, dass möglichst viele Leute erfahren, was ihnen in Schuhen entgeht. Ein prima Einstieg dafür sind z. B. die hier von manchen gescholtenen Barfußpfade!

Wie du in einem anderen Beitrag richtig schriebst, ist im übrigen die Schuhtragepflicht im Rheinland für mich erträglich ausgelegt - diesen Sommer hat mich beim unbekümmerten Barfußlaufen niemand gestört.
Serfuß
Georg

Nachdenkliche Grüße,
Andreas (SU)

Webfund: Blind und barfuß in Rutan (eine Geschichte)

Barfussjan, Stammposter, Tuesday, 31.08.2004, 22:21 (vor 7333 Tagen) @ Georg

Dass dies ist eine schöne Geschichte für die Veranstalter von Barfußwanderungen, Erbauer von Fußfühlpfaden usw. ist, findet jedenfalls >Georg

Hallo Georg,

manchmal >sieht< man es im Kaufhaus, auf der Straße oder sonstwo in der Öffentlichkeit, wie sich Taubstumme untereinander verständigen. Diese Leute strahlen ein überdurchschnittlich tiefes Gefühl von Menschlichkeit in ihr Umfeld aus. Um das fühlen zu können bedarf es keiner Worte, letztendlich kann man das, worauf es im Leben wirklich ankommt "wie jeder Blinde auch" nur mit dem Herzen sehen - die Wahrnehmung der Welt barfuss ist deshalb für mich auch eine echte Herzensangelegenheit.

Das fiel mir gerade spontan zu der Geschichte von den Blinden in Rutan ein.

Gruß, Jan

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