Barfuß und ganz anderer Regen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 26.07.2004, 14:27 (vor 7370 Tagen)

Am Samstag, den 24.7.2004 sollte ein großes Feuerwerk im Städtchen Aarburg http://www.aarburg.ch/ stattfinden, was für mich als Chemiker vielleicht gar nicht so uninteressant sein dürfte. Am Veranstaltungsort selbst waren auch Stände aufgebaut, mit Essen und trinken. Auch Musik sollte spielen. Mich aber interessierte eigentlich nur das Feuerwerk selbst. Und kann man das nicht aus der Ferne besser beobachten als aus der Nähe? Eine Teilnahme am Veranstaltungsort hatte mehrere Nachteile: Einmal ist die Gefahr größer, daß man im Rauch eingenebelt wird. Zum anderen kostet es Eintritt. Und im Gedränge ist man barfuß sicher nicht so gut aufgehoben, man denke nur an die Scherben. Und nur wegen des Feuerwerks Schuhe anziehen und somit auf ein durchgängig barfüßiges Wochenende verzichten? Ohne mich! Gegen 22.30 Uhr sollte das Feuerwerk starten, und ich wußte, von welchem Ort man es besonders gut beobachten: die Grütbrücke in Rothrist, die die Gleise der Bahnstrecke Bern/Olten überquert. Also machte ich mich auf den Weg und fuhr barfuß mit dem Fahrrad zur Grütbrücke, um das Schauspiel zu beobachten. Und meinem Beispiel folgten viele Menschen. Halt! Der letzte Satz bezieht sich auf lediglich auf "Schauspiel beobachten", nicht etwa auf die Anreise mit dem Fahrrad. Viele Leute benutzten nämlich das Auto, solange sie nicht in der Nähe wohnten. Und von den Leuten, die auch noch barfuß angeradelt kamen, war ich der einzige. Es war auch etwas abgekühlt, so daß ich ein T-Shirt benötigte. Es gab aber Leute, die noch winterlicher als ich gekleidet waren, mit Wollpullovern, dicken Jacken usw., besonders die Frauen. Viele Leute waren mit Regenschirmen bewaffnet, der Himmel sah auch so aus, als könnte es noch regnen. Nicht so winterlich waren die Rentner angezogen, sie trugen fast ausnahmslos kurze Hosen, Sandalen und "selbstverständlich" Socken. Neben mir stand ein Ehepaar auf der Brücke, der Mann trug seine Tochter auf den Schultern, damit sie besser das Schauspiel beobachten konnte. Sie war besonders winterlich angezogen, mit dicker Jacke, langer Hose und Wollmütze. Nicht zur Kleidung paßte das Fehlen von Handschuhen sowie die leichten Sandalen an den unbestrumpften Füßen. Meine Barfüßigkeit wurde gar nicht registriert, zumindest lästerte keiner über mich. Vermutlich versammeln sich die "typischen" Lästerer nicht auf der Brücke, wo kein Kiosk in der Nähe ist, sondern auf dem Festgelände selber, wo sie sich Mut antrinken können, über allfällige Barfüßer lästern können und ihnen die leeren Flaschen vor den Füßen zerschmeißen, damit sie sich darüber freuen können, wie andere sich vor Schmerzen krümmen und eine blutige Spur auf dem Festgelände hinterlassen. Oder urteile ich hier zu hart?
Mindestens einer schien meine Barfüßigkeit doch bemerkt zu haben: das kleine Mädchen auf den Schultern des Vaters. Ich bekam das mit, als der Vater sich wunderte, wieso die Kleine so strampelte. So schaffte sie es doch, eine Sandale mit dem anderen Fuß abzustreifen. Der Schuh fiel auf den Boden - und blieb unmittelbar vor dem Geländer liegen. 40 cm weiter, und der Schuh wäre auf die Schienen geflogen. Die Mutter bückte sich und hob den Schuh auf, worauf der Vater sagte: "Zieh ihr den anderen Schuh auch noch aus, dann ist sie ruhiger." Die Mutter tat es und fragte noch, ob sie die Mütze auch noch abnehmen soll, was die Tochter aber kategorisch verneinte (begreife ich nicht: ich trug doch auch keine Mütze! So sind halt Kinder, speziell, wenn daraus mal eine Frau werden soll). Vermutlich hatte die Mutter keine Lust, irgendwelche Gegenstände von den Gleisen zu holen.
Das Feuerwerk war prächtig, ein wahrer Funkenregen, schöner als richtiger Regen, zumindest aus der Entfernung. Hat sicher eine Stange Geld gekostet. Auch die Musik konnte man deutlich hören. Da sich kein Lüftchen regte, andererseits die Luft feucht war, zog der Rauch nicht schnell ab, so daß das Städtchen Aarburg eingenebelt wurde und man bald die doppeltürmige Kirche und die dahinter liegende Festung nicht mehr sehen konnte. Gegen Ende des Feuerwerk verschluckte der Rauch auch einen Teil des Feuerwerks selbst. Wie ein Regenschirm lag der Rauch über der Stadt, oder paßt der Vergleich nicht? Ein Vergleich mit dem Atompilz von Hiroshima ist sicher noch unpassender. Mir fehlten die Worte. Erst als der ABBA-Hit "Put on your white sombrero" abgespielte wurde, wußte ich, mit was man den Rauch am besten vergleichen konnte. Und andere Zuschauer fanden es auch lustig, das ausgerechnet jetzt der ABBA-Hit gespielt wurde, einige sangen, summten oder pfiffen sogar mit. Dann war das Schauspiel aus, die Leute gingen fröhlich von der Brücke zu ihren Autos, die man recht weit entfernt parkieren mußte bzw. nahmen ihre Velos und rollten die Brücke hinunter. Dabei überholte ich noch die Eltern, die neben mir gestanden hatten. Der Vater trug noch immer seine kleine Tochter auf den Schultern. Sie war immer noch bemützt und barfuß und schlief friedlich den Schlaf des Gerechten. Ebenfalls barfuß aber keineswegs schlafend radelte ich gen Zofingen, während mich ein Auto nach dem anderen überholte und es an einem Kreisverkehr sogar zu Staus kam, weil auch aus anderen Straßen Schaulustige kamen. Und in einiger Entfernung lag das sehenswerte Städtchen Aarburg - mit Hut!
Ohne Hut grüßt
Michael aus Zofingen


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