Hi Michael,

schiebst Du keine Panik, dass man Dich eventuell bei Deiner Mutter verpfeifen könnte? Ein Kirschenklau, so was würde das Mutter-Sohn-Verhältnis empfindlich trüben...

... aber nicht etwa bei Aldi, Coop, Migros und Co. Die enthalten ja Konservierungsstoffe! Auch nicht aus Nachbars Garten. Die sind mir nämlich ZU süß und ZU rot, so daß ich da Peter Alexander den Vortritt lasse. Nein ich meine die Kirschbäume, die am Ufer des Flusses Wigger stehen und eigentlich niemandem gehören. Hauptabnehmer dieser Kirschen sind die Vögel, Menschen dagegen sind weniger an den Früchten interessiert, ab und zu mal ein paar Kinder. Seltener kommt auch mal ein Rentner mit Eimer und Leiter vorbei.
Als ich gestern von der Arbeit nach Hause kam, waren meine Eltern noch unterwegs. Somit konnte ich ungestört an die Wigger radeln zum Kirschen klauen. Nicht eimerweise, sondern nur so viele, wie ich an Ort und Stelle verzehren konnte. Ein Baum hatte besonders schöne Früchte, diese hingen jedoch nicht so, daß ich sie vom Boden erreichen konnte, also mußte ich hinaufklettern. Da ich keine Schuhe dabei hatte, mußte ich barfuß hinauf. Früher habe ich das barfüßige Besteigen von Bäumen für bodenlosen Leichtsinn gehalten. Daß Kinder, die zufällig barfuß waren, auch vor Bäumen nicht halt machten, hatte mich damals nicht überrascht. Aber daß es auch Kinder gab, die beim Klettern auf Bäume extra ihre Schuhe auszogen (sogar Turnschuhe, nicht nur Sandalen ohne Fersenriemen, die wirklich ungeeignet sind), kam mir damals seltsam vor. Heute bin ich anderer Meinung. Wenn der Baum stark belaubt ist, kann man manchmal nicht sehen, ob man mittig auf einen Ast tritt oder seitlich (und somit leichter abrutschen kann). Wenn man Schuhe mit solider Sohle trägt, kann man das auch nicht spüren. Barfuß kann man jedoch ertasten, wie man sicher auf einen Ast tritt. So saß ich nun im Baum und ließ mir die Kirschen schmecken. Ein Buchhalter aus unserer Firma wanderte den Uferweg entlang. Erst sah er mein an den Baum gelehntes Fahrrad, dann sah er nach oben. Als er mich sah, verzog er nur sein Gesicht, sagte "A Guete" und ging weiter. Ich glaube aber nicht, daß er wegen meiner Barfüßigkeit erstaunt war (hat er vielleicht gar nicht registriert), sondern "nur" aufgrund der Tatsache, daß ich im Baum Kirschen erntete. Ich gehe einmal davon aus, daß er mich nicht bei der Geschäftsleitung anschwärzen wird und ich den Blauen Brief erhalte mit der Begründung "Wer Kirschen klaut, der klaut auch Dinge aus der Firma."
Als ich wieder zu Hause war, waren meine Eltern immer noch nicht zurück. Ich hätte also noch Zeit gehabt, um noch mehr Kirschen verzehren zu können. Aber da hätte mein Magen nicht mitgemacht!
Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen