Brasilien / Sitten / Beitrag von Jörg (2) (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd, Tuesday, 13.04.2004, 10:13 (vor 7475 Tagen)

Hallo allerseits,

vor dem Hintergrund eines europäischen Kulturverständnisses fällt es sicherlich schwer, die Brasilianer und ihre Auffassung von Gruppenidentifikation auch nur ansatzweise zu verstehen, zumindest in Bezug auf das von Jörg dargestellte Beispiel an brasilianischen Unis. Ich war 1998 drei Wochen lang in Rio de Janeiro, Salvador und anschließend Bahia de Salvador. Damals war ich 25 - und im Grunde schon genauso offen für andere Kulturen und kulturelles (Selbst-) Verständnis wie heute, doch habe ich eigentlich ziemlich schnell festgestellt, dass Brasilien nicht das Richtige für mich ist: Natürlich darf man ein Land nicht nach den Touri-Hot-Spots bewerten, aber der Gesamteindruck der Copa Cabana, mein erstes Stopover, war ernüchternd: Hungrige, obdachlose Alte und Kinder, inmitten von Pomp und Luxus. Mit Juwelen behängte, fette Eimer aus Europa und den USA marschieren an sozial vernachlässigten Menschen vorbei und bezeichnen das als Tuchfühlung mit den Einheimischen.
Nicht, dass die Polizei das Problem mit den stehlenden , oft obdachlosen Kindern nicht in den Griff kriegt: die werden einfach abgeknallt. Und mittendrin Tourismus. Nein danke. Das war mir dann doch zu viel.
Soviel zu Rio de Janeiro. Sorry, aber meine negativen Eindrücke überwiegen eindeutig, zu sehr, um diesem Ort im Nachhinein etwas Positives abzugewinnen.
Barfußlaufen ist dort sicherlich kein Problem, wenn einem ungläubige Blicke nichts ausmachen. "Keine Schuhe" bedeutet dort so viel wie absolute Armut, und man wird als Tourist angesprochen, *weshalb* man sich auf nackten Sohlen bewegt.
Und nochmal zum Beitrag "Initiation": Ende der Neunziger wurde im Fernsehen berichtet, dass es an einem amerikanischen Internat (im Staat Florida) ähnliche Prüfungen gibt, mit einem ähnlichen Ekel-Faktor, jedoch ohne tatsächeliche physische Gefahr für die "Kandidaten". Die einzige Uni-"Aufnahmeprüfung" dieser Art, die ich kenne, sind ultimative Besäufnisse in Studentenwohnheimen, plus Fuß-Kitzel-Folter "light". Letzteres war jedoch absolut spaßig und wohl kaum vergleichbar mit Brasilien.

Liebe Grüße

Bernd

Brasilien / Sitten / Beitrag von Jörg (2)

Andi35 @, Stammposter, Wednesday, 14.04.2004, 16:12 (vor 7473 Tagen) @ Bernd

Hallo Bernd!
Das ist ja wirklich schrecklich, was Du da schon in jungen Jahren sehen musstest! Wenn deren Polizei gleich arme Kinder erschießt, die aus Hunger und Verzweiflung stehlen, dann wundert es mich nicht, dass dieses Uni-Problem nicht angegangen wird, da würden sie wohl ein besseres Werk tun! Da heißt es immer: "Karneval in Rio", wie toll, oder es wird besungen, aber zum Teufel damit, solche Gegenden haben doch gar keine Ehre verdient! Wenn sowas dann auch noch vor den Touristen abgezogen wird, dann muss doch bekloppt sein, wer wieder dort hin fährt! Ich hätte wohl noch am selben Tag meine Koffer gepackt! Dort barfuß zu gehen, wäre mir wohl nicht in den Sinn gekommen, wenn ich barfuß gehe, dann ist das für mich eine sinnliche Sache, die ich genießen möchte, das kann ich aber nicht an einem Ort der Gewalt! Auch der Gedanke, dass ich barfuß gehe, wo vielleicht mal ein totes Kind oder ein Erwachsener gelegen hat...abartig! Da ziehe ich lieber schönere und friedliche Gegenden vor!
Liebe Grüße
Andi!

In der Tat...

Bernd, Wednesday, 14.04.2004, 18:05 (vor 7473 Tagen) @ Andi35

Lieber Andi,

ich gebe Dir in jeder Hinsicht Recht, aber ziemlich (!) vielen Touris scheint es zu gelingen, im Urlaub die Brille mit dem Tunnelblick aufzusetzen und somit das ganze Elend auszublenden. Ehrlich gesagt hatte ich schon nach ein paar Stunden die Nase voll, weil das ganze Leid der Menschen dort wirklich unerträglich - und für meine Begriffe auch nicht zu übersehen - war.
Meine Begleitung, eine in Deutschland lebende Sozialwissenschaftlerin, die in Curitiba, ein paar hundert Kilometer südlich von Rio de Janeiro, geboren wurde, betonte jedoch, dass das Land ohne Tourismus nicht leben könne, und dass die Urlauber eine wichtige finanzielle Stütze für Brasilien darstellen.
Dies scheint nachvollziehbar, doch was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack, ein insgesamt etwas negativeres Bild der industrialisierten Wissensgesellschaft und der Eindruck, dass der Karneval in Rio nur einen sehr (!) kleinen Ausschnitt aus dem Alltag der Menschen eines Schwellenlandes darstellt.

Lieben Gruß

BERND

Hallo Bernd!
Das ist ja wirklich schrecklich, was Du da schon in jungen Jahren sehen musstest! Wenn deren Polizei gleich arme Kinder erschießt, die aus Hunger und Verzweiflung stehlen, dann wundert es mich nicht, dass dieses Uni-Problem nicht angegangen wird, da würden sie wohl ein besseres Werk tun! Da heißt es immer: "Karneval in Rio", wie toll, oder es wird besungen, aber zum Teufel damit, solche Gegenden haben doch gar keine Ehre verdient! Wenn sowas dann auch noch vor den Touristen abgezogen wird, dann muss doch bekloppt sein, wer wieder dort hin fährt! Ich hätte wohl noch am selben Tag meine Koffer gepackt! Dort barfuß zu gehen, wäre mir wohl nicht in den Sinn gekommen, wenn ich barfuß gehe, dann ist das für mich eine sinnliche Sache, die ich genießen möchte, das kann ich aber nicht an einem Ort der Gewalt! Auch der Gedanke, dass ich barfuß gehe, wo vielleicht mal ein totes Kind oder ein Erwachsener gelegen hat...abartig! Da ziehe ich lieber schönere und friedliche Gegenden vor!
Liebe Grüße
Andi!

In der Tat...

Andi35 @, Stammposter, Saturday, 24.04.2004, 06:30 (vor 7464 Tagen) @ Bernd

Lieber Andi,
ich gebe Dir in jeder Hinsicht Recht, aber ziemlich (!) vielen Touris scheint es zu gelingen, im Urlaub die Brille mit dem Tunnelblick aufzusetzen und somit das ganze Elend auszublenden. Ehrlich gesagt hatte ich schon nach ein paar Stunden die Nase voll, weil das ganze Leid der Menschen dort wirklich unerträglich - und für meine Begriffe auch nicht zu übersehen - war.
Meine Begleitung, eine in Deutschland lebende Sozialwissenschaftlerin, die in Curitiba, ein paar hundert Kilometer südlich von Rio de Janeiro, geboren wurde, betonte jedoch, dass das Land ohne Tourismus nicht leben könne, und dass die Urlauber eine wichtige finanzielle Stütze für Brasilien darstellen.
Dies scheint nachvollziehbar, doch was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack, ein insgesamt etwas negativeres Bild der industrialisierten Wissensgesellschaft und der Eindruck, dass der Karneval in Rio nur einen sehr (!) kleinen Ausschnitt aus dem Alltag der Menschen eines Schwellenlandes darstellt.
Lieben Gruß
BERND

Hallo Bernd!
Vor einigen Stunden habe ich zweimal versucht, auf diesen Beitrag zu schreiben, aber leider war der Server überlastet, so schreibe ich eben jetzt wieder! ;-)
Ja, das glaube ich, dass die Leute dort von dem Tourismus abhängig sind, doch wenn deren "Führung" weiterhin so unmoralisch und unmenschlich handelt und kriminelle Taten vollbringt, anstatt andere (Uni-Probleme), die meiner Meinung nach doch wesentlich krimineller sind, zu bekämpfen, dann kann es leicht passieren, dass auch die Touristen mit der "Schweißerbrille" und den "Scheuklappen", auch irgendwann nicht mehr kommen! Dann sind sie aber richtig arm, sie sollten die Touristen nicht mit solchen Bildern des Grauens konfrontieren, oder besser, diese Gräueltaten eistellen und sich um die richtigen kriminellen Taten kümmern!
Dir einen lieben Gruß, Andi!

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