Frage... (Hobby? Barfuß! 2)

Mercator, Stammposter, Sunday, 11.04.2004, 20:04 (vor 7476 Tagen) @ Bernd

... mit Salami- und Guerilla-Taktiken in einem relativ konservativen Umfeld eine ziemlich weitgehende Freiheit durchsetzen konnte, (...)

Was meinst Du damit genau?
Gruß
BERND

Hi Bernd,

Salami-und Guerillataktik? Nicht einfach zu erklären. Mein Problem mit Barfuß im Beruf ist eigentlich nicht, dass es etwa einen klaren dresscode bei uns gäbe, der es verböte. Und da ich für unseren Standort der Erwachsenenbildung reichlich Verantwortung laste, kommt mein Boss nur ein, zwei Mal im Monat vorbei (und ist eigentlich immer zu abgelenkt, um über dress und codes nachzudenken...). Wenn man also mal von den normativen Erwartungen unserer (selten vor Ort auftauchenden) Großkunden absieht, könnte man sagen: Was das Einführen und die Kontrolle sozialer Normen angeht, bin ich da eigentlich derjenige, welcher.

Es wäre allerdings ein Riesenirrtum, anzunehmen, dass man damit einen Jagdschein hätte! Wenn Du nicht gerade absolutistischer Herrscher, Diktator und Generalissmus-Kaiser-Chef bist, sondern - Au weia! - auf bereitwillige Kooperation und Engagement Deiner Mitarbeiter angewiesen bist, dann bist Du u.a. auch darauf angewiesen, dass sie Dich in Deiner Führungsrolle akzeptieren.

Um das gleich vorwegzunehmen: Auch ich finde es absolut bescheuert, dass dabei Klamotten eine Rolle spielen. Auch ich habe mich schon gefragt, warum mein standing im Unterricht, in Teambesprechungen etc. ein anderes wäre, wenn ich nackt (oder in der zweitliebsten Klamottenkombination "Barfuß im superbequemen Sarong mit schlabberigem T-Shirt") aufträte. Will ich hier aber nicht weiter diskutieren. Stattdessen der langen Rede kurzer Sinn:

Ich bin einerseits in der begnadeten Situation, in einem bestimmten Rahmen Normen setzen und deren Einhaltung kontrollieren zu können, darf aber andererseits nicht den Bogen überspannen, damit mir die Leute nicht von Stange gehen, sprich: mich öfter, als nur zeitweise, als kompletten Idioten betrachten.

Früher hieß das, dass Barfüßerei im Job für mich ausgeschlossen war.

Ich wollt aber gern.

Also habe ich in dem Sommer vor drei Jahren Schrittchen für Schrittchen dahin unternommen, und ich sage Euch, jeder Schritt war ganz spannend und aufregend für mich, weil ich ja immer prüfen mußte, ob das jetzt jeweils der Punkt ist, an dem besagter Bogen die Grätsche macht. (Ich weiß, dass das lächerlich klingt, aber es war so.)

Erster Schritt: Barfuß in Sandalen. Das war noch nicht so aufregend.
Zweiter Schritt: Barfuß in Flip-Flops u.ä. Sagen wir, es wurde registriert, war aber nicht schlimm.
Dritter Schritt: Barfuß am Schreibtisch, so dass es keiner sieht. Das war auch nicht aufregend, nur angenehm.
Vierter Schritt: Barfuß am Schreibtisch, und es sollte mir wurscht sein, ob’s jemand sieht.
Fünfter Schritt: Barfuß im Büro rumgelaufen.
Sechster Schritt: Barfuß ins Nachbarbüro
Siebter Schritt: Barfuß zum Kopierer
Achter Schritt: Barfuß in die Unterrichtsräume
Neunter Schritt: Barfuß in der ganzen Schule möglich, außer wenn neue Kundschaft kömmt.

Ich bin jetzt also auf einem Freiheitslevel, mit dem ich gut leben kann. Das einzig Überraschende war für mich, wie unspektakulär das aufgenommen wurde. Ich selbst habe ja auch nicht den großen Punk um die Barfüßerei gemacht, sondern nur freundlich auf (die seltenen) Fragen geantwortet. Ganz wichtige Lehre: Nur wenn Du wie ein paranoider Pavian kuckst, ob die Leute kucken, dann werden sie aufmerksam und denken, dass da etwas nicht stimmt. Klar - Du selbst legst ihnen diesen Schluß ja auch nahe.

Soweit ich das überhaupt beurteilen kann, gibt es durch meine Barfüßerei keine gesellschaftlichen Probleme. M ist eben der Typ mit der Barfuß-Macke, herrgott, es gibt Schlimmeres.

Und eine kleine, ungefährliche Macke ganz offen zu zeigen, ist wesentlich besser, als sie mühsam in einem dunklen Winkel der Seele zu verstecken, wo sie jahrelang rumnörgelt und Menschen schließlich zu unzufriedenen, griesgrämigen Ar.......... werden läßt. (Ich behaupte inzwischen, dass man Menschen sowas auch ganz schnell ansieht.)

Ach ja, in dem Zusammenhang und zum Schluß kann ich den hübschen Satz "Free your feet, your mind will follow!" bestätigen. Seit ich angefangen habe, meine Barfüßerei im Job durchzusetzen, habe ich auch begonnen, viel bewußter die tausende von Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, die "Das-tut-man-nichts" und die "Das-war-schon-immer-sos" und die "Das-war-noch-nie-sos". Mag unbescheiden klingen, aber ich bin sicher, damit meine Tätigkeit wesentlich besser, weil kreativer und fitter auszuüben.

Hm. Das werde ich meinen Brötchengebern demnächst mal erläutern:

"Ich bin Barfüßer - gebt mir mehr Geld!"

(Sorry, Bernd, das ist jetzt etwas mehr geworden, als eine Antwort auf Deine Frage...)

Ha luego

M.


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