Abenteuer im Wynental - mit und ohne Schuhe (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 08.03.2004, 19:10 (vor 7510 Tagen)

Jeder wird einmal älter. Während ich es kürzlich gerade auf 48 Jahre gebracht habe, konnte am letzten Wochenende jemand den 100. Geburtstag feiern: die Wynentalbahn http://www.wsb-bba.ch/. Was lag da näher, als am letzten Samstag (6.3.2004) meine Vorliebe für Schienenfahrzeuge mit anderen Hobbys, z. B. Radfahren, möglicherweise ohne Schuhe, zu kombinieren? Eigentlich gar nichts. Wann sonst hat man schon die Möglichkeit, für nur 5 Franken in einem historischen Zug die schmalspurige Strecke Aarau-Menziken (oder umgekehrt) zu befahren sowie zusätzlich beliebig viele Fahrten mit Regelzügen auf dieser Strecke. Als ich mich morgens bei +3°C im strömenden Regen aufs Velo schwang, um die fast 20 km lange Strecke nach Aarau zurückzulegen, war mir noch gar nicht nach Barfüßern zumute. Ohne Regenjacke und Turnschuhe war da nichts zu machen. Ich will mir doch nichts aufsacken! Als ich den Aarauer "Nebenbahnhof" erreichte, stand der Sonderzug, bestehend aus einem blauen Triebwagen und 2 Personenwagen bereits abfahrbereit am Bahnsteig. Der Triebwagen war für die Politiker der Region reserviert. Die "hohen Herren" standen mit Schirmen auf dem Bahnsteig, ihnen schien das Wetter auch nicht gerade zu passen. Etwas befremdend war ihr Blick, als sie sahen, wie ich wie ein begossener Pudel die "Holzklasse" bestieg. Obwohl der Wagen recht gut geheizt war, war ich der einzige, der als erstes die nasse Jacke auszog. Alle anderen Fahrgäste (es waren nicht viele) zogen es vor, Wintermantel, Handschuhe und Mütze anzubehalten. Speziell Kinder schienen nicht begreifen zu können, daß es bei solchem Wetter durchaus möglich ist, ohne Handschuhe, Kopfbedeckung und Socken unterwegs zu sein. Als der Schaffner in historischer Uniform im Wagen die Sonderfahrkarten verkaufte, schien er von meiner Aufmachung weniger überrascht zu sein. Es bestand schließlich für die Fahrgäste keinerlei Zwang, die vor 100 Jahren übliche Kleidung eines Bahnreisenden zu tragen. Meine Füße waren in den nassen Stoffturnschuhen kalt geworden. Trotz des trüben Wetters habe ich die ca. 45 minütige Fahrt nach Menziken genossen. Während die Politiker von gebührend im modernen Bahnhof von Menziken empfangen wurden, bestieg ich einen modernen Stadtbahnwagen, der mich wesentlich ruhiger nach Aarau zurückbrachte. Und weil es so schön war, gleich wieder nach Menziken, diesmal mit einem älteren Zug in "WSB-orange" (teuer und immer im Recht, zum Leidwesen von Autofahrern, die mal mit einem WSB-Zug kollidiert waren). Endlich hatte der Regen aufgehört, Zeit zum Wandern. Zunächst durch die Straßen von Menziken und Reinach, wo noch Schienen auf der Straße sind. Bis vor kurzen fuhr die Wynentalbahn noch als "innerstädtisches Tram" durch beide Orte, jetzt benutzt sie das Trassee eines aufgelassenen Teilstückes der Seetalbahn. Jetzt entschloß ich mich endlich, statt der Turnschuhe Flipflops (bisher ungetragen) anzuziehen. Ein gar nicht so falscher Entschluß. Denn es folgte ein matschiger Wanderweg, den man problemlos nur mit Gummistiefeln oder barfuß begehen konnte, also Schuhe aus. Dann folgte ein Flotschweg, Schuhe an! Wieder ein Matschweg, Schuhe aus. Ein starke gesplitteter Asphaltweg, Schuhe an. Nach einem derartigen Wechselspiel mit "an'en" und "aus'en" Flipflops erreichte ich schließlich den stillgelegten Bahnhof von Beromünster, die normalspurigen Gleise sind bereits demontiert, aber der Schotter liegt noch. Ich weiß nicht, ob die Verkehrsplaner die Option offengehalten haben, auf dem stillgelegten Bahndamm die Wynentalbahn von Menziken nach Beromünster zu verlängern?
Jedem Mittelwellenfan ist Beromünster ein Begriff. Aber auch ohne diesen wäre das Städtchen sehenswert. Vom Bahnhof erreichte ich zuerst das frühere Chorherrenstift, das überragt wird von der Stiftskirche St. Michael http://www.picswiss.ch/Luzern/LU-l1-01.html. Beim Betreten des Gotteshauses kam ich in einen Gewissenskonflikt. Einerseits gibt es irgendwelche "Gesetze", die vorschreiben, daß mal ein Gotteshaus nur in einer Kleidung betreten darf, die sich auch zu tragen geziemet. Andererseits soll man sich auch in der Kirche ruhig verhalten. Und so etwas ist mit Flipflops schlicht und einfach unmöglich. Also stellte ich die Schlarpen draußen vor das große Portal und bewegte mich auf leisen Sohlen durch das prächtige Gotteshaus. Was wohl der Sigrist denkt, wenn er zufällig draußen vorbeikommt? Hat einer die Schuhe draußen gelassen, damit er sie putzt, wie im Hotel? Oder handelt es sich um illegale Entsorgung von Plastikmüll? Tatsächlich blieben meine Schuhe nicht unentdeckt. Als ich wieder draußen war und die Latschen wieder anziehen wollte, hatte bereits die zutrauliche "Stiftskatze" davon Besitz ergriffen. Sie ließ sich zwar von mir streicheln, aber sie schien es irgendwie nicht zu begreifen, daß ich "ihre" Schuhe anzog. Schuhe einfach unter die Füße setzen, so dumm kann sicher nur ein Mensch ein. Ein intelligentes Wesen wie eine Katze weiß es zu schätzen, auf Samtpfötchen das Leben zu genießen.
Über eine Stiege gelangte ich vom elitären Stiftsbezirk in der Oberstadt hinunter zur die Unterstadt http://www.picswiss.ch/Luzern/LU-l1-02.html, vorbei an der Pfarrkirche St. Stephan (diese war dem "gemeinen" Volk vorbehalten) und schließlich über einen Wanderweg, der teilweise dem Ufer des Flüßchens Wyna folgt zurück nach Menziken. Auch hier wieder das Wechselspiel mal mit, mal ohne, je nachdem, ob Matsch, Schnee, Eis, Kies usw. vorlag. Am Ortseingang von Menziken nutzte ich die Möglichkeit, mir mit Flußwasser den Schlamm von Füßen und Schuhen zu waschen.
Nun lag noch eine Bahnfahrt nach Aarau vor mir. Da meine Füße glühend heiß geworden waren, verstaute ich auch meine Flipflops im Rucksack. Anfangs war ich alleine im Wagen, erst später kamen Fahrgäste hinzu, meist ältere Leute. Aber es gab weder von ihnen, noch von einer jungen Frau, die ein Snowbord dabei hatte, irgendwelche Reaktionen. Als ich aber in Aarau über den Bahnsteig schritt kamen lautstarke Reaktionen vom Nachbarbahnsteig, wo Jugendliche auf einen Schnellzug warteten. Einer rief: "Der Trottel läuft barfuß!" Ob ich ein Trottel bin, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen (die Tatsache, daß ich in Giswil mal mein Velo samt Schuhen nicht auf Anhieb finden konnte, sind sicher kein Indiz für das Gegenteil. Aber das ich einzig aufgrund meiner Schuhlosigkeit einer sein soll, das kann sicher nicht stimmen. Dann müßten doch alle Leute, die in diesem Forum das Barfußlaufen propagieren, Trottel sein. Und das kann einfach nicht stimmen. Da ich einmal davon ausgehe, daß der Jugendliche weder die Sache mit Giswil weiß, noch mich sonst irgendwie kennt, scheint er selber keine Ahnung zu haben. Mit dem Velo fuhr ich noch mal ans Aareufer, um dort die übliche Barfußwanderung zu unternehmen. Dann radelte ich heimwärts, wobei ich zu meiner Schande gestehen muß, daß es mir nicht gelang ohne Schuhe nach Hause zu radeln. In Höhe der KKW Gösgen waren meine Füße derart eingefroren, daß ich die warmen Turnschuhe anziehen mußte. Ein Märzsamstag im Wynental, den ich in vollen Zügen genossen habe, ging zu Ende.
Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen


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