New York - barfuß wegen Armut (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 02.03.2004, 07:23 (vor 7517 Tagen) @ Mike S

"Im Best-Of kann man einige Beiträge lesen über das barfusslaufen in der USA. Meistens überwiegen die negativen Erinnerungen. Aber es scheint, dass es von Region zu Region verschieden ist. Weiss jemand vielleicht, welches die barfussfreundlichsten Regionen der USA sind und welche die barfussunfreundlichsten?"

Hallo Mike,
ich war bisher erst einmal in den USA, davon eine Woche geschäftlich im Raum New York. Bei meinen abendlichen Spaziergängen durch die Metropole ist mir aufgefallen, daß diese Stadt alles andere als barfußfreundlich ist (bzw. damals war). Ich war zwar damals noch kein Barfußfan, jedoch gehörte ich schon zu denjenigen, die sich irgendwo auf Rasenflächen setzten und die Schuhe auszogen. Im "Central Park" tat ich es nicht, da die Rasenflächen mit Scherben übersät waren. Auch traute ich mich nicht, mich direkt auf den Boden zu setzen, er war mir einfach zu dreckig. Obwohl es "über 100 Grad heiß war - Fahrenheit, nicht Celsius" trug ich die ganze Zeit über Schuhe, tagsüber Halbschuhe mit der dazu passenden Dienstkleidung, außerhalb der Geschäftszeit T-Shirt, kurze Hosen und Sandalen ohne Socken. Abends im Hotel konnte man an meinen Füßen sehen, wo das Leder die Haut bedeckt hatte und wo nicht. Der "Mohr" war auch nur schwer wieder abzuwaschen. Unter anderem betrat ich auch in dieser Aufmachung das World Trade Center, es war am 11. September 1991, ein Datum wie jedes andere auch - damals. Angst hatte ich nicht, daß einem hier etwas schlimmes zustoßen könnte, zehn Jahre später wurden wir alle eines besseren belehrt.
Auch die Straßen von New York waren nicht barfußfreundlich. Erschwerend hinzu kam, daß die Müllabfuhr streikte, was dort häufiger vorkommt als in der Schweiz. Offensichtlich wird in den USA der Müll nicht in Ascheimern, Müllcontainern oder Güselsäcken vor die Tür gestellt, sondern direkt auf die Straße geschüttet, in der Hoffnung, daß ihn irgendwer abholt. So kam es, daß sich riesige Haufen vor den Wolkenkratzern türmten. Müllhaufen sind aus der Sicht eines Menschen, der dann barfuß geht, wenn er Spaß daran findet, sicher kein Ort, an dem man ideale Bedingungen vorfindet. Befriedigt werden höchstens Leute, die in die Geschichte eingehen wollen mit der Schlagzeile "Monte Scherbelino erstmalig barfuß und ohne Gasmaske in Rekordzeit bestiegen". Tatsächlich sah ich Leute barfuß auf den Müllhaufen. Es handelte sich aber nicht um "MarinaK-Verschnitt", sondern um Leute, die unter Armut litten und für die Schuhe Luxus war. Viele dieser Leute waren Schwarze oder nicht englisch sprechende Personen. Erwachsene Männer waren nicht dabei, die mußten wohl für einen Hungerlohn 14-16 Stunden pro Tag schuften. Alte Frauen waren darunter, diese trugen ausnahmslos Schuhe. Nicht aber die Kinder und jungen Frauen, sie durchwühlten barfuß die Müllhaufen nach brauchbarem, und fanden auch etliches. Ich fühlte mich noch an meine Schulzeit erinnert, als ich an den Tagen, wo Sperrmüllabfuhr war, mit dem Fahrrad durch die Straßen fuhr und gelegentlich ein Radio mitnahm oder Veloteile demontierte. Aber "richtigen" Müll hätte ich damals nicht angefaßt. Nicht nur die Schuhlosigkeit zeugte von Armut, auch die übrige Kleidung, die teilweise gar nicht zueinander paßte. Ich hatte den Eindruck, als ob etliche Kleidungsstücke selbst vom Müll stammten, nämlich das, was reiche Leute einfach fortgerührt hatten. Eine Szene werde ich nie vergessen: Eine knapp 20-jährige Frau saß auf einem ausrangierten Kühlschrank, trug eine lange schwarze Hose, die noch recht neuwertig war. Der Wollpullover, den sie dazu trug, war jedoch schon stark durchlöchert. Ihre Füße waren von den Glasscherben stark zerschnitten. Sie hatte große Mühe, ihr Baby zu beruhigen. Dann gingen zwei Kinder (auch ihre eigenen?) zur jungen Mutter und zeigten ihr die Fundsachen, darunter Schuhe! Alle schienen sich zu freuen und zogen weiter - barfuß. Die gefundenen Schuhe wurden in einer Tüte getragen, nicht angezogen. Vermutlich sind sie für den Winter gedacht. Oder sonntags zur Kirche. Bei diesem Anblick schämte ich mich, einen Beruf auszuüben, bei dem ich weder hungern, noch frieren muß.
Da die Stadt stark vermüllt war und ich ständig Schuhe trug, kann ich nicht sagen, wie die Obrigkeit darauf reagierte. Nur eines: Als ich bei glühender Hitze im Central Park war, hatte ich das T-Shirt ausgezogen - und beim Verlassen des Parks vergessen, es wieder anzuziehen. Als ich aber mit der U-Bahn weiterfahren wollte, wurde ich von einen dieser arroganten "U-Bahn-Gorillas" an den Eingängen zusammengeschissen. Ich durfte erst auf den Bahnsteig, als ich mir das T-Shirt übergezogen hatte.
Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen


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