Ich war nicht barfuß und schämte mich (Hobby? Barfuß! 2)

Eugen, Monday, 05.01.2004, 19:23 (vor 7574 Tagen)

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Hallo Miteinand,

da hier schon einmal über Renoir und seine
Frauenbilder etwas gesagt wurde, möchte auch ich hier kurz meinen
Lieblingsmaler und ein Beispielbild vorstellen:
William Bouguereau. Insbesondere seine Kinder- und Jugendbilder
stellen für mich absolute Schönheit dar, Bilder voller
menschlicher Wärme und großem Einfühlungsvermögen.

Das obige Bild (hoffentlich sichtbar) erinnert mich an eine
Situation (Barfußerlebnis der besonderen Art)
in Ägypten vor 4 Jahren, als ich an einem abseits gelegenen
Tempel stand und farbliche Überreste und Hieroglyphen
an einer 3000 Jahre alten Säule betrachtete.
Es war im Sommer bei Luxor (Besuch bei Freunden) und die
Temperaturen lagen im Schatten bei über
40 Grad. Ich trug Sportsandalen, weil mir der
Wüstensand zu heiß schien und ich vor den manchmal vorkommenden
Skorpionen Angst hatte (Sandalen hätten hier auch nichts genützt).
Ich war also NICHT barfuß.

Bis auf einen ägyptischen Soldaten, der Touristen beschützen sollte,
wähnte ich mich alleine. Plötzlich bemerkte ich, nur in den
Augenwinkeln, ein kleines Mädchen, dass zwischen den Säulen erschien und mir eine Hand entgegenstreckte. Ich dachte: Schon wieder ein Bettelkind, dass Touristen Geld entlocken
soll. Zuerst schaute ich in ihre Augen, dann auf ihre Hände -- hier funkelte ein blauer Skarabäus (ägyptisches Käfersymbol für ewiges Leben) -- und dann schaute ich auf ihre Füße:
SIE WAR BARFUSS! Dieses Mädchen stand
barfuß im heißen Wüstensand, trotz 40 Grad, trotz vielleicht
unter Steinen lauernden Skorpionen!

Ich war irgendwie beschämt. Dieses Mädchen ließ mich fühlen, was für ein dekadenter Tourist ich doch bin. Ich schämte mich zum erstenmal
in meinem Leben, nicht auch BARFUß im Wüstensand zu stehen (trotz Skorpionen)!
Das Mädchen erschien mir plötzlich wie eine Inkarnation der Königin
von Saba, die mir zuflüsterte, dass sie hier schon seit Jahrtausenden zwischen den Tempelsäulen wache, damit der Tempel nicht durch Unbefugte entweiht wird. Und ich war vielleicht einer dieser Unbefugten.

Ich merkte plötzlich, welche psychische Macht das Mädchen über mich hatte. Schon wollte ich ihr mein ganzes Trinkgeld für den Skarabäus geben, da trat urplötzlich der Soldat mit Maschinenpistole dazwischen und meinte sinngemäß, daß wir nun weiter müssen, um "sicher" zu sein. Wovor sicher? Vielleicht meinte er damit die Magie meiner "Königin von Saba". Oder doch arabische Extremisten?
Und wie durch ein Zauber war das Mädchen plötzlich wieder zwischen den Säulen verschwunden.

Dies war eigentlich mein schönstes "Barfußerlebnis" (Nicht-Barfußerlebnis).
Und diese Begebenheit war voller Poesie und Magie.

Gerade in arabischen Ländern wie Ägypten sieht man fröhliche Kinder, die wie selbstverständlich barfuß den Alltag bewältigen. Aus europäischer Sicht laufen sie natürlich wegen "Armut" barfuß. Ich lehne diese Sichtweise aber ab: Sie laufen barfuß, weil sie so geboren wurden und es die schönste und natürlichste Art des Daseins ist.

Alles Gute fürs neue Jahr wünscht

Eugen,

der in letzter Zeit nur im Schnee einige Minuten am Morgen barfuss gelaufen ist.

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