"Fahrrad mit Schuhen" verloren, barfuß per Bahn zurück (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Monday, 24.11.2003, 13:02 (vor 7616 Tagen)

Der Föhn in den Alpen bewirkt Wunder! 15-20°C im November sind keine Seltenheit. Während Lorenz offensichtlich in einem Föhngebiet lebt, muß ich erst einmal "arbeiten", um dem kalten Nebel des Schweizer Mittellandes zu entrinnen. Letzten Sonntag (23.11.2003) radelte ich morgens gegen 8.30 Uhr bei 2°C los, der Sonne entgegen. Bei Sursee war der Nebel zu Ende, aber es war bewölkt. Erst als ich in Luzern war, konnte ich blauen Himmel erblicken, und zwar in Richtung Sarnen. Also schlug ich diese Richtung ein. Trotz Sonne war es aber noch so kalt, daß ich Turnschuhe und Jacke anbehalten mußte. Sachseln lag noch im Schatten der Berge, aber das gegenüberliegende Ufer des Sarner Sees lag in der Sonne. Also radelte ich dorthin. Hier war es gegen 11.30 Uhr in der Sonne angenehm warm, so daß ich die Schuhe in die Packtasche und die Jacke in den Rucksack steckte (Ohne T-Shirt wäre es mir allerdings zu kalt gewesen, es wurde hier nämlich keine 20°C warm). Als sich 2 Stunden später die Sonne hinter einem Wolkenschleier versteckte, nahm ich mir vor, das Fahrrad ein Stück am Seeufer durch den "Urwald" zu schieben. Es war angenehm durch das Laub zu wandern. Weniger angenehm war allerdings, daß der Weg bald keiner mehr war, sondern nur noch ein Trampelpfad. Dann stellte ich das Rad ab, und ging zu Fuß weiter, um zu sehen, ob ein "richtiger" Weg in der Nähe war oder ob es sinnvoller sei, das Velo zurück zu schieben. Derart erleichtert, wanderte ich barfuß weiter, über Laub, Moos. Auch brachte es Spaß, über umgestürzte, bemooste Baumstämme zu steigen, die teilweise derart morsch waren, daß sie an der Trittstelle zu Pulver zerfielen. Dabei vergaß ich, was ich eigentlich wollte. Als es mir wieder einfiel, fand ich mein Rad nicht mehr. Endlich fand ich wenigstens den Ausgangsort wieder. Ich versuchte, den Weg noch einmal zu gehen, aber ich fand ihn nicht. Immer wieder kehrte ich zum Ausgangsort zurück, immer suchte ich Trampelpfade, immer war es der falsche. Allmählich geriet ich in Hektik. Zwar fühlte ich unter den Füßen nichts unangenehmes, aber die Fußoberseiten, die Beine und die Arme waren von Dornen stark zerkratzt! Als ich nach 2 stündiger Suche immer noch nichts gefunden hatte, wurde es allmählich dunkler. Da gab ich die Suche auf. Ich hatte zwar den Weg zum 11 Jahre altem Velo (leider habe ich erst vor kurzem Kette und Bereifung erneuert) mit alter Packtasche, ziemlich abgelaufenen Turnschuhen und diversen Werkzeugen für Fahrradreparaturen verloren, aber einen Weg durfte ich nicht verlieren: Den zum Bahnhof in Giswil.
Der Weg dorthin war recht angenehm barfuß zu wandern, wenn man vom einem kurzen Stück über ein Betonwerk absieht (feuchter Zementschlamm ist eigentlich vom Gefühl her nicht unangenehm, er darf bloß nicht antrocknen, glücklicherweise folgte darauf eine Wiese). Als ich 40 Minuten später den Bahnhof erreichte, mußte ich noch 20 Minuten auf den Zug der Brünigbahn warten. Dabei sahen mich 2 Jugendliche auf Mofas, die lautstark über mich lästerten und dann wie wild auf dem Bahnhofsgelände herumkurvten. Eine ältere Dame meinte: "Haben die denn nichts sinnvolleres zu tun als hier Lärm zu machen?" Darauf wandte sie sich an mich: "Und Sie sind schuld!! Was müssen Sie auch mitten im Winter so rumlaufen. Damit nötigen Sie ja nur die Rowdys, gerade hier herumzukurven." Endlich kam der Zug vom Brünigpaß heruntergefahren. Als ich einstieg, waren eine Leute etwas erstaunt, aber es gab keine Reaktion, auch nicht vom Schaffner. Wobei ich fairerweise gestehen muß, daß ich meine dreckigen Füße nicht provokativ auf den gegenüberliegenden Sitz legte, so etwas mache ich auch nicht mit sauberen Füßen, Schuhen oder Socken. In Luzern mußte ich umsteigen, wobei teilweise betrunkene Leute mir Worte der unterschiedlichsten Art nachriefen. Der Anschlußzug, der in Luzern eingesetzt wurde, stand bereits am Bahnsteig, war aber noch leer, da er erst in 25 Minuten abfahren sollte. Die Leute, die zustiegen, registrierten meine Sommerkleidung kaum. Als ich mich aber vom Sitz erhob zum Aussteigen, mußte ich an weiblichen Teenagern vorbei. Ein Mädchen schrie laut: "Kurze Hosen und barfuß im Winter, das habe ich noch nie gesehen!"
Vom Bahnhof mußte ich noch einen Kilometer zu meiner Wohnung gehen, was mir jedoch bei ca. 4°C keine Probleme bereitete. Im Treppenhaus begegnete mir die "Hauseule" (Frau vom Hausmeister). Als sie meine von blutigen Striemen gezeichneten Arme und Beine sah, fragte sie: "Michael, hast du einen Unfall gehabt? Ist dein Velo kaputt, daß du zu Fuß nach Hause mußtest?" Als ich ihr die Geschichte von dem "verlorenen Fahrrad mit Schuhen" erzählte, meinte sie nur: "Zum Glück hast du kein Rheuma!"
Als ich zu Hause meine Füße kontrollierte, stellte ich doch noch einige Stacheln fest und eine lange klaffende Wunde in der Höhlung, die ich unterwegs gar nicht gespürt hatte. Schlafen konnte ich gut. Im Traum hatte ich die Suche nach dem Velo fortgesetzt. Vielleicht endet ein Traum mal damit, wie ich es finde. Dann brauche ich mir nur es zu merken und nach Giswil zu fahren, diesmal mit Schuhen!
Es grüßt ein ziemlich zerkratzter
Michael aus Zofingen


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