Im Expoland, und Schuhe "vergessen" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Monday, 15.09.2003, 11:19 (vor 7686 Tagen)

Mit dem Fahrrad im Expoland, und Schuhe "vergessen"...

... und ferner Jacke, Wollpullover, Mütze, Handschuhe sowie selbstverständlich Krawatte und lange Hosen.

Am letzten Wochenende war Zofingen Stadt der Läufer und Velofahrer. Es fand das "Powerman-Duatlon" statt. Auch ich wollte mit dem Velo unterwegs sein, allerdings etwas gemächlicher. Ich wollte das Wochenende im Expoland verbringen (in einem früheren Mail habe ich es ja schon angedroht). Es war Samstag, der 13. 9.2003, 7.15 Uhr, als ich meine Wohnung verließ. Das Thermometer zeigte 9°C. Sollte ich nun wirklich, nur im Träger-T-Shirt (man könnte auch Unterhemd sagen) und Turnhose losradeln, ohne Schuhe oder wärmere Oberbekleidung mitzunehmen? Oder liegt dieses "hart an der Genußgrenze", wie in diesem Forum unter anderem von Lotsi aus Regensburg bereits geschrieben wurde? Ich tat es! Aber wenn ich die Definition von MarkusU richtig interpretiere, war ich doch nicht absolut barfuß. Immerhin hatte ich Reparaturwerkzeuge dabei, falls ich eine Panne hatte. Und zu anderen genügend Geld, um im schlimmsten Fall die Bahn für die Rückfahrt zu benutzen. Mit anderen Worten: ich hatte die Möglichkeit, aufzugeben. Barfüßiges Bahnfahren ist ja etwas anderes als barfüßiges Radfahren oder gar Wandern.
Im Nachbarort Strengelbach kam mir ein winterlich gekleideter Mann auf dem Rennvelo entgegen, offensichtlich trainierte er für seinen großen Auftritt. Er schien sich nicht an meiner Sommerkleidung zu stören. In Rothrist kam mir eine "Bullenschleuder" entgegen, auch die Polizisten schienen keine Lust zu haben, ihr warmes Auto zu verlassen. Mein Weg führte an der Aare entlang, schließlich erreichte ich das putzige Städtchen Wangen: kaum hatte ich durch das eine Stadttor die Altstadt erreicht, schon hatte ich sie wieder durchs andere Tor verlassen. Historische Kleinstädte, wie es viele gibt in der Schweiz! Gegen 9.15 Uhr erreichte ich die "schönste Barockstadt der Schweiz", wie Solothurn auf Plakaten angepriesen wird. Vielleicht gar nicht übertrieben, als ich sah, wie die Kuppeln der St. Ursen-Kathedrale in der Sonne leuchteten. Etwas steil ging der Weg vom Aareufer hoch zur Kathedrale, ich hörte eine männliche Stimme: "Hochsommer!" Durch die Altstadt mußte ich mein Velo schieben, es war gerade Wochenmarkt. Auf dem kühlen Kopfsteinpflaster lagen keine Scherben, ich trat lediglich über einige Gemüsereste, was deutlich weniger unangenehm ist. Von der überwiegend älteren Marktkundschaft wurde ich kaum registriert, sie ließen sich durch meine Anwesenheit nicht vom Tratschen abhalten. Durchs Bieltor verließ ich die Altstadt. Vor dem Tor befindet sich ein "Brunnen", der aus mehreren schrägen Fontänen besteht, umgeben von einem Gitterrost. Durch diese Fontänen fuhr ich noch durch, nach dieser "Unterbodenwäsche" verließ ich die "Ambassadorenstadt" in Richtung Grenchen. Auch in dieser Stadt, die aus historischer Sicht weniger sehenswert ist, fand meine Aufmachung keinerlei Beachtung. In Biel wurde ich mit Gewehrsalven "empfangen", dort befindet sich nämlich eine Schießanlage, bei der zwischen Abschußort und Zielscheibe eine Hauptverkehrsstraße liegt! Selbstverständlich verhindern Mauern, daß Fahrzeuge getroffen werden, aber es ist doch ein komisches Gefühl, wenn die Kugeln über einen hinwegpfeifen! In Biel selbst war wie üblich Verkehrsstau, aber ich kam ganz gut an den Autos vorbei. Hier konnte ich beobachten, daß die Beifahrer in den Autos, an denen ich rechts vorbeifuhr gelegentlich auf meine Füße blickten. Hinter Biel reiht sich ein Rebbauort an den anderen. In Twann entstieg eine Gruppe Leute einem Reisebus aus der Hansestadt Rostock, die Leute achteten nicht auf den Verkehr (ich befand mich auf einer Innerortsstraße mit nur eingeschränktem Autoverkehr). Eine Frau brach in schallendes Gelächter aus und sagte: "Das gibt's doch nicht!" Vermutlich war meine Kleidung nicht kompatibel mit dem nicht mehr real existierenden Sozialismus! Hinter Ligerz "überquerte" ich den "Röschtigraben", von hier ab konnte ich die Kommentare nicht mehr verstehen, da sie auf französisch waren. In Neuenstadt (ich bevorzuge auch bei Orten, in denen deutsch nicht die Muttersprache ist, grundsätzlich die deutsche Bezeichnung, soweit ich sie kenne, also Straßburg statt Strasbourg, Neuenstadt statt La Neuveville, Neuenburg statt Neuchâtel usw.) war gerade Weinfest, ich mußte mein Velo durchs historische Städtchen schieben. Auch im benachbarten Städtchen Le Landeron (hier kenne ich das deutsche Wort nicht) befand sich ein Weinfest in Vorbereitung, hier hatte man mitten in der Altstadt eine Zeltplane über große Teile des historischen Marktes gespannt, sogar über die Bäumchen. Le Landeron ist übrigens die erste "preußische" Stadt, die früher als Bastion gegen die "bösen Berner" gedient hat. Das Fürstentum Neuenburg war wirklich einmal Bestandteil des Königreichs Preußen, ich befand mich sozusagen auf "heimatlichem Boden" (Ich fühle mich zwar mehr als Hamburger als Preuße, jedoch bin ich nicht in Hamburg selbst, sondern im schleswig-holsteinischen und somit früher mal preußischem Rellingen aufgewachsen. Allerdings waren Schleswig-Holstein und Neuenburg nie gleichzeitig preußisch).
Über einen schönen Veloweg am Neuenburger See erreichte ich die Kantonshauptstadt. Ich fuhr noch einmal über den Place Pury, wo Leute von der Heilsarmee aktiv waren. Einer älteren Frau blieb fast der Mund offen, als sie mich sah. Dann radelte ich parallel zum Trassee der "Littorail", die als letzter Rest vom einst viel größeren Straßenbahnnetz übrig geblieben ist, nach Auvernier an den Strand, es war mittlerweile 12 Uhr. Außer mir war keiner dort, vielleicht war es den meisten zu kalt. Ich konnte zwar in der Badehose herumlaufen, aber es hat doch gedauert, bis ich mich ins Wasser gewagt hatte. Der starke Ostwind hatte das Wasser stark aufgewirbelt, so daß auch kältere Wassermassen an die Oberfläche gelangten. Im Laufe des Nachmittags kamen gerade 8 Leute zum Baden, aber sie kamen ohne Ausnahme in langen Hosen und mit Jacken an, gingen kurz ins Wasser und verschwanden dann ebenso vermummt wieder. Einzig Radfahrer, Jogger und einige Rollerblade-Fahrer trugen Kleidung, die noch an wärmere Zeiten erinnerten. Ich lag jedoch nicht nur in der Sonne, sondern ging auch am Strand spazieren (Grasflächen, Kiesel direkt am Wasser, kein Sand). Ich schritt auch zur Haltestelle der "Littorail", um allfällige Neuerungen im Fahrplan zu erhalten. Dabei überquerte ich einen Kinderspielplatz, auf dem viele Kinder tobten. Ein Mädchen zeigte auch mich und sprach etwas auf französisch zur Mutter. Dann zog es die Schuhe und Strümpfe aus und wollte ich noch den Pullover ausziehen, letzteres wollte die Mutter aber nicht zulassen. Auch andere Kinder taten es dem Mädchen nach. Als ich ca. 30 Minuten später wieder in der Nähe war, sah ich, wie zwei Kinder und die Mutter zwar recht dick verhüllt, aber barfuß von Spielplatz zum Auto gingen. Hatte ich sie etwa "angesteckt"?
Gegen 18 Uhr zogen Wolken über den Himmel. Ich zog wieder das T-Shirt über und radelte am Ufer entlang, vorbei an Campingplätzen, erst nach Cortaillod, dann nach Boudry, der Endstation der Littorail. In diese Stadt konnte ich nicht, es war gerade das Fest "Boudrysia", was Eintritt kostete. Viele Leute waren mit Autos unterwegs und wollten zum Fest, die Parkplätze platzten aus den Nähten. Aber auch die Littorail war überfüllt, obwohl Dreiwagenzüge statt Zweiwagenzüge eingesetzt wurden. Ist ja auch bequemer: Wer in Neuenburg wohnt, der reist doch besser mit dem Tram nach Boudry direkt zum Fest als mit dem Auto. Also mußte ich die Stadt umrunden durch Weingegenden. Auf meiner Rückfahrt nach Neuenburg erntete ich ein paar lästernde Bemerkungen von offensichtlich angetrunkenen Autofahrern, die vom Fest kamen.
In Neuenburg selbst verkettete ich mein Fahrrad sorgfältig an einem Geländer direkt an der Endstation der Littorail am Place Pury. Ich wollte einmal die Strecke durch die Stadt wandern, die ich eigentlich immer zurücklege, wenn ich übers Wochenende im Expoland bin, nur dieses Mal erstmalig barfuß. Mittlerweile war die Dämmerung hereingebrochen. Angenehm waren die Plattenwege direkt in der Innenstadt. Am Kiosk am Place Pury sahen mich einige Jugendliche dämlich an, wobei ich annehme, daß dieses nicht allein wegen der fehlenden Schuhe, sondern überhaupt wegen meiner Kleidung mit niedrigem Bedeckungsgrad war. Dann aber ging es eine Straße mit Kopfsteinpflaster hinauf, vorbei am Gefängnisturm und dann in eine Anlage. Etwas mehr strapaziert wurden meine Füße, als ich die steinigen Wege der alten Befestigungsanlage durchschritt. Auch der feine Splitt davor war nicht so angenehm. Angenehmer waren dagegen die Steinwege zwischen dem Schloß und der schönen. Kathedrale (La Collegiale). In diesem Teil der Altstadt war ich alleine. Dann schritt ich eine Treppe hinunter in die Einkaufszone. Etwas "befremdend" war für mich, daß ich beim Abstieg keine klappende, sondern planschende Geräusche verursachte. Meinen ursprünglichen Plan, tatsächlich durch das "Bächle" der Innenstadt zu planschen, mußte ich fallen lassen, mangels Wasser. Nachdem ich so ziemlich alle Straßen der Altstadt durchschritten hatte, wanderte ich noch bis zum früheren Expo-Gelände, auf dem der Rückbau schon recht fortgeschritten ist und dann zum Velo. Einige dick vermummte Fahrgäste im wartenden Tram beobachteten, wie ich das Velo loskettete und dann abfuhr, zurück nach Auvernier. Mein Barfußspaziergang durch die schöne "preußische Großstadt" hat mit gefallen. Da ich sicher nicht das letzte Mal da war, werde ich es wieder machen, etwa im Sommer, wenn mehr Leute auf den Straßen (und nicht in den Gebäuden) sind.
Am Badeplatz bereitete ich meinen Schlafsack zur Nachtruhe aus, ging aber noch über den menschenleeren Strand, bevor ich mich endgültig niederlegte. Überall blitzte es, obwohl der Wetterbericht etwas derartiges nicht angekündigt hatte. Es war nicht nur das Feuerwerk vom Fest in Boudry, sondern auch richtiges Gewitter. Dann setzte ein Sturm ein (tagsüber hatte schon eine recht starke Bise, so wird der Ostwind genannt, geweht). Ich spannte noch die Plastikfolie über den Schlafsack, dann setzte der Regen ein. Beinahe wäre die Folie weggeweht. Nach einer halben Stunde war es wieder trocken. Bis spät in die Nacht fuhren noch Straßenbahnen vorbei, länger als sonst üblich. Was nützt es, wenn man mit dem Tram zum Fest fährt, dann aber nicht mehr nach Hause kommt? Ansonsten hatte ich einen ruhigen Schlaf.
Am Sonntag gegen 6.30 Uhr weckte mich die erste Littorail, aber erst bei Sonnenaufgang verließ ich den Schlafsack. Das Gras war naß und recht kalt. Beim Losfahren merkte ich, daß es einfacher ist, barfuß Velo zu fahren, wenn man vorher in einer Wohnung war als wenn man bei ca. 8°C über nasses Gras geschritten ist! Bevor ich die "Preußenmetropole" verließ, radelte ich noch durch die fast menschenleere Stadt. Die Kioskfrau am Place Pury und eine Kundin sagten nur: "Non!" Als ich langsam durch die Unterführung fuhr und wartete, bis die automatische Tür sich öffnete, kam mir lächelnd eine junge Mutter mit Kinderwagen entgegen. Sie trug hautenge Hosen, einen Mantel und hochhackige Sandalen, in denen ihre nackten blaugefroren Füße steckten. Dann öffnete sie ihren Mantel, ein nabelfreies Top wurde sichtbar, dann schloß sie den Mantel wieder. Auf dem Weg nach Biel, meistens über spezielle Velowege, kamen mir einige Radfahrer entgegen, alle ohne Ausnahme mit Schuhen, was eigentlich kaum überrascht. Der starke Gegenwind machte mir stellenweise Schwierigkeiten. Den Europaquai in Biel erreichte ich gegen 11 Uhr. Hier war früher die Expo, einige Eisenpfähle im Wasser und zwei Kräne, die dort standen, wo früher die "Klangtürme" waren, erinnern noch heute daran. Als erstes ölte ich das Velo. In der Sonne war es angenehm warm, man mußte nur einen windgeschützten Platz finden. Ich fand ihn, so daß ich in Badekleidung die letzten(?) Reste des Sommers genießen konnte. Es dauerte aber noch Stunden, bis ich mich ins Wasser wagte, ich war der einzige. Windsurfer trugen Froschanzüge. Spaziergänger waren auch meist "winterlich" gekleidet, wenn man von etlichen Velofahrern und auch einigen Wanderern absieht. Erst mach 15 Uhr ließ der Wind etwas nach, es kamen mehr Leute. Einige ließen sich auf dem mittlerweile trocknem Gras nieder und zogen Schuhe und meistens auch Strümpfe aus. Völlig barfuß ist jedoch keiner angekommen, auch Flipflops suchte man vergeblich, was mich doch überrascht. Wer keine Strümpfe anhatte, der trug Turnschuhe oder richtige Sandalen, und fast nur in Kombination mit langen Hosen. Irgendwie schienen mehr Männer mit unbedeckten Beinen unterwegs zu sein, und die trugen häufiger Socken. Es stimmt zwar, daß Frauen häufiger Kleidung mit niedrigem Bedeckungsgrad tragen als Männer, aber das trifft nur für "offizielle" Anlässe zu, weil die Gesellschaft halt so ist. Wenn es aber nur klimatische Gründe eine Rolle spielen, so zeigt sich doch, daß Männer mehr abkönnen.
An diesem Ort befindet sich auch ein Kinderspielplatz, aber was für einer! Im Gegensatz zu dem in Auvernier wurde dieser offenbar von einem Menschen konstruiert, der entweder keine Kinder hat oder ein totaler Barfußgegner ist! Unter den Schaukeln befindet sich zwar die obligatorische Gummimatte, aber zwischen den einzelnen Spielgeräten befindet sich frisch gebrochenes Juragestein, was man offensichtlich nur eben über die Straße dorthin verfrachtet hat! Ein derartiger Untergrund für einen Kinderspielplatz ist unverantwortlich! Die Kinder werden genötigt, beim Spielen Schuhe zu tragen! Leider hat man nicht die Möglichkeit, gegen den Konstrukteur wegen "Vergewaltigung" oder "Kindesmißhandlung" vorzugehen.
Gegen 16.30 Uhr radelte ich heimwärts. Zunächst mußte ich durch Biel selbst, wo mal wieder Stau herrschte, ich kam aber gut an den Autos vorbei. Etliche Fußgänger sahen mich an, vermutlich, weil ich das T-Shirt noch nicht übergezogen hatte, weniger wegen meiner Barfüßigkeit. Bevor ich die Solothurner Altstadt durchfuhr, unternahm ich erst einmal die "Wäsche" am Brunnen, für mich bei warmem Wetter ein Obligatorium. Diesmal bekamen etliche Leute die "Waschprozedur" mit! Etwas naß, dafür sauberer durchquerte ich die Altstadt, wobei sich einige wunderten, wo es geregnet haben könnte! Hinter Wagen an der Aare, wurde es auch mir zu kalt, so daß ich das T-Shirt wieder überziehen mußte. Gegen 20 Uhr erreichte ich Zofingen, ein total barfüßiges Wochenende ging zu Ende.

Mit leichtem Muskelkater, aber ohne Erkältung grüßt

Michael aus Zofingen


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