Ambivalentes Österreich / Reisebericht II (Hobby? Barfuß! 2)

Lotsi, Saturday, 06.09.2003, 02:26 (vor 7695 Tagen)

Hi Ihr!

Ich habe mich ehrlich ganz riesig über all die netten Kommentare zu meinem Reisebericht gefreut! Vielen Dank Euch allen!!
Es ist wunderbar zu wissen, dass Ihr die - mitunter euphorisch-verworrenen - Schilderungen meiner Gefühle nachvollziehen, ja, teilen könnt, dass ich mit meiner Freude nicht allein bin!
Insbesondere die Bemerkung von Dir, Tic, ganz ohne Schuhe loszuziehen mache den Unterschied und sei einfach "mehr barfuss" ist prägnant und völlig treffend! Um dasselbe auszudrücken, brauche ich mindestens vier überschwängliche Sätze. Ich betone das großartige Gefühl absoluter Schuhlosigkeit ja wieder und wieder und begrüße daher jeden, der das ebenso verficht wie ich.
Ganz treffend ist auch Deine Formulierung, Harald, von den "verschwörerischen schuhlosen Blicken" zwischen Barfüßern. Genau das habe ich gerade während meiner Reise vehement erfahren! Man kommt schneller ins Gespräch, man gehört irgendwie zusammen, auch, wenn man sich nur wissend zunickt. In diesem stets freundlichen Nicken steckt die ganze Barfuß-Philosophie, ein gegenseitiges Erkennen: Ja, da lebt und fühlt jemand wie ich.
In Prag etwa waren es zwei barfüßige Amerikaner (aus Arkansas), mit denen ich sofort ins Gespräch kam und dabei meinte, beide schon seit Jahren zu kennen. Sie entsprachen so gar keinem Klischee über US-Amerikaner, waren kritisch ihrer Regierung gegenüber und der Welt freundlich aufgeschlossen. Nun bin ich ja nicht klischeefixiert und weiß auch, dass es sehr viele weltoffene, unarrogante Amerikaner gibt, auch wenn sie nicht barfuß durch Prag laufen. Doch diese gemeinsame Wellenlänge war eben sofort an unseren Füßen zu erkennen.

Ähnliches passierte mir auch in Budapest, wo ich ein nicht ganz klischeekonformes Hippie-Pärchen traf. Beide Mitte 30, aus Dänemark. Beide aber gerade nicht so weltfremd-verschroben wie sich viele - meist schon angejahrte - Hippies geben (naiv jeder Art von Natürlichkeit zugetan, prinzipiell gegen alles, was irgendwie mit übergeordneter Ordnung zu tun hat), sondern einfach freundlich, wunderbare Gesprächspartner, cool drauf - und der gemeinsamen Freude am Barfußlaufen ergeben. (Ich mag ja auch ausgesehen haben wie so ein Hippie, tue das sogar gerne, aber ich bin z.B. nicht unpolitisch und empfinde mich auch nicht als naiv. Ich liebe einfach nur lange bunte Röcke, Tücher in den Haaren und Batik-Zeug - ganz unideologisch!).
Unsere "verschwörerischen schuhlosen Blicke" trafen sich eines Morgens auf dieser Elisabeth-Brücke und mündeten in einem Lächeln. Kurz darauf erkundeten wir gemeinsam die Stadt.
Natürlich habe ich ebenso ganz viele ganz nette Schuhträger kennengelernt, und ich weiß, dass wir nicht nur wegen meiner Barfüße ins Gespräch gekommen sind (obwohl das freilich ein klassischer Aufhänger ist). Schließlich will ich nicht nur auf meine Füße reduziert werden! Viele Schuhträger sind immer so niedlich neidisch und geben das auch ganz offen zu! Süß! Etwa der nette Herr in Linz (Anwalt von Beruf), der mir mitten auf der Straße vorgeschwärmt hat, wie schön es wäre, jetzt die Schuhe ausziehen zu können. "Was gäb ich drum, heast?" Klasse!
Noch ein paar Worte zu Österreich: Das Land ist in puncto Barfußlaufen echt ambivalent. In Wien, wie gesagt, eher null (subjektiver Eindruck), in kleineren Städten aber um so ausgeprägter, fast normal! In einem Vorort von Graz sah ich zwei Männer, Mitte 30, bis auf die nackten Füße normal gekleidet, durch die Straßen schlendern. Sie klingelten an einer Tür und traten ein: barfüßiger Besuch, ganz entspannt, als wäre es das Normalste von der Welt. Es ist ja auch (fast) das Normalste!
Das ist nur eines von vielen Beispielen. In Graz selbst sind mir gleich zwei Frauen begegnet, die recht fesch angezogen waren (Sommerkleider) und barfuß durch die Stadt radelten. Das sieht man bei uns auch selten: Recht fein gekleidete Frauen ohne Schuhe. Nicht zu reden von all den Kindern, die in kleinen Orten barfuß draußen spielten. Ganze Gruppen habe ich gesehen, Buben und Mädchen, alle barfuß. Vermutlich den ganzen Sommer.
Österreich ist echt ein entspanntes Land und sehr barfußorientiert. Was einfach zusammenpasst! Nur in Wien ist es irgendwie anders. Vielleicht gilt da ein Barfüßer gleich als "Grattler" oder "Sandler" (=Penner). Ich weiß nicht.
Zu Deiner Frage, Lothar. Die Hitze hat meine Reise schon mitunter erschwert. Musste viel Schattenlaufen. Habe aber auch viel im Schatten gesessen, da ich nicht mit dem Baedecker in der Hand von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit gerannt bin. Es gibt z.B. außerhalb der Wiener Hofburg viele lauschige Plätze, ebenso etwas abseits des Prager Hradschin, wo man dem Trubel entkommen kann. Am meisten bewegt habe ich mich abends, wenn der Asphalt angenehm warm war. Das war er bis spät in die Nacht - so bin ich doch noch viel rumgekommen.

So, jetzt langt es aber wieder. Einige erzählenswerte spezielle Erfahrungen werde ich demnächst berichten, wenn es Euch nicht langweilt.

Genießt die milden Tage!
Liebe Grüße
Lotsi


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion