Beförderungspflicht nur mit gültigem Fahrausweis, sonst "nichts" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Tuesday, 02.09.2003, 07:18 (vor 7699 Tagen) @ Christine

Ich möchte zu folgendem Zitat der "Dame" Stellung nehmen:

"Ich habe auch das Bahnpersonal auf das Problem aufmerksam gemacht, aber die sagten nur, die Bahn habe Beförderungspflicht gegenüber zahlenden Fahrgästen, und jeder könne sich so anziehen wie er möge, solange er nicht gegen Gesetze (etwa durch Entblößung der Schamteile) verstoße. Kann man da also gar nichts machen und muß diesen täglichen Anblick weiter ertragen?"

Gesetze gibt es viele, längst nicht jeder kennt sie auswendig, und längst nicht jeder hat sie auf der Stelle griffbereit, auch nicht das Bahnpersonal. Somit ist jeglicher Interpretation freien Lauf gelassen (vgl. ADAC-Diskussion bzl. barfuß am Steuer), und am Ende sind die Gerichte am Zug. Ist etwa der Begriff "Schamteile" genau definiert? Für manch einen gelten nackte Füße, unbedeckte Knie und Schultern, aber auch Wunden jeglicher Art dazu. Wenn man den Ausdruck "Entblößung der Schamteile" allzu wörtlich nimmt, dann wäre nur die Entblößung im Zug gesetzeswidrig, nicht aber, wenn man bereits so ankommt, etwa von einem (vermutlich nicht real existierenden) "FKK-Strand mit Gleisanschluß". (Die Sylter Inselbahn mit ihren liebenswürdigen Borgward-Sattelschleppern verkehrt ja schon lange nicht mehr, sie war bahngesetzmäßig auch keine "richtige" Eisenbahn, sondern "nur" eine Straßenbahn).

Ein eigenes Bahn-Erlebnis möchte ich an dieser Stelle nicht auslassen:
An einem verlängerten Wochenende im Tessin Anfang Juli wurde es nun Zeit, an die Rückreise zu denken. Mit schwerem Rucksack hatte ich etliche Kilometer erwandert, am letzten Tag hielt ich mich aber nur im Strandbad von Ascona auf. 3 Paar Schuhe hatte ich dabei für verschiedene Zwecke, alle aber schmerzten in irgendeiner Form. Die Turnschuhe, die ich ohne Socken in den Bergen getragen hatte, hatten Blasen an den Zehenspitzen verursacht. Die Fersenriemen der Trecking-Sandalen hatten die Haut hinten wundgescheuert. Und selbst die Flipflops waren wegen eines Insektenstiches ausgerechnet in die "Schwimmhaut" nur bedingt brauchbar, d.h. beim langsamen Gehen. Also entschloß ich mich, vom Strandbad ohne Schuhe zum Bahnhof von Locarno zu gehen. Es war hochsommerlich warm südlich der Alpen, somit fiel es auch nicht sonderlich auf, daß ich barfuß durch Quartierstraßen, über die Seepromenade und durch die Fußgängerzone von Ascona schritt, ich hatte es früher nie getan. Beim Überqueren der Maggia-Brücke entschloß ich mich, nicht den kürzeren Weg durch die Altstadt von Locarno über die "Piazza Grande" mit ihrem nicht sonderlich barfußfreundlichen, jedoch auch nicht schuhfreundlichen Pflaster zum Bahnhof zu gehen, sondern den Sandweg am Fluß entlang und weiter am Seeufer. Erst hier bemerkte ich, daß ich 47 Jahre lang meine Füße mit Schuhen "verwöhnt" hatte. Das letzte Stück Weg war asphaltiert, jedoch lagen etliche Steine darauf. Das kam daher, daß etliche Autofahrer die "dumme" Angewohnheit haben, beim Anfahren nach dem Parken teils auf dem Weg, teils auf dem steinigen Bankett zu viel Gas zu geben und somit Steinchen auf den Asphalt schleudern. Der Bahnhof von Locarno liegt direkt am Seeufer, also wusch ich mir die Füße noch am See (wobei es sich mehr um eine Erfrischung handelte, eine richtige Waschung wäre dank der sauberen Straßen gar nicht nötig gewesen), zog die Flipflops über und ging zum Zug. In Bellinzona wechselt ich in einen Zug, der mich via Gotthardtunnel direkt nach Zofingen beförderte. Da ich mich beim Zugwechsel beeilen mußte, war es wegen der Schuhe doch recht schmerzhaft. Also zog ich im Zug die Schuhe aus, stellt sie aber auffällig neben mich, falls irgendein Schaffner meckern sollte. Ich war aber nicht der einzige, der sich seiner Schuhe entledigte. Etliche Wanderer schienen froh zu sein, endlich einmal ihre schweren Wanderschuhe ausziehen zu können, die meisten behielten jedoch die Socken an (außer diejenigen, die später auf leichteres Schuhwerk überwechselten). Während der Zug den Gotthardtunnel passiert, scheint für viele auch die Rückkehr aus der Sonnenstube Tessin in den kühlen Norden der Schweiz zu bedeuteten, es wird auf "Winterkleidung" gewechselt. Schuhe werden wieder angezogen, Wollpullover und Jacken werden hervorgeholt usw. Eine ca. 30-jährige Frau, die nicht weit von mir entfernt saß, verschwand in ihrem Sommerkleid und stellte ihre Sandalen auf den Sitz, um so zu verhindern, daß jemand ihr den Sitzplatz wegnahm. Später kam sie wieder in langen Hosen und dickem Wollpullover, jedoch ohne Strümpfe (Ihre Schuhe und eine dicke Jacke zog sie erst wieder an, als sie in Arth-Goldau den Zug verließ). Auch ich verspürte nach Verlassen des Tunnels wärmere Kleidung, aber hatte ich überhaupt welche dabei? Bei der Gelegenheit stellte ich fest, daß ich ganz vergessen hatte, während der Bahnfahrt das T-Shirt anzuziehen, was ich somit nachholte. Weder den anderen Fahrgästen, noch dem Bahnpersonal war das wohl aufgefallen. So geht das halt zu in den Schweizer Bahnen! Hauptsache, man hat einen gültigen Fahrausweis.

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen


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