Heiratswillig? Hier die richtige Adresse (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Stammposter, Sunday, 31.08.2003, 12:20 (vor 7700 Tagen)

Ja-Wort im Wattenmeer
Pellworm: Wer beim Heiraten keine Angst vor nassen Füßen hat, ist hier richtig. [...]
Westertilli - Noch 140 Stufen bis zum Ja-Wort. Hans-Joachim und Christa, seine Zukünftige, kraxeln den Leuchtturm von Pellworm hinauf - vorsichtig, denn die eiserne Wendeltreppe ist eng. Jeder Schritt in die Ehe will jetzt genau überlegt sein. Voran schreiten der Standesbeamte und Wilfried Eberhardt, ein pensionierter Kapitän. Manchmal müssen die beiden fünfmal am Tag rauf und runter, denn die Trauung im Leuchtturm ist beliebt. "Fast 700 Pärchen sind hier schon in den Hafen der Ehe gefahren", bemüht der Kapitän das passende Bild.
In gut dreißig Metern Höhe befindet sich das Trauungszimmer. "Standesamt Pellworm" steht geschnitzt auf dem Stück Treibholz, das vor der Hallig Hooge angeschwemmt wurde. Nun hängt es hier im Leuchtturm in offizieller Funktion an der Wand [...]
Zur Zeremonie gehört natürlich auch die richtige Beflaggung. Auf dem Tisch stehen die Europa-, Deutschland- und Schleswig-Holstein-Fahne. Hinzu kommt die Flagge des Brautpaares [...] "Wir haben hier schon Mexikaner, Neuseeländer und Jordanier getraut" [...]
Der Standesbeamte beginnt den offiziellen Teil, dann kommt der Einsatz von Kapitän Eberhardt: "So wie dieser Leuchtturm Wind und Wetter überstand, so möge es auch Ihre Ehe", findet er den passenden seemännischen Vergleich. Kurz darauf zelebriert er das "Glasen", einen alter Seefahrerbrauch aus dem 17. Jahrhundert. Damals wurde die Zeit an Bord noch mit einem Sandglas gemessen. Nun schlägt Hans-Joachim und Christa die Stunde, denn am Ende der Zeremonie steht die Mutprobe: Die Frischvermählten müssen noch ein paar Treppen höher hinauf, dann treten sie durch eine eiserne Tür nach draußen. Und dort sind manchem die Knie weicher geworden als beim Ja-Wort.
Auf dem äußeren Ring muss das Brautpaar einmal um den Leuchtturm gehen - in knapp vierzig Meter Höhe. Es weht und pfeift, wackelig halten sich beide am Geländer fest. Kapitän Eberhardt gibt einen guten Rat: "Nicht durchs Lochblech nach unten schauen!"
Wer mit etwas mehr Bodenhaftung heiraten will, hat auf Pellworm zwölf weitere ausgefallene Möglichkeiten. [...]
Auch die Nordermühle am Deich ist Zeremonien-erprobt. Unter schwerem Eichengebälk haben bis zu 35 Hochzeitsgäste Platz. Vom Trauungszimmer im Obergeschoss hat die Feiergemeinde einen herrlichen Blick aufs Wattenmeer - und vielleicht auf eine andere Hochzeitsgesellschaft. Ganz Hartgesottene wandern nämlich barfuß durchs Watt hinüber zur Hallig Süderoog. Dort steht nur ein einziges Haus, natürlich auch mit Trauungszimmer.
Der Mann, der die Pärchen zur Heiratshallig hinüberführt, heißt Knud Knudsen. Ein Name, den man nicht besser erfinden könnte. Eigentlich ist er Deichbauer, aber nebenberuflich hat Knud noch einen zweiten Job: Honorarbriefträger. Zweimal die Woche bringt er die Post hinüber zur Hallig Süderoog. Mit dem Kompass in der Hand streift er bei Nacht und Nebel durch die endlose Weite des Wattenmeers. "Bis Windstärke zehn gehe ich raus", erzählt er. Dann aber ohne ein heiratswilliges Hochzeitspärchen im Schlepptau. Die führt er sonst in knapp zwei Stunden zum "Standesamt Süderoog". Traditionell mit einem Brautbitterstock in der Hand, mit dem er am Hallighaus um Einlass bittet.
Um nicht mit Schlick und Schlamm an den Füßen getraut zu werden, kann sich das Brautpaar vor Ort umziehen. "Manche gehen mit mir in derselben Ebbezeit auch wieder zurück nach Pellworm", freut sich Knud [...]
[Hamburger Abendblatt, 30. 08. 2003]

RSS-Feed dieser Diskussion