Barfüßige Begegnung in nordischer Einsamkeit (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A, Sunday, 10.08.2003, 17:59 (vor 7721 Tagen)

Hallo zusammen!
Wie ich in anderen Beiträgen schon andeutete, war ich in den letzten beiden Wochen mal wieder auf einer längeren Wandertour in der Einsamkeit der skandinavischen Wälder. Mein Zielgebiet war dieses mal in Mittelnorwegen/-Schweden. Ich startete meine Wandertour in der norwegischen Kleinstadt Röros, ca. 50km von der schwedischen Grenze, südöstlich von Trondheim und wanderte durch den Femundmarka-Nasjonalpark nach Schweden durch das Rogens-Naturreservat zur Fjällstation Grövelsjön. Gesamtwanderstrecke: 120 km.
Doch das Abenteuer begann bereits zu Hause mit der Deutschen Bahn. Die erste Etappe von Karlsruhe nach Mainz verlief reibungslos, die paar Minuten Verspätung in Karlsruhe waren bis Mainz lässig wieder aufgeholt. Aber dann!
Der Nachtzug über Köln-Dortmund Bremen nach Hamburg hatte in Mainz bereits 20 Minuten Verspätung. Kein Problem, dachte ich! Ich habe in Hamburg ja 45 Minuten Zeit zum Anschluss nach Kobenhagen.
Aber der Reihe nach, der Zug war hoffnungslos überfüllt, die Leute lagen teilweise übereinander gestapelt in den Gängen - das ist nicht übertrieben! Nachdem ich eine Frau von meinem reservierten Sitzplatz "vertrieben" hatte, konnte ich mich wenigstens etwas zurücklehnen, wenn auch nicht schlafen. Bis Koblenz blieben die 20 Minuten unverändert, doch irgendwo auf einem winzigen Bahnhof zwischen Koblenz und Bonn blieb der Zug dann erst mal stehen. Nach ca. 30 Minuten kam dann die Ansage, dass das Stellwerk an der Strecke ausgefallen sei, dass es aber in Kürze weitergehen würde. Das ging es dann auch. Verspätung in Bonn genau eine Stunde - meine Zeitreserve für Hamburg war längst verbraucht. Doch Hoffnung keimte auf, bei den nächtlichen Stopps machte der Zug in der Folge pro Bahnhof 1-2 Minuten gut, Verspätung in Osnabrück noch 50 Minuten - "vielleicht wartet der Zug in Hamburg?" "Das sehen wir noch", antwortete der Zugführer nur gelangweilt.
Die weitere Fahrt über Bremen nach Hamburg war dann eher ein "Humpeln mit Verschnaufpausen". Verspätung in Hamburg: 95 Minuten! Der Anschlusszug nach Kobenhagen war mittlerweile schon fast auf der Fähre von Puttgarten nach Rødby.
"Sie kommen heute nur noch bis Göteborg. Sie können entweder hier in Hamburg oder in Göteborg übernachten", war die Auskunft der durchaus freundlichen Schaltermitarbeiterin in Hamburg. (Es war morgens um 9:00 Uhr!) "Jo ---- und ---- wenn ich über Stockholm nach Trondheim fahre, dann müsste ich doch auch morgen früh wie geplant dort sein?" Emsiges tippen.... "alle Züge für heute nach Stockholm sind ausgebucht!" "Gut, kann man nichts machen, können Sie mir ein Hotel in Göteborg empfehlen?" "Nein, ich war noch nie dort. Aber fragen Sie mal draußen am Servicepoint, die regeln das mit den Übernachtungen"
Am Servicepoint: "Also, ich kann ihnen nun einen Gutschein für das Hotel Reichshof gleich gegenüber vom Bahnhof geben." "Und wenn ich in Göteborg übernachte?" "Dann müssen Sie das Geld auslegen und später zurückfordern" "Gut, dann bleibe ich natürlich hier" Der Servicemitarbeiter stellte mir einen Hotelgutschein aus, ich bekam neue Reservierungen für den nächsten Tag, gleiche Züge wie heute. Meine Fahrkarte war auf der Rückseite inzwischen mit Bescheinigungen und Stempeln überfüllt!
So bekam ich praktisch einen vollen Tag, um mir auf Bahnkosten Hamburg anzuschauen - auch nicht schlecht!
Am nächsten Tag ging das Abenteuer Bahn dann weiter. Bis Kobenhagen alles problemlos. Ab Kobenhagen hatte ich wie viele andere eine Reservierung für Wagen 40 nach Göteborg. "This waggon goes to Malmö, you have to change in an other waggon behind” klärte uns der schwedische Zugbegleiter auf. "But I have a reservation for this waggon to Göteborg!" "This waggon goes to Malmö...” Also gut, wir schnappten alle unseren ganzen Plunder und wechselten in einen der Wagen nach Göteborg. Bis Göteborg verlief dann alles reibungslos, ich hatte genügend Zeit zum Umsteigen.
Der Zug nach Oslo fuhr dann schon mal mit 15 Minuten Verspätung in Göteborg ab (er wurde hier eingesetzt!), fuhr einige 100 Meter aus dem Bahnhof hinaus und stand dann erst noch mal aus unerfindlichen Gründen eine halbe Stunde. Na ja, die fast 2 Stunden, die ich in Oslo Zeit habe, werden ja wohl reichen, dachte ich mir!
Doch dann begann das, was man sich gerne unter entspanntem Bahnfahren vorstellt. Zügiges dahingleiten, zurücklehnen, die vorbeiziehende Landschaft genießen, kleine Ortschaften, weite Wälder und Seen. Und man glaubt es kaum - bis Oslo hatte der Zug die ganze Verspätung aufgeholt, lief auf die Minute pünktlich in den Bahnhof ein. Sind die skandinavischen Fahrpläne womöglich besser durchdacht, als die unsrigen??
Oslo ist eine der am schönsten gelegenen Hauptstädte der Welt, vielleicht die am schönsten gelegne überhaupt! Der Oslofjord mit seinen Inseln und seinen bewaldeten sanften Hügeln, die ihn einrahmen, ist malerisch schön. Man kann mit dem Schiff, dem Flugzeug, der Bahn oder dem Auto anreisen und man wird immer den gleichen einmaligen Anblick genießen können. Unvergleichlich ist die Aussicht vom berühmten Holmenkollen.
Der Nachtzug nach Trondheim stand in Oslo schon am Gleis, man hatte also jede Menge Zeit, sich gemütlich im Schlafwagenabteil einzurichten. Nicht so wie bei uns, wo man noch in der Tür klemmt, wenn der Zug schon abfährt, weil er Verspätung aufholen muss, die eine Hand im Zug am Haltegriff, die andere mit dem Koffer flattert noch irgendwo draußen im Fahrtwind...
Nun weiß ja jeder: "Ingenting er billig i norge!" (Nichts ist billig in Norwegen) Doch! Bahnfahren! Zumindest im Schlafwagen. Ein Platz im 3-Bett-Schlafwagen-Kupe kostet zum Beispiel knapp die Hälfte, als in einem 6-Bett-Liegeabteil bei uns! "Liegewagen" gibt es gar nicht.
Wenn man bei uns aus einem Bahnhof kommt, steckt man meistens mitten im Verkehrschaos. Hupen, Lärmen, schlechte Luft, Dreck: RICHTIG UNEINLADENT!
(Um die Ehre deutscher Bahnhöfe zu retten: Der von Kobenhagen ist so ziemlich der schmutzigste, den ich bisher gesehen habe, Stockholm ist ein einziges Menschengewimmel)
Trondheim ist eine mittlere Stadt mit ca. 250 000 Einwohnern. Wenn man dort ankommt, hat man vom Bahnsteig direkt einen Blick über den weiten Fjord. Verlässt man den Bahnhof auf der anderen Seite, am Haupteingang, steht man in einer schmucken kleinen Fußgängerzone,
auf der anderen Seite der Fußgängerzone befindet sich ein Kanal, auf dem einige Segelboote verankert sind und der ein oder andere Kahn dahintuckert. Gegenüber stehen einige stilvolle farbige Lagerhäuser, einige Möwen kreischen, die Sonne scheint, eine gemütliche Parkbank unter einem Baum am Ufer der Kanals - RICHTIG EINLADENT!
So konnte ich die 1,5 Stunden Wartezeit müßig verbringen, bevor der Regionalzug auf die 3-stündige Fahrt nach Röros abfuhr, durch eine traumhaft schöne Landschaft.
Röros wurde als Kupferbergwerk gegründet, die ganze Altstadt ist heute ein Museum. Und Ende Juli tummeln sich dort die Touristenmassen. Ich hängte meine Sandalen an den Rucksack, der wohl so knapp 30 kg wog. Barfuß ging es aus dem Ort hinaus, ein halbes Stündchen nur, dann war ich völlig allein in der weiten Natur.
Die ersten Kilometer gingen ständig bergauf, eine schweißtreibende Sache. Das schöne Wetter lockte natürlich auch einige andere Wanderer hinaus, aber das sind dann doch nur einige wenige in der weiten Fjell-Landschaft.
Ganz alleine fühlte sich wohl auch ein norwegisches Paar, das gerade den Pfad herauf kam, als ich zu einer Pause auf einem Felsblock hockte. Die Frau wanderte oben ohne, zog sich aber erschreckt ihr Oberteil wieder an, als sie bemerkte, dass sie doch nicht ganz alleine waren. Ein kurzer Schwatz über das schöne Wetter, dann gingen sie weiter und auch ich machte mich wieder auf.
Die Wanderung ging im steten Wechsel über baumlose Hochebenen und durch dicht bewaldete Täler, auf Wegen, die zum Barfußwandern geradezu einladen. Oben, oberhalb der Baumgrenze war es ganz angenehm, ein frischer Wind verschaffte Kühlung und blies die Stechmücken weg, aber unten in den Tälern mit ihren dschungelartigen Wäldern mit Sümpfen und Farnen und Blattkräutern, das stand die Luft und die Mücken tanzten in Massen. So gab auch ich das Wandern mit freiem Oberkörper schnell wieder auf.
Mein Zelt stellte ich am Abend auf einem luftigen Hügel auf, wegen des Wassers war ich aber auf die Waldnähe im Tal angewiesen und die dort beheimateten Mückenschwärme hatten mich bald gefunden, als ich da so wie Gott mich geschaffen hat vor meinem Zelt zum Abendessen saß.
Der nächste Tag, wieder ein sonniger warmer Sommertag, begann mit einem Highlight. Schon nach einer halben Stunde Wanderung kam ich an einen rauschenden Gebirgsbach, der sich als kleiner Wasserfall über einige Felsen in einen Minisee ergießt. Mal die Füße reinhängen...ist ja richtig angenehm warm. Ein kurzer Blick, keine anderen Wanderer zu sehen, also raus aus den Klamotten und rein in die klaren sauberen Fluten. Duschen unterm Wasserfall und gleichzeitig den Durst löschen - leben wie im Paradies!
Die Wanderung ging weiter, vorbei an der Hütte Marenvollen wieder den Berg hinauf. Ein klarer Bach, der durch saftige Wiesen mäandert lud zum Sonnenbad und Plantschen im Wasser ein, eigentlich kann man hier auch gleich Mittagspause machen.
Viel später bei einer weiteren Pause mitten in der weiten Gebirgslandschaft gab es Gegenverkehr. Ich traute meinen Augen kaum, da kam einer auf dem felsigen, steinigen Weg angejoggt, ohne Gepäck. Nur mit einer Badehose und Turnschuhen bekleidet, den Kopf kahl geschoren rannte ein Mann durch die Wildnis.
Nun gut, ich wandere dafür barfuß, jedem seine Eigenart.
Für mich ging es nun erst mal wieder bergauf. Und die von Eiszeitgletschern rund geschliffenen skandinavischen Berge haben es in sich. Da keucht man den Berg hoch, sieht das Ende, gleich hat man es geschafft und dann kommt die Enttäuschung: Es geht noch weiter nach oben! Immer wenn man glaubt, man ist gleich oben, sieht man hinter der nächsten Kuppe, es geht nur noch weiter hoch. Und die Sicht geht weit, in der klaren Luft des Nordens...
Doch irgendwann ist man dann doch ganz oben und dann hat man eine Aussicht!
Vor mir lag ein relativ großer See, mitten in der weiten offenen Landschaft, nur am Ufer stehen einige vereinzelte Bäume und dann diese weißen Sandstrände, wie auf einer Insel in den Tropen. Es war Spätnachmittag, eigentlich kann man es gut sein lassen, das Zelt an einem dieser Strände aufbauen.
Völlig alleine in einer weiten Natur, an einem weißen Strand, mit klarem blauem Wasser, da wünscht man sich nur noch die Liebste her. Aber man kann es auch alleine genießen, vor allem wenn der nächste sumpfige Wald mit seinen Mücken außerhalb der Flugentfernung ist.
Die Nacht brachte ein paar Tropfen Regen, doch am Morgen schien die Sonne schon wieder und der Tag brachte erst mal eine angenehme Bergabstrecke, zum Hof Fjölburösten, dann weiter auf einem naturbelassenen Fahrweg bis nach dem See Feragen ein ebener, weich federnder Trampelpfad mit Tannennadeln nach links Richtung Ljösnavollen abzweigt. Als ich gerade auf dem Weg war, merkte ich dass hinter mir in einiger Entfernung zwei weitere Wanderer kommen, mit nur kleinen Rucksäcken. Sie werden mich bald einholen, dachte ich, doch als ich mich einige Minuten später umdrehte, waren sie nicht mehr zu sehen. Vielleicht sind sie nur zum Baden an den Feragen mit seinen Sandstränden gegangen.
Einige Zeit später höre ich hinter mir wieder Schritte, es sind die beiden Wanderer von vorhin. Es sind zwei junge Frauen. Beim näher kommen höre ich, dass es Deutsche sind und als sie mich überholen sehe ich, dass eine der Frauen ebenfalls barfuß wandert. Natürlich kommen wir ins Gespräch, sie machen nur Tagestouren vom Auto aus und die eine zieht es eben vor, wie ich, wo es angenehm erscheint, barfuß zu wandern. "In jedem Falle besser, als Blasen von den Schuhen", meinte sie.
Leider waren sie mit ihrem Tagesrucksack viel schneller als ich mit meinem Riesending, so zogen sie bald ihres Weges. Schade, ich wäre gerne noch ein Stückchen zusammen gewandert.
Mein Magen meldete auch schon wieder Mittagsessenszeit und so ließ ich mich am Strand des Sees nieder. Dieser Strand ist genau so weiß und feinsandig, wie der vom letzten Nachtlager.
Da es in der Umgebung viel trockenes Holz gab und am Strand gefahrlos ein Feuer gemacht werden konnte, entschloss ich mich, gleich mal ein richtiges Wildnismenue über dem Feuer zu kochen. Einige Kanufahrer taten das gleich, ganz in der Nähe.
Nach einem Mittagsschläfchen in der Sonne ging es weiter. Doch der ebene weiche Weg ging bald über in Felsen und Geröll. Doch diese Felsbrocken sind glattgeschliffen und kein Problem, wenn man sie barfuß überklettert. Es ist halt zeitraubend, man kommt nicht vorwärts.
Später passierte ich den bewirtschafteten Hof Svartvika, ein Hof, der mit Kraftfahrzeugen nicht zu erreichen ist, nur zu Fuß oder mit dem Boot.
Später führte der Weg dann durch eine weite Moor- und Sumpflandschaft, mit einigen leicht felsigen Abschnitten und einigen verstreuten kleineren und größeren Seen. Diese Sommer-Landschaft mit Blüten und Beeren ist nicht zum Wandern mit Schuhen geschaffen, diese sind vollkommen überflüssig, zumindest bei den herrschenden Temperaturen. Hier wandert man barfuß.
Am größten See der Gegend, dem Ljösnadalstjärn schlug ich mein Zelt auf, ein kleines Feuerchen noch am Ufer, zum Tee kochen. Auch die Mücken ließen mich weitgehend in Ruhe.
Am Morgen trübten finstere Wolken den Himmel, doch die dicksten Brummer zogen vorbei und ließen ihre regenschwere Last woanders ab und bald blinzelte auch die Sonne schon wieder heraus. Auch ich zog meines Weges über Ljösnavollen Richtung Muggsjölia in die Femundsmarka. Gegen Mittag verfinsterten sich die Wolken wieder und dann brach der Regen schnell über mich herein. Doch der erste kräftige, von Sturmböen begleitete Schauer ging bald über in einen sanften milden Sommerregen der mit entsprechender Kleidung direkt zum Weitergehen einlud. Eine Wohltat für die Füße auf dem frischen, meist moorigen Untergrund.
Mittagspause in der Hütte von Muggsjölia.
Später, begegneten mir dann weitere Wanderer, die sich auch durch den Regen nicht verdrießen ließen. Erst ein älteres norwegisches Paar. Sie passten irgendwie in die Landschaft.
Natürlich waren sie erstaunt, als ich da barfuß ankam. Als ich ihnen sagte dass das "hyggelig" sei (angenehm, gemütlich, behaglich) lachten sie. Sie glaubten mir das, konnten es aber trotzdem nicht fassen und zogen ihres Weges. Kurze Zeit später begegnete mir dann ein Vater mit seinem etwa 14jährigen Sohn, mit nur wenig Gepäck, der Junge trug überhaupt nichts. Auch ihnen musste ich erst mal erklären, dass barfuß wandern "hyggelig" ist, sie zogen es aber trotzdem vor, beschuht weiterzugehen.
Dann kam ich an den See Nedre Muggsjöen. Von Bäumen eingerahmte Wiesen und weiße Strände, sowie ein sprudelnder Gebirgsbach, der in den See plätschert luden zum Verweilen ein, so schlug ich hier mein Nachtlager auf. Der Regen ließ bald nach, ein kräftiger milder Wind blies das Zelt schnell wieder trocken und die Mücken in ihre Sumpflöcher zurück, es wurde ein "hyggelig" Abend.
Am nächsten Tag war es aber zunächst mal vorbei mit hyggelig. Die Sonne brannte, der Wind war eingeschlafen, dafür die blutgierigen Schwärme hellwach. Der Weg führte durch steiniges und teilweise sumpfiges Gelände hinauf zum Skedbrofjället über die Grenze nach Schweden.
Hier wurde klar, warum die Landschaft von Femundsmarka geschützt wird. Seit die Eiszeitgletscher sich zurückzogen, vor 10 000 Jahren, ist diese Landschaft praktisch unverändert. Die Gletscher hinterließen Sümpfe, Seen und vor allem Steine. Felsbrocken, die in Massen in der Gegend herumliegen, gleichmäßig verteilt über viele Quadratkilometer. Die zertrümmerten Reste alter Berggipfel, welche das Eis über viele Jahrtausende abhobelte.
Nach der schwedischen Grenze wird der Weg vorübergehend etwas gemütlicher, aber dann!
Vom Skedbrofjället konnte ich bei schönem sonnigen Wetter erst mal eine traumhafte Aussicht über den großen Rogensee und die Seenplatte mit unzähligen kleinen bis winzigen Seen nördlich davon genießen und den markanten Doppelgipfel des Bustvålen dazwischen.
Doch dann ging es hinunter, 2km nur Geröll, graue steinerne Massen, die seit Jahrtausenden schon hier herumliegen. Ein Pfad ist hier nicht zu erkennen, alle paar hundert Meter mal eine Steinpyramide oder ein roter Punkt als Wegmarkierung. Bei trübem Wetter sollte man hier besser nicht unterwegs sein.
Ich schaute zurück zum Gipfel und was sehe ich da: schwere schwarze Wolken wälzen sich von Westen heran! An ein Lagern ist in diesem Geröll nicht zu denken, ich schaffe aber nur ein paar 100 Meter pro Stunde. Schneller laufen birgt Gefahren, das sollte man nicht tun. Jeder Schritt muss sitzen, zu schnell rutscht man ab und verletzt sich zwischen den Steinen. Also weiter, die Wolken schieben sich drohend immer näher heran, wie eine gigantische schwere Walze. Bald klatschen die ersten schweren Tropfen auf meinen Regenüberzug, doch die Sicht ist noch gut. Weit kann es nicht mehr sein bis zum Weg, der vom norwegischen Svukuriset nach Skedbrostugan führt, wo auch ich hin möchte. Dieser Weg ist auch bei schlechter Sicht gut zu erkennen.
Ich erreiche den Weg gerade noch, bevor sich die Elemente über mich ergießen. Ein Schild: Skedbrostugan 800m! (Stugan = Hütte). Also, nichts wie los, die trockene Hütte ist nah.
Bald nachdem ich mich in der Hütte niedergelassen hatte und mit der Wirtin einen Plausch hielt, war der Regenspuk wieder vorbei, die Sonne kam heraus und ließ die Nässe in Nebelschwaden verdampfen. Ich kochte mein Abendessen in der Hütte, dann zog ich noch ca. 1 km weiter, um am Skedbrosjön mein Zelt aufzuschlagen.
Der nächste Tag wurde eine Durst-Etappe. Auf den ganzen 12 km zum Hof Käringsjön gibt es kein Trinkwasser, die Seen und Bäche, die normal da wären, sind alle ausgetrocknet oder durch Trockenheit und Wärme so versumpft, dass man das Wasser besser nicht trinken sollte. Wenigstens gibt es reichlich Blaubeeren. Die erste Weghälfte ist noch recht felsig, dann wird es besser.
Kurze Pause in Käringsjön, dann weiter Richtung Rogenstugan zum Stor-Tannsjön. Hier schlage ich mein Nachtlager auf, ganz in der Nähe lagern auch noch andere Wanderer mit 3 Zelten. Sie sind auch Deutsche.
Die Nachtruhe wird mehrfach gestört durch eine kleine Rentierherde, die sich um die Zelte tummelte. Die domestizierten Tiere zeigen nur wenig Scheu und kommen bis auf wenige Meter an die Zelte heran. Ihre Halsglocken lassen mich und die anderen Wanderer immer wieder aufwachen.
Der Weg führte mich am folgenden Tag hinauf auf den knapp 1000 Meter hohen Gipfel des Tandsjönvålen, wo man eine herrliche Rundum-Aussicht genießen kann, eine recht steinige felsige Etappe. Auch unten im Wald blieb mir das Geröll treu. Ich komme nur langsam voran, zumal mir meine linke Achillessehne immer mehr zu schaffen macht. Am südöstlichen Zufluss zum Rogen schlage ich mein Lager auf und genieße auch mal wieder ein Bad im sanft dahinfließenden Wasser.
Am späten Abend höre ich schauriges Geheule. Es ist ganz in der Nähe. Wölfe!
Es gibt Berichte, wonach sich in den dichten Wäldern von Finskoga, südlich von hier der ein oder andere Wolf aufhalten soll, warum also nicht auch hier. Es ist eine sehr einsame Gegend mit viel Wald als Deckung und weiten Hochebenen für die Hetzjagd. Ideal für Wölfe. Auch der ein oder andere Bär hat in den Wäldern der Umgebung sein Revier.
Das Geheule hält weiter an. Ich müsste das Zelt eigentlich dringend nochmals verlassen, wenn mein Schlafsack trocken bleiben soll, aber... Nach einiger Zeit fasse ich Mut, die Wölfe sind ja doch noch ein Stückchen entfernt, außerdem würden sie beim Anblick eines Menschen flüchten. Ein Angriff wäre sehr unwahrscheinlich.
Ich schaue in die Richtung, aus der das Geheule kommt und sehe einige Männer, vermutlich Jäger, die ihre Zelte aufschlagen. Sie haben eine ganze Hundemeute dabei.
Der nächste Tag brachte zunächst eine über weite Strecken angenehme Wanderung, vorbei an Sorrödtjärnstugan, wo ich kurz rastete und mir sagen ließ, dass es hier keine Wölfe, wohl aber Bären gibt.
Moltebeeren, eine Beerenart, die es nur in Skandinavien gibt, konnte ich heute in Massen pflücken. In Nordnorwegen ist es für Touristen verboten, Moltebeeren zu pflücken, weil sie für den Lebensunterhalt der einheimischen Bevölkerung wichtig sind.
Nach Sorrödtjärn ging es weiter nach Hävlingen und bald hatte mich auch das Geröll wieder.
Es war ein windiger kühler Tag heute, mit vielen Wolken aber nur einigen Regenspritzern am Morgen. Die schmerzende Achillessehne konnte keinen richtigen Genuss aufkommen lassen.
In Hävlingen übernachte ich direkt am See. Es ist noch ein recht ungleiches schwedisches Paar da, eine Frau, etwa zwischen 45 und 50 und ein etwa 20-jähriger junger Mann. Aber ob ein 20-jähriger Mann unbedingt mit seiner Mama eine Fjällwanderung macht? Die Gespräche, die ich nur bruchstückhaft verstand, hörten sich aber nicht unbedingt wie bei einem Paar an, eher wie bei Mutter-Sohn oder Lehrerin-Schüler.
Genau das war die Lösung. Die sportliche Frau veranstaltet Kurse für junge Leute, wie man sich in der Wildnis zurechtfindet, unter extremen Bedingungen. Der junge Mann war einer ihrer Schüler, der wegen einer Verletzung im Lager blieb. Die anderen waren einzeln draußen in der Wildnis unterwegs um sich alleine zurecht zu finden.
Der Kurs beinhaltet auch einen Winterteil. Dann müssen sich die jungen Leute bei Temperaturen bis unter -50°C gegen die weglose Wildnis des Sarek in Lappland durchsetzen. Für Leute, die sich gerne in der Natur aufhalten sind solche Kurse bei den dortigen Witterungsbedingungen lebensnotwendig. Jedes Jahr erfrieren unerfahrene Wintertouristen, die eine Skitour im Sarek mit einer Tour in den Alpen oder gar im Schwarzwald vergleichen.
Ich unterhielt mich lange mit der "Wildnislehrerein". Sie musste sehr lachen über meine Frage, ob man sie "wildmarkslärar" nennen kann. "Ja, warum nicht".
Später kam noch ein junges Paar aus der Schweiz dazu, sehr unerfahren, ziemlich naiv, mit völlig falschen Vorstellungen. Eigentlich hätten sie sich erstmal bei der Wildnislehrerin zum Kurs anmelden sollen, bevor sie sich im Geröll verlaufen.
Der letzte Tag brachte nur noch eine recht langweilige Wanderung über das Langfjäll nach Grövelsjön. Eine steinige Strecke, immer gerade aus, mit vielen anderen Wanderern, über einen der beschriebenen "endlosen" Berge, bei denen man immer wieder feststellen muss, dass es am Ende der Steigung immer nur noch weiter nach oben geht.
Gegen Abend erreichte ich die Fjällstation, die Zimmer waren alle ausgebucht, also zeltete ich in der Nähe und nutzte nur die Dusche in der Sauna des Touristenhotels.
Die Heimfahrt mit der Bahn verlief absolut reibungslos, ohne nennenswerte Verspätungen.

Bernd A


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