Mal ein paar nachdenkliche Worte (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Wednesday, 02.07.2003, 15:46 (vor 7760 Tagen) @ Hippie

Hi Hippie!

Vor einiger Zeit wurde ein barfußfeindlicher Artikel hier zitiert, der an Inkompetenz nicht zu überbieten war.

Ich war derjenige, der den barfußfeindlichen Artikel zitiert hat (Fundstelle: Fernsehzeitschrift "auf einen Blick", Nr. 25/2003, S. 76), weil er, wie Du richtig schreibst, an Inkompetenz nicht zu überbieten ist. Ich wollte damit zeigen, daß solche Artikel es sind, durch welche, wie Du ebenfalls sehr gut erkannt hast, die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen das Barfußlaufen hervorgerufen oder zementiert werden: Barfußlaufen als Gefahrenquelle (Fußpilz, Verletzungsgefahren etc. versus "sinnvolle" (weil umsatzfördernde) Alternativen wie Badeschlappen, dünne Sokken, Füßlinge etc.
Erst heute noch fühlte der Mitarbeiter in der Getränkehandlung, wo ich immer mein Mineralwasser hole, sich bemüßigt, mich darauf hinzuweisen, ich möge doch beim nächsten Mal lieber Schuhe anziehen, weil auf dem Boden Glasscherben rumliegen könnten...

Ich schrieb darauf ein recht wütendes Posting, das zugegebenermaßen nicht besonders nett war, und wurde darauf selbst wüst beschimpft, nicht von erklärten Barfußfeinden, sondern von Mitbarfüßern.

Sowas passiert leider immer wieder. Mark Twain bemerkte dazu, daß wir Menschen lieben, die frisch heraus sagen, was sie denken, (freilich nur,) falls sie das Gleiche denken wie wir. Daraus folgt, daß derjenige, der sich selbst seine Gedanken macht, die nicht selten von der herrschenden Meinung abweichen, dafür angegriffen wird - in diesem Forum nicht anders als im richtigen Leben.

Nun, ich hatte meine Gründe, so wütend zu sein über diesen Artikel. Abgesehen davon, dass er zusammengeschmiert war. Solche Artikel tragen nämlich zur Verbreitung von Lügen bei, Lügen, welche dann weitergegeben werden an Kinder, Jugendliche usw., um ihnen das Barfußlaufen, und damit ein natürliches Verhältnis zu sich selbst, zu ihrem Körper, zu verderben. Weil wir ja alle nur "funktionieren" sollen in dieser Maschine, die wir Gesellschaft nennen, und da stören Barfüßer nur, wie auch Punks, Hippies, Bettler etc. Soll ich noch weiter aufzählen? Lass ich.
Solche Artikel sind es auch, welche die Vorurteile gegen das Barfußlaufen zementieren. Wer dann barfuß läuft, ist bestenfalls ein Sonderling, wenn nicht gar "asozial" in den Augen derer, die alles glauben, was die Billigjournaille da von sich gibt. Und damit stehen wir dann wieder unter Erklärungszwang, gegen die Lügen der Spießerpresse anzugehen, dauernd alles zu erklären, wenn man gefragt wird. "Ja, ist das denn nicht ungesund?" Nein, ist es nicht. "Da kann man sich doch wehtun bei." Nicht, wenn man aufpasst. "Sind sie nicht zu alt, hier barfuß rumzulaufen?" Das ist meine Sache. Usw.

Genau diese Gedanken sind es, die mich bewogen hatten, den besagten Artikel abzuschreiben und hier im Forum zur Diskussion zu stellen. Ich wollte aufzeigen, wie die subtile Anti- Barfuß- Propaganda funktioniert, unspektakulär, aber wirkungsvoll, welche so viele Menschen vom Barfußlaufen abhält (weil es ja angeblich gefährlich ist) und uns Barfußläufern immer wieder mal sonderbare Kommentare unserer beschuhten Mitmenschen beschert.

Nur, wo mir das Stirnband hochgeht ist, wenn sich Leute hinsetzen und einen anscheinend sachlichen Beitrag schreiben, der in Wirklichkeit pure Diskriminierung ist, wie dieser Antibarfußartikel. Wenn selbst Fachleute, die es besser wissen sollten, von so einem Unsinn beeinflusst werden, und unsereiner dann als bekloppt betrachtet wird, als asozial usw. Und setzt dieses Forum sich nicht für die AKZEPTANZ des Barfußlaufens ein, auch, damit unsere Kinder und Enkel gesunde Füße haben können und Leid verhindert wird? Das ist es aber, was solche Artikel letztendlich erzeugen: Leid. Soll ich da "hurra!" schreien? Toleranz ist auch manchmal lediglich die gesellschaftlich akzeptierte Form der Gleichgültigkeit.

Für mich bedeutet Toleranz, daß man auf Machtmittel im zwischenmenschlichen Umgange verzichtet, dem anderen seine Lebensart läßt, sich aber mit dieser durchaus kritisch auseinandersetzt. Ich selbst werde manchmal der Intoleranz bezichtigt, weil ich hin und wieder gegen gewisse Dinge (z. B. kurze Hosen) polemisiere und auf diese Weise meiner Meinung auf legitime Weise Ausdruck verleihe. Auf dem Barfußtreffen in Bamberg trugen die meisten Teilnehmer kurze Hosen, ohne daß ein Wort darüber gesagt worden wäre. Schließlich hat mich keiner um meine Meinung über seine Kleidung befragt, und dann pflege ich mich auch im allgemeinen nicht zu äußern. Hier im Forum sollte es aber möglich sein, sich auch in pointierter Form zu allen Aspekten des "barfüßigen Lebensstils" frei zu äußern, zumal für einige Teilnehmer, zu denen auch ich mich rechne, das Barfußgehen Teil der Lebensphilosophie ist.

Es ist die Intoleranz des "Das tut man aber doch nicht!", der dann anscheinend glaubhaft in Worte gekleidet wird und Gift streut in die Herzen der Unbedarften, der Unsicheren und derer, die ohnehin nur das tun, was die "BILD" als gut bezeichnet. Es ist Gift. Wie sehr dieses Gift wirken kann, sehen wir ja schon an den Berichten hier, wie Autofahrer manchmal von den Polizisten angeraunzt werden, wenn sie barfuß sind, oder unfreundliche Behandlung bei WalMart, etc.

Es ist die Auswirkung solcher Propagandaartikel, die manch einem Barfußläufer unangenehme Erlebnisse beim Einkaufen, mit der Polizei, beim Versuch, diverse Vergnügungsparks zu besuchen etc. eintragen. Mit scheinbar sachlichen Argumenten wird immer wieder vorgetragen, daß "man" als "anständiger Mensch" eben nicht barfuß geht.

Intelligent ist es auch nicht, da es nur Vorurteile wiederholt, die erwiesenermaßen nicht stimmen. Lügen also. Sind lügen cool? Sind Lügen in Ordnung? Solidarisieren wir uns jetzt mit den Lügnern und verleugnen uns selbst? Ist es das, was einige wollen? Oder wollen wir, dass barfußlaufen normal und akzeptiert wird in dieser Gesellschaft, die zugegebenermaßen in den letzte 10 Jahren ganz schön kalt und aggressiv geworden ist, nach meinen Eindrücken? Vielleicht auch, weil sie die Bodenhaftung verloren hat?
Und ich werde beschimpft, weil ich intolerant gegen Lügen und Diskriminierung bin? Auf wessen Seiten seit ihr eigentlich? Was soll das? Das ist rhetorisch, ich weiß, und damit nicht wirklich nett, aber es regt dennoch zum Nachdenken an. Damit man weiß, wo man steht.

Ich bin auch der meinung, daß wir Barfüßer uns angesichts solcher Artikel wie des zitierten solidarisieren sollten, aber leider geschieht es immer wieder, daß die Resonanz tatsächlich ganz anders als erwartet odererwünscht ausfällt. Als Franz (S) vor einem halben Jahr einen Beitrag in "Sat 1" zur Diskussion stellte, brach statt der gewünschten inhaltlichen Diskussion ein unfruchtbarer Streit aus.

Ich denke, dass es da etwas gibt, über das nachgedacht werden sollte. Von jedem von uns. Bei sich anfangend. Mit den bloßen Füßen auf dem Boden der Tatsachen.

Diesen Satz kannich nur unterstreichen. Jeder sollte in der Lage sein, sich kritisch mit abweichenden Meinungen auseinandersetzen und auch den eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Leider sind nicht alle Menschen dazu bereit oder in der Lage.

Hippie zu sein, und nun zu anderen vorgefassten Meinungen einiger von euch, heißt nicht, den ganzen Tag durch die Gegend latschen und alles nur toll finden. Es heißt auch, sich Gedanken machen über Alternativen zur jetzigen Gesellschaft (in der einiges im Argen liegt), mehr Freiheit (auch für die Füße) und auch dafür eintreten, dass eben diese vorurteilshafte Diskriminierung (gegen Ausländer, Barfüßer, Punks, Arme) aufhört. Es geht dabei um einen sehr viel weiteren bereich, nicht nur ums Barfußlaufen, nicht nur um Demos gegen den Irakkrieg oder "We shall overcome!", obwohl das richtig ist. Doch, wie entsteht Krieg? Durch Missverständnisse. Das muss nicht sein. Ebensowenig wie die Vorurteile gegen das Barfußlaufen.

Auch hier kann ich Dir nur recht geben. Ich selbst bin zwar kein Hippie, sondern trotz eines unkonventionellen Habitus eher konservativ eingestellt, aber Du hast das, worauf es ankommt, gut dargestellt.

Was wollen wir? Was verteidigen wir? Wofür setzen wir uns ein? Hier im Forum? Für das akzeptierte Barfußlaufen, gegen die Vorurteile, für gesundes Leben auf freien Füßen, manche Ganzjährig, manche nur, wenn es Laune macht. Wie es kommt. Dennoch, dass wir nicht in Konventionen eingequetscht werden.

Genau! Barfuß zu gehen sollte etwas volLkommen Akzeptiertes und überall selbstverständlich Praktiziertes sein!

Ist das falsch? Ich denke nicht. Es geht dabei auch nicht um mich. Ich bin nur einer von etwa 6,7 Milliarden Menschen, es geht um Grundsätzliches. Wie halten wir alle es mit unseren Idealen? Womit ich wieder beim Thema wäre.
Peace
Der Hippie

Danke für einen ausgezeichneten Beitrag mit sehr vielen beachtenswerten Gedanken!

Barfüßige Sommergrüße,
Markus U.


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