Langeoog (Hobby? Barfuß! 2)

Mercator, Tuesday, 01.07.2003, 07:18 (vor 7761 Tagen)

Verlängertes Wochenende auf Langeoog. Von vorneherein war klar, dass das ein weitgehend barfüßiges Wochenende werden würde. Trotzdem flog ein Paar Flip-Flops (FF) in den Koffer und eins in den Fußraum des Autos. Ich fahre barfuß Auto, aber ich habe dabei gerne irgendwas zum Sohlenschutz dabei: Wenn’s mal knallt, fliegen fast immer Glassplitter durch die Gegend, und wenn’s richtig knallt will ich nicht auch noch das zusätzliche Problem mit Splittern im Fuß haben.

Es hat nicht geknallt, aber der Asphalt auf dem Parkplatz am Fähranleger war dreckig, grob und heiß, das Gepäck schwer, der Weg weit. Das haut die stärkste Lederhaut von der Sohle, also FF an und bis auf der Fähre anbehalten. Auf der anderen Seite war’s ähnlich, und in hektischen Situationen, inmitten von Menschenschlangen in Bewegung (von der Fähre zur Inselbahn, am Bahnhof) kann ich nicht bewußt genug darauf achten, wo ich gehe. Dann macht Barfußlaufen auch keinen Spaß. FF blieben an.

Das änderte sich sofort nach Gepäckabholung und auf dem Weg zum Vermieter der Fewo und Fahrradverleih. (Eine Eigenart Langeoogs ist, dass es dort anscheinend keine Berufsbezeichnung ohne den Zusatz "... und Fahrradverleih" gibt: Bäckerei und Fahrradverleih, Bücherei und Fahrradverleih usw.) Normalerweise vermeide ich es, in den Zentren höherer Besiedlungsdichte barfuß zu laufen: Leute, die auf den Boden rotzen, sind mir zuwider. Kaugummireste an meinen Fußsohlen auch.

In Langeoog-City hatte ich damit zwar kein Problem, dafür aber das für mich neue Erlebnis, in einer fremden Stadt (was man so Stadt nennt) unter lauter Beschuhten der einzige Barfüßer zu sein. Auf meinen ein-, zwei-, dreisamen barfüßigen Spaziergängen durch Wald und Flur sind mir zwar auch schon Leute begegnet, aber das ist dann doch etwas anderes.

Trotz gut einjähriger Praxis als häufiger Gelegenheitsbarfüßer (HGB) meldete sich also nun Kollege Kleinhirn mit der ziemlich offensichtlichen und überflüssigen Botschaft: "Achtung: Du verstößt gerade massiv gegen gesellschaftliche Normen. Dein Verhalten könnte dazu führen, dass die Herde Dich ausschließt. Da Du also fürderhin auf den Schutz der Gemeinschaft nicht mehr rechnen kannst, erhöhe ich vorsorglich den Adrenalinspiegel, damit Du Dich jederzeit auch als Einzeltier gegen Freßfeinde wehren kannst..." Großhirn an Kleinhirn: "Halt’s Maul!"

Kurz: Ich empfand einen Anflug von Streß. Also beherzigte ich meinen (auch auf diesem Forum schon klugschnackenderweise eingebrachten) eigenen guten Tipp, einfach nicht so’n Gewese drum zu machen und statt dessen die eigene Barfüßigkeit zu ignorieren bzw. als die normalste Sache der Welt zu betrachten.

Und siehe da: Ich wurde nicht nur nicht gefressen, es hat niemand (in Worten: niemand; in Zahlen: null) bemerkt oder gar `n Spruch gemacht!

Die Verhandlung mit den Fewo-Vermietern (und Fahrradverleih) war überaus angenehm, freundlich und kompetent. Und selbst als ich quasi hinter meinem eigenen Rücken entgegen meinem Vorsatz, es nicht zu tun, dann doch mit halbem Auge und Ohr nach Signalen von Irritation bei den Gesprächspartnern forschte, war da nix. Nothing. Niente.

Ab jetzt nur noch barfuß, wo möglich und sinnvoll. Das Kleinhirn hat sich in den nächsten Tagen zwar noch ein, zwei Mal gemeldet, aber jedesmal ziemlich ruppige Antworten erhalten, so dass es sich maulend in eine Ecke verzog und schmollte.

Liebe Leute, das ist ein tolles Gefühl! Ich kann das abkürzen, weil die Meisten hier sowieso wissen, was ich meine: Diese Freiheit, auch bei längeren Touren ohne auch nur die minimale Fußbekleidung loszudüsen. Dann das Naturerleben: Strand, Wasser, Wind - auf `ner Insel ganz klar. Aber auch die weichen Gras- und Moospolster hinter den Dünen. Selbst die gepflasterten Wege überraschen mit unterschiedlichen Formen von Rauheit und mit irrwitzigen Temperaturwechseln.

Insbesondere abendliche Spaziergänge sind spannend, wenn der Unterschied zwischen der kühleren Abendluft und den immer noch sehr warmen Böden besonders deutlich bewußt wird. Dort, wo die Luftfeuchtigkeit mit der Abkühlung stärker kondensiert ist`s eben feucht, gleich daneben wieder trocken und noch ganz warm. Mit stillem Bedauern denke ich an die armen Leute, die da mit Schuhen drüberlatschen und von diesen Empfindungen so rein gar nichts mitkriegen.

Am nächsten Tag liegen meine Partnerin und ich dösend in den Vordünen (ist auf Langeoog erlaubt, don`t panic) des FKK-Teils, weit ab vom Trubel des Weststrandes. Ruhe, Wellen, Wind, kein Lärm, kein Mensch, keine Staus, keine Kompromisse. Und wie ich da so liege und döse und der Wind meine Haut streichelt, da fallen mir, das glaubt mir hier wahrscheinlich sowieso keiner, die letzten blöderen Diskussionen auf diesem Forum ein. Ist das jetzt einfach nur ein schönes Körpergefühl oder ist das schon erotisch oder sogar sonstwas? (Keine Angst, Georg, ich zähle die Sonstwas-Möglichkeiten nicht noch mal auf.) Tatsache ist, dass sich der ganze Körper (nicht nur die Füße) toll anfühlt, wenn man in 15 Grad kaltem Wasser gebadet hat und die Sonne und ein warmer Wind die äußeren Gewebeschichten allmählich wieder aufheizen.

Um die Sache abzukürzen: Die blöden Diskussionen, die hier im Forum in letzter Zeit liefen, drehten sich nur um Wörter und um begriffliche Abgrenzungen. Wir müssen anscheinend den Phänomenen Wörter geben, um sie faßbar, begreifbar zu machen. Manche Leute geben den Dingen auch Namen, um Macht über sie zu erhalten. Aber das Erklären und Bezeichnen ist alles Blödsinn und scheitert erst recht, wenn man versucht, Gefühle auf diese Weise einzugrenzen. Barfußlaufen ist ein tolles Gefühl. Basta. Probiert’s aus, dann werdet Ihr es verstehen. Dazu können wir Euch ermutigen. Probiert es nicht aus, wenn Ihr nicht wollt, aber dann laßt uns unser Ding machen. Dann fragt aber auch nicht, denn Ihr werdet unsere Erklärungen eh nicht verstehen.

Schluß. Zurück nach Langeoog.

Ich war ziemlich überrascht, zu entdecken, dass meine innerstädtische Barfüßerei Grenzen hat: Bäckereien und höherklassige Restaurants (jeweils mit Fahrradverleih). Mir ist noch nicht ganz klar, warum ich vor dem allmorgendlichen Betreten der Bäckerei zwecks Brötchenkaufs die FFs überstreifte, aber es erschien mir richtiger so (was meine weise Lebensgefährtin sogleich liebevoll-erstaunt-spöttelnd kommentierte). Bei den o.g Restaurants hege ich die Vermutung, dass da einfach die entsprechende Sozialisation durchschlug. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass in beiden Institutionen mit Lebensmitteln rumgemacht wird. In Eis-Cafès und imbiß-ähnlichen Lokalen trifft das aber auch zu, und da hatte ich keine Hemmungen. Komisch, gell?

Im Supermarkt, Buchladen und Touri-Lädchen witterte das Kleinhirn zwar jedesmal wieder `ne Chance, konnte aber leicht mit kurzen, harten Schlägen zur Räson gebracht werden.

Richtig doof fand ich eigentlich nur, dass ich zweimal mangels Schuhwerks gezwungen war, öffentliche Toiletten barfuß aufzusuchen. Das will ich nicht, das ist eklig, das kann und werde ich in Zukunft vermeiden.

Abschließend (Jessas! Schon die dritte Seite! Das liest doch sowieso kein Mensch.) empfehle ich allen angehenden Dauer- und Innenstadt-Barfüßern und solchen, die es werden wollen, einen Nordsee-Inselaufenthalt zum Abbau von Hemmungen. Denn ganz sicher sind die Leute auf den Inseln in dieser Hinsicht schon Einiges gewohnt: Obwohl ich es selbst nicht gesehen habe, nehme ich mal an, dass eine Menge Touris, mit sandigen Füßen vom Strand kommend, auf den Schleifpapier-Effekt verzichten, der dann entsteht, wenn sandige Füße in enge Schuhe gesteckt werden (und besonders deutlich empfunden wird, wenn die Füße am Strand einen leichten Sonnenbrand kassiert haben).

Ganz zum Schluß fällt mir ein, einen Kommentar habe ich dann doch zu Hören gekriegt. Wir überholen frühmorgens radelnderweise eine ebensolche Familie. Kind, ca. 5 Jahre alt: "Mama, warum fährt der Mann barfuß aufm Fahrrad?" Mamas freundliche Antwort: "Wahrscheinlich, weil’s ihm so gefällt!"

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mercator

Langeoog

RainerL @, Stammposter, Tuesday, 01.07.2003, 07:52 (vor 7761 Tagen) @ Mercator

Hallo Mercator,

Dank Dir für den tollen, flüssig geschriebenen Bericht !

Um die Sache abzukürzen: Die blöden Diskussionen, die hier im Forum in letzter Zeit liefen, drehten sich nur um Wörter und um begriffliche Abgrenzungen. Wir müssen anscheinend den Phänomenen Wörter geben, um sie faßbar, begreifbar zu machen. Manche Leute geben den Dingen auch Namen, um Macht über sie zu erhalten. Aber das Erklären und Bezeichnen ist alles Blödsinn und scheitert erst recht, wenn man versucht, Gefühle auf diese Weise einzugrenzen. Barfußlaufen ist ein tolles Gefühl. Basta. Probiert’s aus, dann werdet Ihr es verstehen. Dazu können wir Euch ermutigen. Probiert es nicht aus, wenn Ihr nicht wollt, aber dann laßt uns unser Ding machen. Dann fragt aber auch nicht, denn Ihr werdet unsere Erklärungen eh nicht verstehen.

Da hast Du wohl recht. Man sollte vielleicht auch mal mehr zu den Gefühlen und Empfindungen schreiben die man beim Barfußsein wahrnimmt. Auch wichtig als Argument wenn einen jemand fragt warum man barfuß ist seine Gefühle auszudrücken: "Weil es mir Spaß macht" "Weil es mir gut tut" usw.

Das liest doch sowieso kein Mensch

Ich habe es gerne gelesen. Schreib ruhig mehr solcher schönen Berichte. Vielleicht findet dieser ja den Weg ins "Best-Of" unter "Reiseberichte"

Wir überholen frühmorgens radelnderweise eine ebensolche Familie. Kind, ca. 5 Jahre alt: "Mama, warum fährt der Mann barfuß aufm Fahrrad?" Mamas freundliche Antwort: "Wahrscheinlich, weil’s ihm so gefällt!"
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Bestimmt eine kluge Mutter, gute Antwort !


Mercator

Barfuß-Grüße
Rainer L.

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