Barfuss-Trauminsel Gozo (Hobby? Barfuß! 2)

Roland Schorno, Tuesday, 18.02.2003, 23:26 (vor 7893 Tagen)

Vor etwa 20 Jahren war ich total mit den Nerven fertig, weil mir mein Angestellter auf extrem gemeine Art gekündigt hatte. Er war mir ausgerechnet von einem Lieferanten abgeworben worden (!), nicht weil er extrem tüchtig war, sondern weil man ihn als Krawattenmuffel kannte und der Chef dieser Firma einen seiner Reisenden dafür strafen wollte, dass der im heissesten Sommer seine Krawatte etwas locker getragen hatte. Und ich durfte nicht wissen, wohin mein Angestellter ging, damit ich dem Reisenden nichts verraten konnte. Es gab ja noch eine Kündigungsfrist.
Item, mitten im Frust, der mein Herz schwer angriff, da forderte mich ein Kollege im kältesten Februar auf, mit ihm eine Woche nach Gozo zu fahren, um dort alles für eine Weile zu vergessen. Gozo gehört zur Inselgruppe von Malta.
Trotz Flugangst sagte ich zu. Hier in der Schweiz war alles Stein und Bein gefroren, am kältesten Ort in der Schweiz minus 30 Grad. In Malta fast warm, etwa 15 Grad.
Ich schlief praktisch allein in einem riesigen Gebäude in Marsalforn. Touristen gab es keine zu dieser Jahreszeit. Ein Hotel war das nicht, sondern da wurden im Sommer sogenannte Flats zu einem Spottpreis vermietet. Als ich einen Wasserhahn öffnete, um mir die Hände zu waschen, da dröhnte es plötzlich wie der Marschschritt einer Armee Soldaten. Es war aber nur der Klang des Wassers durch die ausgetrockneten Rohre!
Am Morgen wurde ich durch dumpfes Knallen geweckt. Im Zimmer war es noch dunkel. Als ich das Licht anzünden wollte, brannte es nicht. Dass das in Gozo durchaus normal ist, dass der Strom ausfällt, weshalb alle Hotels und Restaurants Notbeleuchtungen besitzen, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Es war gerade die Zeit, als alle Welt von Ghaddafi redete. Lybien ist nicht allzu weit von Malta entfernt. Ich dachte, die Insel werde von Ghaddafi bombardiert. Voller Angst überlegte ich mir, wie ich von der Insel wegkommen könne, wenn der Flughafen zerbombt war.
Was ich nicht wusste, war, dass die Malteser auf alles knallen, was sich bewegt, vor allem zu dieser Jahreszeit, am liebsten auf unsere Zugvögel, von denen viele dort überwintern.
Irgendwann wurde es heller, es gab auch wieder Licht, ich kleidete mich an und beschloss, trotz Februar barfuss auf Kundschaft zu gehen. Immerhin hatte ich ja Ferien.
Die erste Person, der ich begegnete, war eine Frau, die zu meinem Erstaunen auch barfuss Ordnung vor dem Haus machte. Noch erstaunter war ich, als ich einen Neubau entdeckte, auf welchem fast alle Bauarbeiter barfuss herumliefen. Und auch viele Lastwagenchauffeure fahren dort ohne Schuhe in der Gegend rum, einfach, weil das viel bequemer ist!
Als Tourist ohne Schuhe bin ich aufgefallen, aber praktisch überall extrem positiv. Touristen tragen meistens Schuhe, aus purer Gewohnheit natürlich. Dass es auch ohne geht, das muss einem ja erst einmal gesagt werden.
Bei einer späteren Reise mit einer Gruppe hat jemand eine Art Schnitzelbank gedichtet, wo man mich hochnahm mit der Bemerkung, dass ich wohl extrem reich sein müsse, um mir sowas leisten zu dürfen.
Nein, reich bin ich überhaupt nicht, aber barfuss habe ich mich immer sehr reich gefühlt. Innerlich reich!
Als meine Frau das erstemal mit mir nach Malta kam, Gozo natürlich, da meinte sie, am Abend solle ich aus Gründen der Schicklichkeit Sandalen tragen. Aber die Leute, die mich kannten, haben mir sofort bedeutet, ich solle die wieder ausziehen. Da wars auch meiner Frau recht.
Es kann auch in Malta mal passieren, dass man als Barfüssler scheel angesehen wird. In einem Restaurant kam einfach keine Bedienung. Wir sind dann weitergegangen, ohne weiter darüber nachzugrübeln.
Ebenfalls in Gozo habe ich mal, als es bereits dunkel war, einen barfüssigen Mann mit seiner Frau gesehen, der sich sichtlich vor mir schämte, weil er keine Schuhe anhatte. Dass ich auch keine trug, hat er wahrscheinlich im Dunkeln nicht gemerkt. Er schien aber kein Tourist zu sein.
Ich kann jedem von Euch die maltesischen Inseln empfehlen, vor allem Gozo. Wie gesagt, man kann dort auch sogenannte Flats mieten. Zwar sollte man dort kein Hygienefetischist sein. Ueber das eine oder andere muss man hinwegsehen können. Dafür wird man reich belohnt durch traumhafte Landschaft, tiefblaues Meer, Begegnung mit einem herzlichen, aber niemals unterwürfigen Volk.
Vielleicht könnte sich die Barfussgemeinschaft hier tatsächlich entschliessen, Ferien auf Gozo zu organisieren. Ich bin überzeugt, das würde für alle ein Ereignis fürs Leben werden. Und auch die Gozitaner würden uns lange nicht mehr vergessen, im positiven Sinn natürlich.
Irgendwann werde ich meine Fotos von Malta digitalisieren und die besten davon, auf die ich sehr stolz bin, auf meiner Homepage veröffentlichen.

Barfuss-Trauminsel Gozo

Kai ⌂, Wednesday, 19.02.2003, 06:27 (vor 7892 Tagen) @ Roland Schorno

Hallo Roland,

danke für den ausführlichen Bericht! Wann warst Du denn das letzte Mal auf Gozo gewesen, nach dem ersten Besuch vor 20 Jahren? Hat sich in der Zeit dazwischen was verändert, bezüglich Barfußlaufen - ich denke da z.B. an die von Dir beschreibenen Bauarbeiter.

Grüße in die Schweiz

Kai

[image] Barfußwandern

Barfuss-Trauminsel Gozo

Michael (R) @, Wednesday, 19.02.2003, 20:57 (vor 7892 Tagen) @ Kai

Hallo Kai, hallo Roland,

ich hab hier vor langer Zeit mal gepostet, wahrscheinlich kennt mich wohl keiner: ich bin 29, lebe in Regensburg, hab Geisteswissenschaften studiert und jetzt einen Job (wie unangenehm - keine Semesterfereien mehr!).

Wie's der Zufall will war ich eben für zweieinhalb Wochen auf Gozo, allerdings in Fontana, nicht in Marsalforn. Die Insel ist gerade mal 8 auf 12 km groß und wie Roland bereits schrieb die kleine Schwester von Malta. Gozo ist wesentlich dünner besiedelt als die Hauptinsel (Malta ist das am drittdichtest besiedelte Land der Welt wir ca. 1100 EW/qkm) und ländlicher geprägt. Es laufen immer noch viele Menschen barfuß, allerdings nicht im Januar/Februar, denn ab ca. 10 Grad abwärts bekommen Malteser Frostbeulen (es hatte nachts bis auf 8 Grad plus abgekühlt, was für maltesische Verhältnisse absolute Arktis bedeutet). Tagsüber waren immer 14-16 Grad. Im Sommer jedoch findet man immer noch einige Landarbeiter und Kinder barfuß, auch einige alte Leute sie es nie anders gewohnt waren. Auch die englischen Touristen laufen ab und an unbeschuht durch die Gegend. Barfüßige Bauarbeiter/Fahrer hab ich keine gesehen, lag aber vielleicht auch an der Jahreszeit. Da es auf Gozo wie gesagt sehr ländlich zugeht, ist Barfußakzeptanz kein Thema. Barfuß gilt bei den alten Leute noch als bitterarm, bei der Jugend nicht gerade als hip. Eine alternative Szene gibt es auf Gozo kaum.

Als Barfüßer fällt man im Februar durchaus auf und wird oft darauf angesprochen, aber niemals negativ. Die Gozitaner meinten nur immer, sie würden erfrieren und wollten wissen, ob ich Deutschland im Schnee auch barfuß bin. Ältere Menschen erzählen einem gerne, daß sie früher auch oft barfuß waren und verwickeln einem gern in ein Gespräch. Nach spätestens 2 Tagen weiß jeder auf Gozo, daß ein barfüßiger Deutscher gerade zu Gast ist, denn Gozo ist ein Dorf. Malta selbst ist urbaner, dort können auch negative Bemerkungen ("...are you nuts?"), v.a. vonseiten der Rap- und Technoszene, und schiefe Blicke vorkommen, doch bedient wurde ich überall. Probleme hatte ich nur auf der Fähre: ohne Schuhe nehmen die einen nicht mit, zumindest nicht als Fußgänger. Wenn man bf mit dem Auto drauffährt, merken's die Cerberusse aber nicht ;-)

Der Strom fällt übrigens noch immer so oft aus wie vor 20 Jahren ;-) Wohl dem, der Kerzen oder eine Petroleumfunzel hat.

Für Gruppen ideal sind auch zu Ferienhäusern umgebaute Bauernhäuser (razzets), die sind zwar nicht billig, werden aber billiger je mehr sich ein Haus teilen. 6 Betten und mehr sind durchaus drin.

So, das mal als aktuelle Erstinformation. Wer detailliertere Infos wünscht, kann mich gerne kontaktieren.

Liebe Füße,

Michael (R)

Barfuss-Trauminsel Gozo

Roland Schorno, Wednesday, 19.02.2003, 23:57 (vor 7892 Tagen) @ Michael (R)

Lustig, da bist offensichtlich auch Du im Februar in Gozo gewesen, barfuss wie ich auch. Nein, im Jahr 1986 war eine ganze Anzahl Einheimischer dort auch barfüssig. Die Temperatur hat in dieser Woche, in welcher ich mich dort befand, stark gewechselt, von über 20 Grad bis auf kaum 5 Grad, und zwar tagsüber.
Die Jugend will ja sehr oft etwas anderes, als was ihnen ihre Eltern vorleben. Da hilft der beschworene gesunde Menschenverstand nicht viel.
Mich selber hat von jeher nicht nur die Gegenwart interessiert, sondern gerade inbezug auf gelebte Barfüssigkeit auch die Vergangenheit. Deshalb weiss ich, dass das Geschrei bezüglich Treibhauseffekt blanker Unsinn ist. Es gab schon vor hunderten von Jahren Zeiten mit ungewöhnlicher Hitze, und solche mit arktischer Kälte. Die Eiszeiten beschränkten sich auf Europa, in anderen Gebieten der Welt war es dafür ungewöhnlich heiss.
Die Saurier sind nicht wegen eines eingeschlagenen Himmelskörpers gestorben, sondern weil die Welt mindestens einmal durch einen extrem nahe vorbeiziehenden Meteor aus der Bahn geworfen wurde. Vor sehr langer Zeit stieg die Sonne nicht im Osten auf, sondern im Westen, vor diesem Ereignis, das nicht unendlich lange zurückliegt, drehte sie deutlich schneller, wodurch die Menschen scheinbar wesentlich länger lebten. Methusalem war kein Naturwunder.
Aber ich bin abgewichen. Für uns in der Schweiz und in Deutschland mag es erstaunlich klingen, dass in Schottland nicht etwa Verrückte das ganze Jahr barfuss laufen können, weil es dort fast nie schneit, wegen des Golfstroms notabene!
So, im Moment ist Mitternacht, Zeit fürs Bett! Also bis zum nächsten Mal
Euer Roli

Barfuss-Trauminsel Gozo

Roland Schorno, Wednesday, 19.02.2003, 23:37 (vor 7892 Tagen) @ Kai

Hallo Roland,
danke für den ausführlichen Bericht! Wann warst Du denn das letzte Mal auf Gozo gewesen, nach dem ersten Besuch vor 20 Jahren? Hat sich in der Zeit dazwischen was verändert, bezüglich Barfußlaufen - ich denke da z.B. an die von Dir beschreibenen Bauarbeiter.
Grüße in die Schweiz
Kai

Also ich war sicher von Februar 1986 bis November 1988 mehrmals in Gozo, ich glaube auch nachher noch mindestens einmal. Um es genauer zu wissen, da müsste ich hunderte von Filmen, mit Tausenden von Fotos durchkämmen. Die ersten barfüssigen Bauarbeiter habe ich im Februar 1986 erlebt.
Trotz der Hitze dort im Sommer laufen alle Schulkinder, Buben und Mädchen in einer Uniform zur Schule, und zwar mit Krawatte, also auch die Mädchen! Barfüssig waren da nicht viele.

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