Februarpresse (1) (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Stammposter, Sunday, 16.02.2003, 12:44 (vor 7895 Tagen)

Hallo zusammen,
die Februarpresse beginnt mit einem Konzertbericht:

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Barfuß und gnadenlos rührselig
Berlin (OZ) Als sie in einer amerikanischen TV-Show mal ein Papst-Bild zerriss, hatte der Teufel einen Namen ? Sinaed O'Connor! Die heute 36-Jährige beließ es nicht bei dieser Nummer. Die Liste ihrer Verfehlungen ist lang: Sie ließ in den USA ein Konzert platzen, weil davor die US-Hymne gespielt werden sollte, sie beschimpfte die Musikindustrie und lehnte vier Grammy Awards ab und so weiter. Ihr exaltiertes Verhalten zwischen Rebellion und Mackentum begründete sie mit ihrer traumatischen Kindheit (sie wurde missbraucht).
Dass sie ganz nebenbei eine hervorragende Sängerin ist, ging in all dem Spektakel oft unter. Bei ihrem Konzert am Sonnabend in Berlin stellte sie ihr außergewöhnliches Können wieder einmal unter Beweis. Da stand keine Frau auf der Bühne, der man ihr Image als größte Heulsuse des Pop ansah. Nicht, dass sie ihren Stil geändert hätte ? sie erschien mit kurzen Haaren sowie barfuß in Hose und T-Shirt ? , aber ihre Introvertiertheit paarte sich mit einer großen Leichtigkeit. Bei ihrem Welthit "Nothing Compares To You", der gnadenlos rührseligen, durch die Interpretationsweise zugleich beeindruckenden Ballade, entwich ihr ein kleiner Rülpser ob des vielen Wassertrinkens zwischen den Songs. Sie und die 2000 Besucher nahmen es mit Gekicher. Viel Beifall gab es für die Songs ihres aktuellen Albums "Sean-Ns Nua". Eine Sammlung von traditionellen irischen Liedern, die sie mit Unterstützung irischer Folkmusiker verpoppt hat.
GUNNAR LEUE
[Ostsee Zeitung, 03. 02. 2003]
Und noch ein weiterer Artikel (interessanterweise fand ich mehrere ganz unterschiedlich formulierte Artikel, nicht den Einheitstext von der Presseagentur).
Noch jemand ohne Glauben?
Die Mutter aller Schmerzen: Barfuß hielt Sinead O'Connor Messe in der Arena in Treptow und läutete mit gälischen Traditionals ihren zweiten irischen Frühling ein [...]
Ein neuer Name hätte aber durchaus gut zu der Irin gepasst, die für Pop-Business Verhältnisse gern alles falsch macht. [...] "Ich hab euch viele Gründe gegeben, mir nicht zuzuhören" steht auf ihrer Homepage.
OConnor steht auf ihre(n) Wurzeln, liebt Irland (und den Rapper Ice Cube) und möchte sich neuerdings um den irischen Folksong verdient machen, den sie mit Reggae anreichert. Sie will nicht, dass Bands wie Boyzone das Bild Irlands prägen.
Auf der Bühne trägt sie ein recht fettes Metallkreuz um den Hals. Darunter ein T-Shirt und eine ausgepluderte Hose, wie zum bequemen Rumlümmeln auf dem Sofa mit Blick auf die Schafe im Garten. Ihre Haare sind richtig lang geworden, so anderthalb Zentimeter. Natürlich steht sie barfuß auf einem flauschigen Teppich. Vielleicht ist die Halle deshalb so ungewöhnlich gut geheizt? [...]
"Go where the spirit guides me" singt sie. Viele spüren jetzt ganz stark die positive Energie, die von der Bühne rüberschwappt. Komisch nur, dass keiner vor Rührung heult. Doch Sinead ist schon beim nächsten Stop ihres Psychotrips: "Thank you for helping me, for healing me, for hurting me."
Danach ist sie bestimmt noch barfuß draußen im Schnee rumgelatscht.
[TAZ, 03. 02. 2003]

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Balanceakt mit bloßen Füßen
Numerische Variationen einer gleich bleibenden Arbeitsanordnung von Leinwand, Holzplanke, Pinsel und Künstlerin: Die Akademie der Künste stellt unter dem Titel "7 Pinselstriche über 1 Pinselstrich" Gemälde der 1985 in Hamburg diplomierten Hyun-Sook Song aus [...]
Beim Titel der Ausstellung, 7 Pinselstriche über 1 Pinselstrich, muss man sich eine Künstlerin im Atelier vorstellen, die in Zahlenspiele versunken, den graubraunen, monochromen Untergrund ihrer Gemälde aufträgt.
Song bevorzugt ruhige, erdige Töne und breite Pinselstriche. Für jeden einzelnen von ihnen präpariert sie den Pinsel mit Eitempera und trägt ihn über eine schmale Holzplanke, auf der sie barfüßig vor der Leinwand balanciert, zum Bild. Und zählt: Mit acht Pinselstrichen malt sie einen Tonkrug mit Schnabel, mit zweien einen langen Schweif, eine Pusteblume, und mit 46 Strichen ein Gemälde, das den Titel "9 Pinselstriche über 37 Pinselstriche" trägt.
In der Umsetzung der numerischen Variationen ihres Lieblingsthemas ist die 50-jährige Südkoreanerin konsequent. [...]
[TAZ, 03. 02. 2003]

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Barfuß auf Kastanien die Sinne testen
Ehrenamtliche Kursleiter bieten Naturkunde im Tierpark an
Wismar (OZ) An 170 Tagen stand das "Grüne Klassenzimmer" während der Landesgartenschau offen. 625 Schulklassen mit etwa 12 000 Kindern nutzten meist unter freiem Himmel das naturkundliche Bildungsangebot. "Wir wollen hier anknüpfen und das Projekt im Tierpark fortführen", entschied Direktor Michael Werner. Anfang März soll es starten und bis Oktober täglich von 9 bis 15 Uhr laufen. Aus über 30 Themen wurden 14 mit der stärksten Resonanz ausgewählt, gemeinsam mit dem ökologischen Schulungszentrum in einem neuen Angebotskatalog aufbereitet und an über 1000 Schulen verschickt. [...]
14 Frauen und Männer haben sich bereit erklärt, das "Grüne Klassenzimmer" ehrenamtlich fortzuführen. "Der Tierpark will Kindergruppen und Kursleiter zusammenführen. Ihnen obliegt es, die Kinder für die angebotenen Themen zu begeistern" [...]
Hagen v. Coler vom Verein "Collegium Balticum" in Goldbeck (Klützer Winkel) hatte mit dem Thema "Mit allen Sinnen die Natur erleben" (19 % aller Buchungen) den stärksten Zulauf. Er will die Kinder wieder die Erfahrung machen lassen, wie sich anfühlt, was man sonst nur sieht, z. B. mit verbundenen Augen barfuß über Kastanien laufen. [...]
[Ostsee Zeitung, 05. 02. 2003]

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SEEGFRÖRNE / Mutige Männer und eine Prozession im Schneetreiben
Mit der Johannes-Büste übers Eis
Bitterkalt war damals der Winter. Im Januar 1963 schaffte es das Thermometer an 15 Tagen nicht mehr über 10 Grad minus. Am 6. Februar, heute vor 40 Jahren, war es dann soweit: Eis bedeckte fast den ganzen Bodensee. Vier Wochen lang war der Rummel riesengroß. [...]
HAGNAU Minusrekorde, und das am Bodensee. Auf 21 Grad unter Null sackte das Quecksilber am 6. Februar 1963. Schon Mitte Januar konnte man an Untersee und Überlinger See gefahrlos aufs Eis. Der östliche Teil des Bodensees, der tiefe und breite Obersee, war aber noch nicht zu begehen. Bis zum 6. Februar. Sechs mutige Männer aus dem Winzerdorf Hagnau (heute Bodenseekreis) machen sich an diesem Mittwoch durch den Nebel auf den sieben Kilometer langen Weg ans Schweizer Ufer. [...] Nach zwei Stunden klettern sie in Güttingen an Land. Der 6. Februar gilt seither offiziell als Beginn der "großen Seegfrörne" 1963. [...]
An den Tagen danach gibt es kein Halten mehr. Die Massen strömen, die Orte am See erleben eine Wintersaison. Fastnachter schlittern übers Eis, Autorennen werden gefahren, Flieger landen. Die Zeitungen von damals berichten auch von einem Schweizer, der barfuß von Nonnenhorn nach Rorschach läuft. [...]
Das Jahrhundertereignis schließlich findet am 12. Februar statt. In feierlicher Prozession wird eine Holzbüste des Evangelisten Johannes über den See geholt. 2500 Menschen, Schulkinder, Ministranten und Pfarrer vorneweg, ziehen im Schneetreiben vom schweizerischen Münsterlingen nach Hagnau. [...]
[Südwest Presse, 06. 02. 2003]

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«Sensorium» - Paradies für sinnliche Erfahrungen
Die Ausstellung «Sensorium» ist ein Publikumsmagnet und soll nach Schaffhausen zügeln. Noch gibt es aber Widerstände. [...]
«Erfahrungsfeld»
Der Gang durch die Dunkelkammer ist nur eine der sinnlichen Erfahrungen, die die Ausstellung «Sensorium» in Frauenfeld ihren Besucherinnen und Besuchern ermöglicht. [...] Dabei standen die Ideen des Künstlers Hugo Kükelhaus (1900-1984) Pate, der 1967 an der Weltausstellung in Montreal zum ersten Mal sein «Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne» vorstellte. Im «Sensorium» erlauben über vierzig Stationen, auf drei Stockwerke verteilt, die Erfahrung der Sinne auf eine spielerische und spannende Art. Da können mit dem Ton eines Bogeninstruments Muster im Sand erzeugt werden, bei einem Parcours, der blind und barfuss absolviert wird, ertasten die Füsse die jeweilige Bodenbeschaffenheit, und zwei Schaukeln sind so miteinander verkoppelt, dass die Bewegungen der einen die Bewegungen der anderen beeinflussen. [...]
Von Anfang an war die Dauer des «Sensoriums» auf vier Jahre beschränkt, und so ist, nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen, Ende September 2003 Schluss. Das, obschon sich die Ausstellung als wahrer Publikumsmagnet erwiesen hat. Bis heute waren 250 000 Besucherinnen und Besucher in der Walzmühle, auch im vierten Jahr kommen täglich 200 Personen. Vertreten sind alle Altersgruppen, wobei die Schulklassen einen grossen Teil ausmachen. Sie reisen aus der ganzen Schweiz nach Frauenfeld. Aber auch ältere Semester finden sich ein, darunter viele Behinderte, da die ganze Ausstellung behindertengerecht eingerichtet ist.
Ein Teil geht ins Emmental
Der anhaltende Erfolg hat zu Überlegungen geführt, die Ausstellung in irgendeiner Form weiterzuführen. Da der Verein sein Darlehen zurückzahlen muss, ist der grösste Teil der Stationen verkauft worden [...] Daraufhin regte Kantonsrat Daniel Fischer (SP, Schaffhausen) in einer kleinen Anfrage an, die [restliche] Ausstellung nach Schaffhausen zu holen [...] «Die Zukunft liegt nicht bei den traditionellen Museen, sondern bei Ausstellungen wie dem ‹Sensorium›, bei denen die Besucher selber aktiv werden können.» [...]
[Schaffhauser Nachrichten, 07. 02. 2003]

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Die Kunst des Zufriedenseins
Bestseller-Autor Stefan Klein liest aus seinem Buch "Die Glücksformel [...]
Jeder ist auf der Suche nach dem Glück. Der eine findet es, wenn er barfuß im Morgentau spazieren geht. Ein anderer, wenn er Mozarts Konzert No. 13 für Klavier und Orchester hört. Manch einer mag sogar beim Genuss einer Bratwurst glücklich sein, meint Stefan Klein. Er hat das Glück gesucht - aber nicht etwa im Morgentau, sondern in der Wissenschaft. Der Autor des Bestsellers "Die Glücksformel oder wie die guten Gefühle entstehen" hat sein Werk jetzt [...] vorgestellt.
Statt eines vor Freude strahlenden Glückspropheten, der freigebig gut gemeinte Ratschläge erteilt, ist Klein ein zurückhaltender, eher nachdenklich wirkender Typ, der offenbar mit ganz nüchternen Ansichten im Leben steht. [...]
Streben nach Glück ist der Antrieb
Trotz vieler wissenschaftlicher Erhebungen schien Klein das Glück nicht greifbar. "Wir wissen eigentlich gar nicht, was Glück ist", sagt er. Deshalb wollte er dem Gefühl auf die Schliche kommen. Zum einen im Streben danach, zum anderen aber auch aus wissenschaftlicher Neugier. Da kommt sowohl der Wissenschaftler als auch der Journalist Klein zum Vorschein. [...]
Ein Patentrezept, wie man glücklich wird, hat er für seine Zuhörer nicht parat. Aber er skizziert den Weg zum Glück. Zuerst einmal sollte das Gegenteil ausgeschlossen werden. "Viel Unglück lässt sich vermeiden, wenn man weiß, wie man auf was reagiert." [...] Der Trick dabei: "Man muss den Hinterhältigkeiten des Gehirns Einhalt gebieten", erklärt Klein. [...]
Klein hat zwar herausgefunden, was Glück ist, doch festhalten lasse es sich nicht. "Glück geht immer vorüber", meint er. Zufriedenheit setze sich aus vielen glücklichen Momenten zusammen - und Zufriedenheit könne im Gegensatz zum Glück anhalten. [...]
[Hildesheimer Allgemeine Ztg., 08. 02. 2003]
Morgentau muss ja auch nicht zwingend sein, oder? Zur Zufriedenheit reicht mir schon jedwedes Barfußlaufen!

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Kampfsport-Kunst auf Tells Spuren
Young Ho Kim will mit Salto rückwärts von Mommenheim zum Weltrekord
Da fliegen die Apfel-Fetzen: Mit dem Fuß trifft Young Ho Kim das fruchtige Ziel, das auf einem Rasierklingen-scharfen Samuraischwert steckt [...]
MOMMENHEIM - Wilhelm Tell heißt der junge Kampfsportler nicht, aber außergewöhnliche Dinge mit Äpfeln macht er schon: Barfuß, aus dem Stand heraus, mit einem Salto rückwärts einen Apfel von der Spitze eines scharfen Samurai-Schwertes zu treten, das kann der Kampfsportler Young Ho Kim schon lange. Das ganze jetzt aber zehn Mal hintereinander zu versuchen, ist weltrekordverdächtig. [...]
In der Halle ist kein Ton zu hören, alle sind mucksmäuschenstill und die Spannung ist überall zu spüren. Sportschulleiter Rino Aita steht auf einer Empore und hält ein Samurai-Schwert in etwa zwei Metern Höhe. Der 26-jährige Wiesbadener Young Ho Kim spannt die Arme an und ein lauter Schrei zerreißt die Stille in der Sporthalle. Young vollführt aus dem Stand einen Salto rückwärts, wobei er den Apfel auf der Schwertspitze barfuß wegtritt. "In diesem Moment bin ich wirklich nur total auf den Apfel konzentriert", erklärt der Sportler, der im Hauptberuf Programmdirektor einer Fitnessfirma in Königstein ist. [...]
In der nächsten Ausstrahlung der ARD-Sendung "Rekordfieber" mit Jörg Pilawa wird es also nicht um die Wurst, sondern um den Apfel gehen. Young ist überzeugt, dass es ihm gelingen wird, den Weltrekord tatsächlich aufzustellen. [...]
[Main Rheiner, 08. 02. 2003]

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Mit der Blume schwindet das Vertrauen
Anthony Pilavachi inszenierte fürs Bremer Theater Richard Wagners "Lohengrin": Premiere am Richtweg [...]
Pilavachi konzentriert den "Lohengrin" auf diese dramaturgische Dynamik und lässt Mythos wie historischen Rahmen nur beiläufig anklingen. Da das Musicaltheater keine variablen Bühnenbilder erlaubt, baut Piero Vinciguerra eine repräsentative Halle mit schwerer spätmittelalterlicher Holzdecke; nach hinten öffnet sich die Bühne über Glastüren in einen angedeuteten Garten. Es ist die Zone des utopischen Draußen, wo die Zaubermaschine blitzt und dampft, um Lohengrin anzukündigen und wo der Schwan sich nur als riesengroße Feder zu erkennen gibt (zum Schluss markiert ein kleiner Junge mit Anklang an Harry Potter den ironisierten Zauber der Inszenierung). [...]
Elsas Auftritt gleicht dem eines bereits gedemütigten Wurms in einem verwurstelten weißen Kleid. Sie kriecht mehr als dass sie kommt und schmiegt sich ? beinahe der Würde und des Selbstbewusstseins beraubt ? an den König, als deute sie den Ruf nach ihr bereits als Anklage. Doch dann erscheint Lohengrin barfuß, frisch und leichtfüßig, als ob jung Siegfried zu Hilfe eilt ? der Kampf, ein Blitz, und Telramund liegt am Boden. [...]
[Weser Kurier, 11. 02. 2003]

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Kein Bauernhof ohne Backhaus: Die Arbeit war meist Männersache
Alvesrode (si). Backöfen ? in Form kleiner Häuschen aus Bruchsteinen oder Lehmwänden gebaut ? gehörten noch bis zum Zweiten Weltkrieg zu fast jedem Bauernhof. In Alvesrode stand der letzte Ofen seiner Art auf dem Grundstück der Familie Knigge, an der Straße zum Saupark. [...]
In alten Schriften werden die Mühen des Teigknetens beschrieben, die alle paar Wochen anstanden. Wie vom Sauerkraut-stampfen bekannt, sollen Mägde oder Knechte den Teig sogar mit ihren nackten Füßen bearbeitet haben. [...] Danach schob man die geformten Brotlaibe ? bei anstehenden Festlichkeiten auch den Kuchen ? hinein. Meist war das Sache der Männer. [...] Auch für die Asche gab es Verwendung: Beim Bleichen streute man sie auf die frisch gewaschene Wäsche. Auch die Restwärme des Backofens blieb nicht ungenutzt. Sie diente zum Trocknen der gesammelten Heilkräuter [...]
[Neue Deister-Zeitung, 13. 02. 2003]

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Identität aus dem Reagenzglas [...]
In der Rechtsprechung leistet die Humangenetik gute Dienste, indem sie strittige Fragen einer Vaterschaft klärt und bei der Verbrechensbekämpfung die Arbeit der Polizei unterstützt. In solchen Fällen genügen mikroskopisch kleine Körperspuren [...] Peter Forster am McDonald Institute for Archaeological Research ist von der Rechtsmedizin zur Populationsgenetik gewechselt und wendet seine elaborierten statistischen Methoden nunmehr in einer erfreulicheren Tätigkeit an: Er stellte sich die Frage nach der Wiege der Menschheit und versucht in zahlreichen Studien, vorgeschichtliche Völkerwanderungen zu rekonstruieren. Forster stützt sich vor allem auf die DNS der Mitochondrien, die in den Zellen höherer Organismen den Energiehaushalt regeln. Die Mutationen am Gencode dieser eigenständigen Zellorganellen bergen für den kundigen Wissenschaftler wertvolle Informationen über unsere frühesten Vorfahren. Uns Menschen verbinden nämlich gleiche und sehr früh in der Menschheitsgeschichte erfolgte Mutationen, die wir von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben, und uns trennen jene Mutationen, die später erfolgten, als sich Nachfahren abgespaltet und in die verschiedenen Gebiete ausgebreitet hatten.
Wenn nun eine ältere Mutation etwa in Afrika zu finden ist und eine jüngere Mutation ausschließlich außerhalb von Afrika, so deutet dies auf den Ursprung dieser Abstammungslinie in Afrika und eine Auswanderung der späteren Nachkommen hin. Forster hat viele solcher Linien in Afrika ausgemacht und nur eine davon, die den Weg vor sechzigtausend Jahren nach Europa, Asien und Amerika fand. Von ihr stammen alle Europäer, Asiaten, Ozeanier und Indianer ab. Die anderen Linien blieben in Afrika. Erst durch Kontakte in frühgeschichtlicher Zeit wurden wenige Linien davon an andere Orte der Welt verstreut.
Einige davon verdanken diesen Umstand einer leidvollen Vergangenheit. Gemeint sind die Nachkommen früherer afrikanischer Sklaven. Diese wurden gewaltsam aus ihrer Umgebung gerissen, auf Schiffe verfrachtet und der Willkür ihrer weißen Besitzer übergeben. In der Zeit von 1500 bis 1870 waren die Sklaventransporte nach Übersee ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ermöglichten den Plantagenbesitzern ein Leben in Reichtum und Luxus [...]
Eine davon ist Beaula, eine in Bristol lebende junge Jamaikanerin, die nunmehr mit Hilfe der modernen Genetik ans Ziel ihrer Träume gelangt ist. Ein Genetikerteam um Forster in Cambridge und Leicester hatte sich nämlich die Aufgabe gestellt, heute noch lebenden Nachkommen ehemaliger afrikanischer Sklaven eine Identität und damit ein Stück Heimat zurückzugeben. Dabei wird die DNS der Mitochondrien zur Rekonstruktion einer weiblichen Abstammungslinie herangezogen, bestimmte DNS-Abschnitte des Y-Chromosoms wiederum beschreiben die väterliche Abstammungslinie. [...]
Die Genetiker verglichen Abschnitte ihres Gencodes mit analysierten DNS-Abschnitten aus weltweit angelegten Studien [...]
Die Suche nach den afrikanischen Vorfahren erleben die Kandidaten als ebenso spannend wie die anschließende Reise ins Ungewisse. Am Ziel der Reise warten wildfremde Menschen eines vollkommen anderen kulturellen Umfeldes. Das einzige, was sie verbindet, sind familiäre Bande aus dem Reagenzglas.
Beaula begibt sich voller Erwartung zum Bubi-Stamm auf der Insel Bioko Äquatorialguineas, dort, wo das Genetikerteam Frauen ausfindig machte, die auf dieselbe Ururgroßmutter wie sie zurückblicken. Die Begegnung wird von beiden Seiten voller Freude gefeiert. Man erinnert sich an Erzählungen geraubter Mädchen am Strand und erkennt in ihr die verlorene Schwester. Beaula wird als neues, vollwertiges Stammesmitglied initiiert und mit einem Stück Land beschenkt. Freilich erwarten ihre Stammesgenossinnen von ihrer zurückgewonnenen "Schwester" eine Gegenleistung. Beaula verspricht bereitwillig, sie künftig bei der schulischen Ausbildung ihrer Kinder finanziell zu unterstützen.
Nach dem freundlichen Empfang und den Feierlichkeiten will sie aber auch die Stätten besichtigen, wo die gefangenen Afrikaner in Felskammern eingesperrt verharren mußten, bis sie die Schiffe an ihre Bestimmungsorte brachten. Sie will den Boden barfuß fühlen und greift in die Erde. Mit Tränen gedenkt sie ihrer Schicksalsgenossen aus trauriger gemeinsamer Vergangenheit. Diese spirituelle Rückerinnerung ist ihr ein großes Bedürfnis und läßt den Zuschauer nicht unberührt. Ihr einziger Trost ist, daß zumindest ihre Vorfahren all die Schmach und Qual überleben konnten. [...]
In dem Projekt wurde die erste solcher großangelegter genetischer Studien vorgenommen. Ein Anfang. Das Londoner Science Museum hat die Idee inzwischen aufgegriffen und eine Ausstellung sowie eine Website zu dem Thema genetische Stammbaum-Recherche eingerichtet.
[Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 02. 2003]

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Belesene Füße!
Georg

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