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Barfüssige Grüsse,
Frank
Quo vadis, Kaufrausch?
Mit spartanischem Grinsen
Fußgängerzone - Tummelplatz des Geldausgebens! Wie eine Walze brandet die Menschenmenge gegen die Schaufensterfronten. Sonderangebote flimmern in grellen Farben, Niedrigpreise winken mit günstigen Schnäppchen. Doch der Kölner Tobias L. straft Markenklamotten und Flachbildschirme mit unverhohlener Mißachtung. "Sehet zu und hütet euch vor aller Habgier", beherrscht der Siebenundzwanzigjährige seinen Lukas. "Denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat." Der bibelfeste Zeigefinger scheint dem schicken Kinnbärtchen des gelernten Werbedesigners zu widersprechen. Auch die schwer wiegende Hornbrille erinnert an die vielbeschworene Popkultur. Doch Tobias L. paßt nicht in die festgefahrenen Schubladen seiner Generation. "In der Agentur zählte nur Cash-flow", umspielt Verachtung seine Mundwinkel. Ein wegwerfender Blick streift die vorüberlaufenden Turnschuhe: "Diese Gesellschaft badet doch nach Strich und Faden im Überfluß!" Tobias L. ist seit dreieinhalb Monaten Schusters Rappen vom Pferd gestiegen. "Das Preis-Leistungs-Verhältnis nackter Fußsohlen ist nicht zu toppen", rechnet der ehemalige Trendsetter vor. Behutsam ertasten seine Zehen den Weg durch den Asphaltdschungel. Ein liegengelassener Backfisch wird mit unendlicher Sorgfalt verschont. Wandelt der schlaksige Nerd auf Buddhas Spuren? Tobias L. pflegt ein selten anzutreffendes Hobby. In seiner Freizeit hängt der Twen dem harten Kern der Konsumverweigerer an. Und an Freizeit herrscht kein Manko in seinem Leben. Allein am heutigen Tag verzichtete der Beschäftigungslose auf sieben Stundenlöhne. Doch Tobias L. setzt den moralischen Rotstift auch auf der Ausgabenseite an. "Euros, die man nicht ausgibt", lautet sein Grundgedanke, "braucht man überhaupt nicht." Im Tropenhaus einer bevölkerungsreichen Einkaufspassage nimmt der Endzwanziger angewidert Platz. Es riecht nach frischem Kaffee. "Ein Plantagenarbeiter kriegt vierzig Euro im Monat", durchschaut er die Trinkenden. Der Nichtkonsument verzichtet auf Heißgetränke und ordert ein Leitungswasser. Genießerisch schwenkt Tobias L. das kühle Naß im Gegenlicht: "Nichts kickt besser als Kranenberger." Beim anschließenden Sprechen malt der sympathische Steinbock kleine Mandalas in die Luft. Im Grunde, erläutert Tobias L., beruht Konsumverzicht auf einer verblüffenden Faustregel: "Nichts kaufen, einfach nichts kaufen!" Selbst der kurdische Schnittblumenverkäufer mit seinen neunundvierzig Jahren erntet nur spartanisches Grinsen: "Soll ich hier Geld ausgeben, damit in Taiwan gentechnologische Rosenfelder entstehen?" Nachdenklich betrachtet Tobias L. seine Rolex, längst auf Handbetrieb umgestellt. Wie jede halbe Stunde dreht er die Zeiger um dreißig Minuten weiter. Da durchzuckt ein Geistesblitz den selbstgewählten Asketen: "Gleich Ladenschluß, und ich war noch nicht im Supermarkt!" Zur allgemeinen Erleichterung leuchtet im nahen Konsumtempel noch Hoffnung. Zielsicher steuert Tobias L. seinen Einkaufswagen durch die Regale. Eiskalt verzichtet er auf Bandnudeln, Toastbrot, Staudensellerie und Olivenöl. Wie zerknickte Bierdosen liegen ungekaufte Truthähne im Tiefkühlregal. Mönchisch schiebt der Konsumverweigerer seinen leeren Wagen am Lächeln der siebenundzwanzigjährigen Kassenhilfe vorbei. "Mein tägliches Nirwana", seufzt Tobias L. und zieht seinen Euro aus dem Einkaufswagen. "Und es kostet nichts."