Bericht von den Hobbythek-Dreharbeiten (Hobby? Barfuß! 2)

Michael (wat) @, Sunday, 17.11.2002, 07:36 (vor 7986 Tagen)

"Zeigt her eure Füße..."
Der 9. November ist in der deutschen Geschichte traditionell ein Tag erschreckender (1923, 1925, 1938) oder revolutionärer (1918, 1989) Ereignisse. Sollte sich es sich dieses Jahr ähnlich verhalten? - "Wenn man euch vor gut einem Jahr gefragt hätte, ob ihr es euch vorstellen könntet, im November barfuß wandern zu gehen, hättet ihr doch wohl 'der tickt nicht mehr richtig!' gesagt, oder?" Das angesprochene gute Dutzend Siebtklässler übte sich am Ende des Tages auf diese Frage Georgs in vorsichtiger Zustimmung, und dies ist nicht das einzige schöne Ergebnis eines Ereignisses, das - Geschichtsbücher hin oder her - den Beteiligten in Erinnerung bleiben dürfte.

UlliDo hatte es im Forum ja bereits geschrieben: Der WDR wird am 3. Dezember eine "Hobbythek"-Ausgabe unter der Überschrift "Zeigt her eure Füße..." ausstrahlen. Ende Oktober wurde Georg aus diesem Anlass von Frau Aseng, einer freien Hobbythek-Mitarbeiterin, kontaktiert, die die Möglichkeit auslosten wollte, ob man für diese Sendung noch Bild- und Tonmaterial zum Thema "Barfußgehen und Gesundheit" produzieren könne. Vermutlich bekam sie wesentlich mehr als erhofft: Georg sprach barfußerfahrene Schüler an, und rund ein Dutzend meldete sich nicht nur freiwillig, sondern bekam auch die Erlaubnis zum Mitmachen von ihren Eltern - außerhalb der Schulzeit! Aus dem Kreis der Forumsteilnehmer aus der Region waren Claudia, Eva und ich zum Mitmachen bereit, und so war die Planung für einen Drehtag in der Wahner Heide südöstlich von Köln in vollem Gang.

Mit Blick auf das Wetter hätte sich der Tag durchaus als erschreckend erweisen können. Regen, Orkan, Kälte - all die netten Dinge, die einen Stadtmenschen in die Wärme des Hauses flüchten lassen, waren angekündigt. Mir wurde beispielsweise zu plötzlich klar, dass ich gar keine lange wasserfeste Hose habe - "oh oh", sagen die Teletubbies in solch möglicherweise prekären Momenten. Aber Zuversicht zahlt sich aus, und das Glück ist mit den Glücklichen (oder so ähnlich): Es war nicht nur trocken, es schien sogar überwiegend die Sonne durch sehr große Wolkenlücken, und auch die Temperaturen von über 10°C ließen keine Eisbeine entstehen.

In Georgs Truppentransporter fanden wir drei Zug-Gereisten bequem Platz, als wir um kurz vor 13 Uhr vom Bahnhof abgeholt und zum vereinbarten Treffpunkt, einem Parkplatz, gefahren wurden. Nach kurzem Warten näherten sich die ersten Fahrzeuge mit Schülerinnen und Schülern, Geschwistern und Eltern, und auch Kameramann und Tontechniker stellten sich vor. Noch waren alle Füße bis auf zwei sicher eingepackt. Schließlich kam auch Frau Aseng, und damit war die Produktion eröffnet - das kollektive Ausziehen der Fußgefängnisse wurde selbstredend im Bild festgehalten.

Anders als bei den übrigen Barfußtreffen unter erfahreneren Erwachsenen hatte Georg natürlich dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder gut vorbereitet waren, und so machte Melkfett die Runde, bevor sich insgesamt zwanzig unbeschuhte Personen anschickten, das umzäunte Gelände der Wahner Heide zu betreten. Dieser Akt wurde allerdings sehr in die Länge gezogen, da einige Anläufe erforderlich waren, um alles zufrieden stellend zu filmen. Es kam zu einigen wenigen Missfallensäußerungen, nicht nur, weil der Boden am Rande des Parkplatzes aus Schotter bestand, sondern auch weil die relative Kälte in dieser bewegungsarmen ersten Phase ausreichend Gelegenheit hatte, auf die frisch aus den warmen Schuhen geschlüpften Füße einzuwirken.

In sehr geringem Tempo ging es weiter, denn Frau Aseng und die beiden Filmtechniker, die nicht vom WDR kamen, waren alles andere als aufeinander eingestellt, und wir durften manches Wegstück mehrmals gehen. Es kam auch zu ersten Interviews - im Gehen... Mal gucken, ob es davon etwas in den fertigen Einspielfilm schafft. Sehr wahrscheinlich im Beitrag auftauchen wird das folgende Balancieren auf Baumstämmen - alle brav in einer Reihe - und Erklettern eines Hochsitzes.
Bewegte Zeiten
Endlich konnte Georg uns loseisen und zum Aufwärmen auf eine Runde durch den inneren, freien Teil des Geländes schicken. "Anstrengend", war ein Kommentar zum Gehen auf dem Sand, der sich in kleinen und großen Hügeln angehäuft hat und von großen Pfützen sowie teils dornigem Bewuchs dekoriert ist. Es ging weiter mit Filmaufnahmen: Gruppe geht dicht neben Pfütze vorbei, um die Spiegelung filmen zu lassen (nur ein Idiot bekommt das nicht mit und geht mitten hindurch... tüdelü...). Gruppe geht durch Pfütze.

Und schließlich: Gruppe spielt Blinde Kuh. In Paaren ging es darum, den/die Partner(in) mit verbundenen Augen unter dem wachsamen Blick der Kamera sicher eine Erhebung am Rande des freien Geländes hinauf zu führen, dann in eine Vertiefung hinein und am anderen Ende wieder heraus. Insgesamt erschwerend war hier, dass der Boden am Rande der Heide dornigen Bewuchs aufwies und feuchter, glitschiger Boden trotz eines Grasbewuchses manch unverhofft dynamischen Bodenkontakt ermöglichte - aber was solls, Hosen kann man waschen, und Dornen lassen sich recht leicht wieder aus den Sohlen ziehen. Ein wenig Blutzoll musste dennoch bei einigen, Erwachsenen wie Kindern, geleistet werden.

Ich fand es nicht so schwierig, blind den Weg zu erfahren, da mir ja die Richtung, in die ich zu gehen hatte, angesagt wurde und ich mich recht sicher fühlen konnte. Einmal wäre ich mit dem Fuß fast vor einen einige Zentimeter aus dem Boden ragenden abgesägten Baumstumpf gestoßen, aber ich hörte die Warnung, spürte fast im gleichen Moment und somit rechtzeitig mit den Zehen das Hindernis und stieß nur leicht und schmerzlos davor - sehr beruhigend, dass man so geschickt reagieren kann! Blind Schrägen hinauf zu steigen ist wohl der schwierigste Part des Ganzen. Uns ging es so, dass wir uns ein wenig breitbeinig und eher seitwärts tappend vortasteten - man weiß nie, wie hoch der Boden vor einem ist und wie groß der Schritt sein kann, um noch guten Halt zu haben. Ich wette aber, dass das mit mehr Übung auch sicherer zu schaffen ist.

Können die Fußsohlen also die Augen in gewissen Umfang ersetzen? Diese Frage kann ich noch nicht sicher beantworten, aber eins ist mir klar: Mit Tastsinn blockierenden Schuhsohlen unter den Füßen kann man fester auftreten oder -stampfen, aber nicht so gut reagieren. Doch das ist natürlich keine neue Erkenntnis.

Zurück zur Wahner Heide selbst: Ich fand deren Böden sehr angenehm, und die Wasserratte in mir fand tiefe Befriedigung, indem sie mich allmählich durch immer mehr der zumeist höchstens knöcheltiefen, aber großflächig herumstehenden Pfützen platschen ließ.
Irgendwo hinter dem Regenbogen
Die Sonne beschien das Gelände nun im flachen Winkel. Es war an der Zeit, noch weitere O-Töne aufzunehmen. Die Schülerinnen und Schüler wurden natürlich befragt, auch Georg, seine junge Kollegin sowie Claudia lieferten Wortbeiträge ab - Respekt dafür. Obwohl ich mir zuvor die eine oder andere Sache überlegt hatte, erschien mir nun nichts davon mehr angemessen, und ich ließ meiner lange in solchen Situationen antrainierten Nervosität Freiraum, so dass ich mir wünschte, vom Erdboden verschluckt zu werden. ("Laufen Sie erst seit diesem Jahr barfuß?" - "Ja", log ich.)

Video- und Tonbänder waren schlußendlich voll, sodass wir unsere Beobachter loswurden und noch durch das Heideland gen Parkplatz streifen konnten. Dass das Gelände einen militärischen Charakter hat, wurde zwischendurch deutlich: Am Wegesrand standen ein paar wie Hobby-Partisanen gekleidete, wenn auch unbewaffnete Männer unterschiedlichen Alters, anscheinend bereit, sich jederzeit hinter eine Erdberme zu verkrümeln. Ein paar Worte in einer nicht ganz erkennbaren Sprache gewechselt, knapper Gruß, weiter.

Im Osten, in Richtung des Flughafens Köln-Bonn, hingen derweil Regenwolken, von denen sich einige dort erleichterten. Dazu schien die Sonne aus unserer Richtung und erzeugte etwas, das meiner Ansicht nach perfekt zu dem wunderschönen Tag passte: Einen kompletten, für kurze Zeit sehr leuchtstarken Regenbogen, und dazu den schwächeren Außenbogen mit der umgekehrten Farbanordnung. "Wo hast du den denn bestellt?", rief ich Georg fröhlich zu, denn diese Erfahrung ist nicht alltäglich - ohne ins Schwärmen geraten zu wollen, was kann es schöneres geben? Barfuß durch Pfützen platschen, in klarer Luft, von fröhlichen Menschen umgeben, dazu ein Regenbogen... der Kopfmensch hält das für ein übertrieben romantisches Klischee, aber ich wette, dass Moltke dazu ein weiteres, die Situation genau auf den Punkt bringendes Gedicht hätte schreiben können, komplett mit ironischer Brechung, die auch den rationalen Teil des Selbst umgarnt und milde stimmt.

Derart beschwingt störte denn auch die zeternde Frau nicht, die wir auf dem Weg zum Parkplatz überholten. Dort fand der Ausflug ein gutes Ende: Die allermeisten Füße wurden mit Wasser übergossen, abgetrocknet und wieder eingepackt, dazu gab es leckere Kekse in augenfälliger und sehr passender Form und warmen Tee. Nebenbei wurde noch mit Frau Aseng geplaudert, und mit den anwesenden Eltern, besonders einem engagierten Vater, der auch mit sichtlicher Barfuß-Begeisterung die Gruppe begleitete hatte, weitere Pläne für barfüßige Aktivitäten der Klassengemeinschaft geschmiedet. Ein Wanderung im Schnee? Ein Ausflug mit allen Eltern?

Bald war es beinahe 17 Uhr. Wir wurden zum Bahnhof zurück gefahren, um mit der S12 und dann dem RE1 zurück in die jeweilige Heimat zu fahren. In letzterem Zug fahren offenbar genug Verrückte mit, so dass ich barfuß im November nicht mehr Erstaunen hervorrief als im Sommer. Aba det genne ma ja scho.

Mal sehen, wie es weitergeht.
Freundliche Grüße, Michael


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