Lapplandwanderung (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A, Tuesday, 24.09.2002, 22:01 (vor 8039 Tagen)

Heute habe ich meine entwickelten Dias abgeholt. Man kann eigentlich ganz zufrieden sein. Klar, sie sind nicht ganz die gewohnte Qualität, aber es hätte schlimmer sein können.
Heute ging ja auch für mich die Arbeit wieder los, um 6:30 Uhr musste ich antanzen. Kaum zu glauben, dass wir erst ein paar Tage zurück sind, mir kommt‘s schon fast wieder wie eine Ewigkeit vor.
In Kvikkjokk ist es inzwischen fast richtig winterlich geworden. -6°C waren es die letzten Tage jeweils am frühen Morgen, nur der Schnee fehlt wohl noch. Ich glaube, bei solchen Temperaturen wären Stefans und "Fjälluggla"s Schlafsäcke schon fast an ihren Extrembereich gekommen. Von kuschelig warmem Schlafen kann dann jedenfalls keine Rede mehr sein.
Aber wir hatten es ja fast noch sommerlich, zumindest was die Nachttemperaturen betrifft, bei +5 bis +10 Grad konnten wir um diese Jahreszeit so weit im Norden wirklich nicht meckern. Bei uns hier im Südwesten war es teilweise genau so kalt. Und somit wären wir bei dem versprochenen Reisebericht.

Angefangen hat‘s für "Fjälluggla" und mich im fast tropisch schwülen Berlin mit einem Schreck am Abend: "Nein, unter dieser Buchungsnummer haben wir nichts reserviert!" sagte uns die Dame am Schalter im Berliner Ostbahnhof. Unsere Gesichter sprachen wahrscheinlich Bände. Spätestens als sie uns dann eröffnete, dass nur noch ein Platz im Zug frei ist, schwollen unsere Hälse auf Luftballongröße an. Und man konnte es förmlich aus den Ohren rauchen sehen... Für was habe ich eigentlich das ganze Theater mit den Vorreservierungen gemacht?
Nachdem auch der Vorgesetzte der Dame nichts finden konnte, schrieb er uns dann einen Brief an den Zugbetreuer und siehe da, der fand noch 2 Plätze für uns. Es konnte also losgehen. Sauna gab’s in den Abteilen gleich gratis.
In Malmö wollten wir dann die Liegeplätze reservieren, für die Strecke Stockholm-Gällivare. Ausgebucht! Also buchten wir 4 Sitzplätze, was sich als gar nicht so schlecht herausstellte.
Hubert und Stefan trudelten dann ein, als der Zug nach Stockholm schon abfahrbereit am Bahnsteig stand und unsere 21-Stundenfahrt Fahrt konnte losgehen, unterbrochen nur in Stockholm für ca. 1 Stunde.
Die Sitzeplätze ab Stockholm waren recht bequem, und da ab Ånge nur noch wenige Leute in den Sitzwagen waren, hatten wir es fast genau so bequem wie in einem Liegewagen.
In Gällivare war es dann schon ungewohnt frisch, aber das sollte erst mal ein Vorgeschmack sein, auf das, was uns in Ritsem erwartete.
Eine Busfahrt in Sapmi, das hat schon was für sich, nicht nur landschaftlich. Es ist ja recht erheiternd, wie z.B. der Fahrer während der Fahrt die Zeitungen auf den abgelegenen Höfen verteilt, per Wurf aus dem Fenster. Unterwegs können wir noch einen 2000 Tonnen schweren Felsblock bewundern, der vor kurzem auf die Straße viel und Ritsem von der Außenwelt abschnitt, bis die Straße um den Fels herum gebaut werden konnte.
Dann die Ankunft in Ritsem
Ein steifer Wind klatscht uns den kalten den Regen ins Gesicht. Temperatur: Schlappe 7 Grad, mehr sind es nicht. Hätte nie gedacht, dass ich mir so schnell die Schuhe anziehe...
Doch dann der nächste Schock: Die Kamera löst nicht mehr aus! Gut, wird wohl an der Batterie liegen, denke ich mir und wechselte das Ding aus. Doch auch mit der neuen Batterie tut sich nichts! Sch...! Da habe ich nun 3kg Fotoausrüstung dabei, und das Ding funktioniert nicht!
Die Überfahrt per Boot ist nichts für Leute mit empfindlichem Magen. Wir werden kräftig durchgeschaukelt.
Ein kurze Wanderung zur Hütte Akka, Mittagessen, danach beginnt es wieder zu regnen. Unsere erste Tagesetappe beenden wir angesichts des kühlen Regenwetters schon nach 5km, ein herrlicher Lagerplatz am Fuße des wolkenverhangenen Berges Akka. Die richtige Bettschwere haben wir. Da es um 20Uhr dunkel wird,
rollen wir uns auch schon recht früh in den Schlafsack ein. Doch trotz Regen und Kälte, schon diese erste Kurzetappe zeigte uns die ganze Schönheit dieser Gegend, die wilden Stromschnellen des Vuojatätno, die wolkenverhangenen Gipfel des Akkatjåhka und die endlosen einsamen Wälder.
Der neue Tag erwacht. Morgens noch ein paar Wölkchen und dann Sonne pur. Ein Bilderbuchtag! Bald verließen wir den Padjelantaweg und wanderten querfeldein, Richtung Sarek. Zunächst mal durch Gebüsch, dann ein steiler Anstieg, wir kamen gehörig ins Schwitzen. Aber es machte Spaß. Völlig außer Atem erreichten wir das Ende der Steigung. Welch ein Ausblick! Vor uns eine Gruppe Rentiere, hinter uns der blaue See Akka und sonnenüberflutete Berge, links von uns der Akkatjåhka, der sein frisch gepudertes Haupt in den blauen Himmel emporreckt und rechts das Tal des Vuojatätno. Wir machen erst mal Pause und genießen diese unglaublich schöne Landschaft und die milde Sonne.
Nachmittags geht es weiter, über Wiesen, durch Sümpfe und bald erscheint auch der erste Fluss, den wir durchqueren müssen, der Rakkasjåhka. Ein kleines Bächlein eigentlich, nichts schwieriges. Doch "Fjälluggla" passt nicht richtig auf und -Platsch- schon sitzt sie im Wasser. Nicht viel passiert, nur ein nasser Hosenboden. Ihren Rucksack hat ja Hubert rübergetragen.
Obwohl es eigentlich nicht schlecht läuft, merken wir bald, dass wir zu langsam sind. An einem solchen Tag müssten wir mindestens 15km schaffen, um unsere geplanten 115 Wildniskilometer zu bewältigen, denn wir brauchen ja Reserve, für Regentage. Es wird klar, dass wir die geplante Tagestour im Sarek wohl streichen müssen.
Erste leichte Enttäuschung macht sich in den Gesichtern breit. Und den Wildnisneulingen wird langsam bewusst, dass die Praxis doch viel anstrengender ist, als die Vorstellung.
Abends erreichen wir den Sjnjuftjutisjåhka, den wir durchwaten müssen. Wir sprechen die Vorgehensweise ab und ich steige als erster in die milchigen Fluten, die ihren Ursprung in den Gletschern des Sarek haben. Schnell muss ich jedoch feststellen, dass wir da keine Chance haben. Die Strömung ist viel zu stark, die Felsen zu glatt. Es ist völlig unmöglich, in den reißenden Fluten Halt zu finden. Wir schlagen erst mal unser Lager auf und hoffen auf den nächsten Morgen. Wenn die Nacht klar bleibt und es vielleicht Nachtfrost gibt, könnte es sein, dass am Morgen weniger Wasser im Fluss ist. Doch später aufziehende Wolken machen diese Hoffnung bald zu nichte.
12 km Tagesleistung sind nicht schlecht, aber für solch einen schönen Tag ohne größere Hindernisse einfach nicht genug. Dessen ungeachtet war es heute für mich ein prima Barfußtag.
Am Morgen unternehme ich einen Erkundungsgang, um nach einer besseren Watstelle zu suchen. Ich habe auf der Karte festgestellt, dass wir ca. einen Kilometer von der Stelle entfent sind, an der wir zu sein glaubten. Weiter südöstlich fand ich dann den Zufluss des Suottasjåhka. Hier scheint das Überqueren möglich, aber keinesfalls einfach.
Das Wetter wird zusehens schlechter. Ich entscheide mich, die Flussdurchquerung nicht zu riskieren und statt dessen eine Weiterwanderung entlang des Sjnjuftjutis nach Kisuris vorzuschlagen. Die anderen sind einverstanden.
Es beginnt zu regnen und ist kalt, kaum mehr als 5 Grad, wir laufen trotzdem los. Es wird eine nasse Etappe, nicht nur von oben. Wir wandern fast den ganzen Tag ständig durch Sümpfe, störrisches Buschwerk behindert das Vorwärtskommen, wir wandern fast ohne Pause und kommen doch nicht voran. Nur kurze trockene, ebene Abschnitte bringen uns vorwärts. Das Stimmungsbarometer fällt zusehens. Alles am Körper ist nass, die Schuhe sind voll Wasser. Ab Mittag gehe ich wieder barfuß, was angesichts der kalten Temperaturen aber auch nicht angenehmer, als die nassen Schuhe ist.
Widerwillig machen wir eine Mittagspause. Auch ich kann nur schätzen, wie weit es noch bis zur Brücke am Padjelantaweg ist. Wir suchen sie mit dem Fernglas und finden sie nur ca. 100 Meter vor uns im Wald. Na, nichts wie los. Bald haben wir die Kisurishütte erreicht und beschließen, zu bleiben und erst mal alles zu trocknen. In der Hütte gibt es einen Trockenraum.
Andere Wanderer trafen wir in den letzten beiden Tagen nicht.
Hubert, der überzeugte Vegetarier, kann es nicht fassen, wie ich mich nur von Wurstdosen und Fertigsuppen ernähren kann. Ich werde es nie verstehen, wie man jeden Tag nur Müsli futtern kann. Stefan, Huberts Zeltgenosse auch nicht. Er hat sich noch 2 Schwarzwälder Schinken mitgenommen, damit er was "Richtiges zum Essen" hat. "Bei dem gibt’s ja nichts!" sagt er mit einem Wink auf Hubert.
10 Kilometer haben wir heute ertrotzt, mehr sind es leider nicht geworden. Aber zumindest "Fjälluggla" und Stefan sind völlig geschafft. Auch an Hubert und mir ist die Etappe nicht spurlos vorübergegangen.
Wir erörtern die weitere Route. Angesichts des regnerischen Wetters und mit den Erfahrungen von gestern am Sjnjuftjutis erscheinen die Flussdurchquerungen im Westpadjelanta als sehr gewagt, vor allem deshalb, weil die unsicherste Durchquerung ganz am Ende kommen würde und es keine Ausweichmöglichkeit gibt. Zurück könnten wir von dort auch nicht mehr. Es erscheint in jedem Falle sicherer, auf dem Weg zu bleiben und entweder nach Sulitjelma oder nach Kvikkjokk zu wandern. Letzteres wären aber 160 km. Wir können uns zu keiner Entscheidung durchringen. "Fjälluggla" scheint eine Erkältung auszubrüten. Andere Wanderer trafen wir weder gestern, noch heute.
Der folgende Tag bringt wieder Traumwetter mit 18 Grad und fantastische Aussichten zum Akka, zum Sarek und zu den norwegischen Bergen hinter den großen Padjelantaseen. Immer wieder treffen wir auf Rentiere. "Fjälluggla"s Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehens, sie schafft es kaum noch, hinterher zu kommen. Immer wieder bin ich weit voraus und muss warten. Es hat keinen Sinn, die geplante Route nach Rago ist nicht durchführbar, nicht unter diesen Umständen. Ich entscheide, auf dem Weg zu bleiben, wo wir die Sicherheit der Hütten haben. Das fällt schwer, sehr schwer, aber es geht nicht anders.
Auf dem ebenen trockenen Weg schaffen wir heute trotz langer Mittagspause in der Sonne ca.16 km. (Wir dachten ja zu erst, wir hätten 20 km geschafft, aber genaues Abgreifen mit dem Zirkel auf der Karte ergab nun doch "nur" 16km). Auf dieser Etappe begegneten uns zwei junge Frauen, sonst keine anderen Menschen.
"Fjälluggla" ist jedoch am Abend völlig am Ende. Wir reden zum ersten Mal über die Möglichkeit, in einer der Hütten per Notruf einen Rettunghubschrauber zu bestellen. Doch "Fjälluggla" hat leichtsinniger Weise keine Versicherung abgeschlossen. Sie könnte den Rettungflug nicht bezahlen, falls er nicht durch die Krankenkasse oder den schwedischen Staat bezahlt wird. Ich gebe zu bedenken, dass 500 Euro Schulden immer noch besser sind, als eine Lungenentzündung ohne Antibiotikabehandlung bei nasskaltem Wetter in Lapplands Bergen.
Es wird eine klare Nacht mit einem herrliche Nordlicht, das ich im Schlafsack liegend aus dem offenen Zelt stundenlang beobachten kann. Faszinierend, dieses ständig seine Formen ändernde Lichtspiel, das den gesamten Nachthimmel überdeckt. "Fjälluggla" interessiert sich nicht sehr dafür. Ihr geht es einfach viel zu schlecht. Sie möchte nur schlafen.
Der nächste Tag: "Fjälluggla" geht es noch schlechter, sie hat hohes Fieber ist total uninteressiert, trottet nur teilnahmslos hinterher. Es ist ein sehr milder sonniger Tag. Die Aussichten über die Seen Sallohaure und Vastenhaure sind toll. Mittags sehen wir von der Ferne zwei Sami. Ansonsten sind wir völlig alleine, keine anderen Wanderer. 15km sind es heute geworden.
Abends nehmen wir ein Bad im Fluss, es ist herrlich mildes Wetter. Nur "Fjälluggla" fühlt sich zu schlecht.
Wir reden mehrfach darüber, in Arasluokta oder Staloluokta einen Rettungsflug zu organisieren.
Der nächste Tag beginnt mit Nebel, danach bleibt es wolkig, aber trocken. "Fjälluggla" geht es etwas besser. Wir beschließen, heute die 14 km bis Staloluokta zu wandern, dort einen Tag Pause zu machen, damit nicht nur "Fjälluggla" sich erholen kann und dann den Passübergang nach Sukitjelma zu wagen. Der ist zwar 1200 Meter hoch und sehr steil, hat auch einige Firnschneefelder, aber wenn das Wetter nicht umschlägt und deutlich kälter wird, sollte das machbar sein. Ich kenne die Strecke und habe keine Bedenken, dass wir auch die notwendige Flussdurchquerung schaffen werden.
In Stalo landet zu unserem Erstaunen kurz nach unserer Ankunft ein Hubschrauber. Der Pilot baut eine Funkanlage ab. Das wäre die Gelegenheit für "Fjälluggla", aber sie ist sich sicher, dass sie ihn nicht mehr braucht, was uns natürlich alle erleichtert.
Ich frage den Piloten nach dem Wetter: "You have to expect snow on the way to Sulitjelma! The wether will be very bad in the next days. Much rain and snow in the mountains and very stormy. Yes, the winter is coming now.!"
Wieder scheint ein Planwechsel erforderlich. Sulitjelma erscheint angesichts dieser Prognose zu gefährlich. Wir beraten die Lage und entscheiden uns einstimmig für den Weg nach Kvikkjokk.
Die folgenden Tage sollten die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigen.
Doch zunächst schauten wir uns Staloluokta und die dortige Samikirche genauer an. Sie ist wirklich etwas ganz Einmaliges. Eine Hütte aus Baumstämmen errichtet, die oben kuppelförmig verbunden sind. Die Wände sind mit Grassoten errichtet, wie die samischen Hütten. Darin eingebaut sind richtige farbige Kirchenfenster. Der Boden ist mit Birkenreisig bedeckt, in der Mitte gibt es eine offene Feuerstelle, zwischen den Sitzplätzen auf dem Birkenreisig und dem hölzernen Altar. Bänke gibt es keine, man sitzt direkt auf dem Reisig, um dem Wort Gottes zu lauschen. Der Kirchturm ist eine separate Konstruktion aus Holz. Die Glocke wird par Handseil geläutet, aber das braucht man glaube ich nicht erst zu sagen.
Tja, es soll Touristen geben, die gehen nur in diese Kirche, um sie zu fotografieren. Dabei gibt es kaum einen schöneren Ort, sich an das Werk Gottes zu erinnern.
In einer der Hütten bemerken wir einen anderen Wanderer. Da wir jedoch direkt am Ufer des Virihaure zelten, kommt es erst am nächsten Morgen zu einem Gespräch zwischen ihm und mir. Er ist Österreicher und alleine unterwegs. Auch er wollte eigentlich in den Westpadjelanta, doch man hat ihm wegen der hohen Wasserstände dringend davon abgeraten. Das bestätigt auch mich in meiner Entscheidung, diese Strecke nicht zu riskieren.
Schon am Abend hat der stürmische Wind vom See her kräftig an den Zelten gerüttelt, jetzt am Morgen weht er auch noch kalte Regenschauer heran. Wir gehen dennoch los. Der Österreicher bleibt in der Hütte. Er ist schon eine Woche länger unterwegs, als wir und hatte in der ersten Woche nur Regen. Nun hat er vom Regen die Nase voll und wartet, bis das Wetter besser wird. Wahrscheinlich wird er dann bis zum nächsten Mai dort sitzen...
Der Pausentag ist mit der erneuten Routenänderung gestrichen. Nach Kvikkjokk brauchen wir mindestens 3 Tage länger, als nach Sulitjelma. Also ziehen wir am Morgen gleich weiter.
Während unserer Wanderung Richtung Tuottar wird das Wetter immer besser, zumindest trocken. Der Wind bleibt aber unangenehm kalt und lässt keine längeren Pausen zu. Auch die Mittagspause an einem schönen Wasserfall fällt ziemlich kurz aus. Es geht durch eine Landschaft mit vielen Flüssen und Wasserfällen, aber ohne Bäume oder Büsche.
Das Barfußwandern gebe ich heute bald auf, da ich auf dem schmierigen Weg wenig Halt finde. Erst am späten Nachmittag wird es mir dann doch zu warm in den Schuhen.
Kurz vor Tuottar müssen wir noch zwei kleinere Flüsse durchwaten, dabei holt uns eine neue Wolkenwand ein. Schlagartig wird es deutlich kälter, der Wind legt nochmals kräftig zu und erreicht Sturmstärke. Er ist eisig kalt
Da ich die Schuhe bereits vorher ausgezogen habe, kann ich den ersten Fluss direkt durchwaten, die anderen müssen erst die Schuhe ausziehen. Ich warte jedoch nicht, sondern gehe sofort weiter zu den Hütten, die man bereits sehen kann. Der zweite Fluss bereitet keine Probleme, er kann von Stein zu Stein übersprungen werden.
Ich stelle bei den Hütten sofort mein Zelt auf. Als die anderen ankommen, entscheiden wir uns dann doch angesichts des sehr ungemütliche Wetters, in eine Hütte zu gehen. Dort ist noch ein weitere Wanderer aus Albstadt. Als ich während des Gespräches mit dem Schwaben aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass sich inzwischen einige Schneeflocken unter den Regen mischen.
Jeder Schritt vor die Tür wird zur großen Überwindung. Der eisige Sturm bläst derart heftig, dass die ganze Hütte zittert. Wir sind nun sehr froh, hier zu sein und nicht am 1200 Meter hohen Pass am Sulitjelma.
Wir machen es uns hier in der Hütte gemütlich und lassen den Sturm draußen toben.
Mit 18km war es heute die bisher längste Etappe. (Die Entfernungsangabe auf dem Wegweiser bei Stalo bezieht sich wohl doch ab Stalo und nicht ab dem Standort des Schildes).
Der Schwabe erzählt uns von seiner Tour und von seinem Rucksack. Doch das ist eine schwergewichtige Geschichte für sich. Wir kommen uns richtig mickerig vor, mit unseren läppischen 25kg. Er startete mit rund 35kg! Ein Profi-Outdoorer, wie ihn sich jeder Outdoorausstatter wünscht. Alles nur vom Feinsten und nichts fehlt. Er hat alles dabei, was sich in der Branche verkaufen lässt und bestimmt noch etwas mehr. Zum Beispiel eine Salbe für die überlasteten Knie...
Aber wie gesagt, das wäre eine Geschichte für sich.
Am Morgen ein gespannter Blick durch’s Fenster: Ob es wohl Schnee hat? Es hat keinen! Temperatur 0°C, es ist neblig, der Wind ist immer noch stark, aber nicht mehr so heftig, wie gestern abend. Einige Rentiere ziehen an der Hütte vorbei.
Während unserer heutigen Wanderung lichten sich die Wolken langsam und geben den Blick frei auf frisch verschneite Berge. Wir wandern über eine urtümliche busch- und baumlose Hochebene
Mittagessen in Tarraluoppal. Ich habe bei Ankunft einen größeren Vorsprung vor den anderen und mache schon mal Teewasser heiß.
Am Nachmittag geht es weiter bis zur Waldgrenze im Tarratal, wo wir zwischen zwei Waserfällen oberhalb und einem weiteren unterhalb unseres Lagerplatzes unsere Zelte aufbauen. Die ca 15 km haben wir bereits am Nachmittag geschafft und nutzen die Zeit bis zum Dunkelwerden mit lesen.
Ich wandere die Strecke bereits zum dritten Mal, sie geht jetzt nur noch durch Wald und bringt nicht mehr viel Abwechslung. Gegen Mittag erreichen wir die Hütte Såmmarlappa. Hubert und ich sind heute vorgelaufen, "Fjälluggla" und Stefan kommen erst 40 Minuten nach uns an.
Am Nachmittag verdichten sich die Wolken und es beginnt anhaltend zu regnen. Meine Schuhe, die ich wegen des seifigen Untergrunds wieder anzog, sind schnell total durchweicht, ebenso die Kleidung. Am Spätnachmittag erreichen wir nach 16 km einen kleinen See, an dem ich vor 5 Jahren schon mal zeltete. Auch dieses Mal schlagen wir hier unser Lager auf. Damals besuchte mich beim Teekochen ein Elch und wollte meinen Tee saufen, aber heute gibt es nur Regen, keine Tiere.
Wir haben längst die Zelte aufgebaut, doch von "Fjälluggla" und Stefan ist nicht zu sehen. Langsam machen wir uns Sorgen. Auch ich bin ja auf dem nassen Untergrund mehrfach ins Rutschen geraten und auch einmal gestürzt, ohne Folgen. Trotzdem ist uns nun unwohl, so weit vorausgegangen zu sein. Es ist bereits über eine Stunde vergangen. Von Såmmarlappa bis hier her sind es nur 6 km, so groß kann der Abstand eigentlich gar nicht sein, da muss was passiert sein! Hubert hat am Weg einen Stutzen angebracht, als Zeichen, wo wir abgebogen sind. Das können sie eigentlich nicht übersehen. Aber auch wir können mit dem Fernglas ein größeres Stück des Weges überblicken, aber da kommt niemand. Nach fast 1,5 Stunden entschließt sich Hubert, den anderen entgegen zu gehen. Er bemerkt, dass er den Stutzen am falschen Trampelpfad angebracht hat!
Sollten die beiden doch vorübergegangen sein, ohne uns zu bemerken? Eigentlich kaum anzunehmen, man kann das Seeufer schon von weitem überblicken und unsere Zelte und mein ausgebreiteter roter Rucksacküberzug können nicht übersehen werden. Aber falls doch? Das wäre fatal. Da Hubert sowohl sein eigenes Zelt, das er mit Stefan teilt, als auch "Fjälluggla"s Zelt getragen hat, wären die beiden ohne schützende Unterkunft. Und die Hütten von Tarrekaise würden sie keinesfalls mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Es regnet unablässig in Strömen. In spätestens einer Stunde wird es völlig Dunkel sein.
Wütend über sich selbst wirft Hubert seinen Stutzen, der als Wegmarkierung dienen sollte, weg.
Es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Hubert geht los, in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Ich bleibe bei den Zelten. Er veschwindet nach links hinter den Bäumen. Langsam beginnt es zu dämmern. Weit kann er nicht mehr gehen, dann muss er umkehren, damit er nicht in die Dunkelheit kommt, die ein Zurückfinden unmöglich machen würde.
Plötzlich höre ich Stimmen. Er kommt zurück. Ein Stück hinter ihm kommen auch "Fjälluggla" und Stefan. Gott sei Dank! "Was ist passiert?" "Nichts, wir sind einfach nur langsam gelaufen!" Unglaublich! So langsam kann man doch gar nicht laufen...
Aber wir sind froh, dass nichts passiert ist!
Ich trockne meine nasse Wäsche, in dem ich sie über Nacht mit in den Schlafsack stecke. Dieser Trick ist den anderen unbekannt. Sie glauben mir einfach nicht, dass das funktioniert. "Willst Du denn auch noch Deinen Schlafsack nass machen?" fragen sie irritiert. Aber ich habe ja Erfahrung von vielen Touren. Das funktioniert, wirklich!
Auch mein "kärgliches" Essen gibt immer wieder Anlass zum lästern. Meine Erfahrung ist einfach, dass 10 Dosen Wurst nicht so viel wiegen, wie ein Kocher mit Brennstoff, mit dem man dann ja auch noch Verpflegung zusätzlich braucht!
Am nächsten Morgen ist die Wäsche fast trocken, nur die Schuhe bleiben nass (die hatte ich allerdings auch nicht im Schlafsack, ebensowenig wie die Regenjacke) Die Schuhe benutze ich erst gar nicht mehr und die Jacke wird vom Wind bald wieder trocken geblasen. Viel Aufregendes passiert nicht mehr, außer dass Hubert bei einem "Fluchtversucht" ins Geröll stürzt und sich den Finger verletzt. Blutig und mit Schlamm verschmiert sieht es sehr schlimm aus, doch nach dem Abwaschen entpuppt es sich nur als harmloser Kratzer.
In Nunjes treffen wir drei schwedische Jäger. Offensichtlich haben sie bisher exakt genau so viele Elche gesehen, wie wir - gar keine! Wenn schon kein Jagdglück, dann wenigstens die Träume davon, denken die drei wohl und legen sich nach dem Mittagessen erst mal schlafen.
Am Nachmittag wird der Weg immer breiter und auch langweiliger. Ganz eben! Da müsste doch eigentlich auch "Fjälluggla" mithalten können. Wir drehen uns um. Nichts zu sehen! Sie "trippelt" wieder.
Letzte Zeltübernachtung bei Bäcken am Fluss, nach 16 km.
Am letzten Tag sind es noch 8km bis zur Bootsanlegestelle, wo uns Sven mit seinem Motorboot abholt. Heute ist es ganz angenehm mild, 14 Grad. "Es war der wärmste Sommer seit es Aufzeichnungen gibt!" erklärt uns Sven. "Die Gletscher geben noch viel Wasser ab, deshalb sind die Flüsse noch so hoch!" Hier in Kvikkjokk ist der Wasserstand allerdings extrem niedrig, Sven muss immer wieder Untiefen ausweichen. Der Tarraätno führt auch kein Gletscherwasser und hier auf dieser Seite des Gebirges hat es schon seit Wochen nicht mehr richtig geregnet. Und es ist viel zu warm, vor allem Nachts. "Wir hatten erst eine einzige Frostnacht, letzte Woche, -1°C. Normalerweise hat es ab Ende August fast jede Nacht Frost!"
Wir erzählten ihm, dass wir uns durch das Internet kennenlernten und uns nur flüchtig kannten, bevor wir die Tour starteten. "And you are still friends?" fragte er lachend. "Ja, ja, die Antwort kam von allen gleichzeitig mit der gleichen Überzeugung. "We are still friends!" Und darauf sind wir besonders stolz. Es ist nicht so selbstverständlich. Auf solchen Touren haben sich schon langjährige gute Freunde bis aufs Blut verstritten. "Wenn man heiraten möchte", lacht Sven, "dann sollte man zuerst zusammen eine Fjälltour machen. Wenn man danach immer noch heiraten möchte, dann wird es sicher gut gehen!" Nun gut, heiraten möchte niemand von uns, aber Freunde werden wir bleiben und vielleicht wieder mal was zusammen machen. Sven ist total begeistert. "Es ist interessant, dass so etwas möglich ist. Das zeigt doch, welche tollen Möglichkeiten das Internet bietet!"
Hubert erzählt Sven, dass ich fast die ganze Tour barfuß gewandert bin. "Oh ja, das mache ich auch immer, das ist doch wunderschön! Wenn Svenja und ich ins Fjäll gehen, wandern wir oft barfuß". Er erzählte es später seiner Frau Svenja und sie ist ebenso begeistert: "Das ist doch ein wunderschönes Gefühl. Ich mag es, barfuß zu wandern!"
Dann gehen wir in die Unterkunft. "Fjälluggla" und Stefan duschen kalt, Hubert und ich ziehen es vor, erst mal eine Paddeltour mit Svenjas Kanu im Flussdelta mit seinen vielen Urwald-Flussarmen zu unternehmen. "Hyperaktiv", lautet "Fjälluggla"s Diagnose. Als uns Sven dann von zwei Wanderen erzählt, die jeweils über 500 km gewandert sind, weiß sie, was wirklich hyperaktiv ist... Einer der beiden wanderte 540 km von Kilpisjärvi nach Kvikkjokk, traf sich dort mit seinem Vater und dann wanderten sie zusammen durch den Sarek!
Als wir von unserer Entspannungs-Paddeltour zurück kommen, gibt es auch genügend Münzen, um warm zu duschen.
Während Stefan wieder mal an seinem Schinken nagt und Hubert an einem Müsli-Riegel leckt, zählen sie die Blasen an ihren Füßen, aufgerieben von den Stiefeln. "Fjälluggla" macht es umgekehrt. Nein, sie zählt keine Müsli-Riegel und leckt auch nicht an den Füßen, nein, nein, sie zählt die wenigen Stellen an ihren Füßen, an denen sie keine Blasen hat!
Ich kaue auch auf einem Stück Schinken herum, aber Blasen habe ich absolut keine. Auch keine Kratzer oder sonstige Verletzungen an den Füßen. Und das, obwohl ich fast die ganze Zeit barfuß gelaufen bin. Scheint doch ganz nützlich zu sein, die barfußlauferei!
Der Rückweg ist schnell erzählt. Um 5:30 Uhr mit dem Schulbus nach Jokkmokk, Frühstück in einer Konditorei (Lecker!!!), Einkaufen, Museumsbesuch, weiterfahrt nach Murjek, 19 Stunden Bahnfahrt nach Göteborg und dann weiter nach Hause. "Fjälluggla" verabschiedet sich in Malmö, Hubert in Kobenhagen, Stefan und ich fahren zusammen bis Heidelberg, dann verabschieden auch wir uns.
Zum Schluss bleibt noch festzustellen, dass ich kaum etwas abgenommen habe, obwohl ich ja nur "solch ein kärgliches Essen" dabei hatte. Scheint doch was dran oder besser drin zu sein im Schinken und den Wurstdosen.
Und noch ein Hoch auf unseren wichtigsten und nützlichesten Ausrüstungsgegenstand, ohne den keiner von uns die Tour geschafft hätte. Er hat uns geholfen, wenn wir nicht mehr weiter konnten, wenn es felsig war, wenn wir durchs Wasser mussten, wenn wir im Sumpf steckten, wenn wir Gestrüpp zur Seite schieben mussten, wenn es steil bergauf ging, oder genau so steil wieder bergab, wenn wir ins Straucheln gerieten oder wenn wir uns einfach nur aufstützen wollten. Unser Wanderstab! Ohne ihn wäre die Tour einfach nicht möglich gewesen, da waren wir uns alle einig!

Lapplandwanderung

Michael Z, Wednesday, 25.09.2002, 09:23 (vor 8038 Tagen) @ Bernd A

Fantastisch. Dein Reisebericht hat mir sehr gefallen.
Da hab ich selbst Lust bekommen.
Würd mich interessieren, ob jemand von den anderen im nachhinein
die Tour bereute.
Was auf Grund der schwierigen Situationen ja durchaus verständlich sein könnte.
Insbesondere "Fjälluggla".

Lapplandwanderung

Bernd A, Wednesday, 25.09.2002, 16:44 (vor 8038 Tagen) @ Michael Z

Hallo,
nein bereut hat die Tour keiner von uns, auch Fjälluggla nicht. Dazu war es einfach zu schön.
Sie würde es aber nicht wiederholen. Wir waren ihr dann doch etwas zu schnell. Aber eine langsamere Tour würde sie jeder Zeit wieder mitmachen.
Gruß, Bernd A

Fantastisch. Dein Reisebericht hat mir sehr gefallen.
Da hab ich selbst Lust bekommen.
Würd mich interessieren, ob jemand von den anderen im nachhinein
die Tour bereute.
Was auf Grund der schwierigen Situationen ja durchaus verständlich sein könnte.
Insbesondere "Fjälluggla".

Lapplandwanderung

Peter H @, Wednesday, 25.09.2002, 17:03 (vor 8038 Tagen) @ Bernd A

Hallo Bernd A

Ein ganz toller Reisebericht. Ich habe ihn gern gelesen.
Allein mir wär´s zu anstrengend solch eine (Tor)Tour ;-)

Grüße
PeterH

Lapplandwanderung

Markus U., Wednesday, 25.09.2002, 22:09 (vor 8038 Tagen) @ Bernd A

Hi Bernd!

Danke für den tollen Reisebericht! Das ist endlich mal was vernünftiges und wirklich Lesenswertes nach all diesen ermüdenden Diskussionen über Stammposterverwaltung und ähnlichen Quatsch! Sowas sollten wir öfters zu lesen kriegen! Aber ich tät mich auch freuen, wenn wir es schafften, im Herbst oder Winter eine kleine Wanderung zu organisieren!

Barfüßige Grüße,
Markus U.

Lapplandwanderung

Bene, Sunday, 29.09.2002, 00:24 (vor 8035 Tagen) @ Bernd A

Wirklich schön geschrieben und trotz der Länge gut zu lesen, dann und wann musste man wirklich schmunzeln - aber eine Frage, warum hast Du "Fjälluggla" konsequent in Anführungszeichen gesetzt?

Ich finde es einen sehr angenehmen Nebeneffekt dieses Forums, dass es nicht nur über das Barfuss-Laufen informiert (dazu gäbe es ja eigentlich nicht viel zu sagen), sondern einen "Kontakt" zu Menschen bietet, die einen anderen Horizont, andere Interessen und Erlebnisse haben, als die Menschen, die man sonst üblicherweise aus Berufsleben oder Nachbarschaft kennt. Das hat eigentlich nichts mit den Füssen zu tun, sondern nur damit, dass dies ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt ist, der sehr unterschiedliche Menschen miteinander "sprechen" lässt.

Deshalb wäre ich auch daran interessiert, irgendwann bei einem Treffen die "anderen" kennen zu lernen.

Jedenfalls ein schöner Bericht, der einen Erlebnisse miterleben lässt, deren Faszination ich nachvollziehbar finde, ohne das gleich nachmachen zu müssen...

Bene

Lapplandwanderung

Bernd A, Monday, 30.09.2002, 22:39 (vor 8033 Tagen) @ Bene

Hallo Bene,
"Fjälluggla" ist ja nur ihr Kosename, sie heißt in Wirklichkeit anders. Die anderen Namen sind echt, außer die von Sven und Svenja, die heißen in Wirklichkeit auch anders. Da aber in Kvikkjokk nur 18 Leute wohnen, wüsste jeder sofort, wer gemeint ist. Und ich weiß nicht, ob den beiden das recht wäre, wenn ich ihre Namen in dem Zusammenhang im Internet nenne.
Gruß, Bernd

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