Maipresse (2) (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Sunday, 26.05.2002, 18:04 (vor 8159 Tagen)

Hallo zusammen,
ich hatte schon für Pfingsten diese Ausgabe mit Beiträgen zur EXPO.02 in der Schweiz versprochen. Hat etwas länger gedauert, aber hier isse nu.

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EXPO.02
Ein Fest für alle Sinne
- Biel: Macht und Freiheit
- Murten: Augenblick und Ewigkeit
- Neuenburg: Natur und Künstlichkeit
- Yverdon-les-Bains: Ich und das Universum
- Jura: Sinn und Bewegung
Biel: Macht und Freiheit
Wie drei eidgenössische Schwurfinger ragen die hohen Türme am Ende des Forums, der lang gestreckten Ausstellungsplattform, in den Himmel. Auf dem Weg vom Haupteingang zum See hat man sie ständig vor Augen. Dieser Teil des Gelän-des, der Expopark, ist zurückhaltend konzipiert. [...] Politik als Spiel inszeniert die wie eine Lunge ein und ausatmende Traglufthalle «Nouvelle DestiNation» der Eidgenossenschaft. Unauffällig ist hingegen die Hülle von «Leben, Lust und Lohn». Umso spektakulärer ist die im Innern gebotene Show der Maschinenindustrie [...]
Murten: Augenblick und Ewigkeit
Murten ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Als einzige fixe Arteplage ist diese aus einer Hand gestaltet. Der Pariser Stararchitekt Jean Nouvel und seine Berner Partner haben die Gastgeberstadt weit gehend in die Ausstellung einbezogen. Dadurch sind die Grenzen zwischen Bestehendem und Neuem verwischt, und die eigentlichen Ausstellungsbauten scheinen nur untergeordnete Bedeutung zu haben. Selbst das Wahrzeichen, der Monolith, schwimmt wie selbstverständlich draussen im See, dabei hat er die Grösse eines Hochhauses mit zwölf Stockwerken. Der Würfel aus rostendem Stahl ist nur per Boot zu erreichen. Im Innern birgt er ein Stück vaterländischer Geschichte: die Schlacht von Murten, 1476 [...] Die heutige Realität in der Landwirtschaft vermittelt die Ausstellung «Expoagricole» des Bauernverbands. Auf zwei Standorte aufgeteilt, bietet sie Einblick in Bauernfamilien und -betriebe und lädt zudem zu kulinarischen Begegnungen ein. Für (Stadt-)Kinder besonders spannend sind Bauernhof, -küche und Streichelzoo [...]
Neuenburg: Natur und Künstlichkeit
Überdimensioniert und künstlich wird die Natur in Neuenburg in Szene gesetzt. Nicht zu übersehen sind die drei riesigen «Kieselsteine», die über der Plattform schweben, in bedrohlicher Grösse und doch mit einer aus der Kindheit vertrauten Form. Es wird uns bewusst, dass die Zukunft irgendwo zwischen Natur und Künstlichkeit liegt. [...] Für künstliche Gesellschaft sorgen in «Robotics» Maschinen, die mit uns kommunizieren und durch die Ausstellung führen [...] Eine gewaltige Kraft vermag auch die Natur zu entfesseln. Dies veranschaulicht der nach der Windstärke eines Orkans benannte Pavillon «Beaufort 12». Entscheidend für die Zukunft ist, ob es gelingt, das empfindliche Gleichgewicht herzustellen und zu erhalten zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. [...]
Kinder sind eingeladen, auf der «Piazza Pinocchio» in die Rolle des Helden zu schlüpfen. Freude haben werden sie auch am «Funpark» und - man lasse sich vom Namen nicht täuschen - an «Aua extrema»: In dieser Ausstellung, die barfuss zu betreten ist, dreht sich alles um das Wasser (rätoromanisch: aua).
Yverdon-les-Bains: Ich und das Universum
Wer hat nicht schon einmal geträumt, beinah schwerelos auf einer Wolke zu gehen? In Yverdon wird dieser Traum Wirklichkeit. Spektakulär die dreidimensionale Stahlkonstruktion der New Yorker Architekten Diller & Scofidio, deren 31 400 stecknadelkopfgrossen Düsen Seewasser in hauchdünnem Nebel heraussprühen. 110 Meter vom Seeufer entfernt, ragt das Gebilde 20 Meter in die Höhe und wird zum Wahrzeichen dieser Arteplage, einer Landschaft der Sinnlichkeit [...] Das begehbare Kino «SwissLove» lässt den Zuschauer Schicksal spielen, die Ausstellung «Circuit» aktiv oder passiv Sport betreiben [...]
Jura: Sinn und Bewegung
Als jüngster Kanton tanzt der Jura an der Expo.02 gehörig aus der Reihe. Er steuert zu den vier fest stehenden Arteplages eine eigene, mobile bei. Ursprünglich eine harmlose Kiesbarke, wird die Arteplage Mobile du Jura (AMJ) wie ein Piratenschiff überraschend in Biel, Murten, Neuenburg und Yverdon auftauchen. Wer sich auf eine Fahrt einlässt, wird ein bisschen Mut brauchen. Denn das Programm der AMJ ist viel frecher als jenes der übrigen Expo. Als unkonventionell bezeichnet der jurassische Regierungsrat und Expo-Botschafter Jean-François Roth das Angebot der AMJ.
Entsprechend dem Thema «Sinn und Bewegung», will Chefpirat Juri Steiner auch der antiautoritären Alternativ- und Gegenkultur Platz einräumen. Erinnert wird beispielsweise an die Naturistenbewegungen der zwanziger bis siebziger Jahre - nicht bloss mit einer Ausstellung: Auch das Publikum ist eingeladen, die Hüllen fallen zu lassen [...]
Die AMJ will eine Geschichte der Schweiz in sieben Kapiteln aufschlagen. Jedes dieser Kapitel soll einige Wochen dauern, mehrere Rituale umfassen und im Zeichen einer Galionsfigur stehen. Als solche wird Che Guevara das Kapitel über die politische Schweiz begleiten. Im Inhaltsverzeichnis aufgeführt sind auch die jurassische und die humanitäre Schweiz sowie die Schweiz des Geldes.
Allen wilden Gerüchten zum Trotz wird es auch möglich sein, sich ohne jeden politischen oder intellektuellen Anspruch zu vergnügen oder das schöne Sommerwetter zu geniessen. Die Arteplage Mobile ist derart flexibel, dass sie ohne weiteres auch als schwimmende Sonnenterrasse, heisse Disco oder Vehikel für romantische Mondscheinfahrten dienen kann.
[Der Landbote (Schweiz), 04. 05. 2002]
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Die Expo.02 im Besucher-Test
Tausende Personen stellten die Infrastruktur der Landesausstellung auf die Probe
«Das Kies aus dem Glarnerland hat genau die richtige Rauhheit, damit das Barfuss-Laufen im Ostschweizer Pavillon 'aua extrema' die erwünschte belebende Wirkung hat.»
Der Meinung von «aua»-Architekt Marco Koeppel widerspricht Gesamtprojektleiter Reinhard Frei: «Das Kies ist zu hart. Es schmerzt empfindliche Füsse.» «Nein, schmerzen soll es nicht», hält auch Canisius Braun vom Lenkungsausschuss dagegen. Es ist Samstag - Vorbesichtigungstermin der Expo für die Medien.
Seele baumeln lassen
Am Sonntag tummelten sich erstmals über tausend Menschen auf der Arteplage in Neuenburg. Das Echo des Testpublikums gibt den Kritikern Recht. Betriebschef Patrick Koeppel bestätigt: «Ja, beim Kies müssen wir noch etwas ändern. Das ist zu kantig.» Sonst aber ist er mit dem Testtag zufrieden.
Die «aua extrema» kommt an - viele Zuschauer schätzen, dass man hier die Seele baumeln lassen und sich Emotionen hingeben kann [...]
Vorbesichtigung und Test haben am Wochenende einen ersten realistischen Blick in die Expo.02 erlaubt. Die Ausstellung verspricht zahlreiche Erlebnisse und Einsichten. In den verbleibenden zehn Tagen bis zur Eröffnung muss allerdings noch einiges an Arbeit geleistet werden: Noch fehlen Bodenbeläge, andernorts stehen sie mehrere Zentimeter unter Wasser. Und auch der Rasen verbreitet noch nicht jenes Grün, das zum Ausstellungsmotto von Neuenburg passt: «Natur und Künstlichkeit»
[Tagblatt, 06. 05. 2002]
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«Die Expo ist ein chaotischer Betrieb»
Aua extrema hat an den Preview Days den Test bestanden - Interview mit Betriebsleiter Patrick Köppel
Patrick Köppel, Sie arbeiteten 10 Jahre als Stadtschreiber von Arbon und wurden dabei zum halben Seebuben. Wie fühlen Sie sich auf der Arteplage an der Expo in Neuenburg ?
Patrick Köppel: Ich wurde in Arbon zum ganzen Seebuben und fühle mich auch am Neuenburgersee perfekt. Unser Pavillon liegt so traumhaft schön am Wasser, das mich mit seinen unterschiedlichsten Facetten je nach Wetter fasziniert: Mal ist es wunderschön, dann stürmt es wie verrückt.
Hat sich Ihr Verhältnis zum Wasser durch Ihre Vorbereitungen für die aua extrema verändert?
Köppel: Mir ist bewusster geworden, dass wir das Wasserreservoir für einen grossen Teil Europas sind. Ich bin dem Wasserverbrauch gegenüber sicher sensibler geworden und denke manchmal auch über die ungleiche Verteilung von Wasser auf der Erde nach.
Was hat Sie an diesem Job an der Expo.02 besonders gereizt?
Köppel: Es ist ein Lebensprojekt. So etwas macht man nur einmal im Leben. Man lernt alle Arten von Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen kennen. Das ist spannend und herausfordernd. Auch unser Team ist bunt zusammengewürfelt [...]
Um die aua extrema in ihrer ganzen Dimension zu erleben, müssen die Besucher ihre Schuhe ausziehen und barfuss durchs Wasser waten. Was erleben Sie, wenn Sie selber Ihre Hosen hochkrempeln?
Köppel: Ich empfinde es jedes Mal als sehr sinnliche Erfahrung. Die Kieselsteine massieren die Fusssohlen und regen so den ganzen Körper an. Es wirkt wie eine Fuss-reflexzonen-Massage. Wenn man wieder in die Schuhe steigt, so sind sie angenehm warm [...]
[Appenzeller Zeitung, 08. 05. 2002]
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Pavillons, Themenparks, Schulden
Von Euphorie bis Selbstzerknirschung: Die "Expo.02" in der Schweiz.
In politischen Fragen lässt sich die Schweiz selten hetzen. Und die Expo.02 ist ein Politikum. Schließlich stellt die Landesausstellung die nationale Gretchenfrage, erkundigt sich nach Anspruch und Wirklichkeit im Zusammenspiel der kantonalen Ministaaten — einem Bund, der in seiner heutigen Form wesentlich jünger ist als der Tell-Mythos. Die Eidgenossen verstehen sich keineswegs als Einheit. Sondern als Willensnation, die längst nicht immer bruchfest ist.
Umso klüger war die dezentrale Standortwahl: Die Expo.02, die gestern eröffnet wurde und bis zum 20. Oktober dauert, verteilt sich auf vier Städte und verläuft genau auf der deutsch-französischen Sprachgrenze im Dreiseenland zwischen Biel und Yverdon-les-Bains. 4,8 Millionen Besucher werden zur Expo.02 und ihren etwa 1500 Veranstaltungen erwartet, davon rund eine Million aus den Nachbarländern.
Die Expo.02 setzt die jahrhundertealte Tradition der nationalen Feiern in der Schweiz fort. Was nicht bedeutet, dass sie verkrustete Heidi-Klischees aufpoliert. Erstmals in der Geschichte der Landesausstellungen gibt es keine offizielle Botschaft. Dafür vier Themenparks in Biel, Neuenburg, Murten und Yverdon. Sie wurden Arteplages genannt, von namhaften Architekten — darunter auch Jean Nouvel, dem Themenparkgestalter der Expo in Hannover — entworfen und sind allein der eigenwilligen Bauten wegen eine Reise wert. Sie unterstreichen die Landschaft, verschönern sie aber nicht, sagt die Expo-Generaldirektorin Nelly Wenger, im Gegenteil, sie dominieren als Gegensätze.
Das ist nicht übertrieben. Die Expo ist kein Technologiesalon, sondern will Werte wie Neugier und Mut zur Träumerei vermitteln. Und das wollte ja auch schon die Expo vor zwei Jahren in Hannover. [...]
In Neuenburg stehen drei Ufo-ähnliche Pavillons auf dem Pier. Menschen tasten sich barfuß über spitze Kiesel durch ein künstliches Seebecken an einem Ostschweizer Panorama entlang — die Ausstellung heißt Aua extrema. Das ist rätoromanisch und bedeutet extreme Wasser. [...]
Die Expo, ursprünglich auf 2001 terminiert, war sanierungsbedürftig und wurde um ein Jahr verschoben. [...] Im Vorverkauf wurden bisher 1,8 Millionen Tickets abgesetzt. Wunder dauern eben etwas länger.
[Hannoversche Allgemeine, 15. 05. 2002]
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Eisblumen im warmen Raum
Das Wasserelement ist auch im Projekt «aua extrema» der Ostschweizer Kantone als eindrückliches Spektakel inszeniert. Wiederum verschwindet die anspruchsvolle Technologie hinter dem ästhetischen Erlebnis. Das Kernstück des Ausstellung - und auch ihre grösste technische Herausforderung - stellt das Eisblumenhaus dar.
Im Haus herrscht angenehme Temperatur von 28 Grad. Hier treten die Besucher barfuss ein. Auf der Aussenseite der Glaswände, die 24 Quadratmeter Fläche messen, wachsen Eisblumen. Eine Berührung einer warmen Hand - und weg sind sie.
Die Eisblumen wachsen zwar nach. Dafür brauchen sie aber sechs bis acht Stunden Zeit. Langsam bilden sich die unterschiedlichsten Formen, denen nur sieben Grundkristalle als Bausteine dienen. [...]
Trotz günstiger Luft- und Temperaturverhältnisse würden keine Eisblumen entstehen, hätten die Projektleiter herkömmliche Glasscheiben verwendet. [...] Für «aua extrema» wurde daher unebenes und unreines Glas hergestellt.
[Neue Luzerner Zeitung, 17. 05. 2002]
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Vielleicht kann ein(e) Surfer(in) noch einige lohnende Links ins Netz ermitteln und mitteilen?
Wäre nett!
Serfuß von Georg

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