Barfüßige Erinnerungen, 3. Teil: Ungarn (Hobby? Barfuß! 2)

Harald 2, Tuesday, 01.01.2002, 15:20 (vor 8302 Tagen)

Liebe Barfuß-Menschen!
Zunächst einmal: Herzlich willkommen im neuen Jahr! Ihr habt sicher, so wie ich, ganz viele Vorsätze für barfüßiges Selbstbewusstsein. Wünschen wir unseren Füssen die Freiheit, die sie verdienen!
Wie versprochen hab ich wieder in meiner "Erinnerungskiste" gekramt und ein bisschen was aus Ungarn gefunden.

Während meines Studiums fuhr ich einmal in den Sommerferien zu einem internationalen Treffen von LandwirtschaftsstudentInnen nach Mosonmagyaróvár. (Zum Glück muss ich den Ortsnamen nur tippen und nicht aussprechen. Ich wohne in einer Gegend, wo in 100 km Umkreis - von Zuwanderern abgesehen - sechs Sprachen gesprochen werden. Ungarisch ist für mich die rätselhafteste davon ;-))
M-Óvár (die Abkürzung hab nicht ich erfunden...) ist eine echt nette Kleinstadt, die Uni klein, sympathisch, persönlich und zum Teil in einem alten Schloss am Rand der Donauauen untergebracht. Wir wohnten im Studentenheim und unser Programm bestand aus einigen Vorlesungen und zahlreichen Exkursionen. Mein Zimmerkollege C. kam aus Dänemark. Nach der Ankunft am Abend sollte der erste Tag mit einem gemeinsamen Frühstück, Eröffnunsansprachen durch den Rektor und so und mit den ersten Vorlesungen beginnen. All das fand in einem Gebäude der Uni etwa 300 m vom Studentenheim entfernt statt. Ich verließ unser Zimmer in Shorts und T-Shirt, aber noch ohne Schuhe, und ging ins Gemeinschaftsbad. Als ich Schuhe und meine Unterlagen aus dem Zimmer holen wollte, fand ich die Tür versperrt. Tja, C. hatte wohl geglaubt, dass ich schon meine Sachen mithabe und am Weg zur Uni sei. Ich war ja, wie das bei mir oft so ist, reichlich spät dran. Ans Barfußgehen war ich damals schon gewohnt, war aber dennoch eher verlegen, als ich Handtuch und Zahnbürste vor der Zimmertür deponierte und mich so auf den Weg machte. Doch ich sollte es nicht bereuen. Es ist eine gute Sache, wenn einem eine Gruppe von Leuten gleich barfuß kennenlernt. Es war zwar nicht so geplant, aber letzten Endes hatte ich alle Fragen, kritischen Blicke und meine eigene Verlegenheit gleich beim ersten Frühstück hinter mir. Natürlich war ich auch vor den Vorlesungen zu faul für den Weg zurück ins Studentenheim. Meine Füsse sollten in dieser Woche genug Freiheit bekommen...
Schön war, dass ich oft nicht der einzige Barfüsser blieb. Bei den Exkursionen auf den ungarischen Äckern und am Abend im "Studentenclub". Einmal beschlossen wir, spätabends von dort noch in ein Lokal aufzubrechen. Einige Leute gingen ins Studentenheim, etwa 100m entfernt, um lange Hosen oder Schuhe zu holen. Eine norwegische Studentin und ich verweigerten - und genossen einen barfüssigen Abend mit einer netten Gruppe, die unseren Tick kommentarlos hinnnahm. Bei der Party am letzten Tag tanzten erstaunlich viele Leute ohne Schuhe. War ich ein Vorbild?

Eine andere Ungarn-Reise führte mich vor einigen Jahren in die Puszta in der Gegend von Kecskemét. (Unter anderem war ich aus Gründen, die für den Grossteil der LeserInnen wohl eher nicht so spannend sein werden, auf der Suche nach einer Pflanze namens "Festuca vaginata" - sollte es tatsächlich eine(n)unter Euch geben, den dieses Thema brennend interessiert: Schreib mir ein Mail: harald@barfuss.ch) Ich durchwanderte also, ausgerüstet mit Wasserflasche und Pflanzenbestimmungsbüchern ein paar Tage lang Steppenrasen auf sandigen Böden - und sah mir zur Abwechslung auch die touristische Reitervorführung bei Bugac an. Natürlich war ich barfuss, damals im Sommer eh schon fast immer, es gibt ja sowieso nichts Besseres, und auf Sandböden schon gar nicht. Aber das brauche ich ja euch nicht zu erzählen. Witzig war es, ab und zu Abdrücke anderer nackter Füsse im Sand zu finden. Ich konnte die Größe mit meinen Füssen vergleichen und rätseln: Wer war hier unterwegs? Eine Frau, ein Mann, ein Kind? Wohin ging er/sie? Warum war er/sie wohl barfuß? Schließlich führte mich mein Weg an einigen einzelstehenden Gehöften vorbei. Pusztaromantik total: Ziehbrunnen neben dem Haus, Pferdewagen fahren durch die ebene Landschaft. Bei einem Haus sprechen mich zwei ältere Männer an. Wir unterhalten uns in einer Mischung aus Deutsch (verstehen die beiden nicht), Ungarisch (verstehe ich nicht, wie gesagt) und Russisch (tja, kann ich auch nicht, verstehe ich höchstens einzelne Wörter, wenn es gut geht). Es ist erstaunlich, dass wir trotzdem etwas voneinander mitbekommen. Sie bewundern mich für meine nackten Füsse. Sie erinnern sie an ihre Jugendzeit. Sie laden mich ins Haus ein. Ich habe genug Zeit, und ich freue mich auf den Schatten. Wir sitzen bei einem wackeligen Tisch mit einem alten Plastiktischtuch, trinken Wein, den einer der beiden frisch aus dem Keller holt, und essen Nüsse. Ich erinnere mich noch heute an jedes Detail und habe das Gefühl, dass ich diese Begegnung nicht in dieser Form gehabt hätte, wenn ich mit den neuesten Treckingschuhen dahergekommen wäre.


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion