Oktoberpresse extra (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Georg,
ich finde es ja toll, daß Du Dich so mit dem Thema Barfuß und Füssen auseinandersetzt, aber was hat ein Zeitungsbericht, in dem zufällig das Wort barfuß auftaucht, mit dem Thema dieses Forums zu tun? Das verstehe ich nicht.
Daß in Afghanistan viele Leute barfuß laufen, ist nichts neues oder bemerkenswertes. Ein Bericht über barfuß fliehende Frauen in USA ist meines Erachtens ebenfalls an unserem Thema vorbei. Man könnte den Eindruck gewinnen, daß Du Dich an dem geschriebenen oder ausgesprochenen Wort "barfuß" in irgendeiner Weise, die ich nicht nachvollziehen kann, erfreuen oder "aufgeilen" kannst, daß Du alles und jedes danach absuchst. Zum Teil finde ich die Erwähnung der oben genannten Berichte unter dem Aspekt BARFUSS eher geschmacklos, da sie den nötigen Respekt vor den schrecklichen Dingen, die in USA passiert sind und in Afghanistan passieren, vermissen lassen. Das Barfußlaufen in diesem Zusammenhang ist doch eher eine lächerliche Randnotiz, oder? Es wäre besser, wenn die Presseberichte daraufhin gekürzt würden, ob sie sich mit dem Thema BARFUSSLAUFEN beschäftigen. Das schlichte Wort Barfuß qualifiziert einen Artikel nach meiner Meinung nicht zur Veröffentlichung hier im Forum. Weniger wäre hier mehr - dann könnte man es auch zeitlich schaffen, alles zu lesen.
Viele Grüße
Olaf
Hallo zusamen,
ich hatte noch ein «Spezial» versprochen.
«Barfuß berührt viele weitere Lebensbereiche» ist eine Rubrik im Best of überschrieben - und die Paperball - Abfragen der letzten Wochen zeigen, dass auch die Folgen der Attentate vom 11. September und der daraus erwachsene Afghanistan - Konflikt dazu gehören :
FLÜCHTLINGE
Blutige Sohlen am Khyber-Pass
Tausende Afghanen fliehen vor dem drohenden US-Militärschlag nach Pakistan. Eine Deutsche war vor Ort. [...]
Peshawar - Ob es die Beine von Frauen oder Männern sind, kann man nicht erkennen, weil man sie nur bis zur Hüfte sieht und alle ähnliche Pluderhosen anhaben. Das reizvolle Ratespiel Mann oder Frau wird jäh von einem Lautsprecher unterbrochen, und die Pluderhosen beginnen zu laufen. "Die Taliban kommen", übersetzt der Begleiter im Kellerrestaurant in Peshawar aufgeregt. "Da wollen die Einheimischen schnell nach Hause."
Es mögen an die zwei- oder dreitausend Afghanen sein, die gerade von der Moschee kommen und in Sprechchören den Tod aller Amerikaner verlangen. [...]
Das macht es Tausenden von Afghanen möglich, abseits der offiziellen Übergänge über die Grenze zu kommen. Notfalls zahlen sie Bakschisch an Polizisten. Ihre Begründung, warum sie geflüchtet sind, wirkt in vielen Fällen geradezu grotesk. Die Frauen sagen, die Taliban haben sie ohne ihre Männer weggeschickt, weil die Amerikaner angreifen und alle Afghanen töten wollen. Vor den Amerikanern hätten sie solche Angst, dass sie nur nachts über die Gebirgspfade liefen. Manche barfuß, mit blutenden Sohlen.
Es stellt sich heraus, dass das, was in New York geschehen ist, bei Afghanen ohne Zeitung, ohne Fernsehen und vielleicht sogar ohne Radio noch längst nicht hinreichend bekannt ist. Noch immer wird wohl viel zu wenig bedacht, dass etwa 85 Prozent der Männer und 95 Prozent der Frauen in Afghanistan weder lesen noch schreiben können. [...]
[Hamburger Abendblatt, 05. 10. 2001]
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Barfuß über die Avenue [...]
Während im Mittleren Osten der Aufmarsch amerikanischer Truppen voll im Gange ist, scheint nach Innen das Bemühen groß, zum normalen Rhythmus zurückzufinden. Auch in Washington.
Doch in jedem Gespräch ist das Schreckliche jenes 11. September stets präsent. Eindrücke aus einer verletzten Stadt Der Potomac wälzt sich langsam als braune trübe Masse hinter dem Fenster vorbei. [...]
Ja, meint Eric, auch sie haben an jenem schönen und sonnigen Morgen den lauten Knall gehört und dann die fette Rauchsäule am anderen Ufer des Flusses gesehen. Genau dort, wo das Pentagon steht.
Ja, es war wie im Film. Aber man ahnte irgendwie, es ist die Realität.
Dann sahen sie die vielen Menschen, wie sie zu Fuß über die Pensylvenia Avenue stadtauswärts strömten. Busse fuhren nicht. Viele Frauen aus all den Büros im Zentrum ohne Schuhe. Sie hatten ihre Pumps ausgezogen, auf hohen Absätzen kann man nicht fliehen. Und es war eine Flucht, die Angst um ihre Kinder trieb sie an. Die Ungewissheit. Das überlastete Handy-Netz brach augenblicklich zusammen.
Für Eric und Michael ist es eine klare Sache, eine angemessene Antwort auf die Anschläge muss kommen. [...]
Was ihnen noch von dem 11. September in Erinnerung blieb? Die schwarzen Limousinen, die fast leer nach dem Knall aus der Stadt strömten. Sie haben keine gesehen, die stehen blieb, um eine der fliehenden Frauen mit zu nehmen.
[Thüringer Allgemeine, 05. 10. 2001]
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Tag der offenen Tür in den Moscheen lockte Besucher an [...]
"Hätt' ich blouß Soggn ouzogn", jammert eine Besucherin der Ayasofya-Moschee am Spittlertorgraben leise vor sich hin und geht zögerlich barfuß über die mit Teppichen belegte Treppe in den ersten Stock des islamischen Kulturzentrums. Ein älterer Herr fragt sogar etwas trotzig: "Können Sie mir sagen, warum?"
Ein Türsteher hat den Besucher höflich, aber bestimmt gebeten, an der Schwelle zur Moschee seine Schuhe auszuziehen. "Wir beten auf dem Boden ... damit der sauber bleibt", begründet er den Brauch.
Zweifellos sind zahlreiche Islam-Anfänger unter den 200 bis 300 Besuchern, die den bundesweiten Tag der offenen Moschee mit Rekordbesucherzahlen nutzen, um mehr über die rund 30 000 muslimischen Mitbürger in Nürnberg, ihren Glauben und ihr kulturelles Leben zu erfahren. [...]
Quasi die personifizierte Integration ist Ali-Nihat Koç. Zum Erstaunen der einheimischen Moschee-Besucher bringt der selbständige Kaufmann sein religiöses und bürgerschaftliches Selbstverständnis auf den Punkt: "Meine Propheten sind Mohammed, Jesus, Moses und Abraham, mein Bundespräsident ist Johannes Rau." Koç kam im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei nach Röthenbach/Pegnitz und hat sich nach dem Studium eine eigene Existenz aufgebaut. Als Sprecher der Begegnungsstube Medina organisiert er regelmäßig christlich-islamische Dialogveranstaltungen.
Beide Kirchen-Sprecher benannten die vielfältigen historischen und theologischen Wurzeln, die dem Islam und dem Christentum gemeinsam sind. Dekan Michael Bammessel beschrieb das immer wiederkehrende Gefühl der Gastfreundschaft bei seinen Besuchen in einer Moschee: Zu den betenden Menschen empfinde er eine "größere Nähe als zu manchem Deutschen, der mit dem Gebet gar nichts anfangen kann". Der evangelische Stadtdekan wird aber immer wieder mit den wechselseitigen Ängsten der zugewanderten Muslime und einheimischen Christen konfrontiert, der Besorgnis des Verlustes an Identität. Nur der vertrauensvolle Austausch über solche Ängste lasse Vertrauen wachsen. [...]
[Nürnberger Nachrichten, 05. 10. 2001]
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"Ich möchte fliegen zu meiner Frau"
Beklemmendes Theaterstück um Brandschlag auf Gastarbeiterhaus.
MOERS. Beklemmung macht sich breit, als klar wird, was Ali meint. Der türkische Gastarbeiter, in der Kapelle an der Rheinberger Straße gespielt von Mohammed-Ali Behboudi, hat seinen Sohn "Bülent in meine Tasche". Er zieht auf der Bühne ein Taschentuch hervor, öffnet es langsam, geht in den Zuschauerraum. Asche! Denn Alis Frau und eben Bülent sind bei einem Anschlag auf das Haus des Gastarbeiters umgekommen.
"Bülent brennt" - dieser Satz, den Ali immer wieder sagt, prägt sich ins Gedächtnis ein.
"Barfuss nackt Herz in der Hand", so heißt der Monolog eines Gastarbeiters, den Ali Jalali schrieb. [...] Auf der Bühne aufgebaut: ein typisch deutscher Gartenzwerg, eine Laterne, eine Bank. Zu türkischer Musik tritt Behboudi tanzend und lachend auf. Er erinnert sich an fröhliche Szenen. An sein Haus, an eine alte und reiche Frau, die nebenan wohnte, an seinen Kollegen Gottfried, der Alis Tochter heiraten möchte.
Doch immer wieder holt ihn die Gegenwart ein. Er möchte fliegen. Zu seiner Frau, die im Himmel fliegt. Wie ein kleiner Vogel wird. "Und dann seh ich sie nicht mehr. Sie bei Gott."
Dann wieder Gedanken über Unterschiede zwischen Alis Heimatland und Deutschland: Knoblauch, andere Vornamen, Weihnachtsgebräuche: Erwachsene Kinder hier sind zu ihren Eltern "zu Weihnachten gründlich nett". Behboudi versteht es auch, die Beschneidung seines Kollegen fröhlich darzustellen. Gottfried, umbenannt in Hassan: "Er ist jetzt sauber, aber gründlich".
Nach dem Anschlag ist Alis Haus weg. "Aldi da, Deutsche Bank da, mein Haus nicht da." Und "wenn ich schlafe, Vampire kommen, wollen Blut". Die werden auch nicht mehr mit Knoblauch verjagt. Hoffnung: Er sieht im Traum Prophet Mohammed und Josef Hand in Hand, doch er wird mit den schrecklichen Ereignissen nicht fertig. Deshalb möchte er fliegen. Zu seiner Frau.
Langanhaltender Beifall belohnte Mohammed-Ali Beh-boudi. Es dauerte lange, bis danach die beklemmende Stille durch Gespräche der Zuschauer abgelöst wurde.
[Neue Ruhr Zeitung, 05. 10. 2001]
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Warum Denis aus Hessen ein Taliban werden wollte
Der 19-jährige Junge ließ sich in afghanischen Terrorcamps ausbilden, wurde in Pakistan verhaftet und nach Deutschland abgeschoben [...]
Freitagabend, 22.28 Uhr. Am Frankfurter Flughafen landet eine Maschine der Pakistan International Airlines aus Islamabad. Der 19-jährige Denis J. steigt aus, wird von Beamten des Bundeskriminalamts in Empfang genommen und unter Begleitschutz zum Hinterausgang geschleust. Starr guckt der Junge auf den Boden. Dann steigt er mit den Beamten in eine Limousine und fährt davon.
Denis J. aus Hessen ist ein in Afghanistan ausgebildeter Mudschahed, ein so genannter "Gotteskrieger". In Kandahar, im Hauptquartier des Terrorpaten Osama bin Laden, soll er laut BKA-Bericht bei den Taliban-Milizen am russischen Sturmgewehr gedrillt worden sein.
Drei Wochen lang saß er in Peschawar im Gefängnis. Den pakistanischen Grenzbeamten war er am 22. September aufgefallen, als er ohne Ausweispapiere illegal von Afghanistan nach Pakistan einreisen wollte. Jetzt hat ihn die pakistanische Regierung abgeschoben. Ist Denis ein fanatischer Komplize, bereit zum Heiligen Krieg?
Rödermark-Urberach, ein 10000-Einwohner-Dorf 30 Kilometer südlich von Frankfurt. Kein Licht hinter den Fenstern des Elternhauses von Denis, seit Tagen ist hier niemand gewesen. Für die Familie ist die Situation schwer zu ertragen. Vater Hans J. hat sich von seiner Arbeit in der Branddirektion der Stadt vorläufig befreien lassen, Mutter Ute J., Gesamtschullehrerin, hat seit drei Wochen versucht, Kontakt mit Hilfsorganisationen zu bekommen, die ihren Sohn herausholen könnten. Und Kevin J., 13, Denis kleiner Bruder, kann das alles nicht verstehen.
"Wir sind fassungslos", sagt Constanze F.*, eine Freundin der Mutter. "Denis ist in einer sehr liebevollen Familie aufgewachsen. Ich finde einfach keine Erklärung."
Doch ihre Tochter Bettina F.*, 19, erzählt, dass Denis schon immer ein Außenseiter gewesen sei [...]
Mit 13 fing Denis an, sich mehr und mehr für den Islam zu interessieren. "Seine ganzen Freunde waren Moslems", erzählt Markus S., 19, sein bester Jugendfreund. "Früher war Denis ein Spaßmacher. [...]" Doch seitdem Denis auf die neue Schule geht, kapselt er sich immer mehr von seinen alten Freunden ab. Fast jeden Tag ist er mit den Söhnen einer albanischen Nachbarsfamilie, Ylber und Naser B. zusammen. [...] "Seine neuen Freunde, das waren so Hau-drauf-Typen'. Die haben immer gleich geschlagen, wenn ihnen was nicht gepasst hat." 1999 erstechen Ylber und Naser B. einen jungen Mann vor einer Kneipe.
Denis trägt zu dieser Zeit keine normale Kleidung mehr, hüllt seinen immer dünner werdenden Körper in Kutten, trägt einen Turban, läuft barfuß und lässt sich einen Bart wachsen. Schon um sechs Uhr morgens betet er in der marokkanischen Tahvid-Moschee in Dietzenbach. "Manchmal hat er auch in der Moschee geschlafen", sagt Rachid K., 19, ein junger Türke. "Er kannte den Koran in- und auswendig, hat mir immer gesagt, auch ich müsse fünfmal am Tag beten, damit ich ins Paradies komme."
Imhamid El Hafiani, Vorsteher der Tahvid-Moschee, mochte Denis. Seine muslimischen Freunde nannten ihn Ismail, der Name eines Propheten. "Er war ein guter Junge. Ich habe mich gefreut, dass er sich dazu entschieden hat, Moslem zu werden."
Die Eltern waren anderer Meinung. "Sie haben sich oft mit Denis gestritten", sagt eine Nachbarin. "Sie wollten nicht, dass er Moslem wurde. Sie hatten einfach Angst, er würde überall nur noch als Sonderling abgetan werden." Denis wird aggressiv. Auf einer Schulpräsentation schlägt er einen Lehrer zusammen, als der ihn darauf aufmerksam machen will, dass er hinter der Absperrung steht. Er fliegt von der Schule.
Seine mittlere Reife macht er auf einer anderen Gesamtschule, färbt sich seine kinnlangen blonden Haare schwarz und zieht in den Frankfurter Stadtteil Ginnheim [...] Als er in Frankfurt gewohnt hat, ist er dort in eine afghanische Moschee gegangen" [...]
Das BKA vermutet, dass Denis hier Kontakt bekam zu einem illegalen Taliban-Konsulat im Bahnhofsviertel Frankfurts. [...]
Obwohl sich Denis mit der Zeit immer merkwürdiger benahm, kann niemand in Urberach fassen, dass er ein Terrorist geworden ist. [...]
* Namen von der Redaktion geändert
[Die Welt, 13. 10. 2001]
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Ein kunterbuntes Bündnis der Besorgten
Friedensdemonstration in Berlin: Angst eint die Teilnehmer - Grüne machen sich rar [...]
Berlin. Jubiläen sind eine feine Sache - aber heikel: Zum einen färben sich vergangene Zeiten im Rückblick stets golden, zum anderen mag man dem Jubilar an seinem Ehrentag nicht sagen, wie sehr er sich verändert hat. So ergeht es auch der Friedensbewegung.
Also bemüht man derzeit gern 1981, wenn man über die neuen Friedensdemonstrationen redet, erinnert, dass vor 20 Jahren in Bonn gegen die Aufstellung von Pershings protestiert wurde - und unterschlägt Unterschiede. Der auffälligste ist dabei nicht, dass die damalige Hauptstadt deutlich kleiner war als die aktuelle, sondern dass die Demo deutlich größer war. 300 000 kamen in den Hofgarten, 30 000 zogen am Sonnabend auf den Gendarmenmarkt in Berlin. [...] "Zivilisierte Welt, mir graut's vor Dir" hat ein Vollbartträger auf seinen Bauch gepinselt. Er geht barfuß, trägt Schafsfell und Knochenkette, mimt einen Urmenschen und sagt: "Diese hoch technisierten Waffen machen mir Angst.'
Angst eint die Demonstranten, das lassen Sonnenschein und Klezmermusik für Momente vergessen. In Afghanistan werden Bomben abgeworfen, sterben Menschen, und auch das unterscheidet diese Demo von 1981, als es um die Stationierung von Waffen ging, als der Krieg ein kalter war. Nun ruft die Angst vor dem Weltkrieg "Aufstehen für den Frieden" [...]
[Nordwest Zeitung, 15. 10. 2001]
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Zusammenprall der Kulturen in der bayerischen Provinz: in Wertingen bei Augsburg soll eine Moschee gebaut werden
Nicht jeder sagt Grüß Gott, Allah
Der Stadtrat und der Bürgermeister sind dafür, die Gegner begehren auf - und die Muslime in der Stadt spüren den kalten Hauch des 11. September [...]
Es war alles in Ordnung in Wertingen. Eingebettet in Europa, das wirtschaftliche Leben gesund mittelständisch. Feuerwehrler, Schützen, Laienhelfer, mit Biografien, so blitzblank geputzt wie die Straßen hier im bayerischen Schwaben. Gasthäuser, die freundliche Tiere im Namen tragen: Hirsch und Lamm und Schwan. Einmal war die Stadt richtig in den Schlagzeilen, Ende der Siebziger, als sich die Wertinger dem grassierenden Wirtshaussterben entgegenstellten, indem sie leer stehende Schulen in bewirtschaftete Bürgerhäuser umwandelten.
Dann kam diese Sache mit der Moschee und das Bürgerbegehren; dann kam der 11. September, dann war die Vergangenheit vorbei. In der Gegenwart ist der Kampf der Kulturen nach Wertingen getragen worden [...]
Ungefähr 200 Mitglieder der islamischen Gemeinde gibt es hier, Türken vor allem. Sie arbeiten, wie ihre Väter, bei Bosch in Dillingen oder in der Creaton-Ziegelei hier in Wertigen. Rechtschaffene Leute, sagt Riesebeck, "die früher geholt worden sind für Arbeiten, für die die Deutschen sich zu schade waren". Die ihre Steuern hier zahlen, die Recht und Gesetz und Verfassung gelesen haben, darin den Abschnitt mit der Religionsfreiheit. Die eine Moschee wollten und ein kleines Grundstück erwarben, das zum Verkauf stand, draußen im Industriegebiet. [...] Der Bauausschuss stimmte der Moschee zu.
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens "gegen die kirchliche Nutzung" jenes Grundstücks, sammelten bis zum 10. September 942 Stimmen. Nachdem die Zwillingstürme in New York geköpft wurden, stieg die Zahl der Moschee-Gegner auf knapp 1400 [...]
Der Stadtrat hat das Bürgerbegehren inzwischen als rechtswidrig abgelehnt, die Initiative will vor dem Verwaltungsgericht Augsburg dagegen klagen. In den Ordnern, die sie dabei haben, ist ihre Korrespondenz abgeheftet, zustimmende Post, Zeitungsartikel und eine Menge Leserbriefe, von ihnen selbst verfasst und in der Wertinger Zeitung veröffentlicht. [...] In den Briefen steht das, was die beiden auch vorm Augsburger Hof formulieren, eine Mischung aus Furcht und Vorurteilen und Vermutungen, die sie als Tatsachen verkaufen. Sporer und seine Frau Christine schreiben: "Sehr viele Wertinger haben nun Angst, dass der bislang positiv verlaufende Integrationsprozess gestoppt wird, sich die Wertinger Türken fortan abkapseln und dadurch künftigen fundamentalistischen Einflüssen unterliegen können." Sie schreiben: "Ein derartiger Magnet wäre u.a. integrationshemmend und hätte einen überproportionalen Zuzug von Islamisten zu Folge, was die sozialen Verhältnisse hier mittelfristig grundlegend verändern würde." Seefried schreibt: "Zum Punkt Toleranz möchte ich hinzufügen, dass ich nach meinem letzten Leserbrief (...) mit dem `Osmanischen Messer´ bedroht wurde."
Ein paar Kilometer weiter, in Lauingen, gibt es seit fünf Jahren eine Moschee, der dortige Bürgermeister Georg Barfuß hat den Bau mit durchgesetzt und festgestellt, dass genau das nicht eingetreten ist, was die Wertinger zu fürchten vorgeben: der Aufbau einer unkontrollierbaren Parallelwelt. Bevor es die Moschee gab, sagt Barfuß, sei es schwierig gewesen, türkische Mütter in den Deutschunterricht an der VHS zu kriegen, "da haben wir eine Initiative gestartet, und es kamen gerade mal zwei Frauen". Seit er in der Moschee das Lernprogramm direkt anpreisen lässt, hätten sie zwanzig Frauen im Unterricht.
Barfuß, ein CSUler, der durch die ganze Welt gereist ist und der einen, nach dem Gespräch, mit einem luftigen Vaya con dios verabschiedet, sagt, dass man reden muss mit den Leuten, reden, reden, reden. Regelmäßig hält er Vorträge, hat auch ein Buch zum Thema geschrieben, über das Zusammenleben mit Muslimen in einer kleinen Stadt. Darin sind Briefe an ihn abgedruckt, in denen nicht das Osmanische Messer spricht, sondern der germanische Kleinbürger, in Sütterlin über das Papier kratzend, mit den Typen der Kugelkopfschreibmaschine auf das Papier hämmernd. "Sie gehören an eine Bombe drangebunden und dann in der Moschee ferngezündet", schreibt einer, und ein selbst ernanntes Bundesamt für Ausländerfreundlichkeit bescheinigt Barfuß, "durch den Bau einer muselmanischen Moschee" sich "für die Würde der in Deutschland weilenden fremdländischen Menschen eingesetzt zu haben." Zum Dank "werden Herrn Barfuß 10 rumänische Zigeuner/10 kurdische Rauschgifthändler/10 ghanesische Huren frei Haus zugewiesen."
Barfuß sagt, nach dem 11. September kriege er mehr Post . Die einen schreiben, er soll durchhalten. Die anderen, er sei der schlimmste Arsch, der rumläuft. [...]
Die Moschee wird erstmal nicht gebaut. Bis sich alles beruhigt hat, sagt Akcay. Es gab ja noch nicht mal einen Erschließungs- und Bebauungsplan, das Grundstück ist, von den Abmessungen her, nicht richtig geeignet. Es ist ein Streit um ein Phantom [...]
[Süddeutsche Zeitung, 20. 10. 2001 ]
Bürgermeister Barfuß ist Stammgast in meinen Paperball - Funden. Hier ergab sich einmal etwas Interessantes im Kontext,
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Vom ungestillten Durst nach Wissen
Die Frauen sitzen in einem kahlen Raum in der pakistanischen Grenzstadt Quetta und lesen im Chor von der Tafel ab: "Der ... Schnee ... schmilzt."
In ihrer Heimat war den Flüchtlingen aus Afghanistan der Schulbesuch vom regierenden Taliban-Regime verboten oder zuvor schon wegen bitterer Armut unmöglich. Viele der Mädchen und Frauen kommen aus Familien, die auf der Flucht alles zurücklassen mussten. In Pakistan haben sie aber die Chance, sich zu bilden. Ihre Lehrerin Asisa Chari ist ebenfalls Flüchtling. Sie war schon in Afghanistan Lehrerin, bevor die Taliban verfügten, dass Frauen weder lehren noch lernen dürften. "Als unsere Schule geschlossen wurde, weinten meine Schülerinnen", erinnert sich Chari. "Wenn ich jetzt sehe, wie lernbegierig und glücklich diese Schüler jetzt sind, macht das die Trauer von damals ein bisschen wett."
"Ich will unbedingt lernen", sagt die 15-jährige Scharifa. "Das ist das, was mir in diesem Leben am meisten Freude macht." [...]
Im Klassenzimmer, dessen gesamte Einrichtung aus auf dem Boden liegenden Matten und der Tafel besteht, lernen täglich 80 Schülerinnen in zweistündigen Schichten. Barfuss im Schneidersitz folgen sie konzentriert den Worten der Lehrerin. [...]
Die Schule besteht erst seit drei Monaten, doch es gibt bereits eine lange Warteliste. (Infos im Internet: www.rawa.org) ap
[Kieler Nachrichten, 26. 10. 2001]
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Belesene Füße
Georg