Barfuss in Guatemala : Unerwünscht (Hobby? Barfuß! 2)

aquajeans, Friday, 28.09.2001, 19:15 (vor 8397 Tagen)

Hallo !

War mit meiner Familie Ende August in Guatemala, 50 % touristisch, 50 % "dienstlich" im Rahmen einer karitativen Tätigkeit, wobei ich betonen möchte, dass ich die Reise 100 % privat bezahlt habe. Durch den "dienstlichen" Aspekt der Reise hatte ich offizielle Verpflichtungen in der Hauptstadt mit unseren Vetrauenspersonen, die der weissen Oberschicht angehören, und habe touristisch das Land bereist, mit Kontakten zur indianischen und Mischlingsbevölkerung.

Im Gegensatz zum Nachbarland Belize, das ein Barfusseldorado zu sein scheint, wo, so heist es, die Leute "aus Prinzip" barfusslaufen, das kulturell aber auch ganz anders ist als Guatemala (englischsprachig, afro-karibische Bevölkerung, Guatemala ist spanischsprechend + 22 indianische Sprachen), läuft in Guatemala in dieser Hinsicht glatt nichts.

Bei der weisshäutigen, spanischen Oberschicht sowieso nicht: unsere Vetrauenspersonen , die vor einigen Monaten bei uns zu Hause In Europa zu Besuch waren, waren einfach paff, dass ich am Wochenende zu Hause barfuss herumlief. Gesagt haben sie nichts, die Leute sind sehr höflich,aber es schien sie zu schockieren. Ich hab es daher aus Gründen der Gastfreundschaft und der Höflichkeit für eine Woche bleiben lassen.

Aber auch die indianische Bevölkerung ist vollends "bekehrt", mit zwei Ausnahmen:

Auf dem Land laufen nur die alten Frauen noch konsequent barfuss, die jüngeren tragen selbst in entlegenen Dörfern Plastiksandalen.

Eigentlich könnte sich die indianische Bevölkerung keine Schuhe leisten, aber auf den Märkten gibt es, abseits der Handarbeitsstände für Touristen, Second-Hand Schuhverkäufer, die ausgediente Lederschuhe, Plastiksandalen usw. feilbieten....über Hygiene oder orthoPàdische Aspekte des Tragens von eingelaufenen Schuhen macht man sich keine Sorgen.

In der Hauptstadt sind nur die Strassenkinder und die Bettler barfuss.

Touristen werden ausdrücklich vom Busfahrer gewarnt, am Lake Atitlan nicht barfusszulaufen, wegen der zahlreichen Skorpione, die es dort gäbe (??!)

Ich selbst habe das Barfusslaufen für die zwei Wochen dann , wenn auch mit Bedauern, sein lassen, da ich es vermeiden wollte, mich in einem fremden Land , in dem ich Gast bin, "daneben "zu benehmen. Mich bei mir zu Hause, in meinem gewohnten Umfeld, in gewissem, für andere Leute nicht schädigendem Mass, auf einem Punkt abweichend von der sozialen Norm zu benehmen, damit habe ich keine Probleme. In einer vollkommen fremden Kultur, hatte ich Hemmungen, insbesondere in einer Gesellschaftsstruktur, wo Kleider noch viel ausgeprägter als bei uns Leute machen, und wo Barfusslaufen eindeutig das Wahrzeichen der Allerärmsten ist. Ein "Gringo", der barfuss läuft, wäre dort vermutlich auf totales Unverständnis gestossen, und als "loco" (verrückt) gegolten.

Die Einheitsfusstracht für die zahlreichen jungen EuropäerInnen in Antigua (Sprachschulen) oder am Lago Atitlan (Ferien) sind übrigens TEVA's

Zugegebenermassen war ich nur in der Hauptstadt, in der Ebene zur Pazifikküste, und im Hochland. Ich weiss nicht wie die Lage im Peten, an der Grenze zu BELIZE, oder am Rio Dulce ist. Wenn jemand von dort berichten kann, wäre ich sehr gespannt.

MfG

"Barfuss in ..." - bessere Erfahrungen

Wolfgang, Saturday, 29.09.2001, 15:26 (vor 8396 Tagen) @ aquajeans

Hi!

Deine Erfahrungen in Guatemala kann ich großteils bestätigen... aber auch relativieren. Ich habe selbst auch beruflich in Mittel- und Südamerika zu tun, und das schon recht lange. Du hast recht mit deiner Beobachtung. Es ist offensichtlich, daß die meisten Leute dort sich verständlicherweise noch in einer heftigen Assimilationsphase westlicher Güter befinden, ähnlich wie wir Deutschen nach dem Krieg. Verzicht auf Symbole des Wohlstands (und gerade Schuhe) würde wirklich und verständlicherweise als Verhöhnung begriffen werden.

Auch für mich ist es (mittlerweile) zumal im Zusammenhang mit meinem Job (Gastprofe an Unis) absolut undenkbar dort barfuß zu laufen. Unabhängig davon sind die Verhältnisse in den Großstädten alles andere als einladend.

Dennoch, ab und an geht's einfach nicht mit Schuhen: Und ein paar Mitstreiter gibt es auch. So sieht man zumindest ab und an Langstreckenläufer(innen), die wie ich, barfuß laufen. Allerdings werden sie dies wohl meist aus Mangel an (im Vh. teurer) Ausrüstung tun. Jedenfalls ist DIESES Barfußlaufen nichts Spektakuläres. Ganz im Gegenteil. Vor kurzem war ich noch in den Llanos (Ostkolumbien) und bin morgendlich meine 10 km gerannt. Zwar auf Teer aber - bekannt - Technik und Gewöhnung. Durch Ortschaften laufend hab ich praktisch KEINE Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Aber... die tatsächlichen täglichen Probleme sind dort wohl zu präsent im Vergleich zum Auftauchen eines verückten Gringos.

Und dann mit einem treuen Mitstreiter, einem Fachkollegen: Wir fahren regelmäßig zu Klettern nach Suesca (60 km nördl. Bogotá). Fantastischer windverwitterter Quarzsandstein mit extremer Reibung. Kletterschuhe gehören schon seit geraumer Zeit nicht mehr ins Gepäck. Wir sind uns einig: Lieber 1-2 Schwierigkeitsdrade weniger, aber dafür volles Felsfeeling. Bei Kletterkollegen sind wir und unsere Gewohnheit bekannt und nur positiv kommentiert. Schöne Sache.

Seit über 10 Jahren bewege ich mich auch in den Tieflandwäldern, in Flußauen und im Páramo, den Gebirgssümpfen, barfuß umher, wie die Indios es seit Jahr1000en tun. Einige meiner Studenten machen das übrigens auch. Generell gilt, daß wo wenig Bevölkerung lebt, sind auch die immer erwähnten Parasiten viel seltener. Und wirklich giftige Tiere gibt es nicht in der Tat eher selten und nur in bestimmten Regionen, die man dann auch bekannt sein sollten.

Also, passende Gelegenheiten zum Barfußlaufen gibt es auch in den Ländern Süd- und Mittelamerikas viele, man muß eben hinaus ins Hinterland, weg von der Stadt sich frei bewegen wissen, und so läßt es sich meiner Erfahrung nach selbst gehobensten Ansprüche nachkommen.

Motivierend y descalzo,
Wolfgang

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