Barfuß in Afrika (Fortsetzung) (Hobby? Barfuß! 2)
Bei diesem nassen Aprilwetter reizt es mal wieder zur gedanklichen Flucht in die trocken-heißen Sawnnen Ostafrikas, ins Masailand.
Auf Maasai heißt "barfuß gehen" übrigens "Alo-toondap", in der kenyanischen und tanzanischen Amtssprache Suaheli "Tembea mguu mtupu"
MASAILAND
Schon früh am Morgen wird das Gepäck aller Expeditionsteilnehmer in den Truck verstaut und wir erklimmen zum ersten Mal die Leiter zum Innenraum des hohen Fahrzeugs.
Ulf nimmt auf dem Fahrersitz platz, sein Stammplatz für die nächsten sechs Wochen
Nach kurzer Fahrt, vorbei am futuristischen Kenyatta-Kongress-Center, dem Wahrzeichen Nairobis, haben wir das Häusermeer der Innenstadt bereits hinter uns gelassen. Nachdem auch die Wellblechvororte hinter uns liegen geht es durch fruchtbares Farmland Richtung Nordwesten und erreichen schon bald einen steilen Geländeabbruch. Vor uns liegt ein weites trockenes Tal, das Rift Valley, der große afrikanische Grabenbruch, der sich über tausende Kilometer von Jordanien bis hinunter ins Sambesital erstreckt. Irgendwann, in Jahrmillionen, wird sich hier wahrscheinlich ein neuer Ozean öffnen.
Das Rift Valley wurde von den früheren britischen Kolonialherren den Masai überlassen, "auf ewig, so lange die Masai existieren". So ist das Rift Valley heute Masailand und dieses Gebiet, das sich bis nach Tansania hinein erstreckt, werden wir in den nächsten beiden Wochen durchreisen.
In engen Kurven windet sich die Straße den steilen Abbruch hinunter. Unten passieren wir die Antennen einer Satelitenstation als letztes Zeichen der modernen Zivilisation und fahren auf der Straße, die nun nach Westen, in Richtung Narok abzweigt, in die trockene Weite des Masailandes.
Trockenes Buschwerk und weit ausladende Schirmakazien bestimmen das Landschaftsbild. Vereinzelt sehen wir Masaihirten mit ihren Ziegen und Rindern durch die unwegsame Landschaft ziehen, ab und zu taucht eine Manyatta, versteckt zwischen den Büschen liegend, auf. Andere Orte gibt es auf der etwa hundert Kilometer langen Strecke bis Narok keine. In der Nähe der Manyattas treffen wir dann auch häufiger auf Masaifrauen mit ihren Kindern, die Krieger und die alten Männer sitzen meist irgendwo im Schatten einer Akazie.
Wir wundern uns über die Masai, die hier barfuß und mit nackten Beinen zwischen den dornigen Büschen herumlaufen, als sei es der Stadtpark einer europäischen Großstadt. Das ist selbst für mich immer wieder verwunderlich, obwohl ich selbst auch über Stock und Stein barfuß laufe.
Uns strapazieren die Dornen schon zu genüge, wenn wir mal für einen Moment hinter einem der Büsche verschwinden müssen.
Sengend heiß scheint die Sonne vom Himmel, als wir gegen Mittag eine Pause einlegen und uns im Schatten des Lasters ein paar Brote schmieren. Einige Haufenwolken spenden nur kurzzeitig Schatten.
Ich gehe für einen Augenblick hinter die Büsche, als ich plötzlich durch knackende Geräusche erschreckt werde. Als ich in die Richtung der Geräusche schaue, sehe ich gerade noch zwei kleine Gazellen zwischen dem dornigen Buschwerk davonhuschen.
Nach einer weiteren Stunde Fahrzeit erreichen wir die Masaistadt Narok.
Narok ist so etwas, wie der letzten Außenposten der Zivilisation. Weiter südlich gibt es nur noch Wildnis und keinerlei feste Dörfer. Einige Manyattas der Masai sind die einzigen Behausungen, in dieser Buschlandschaft, in der die Nationalparks Masai-Mara und Serengeti liegen. Hier ist das Reich der großen Tierherden Afrikas.
Wir machen in Narok noch einige Besorgungen, der Wagen wird nochmals aufgetankt. Der Dieselvorrat muss für die nächsten beiden Wildniswochen reichen, ebenso der Trinkwasser- und Biervorrat.
Einige Masai kommen her um uns Waren anzubieten. Sie sind jedoch bei weitem nicht so aufdringlich, wie ihre Stammesgenossen in Namanga. Sie stehen nur herum und zeigen uns ihre Kunstartikel. Manche versuchen ein Gespräch anzufangen, was jedoch meist an den mangelnden Englischkenntnissen der Masai scheitert. Und von uns spricht natürlich auch niemand Masai. Ich versuche es mit ein paar Brocken Suaheli, doch auch das verstehen die Masai nicht. Ob es nun daran liegt, dass die Masai kein Suaheli verstehen, oder ob mein Suaheli einfach nur zu schlecht ist, kann ich nicht herausfinden.
Schließlich finden wir doch einen jungen Burschen, der ganz stolz ist, uns seine Englischkenntnisse unter Beweis zu stellen. Zur Belustigung aller umstehenden Masai plaudern wir ein wenig mit ihm, wie er heißt, wie wir heißen wie alt er ist und wo er Englisch gelernt hat. Dann noch wo wir herkommen und wo wir hin möchten, bis er uns dann verlegen anlächelt zum Zeichen, dass er doch nur wenig versteht. Dennoch hat es uns genauso wie den Masai Spaß gemacht, uns mit ihnen zu unterhalten.
Zwei Glanzstare auf einer Telegrafenleitung erwecken vor allem Willys Aufmerksamkeit. Voller Begeisterung fotografiert der Hobbyornithologe die farbenprächtigen Vögel von allen Seiten.
Wir setzen unsere Fahrt fort, durch staubiges heißes Buschland, bis wir schließlich bei den Loita Hills den Westrand des Rift Valley erreichen. Hinter den Loitabergen liegt die Hochebene der Masai Mara. Auf einer Wiese in mitten eines Waldes mit hohen Akazien, nordöstlich des Nationalparks schlagen wir zum ersten Mal unsere Zelte auf, was heute, am ersten Tag noch zur allgemeinen Belustigung führt. Wir stellen uns doch reichlich ungeschickt an, bei der ungewohnten Arbeit. In den kommenden Wochen wird das Auf- und Abbauen der Zelte für uns alle zur Routine werden. In den gesamten sechs Wochen ist nur eine einzige Hotelübernachtung in Kigali vorgesehen. Ansonsten ist der Busch unsere Heimat und das Zelt unser Quartier.
Wie immer, laufe ich auch hier im Camp barfuß, was die anderen mit gutgemeinten Warnungen vor gefährlichem Kriech- und Krabbelgetier quittieren
Es wird auch für mich die erste Nacht in der freien Wildnis. Unsere Zelte stehen ja nicht in einem abgeschlossenen und bewachten Camp, wie im Amboseli und wie ich es auch auf meinen bisherigen Safaris gewohnt war, sondern irgendwo mitten in der Wildnis des Masailands. Wilde Tiere streifen überall in der Umgebung herum. Als wir hier her kamen, haben wir in der Umgebung einige Antilopen und Gazellen gesehen. Aber es gibt mit Sicherheit auch Raubtiere. Von früheren Safaris weis ich, dass dieses Gebiet auch außerhalb des eigentlichen Nationalparks sehr wildreich ist. Meine schönsten Wildbeobachtungen konnte ich am Rande des Masai Mara Nationalparks machen. Allerdings ist die Gegend am Mara River, auf der anderen Seite des Reservates wildreicher als hier. Der Marafluss ist die Lebensader dieses Tierreservates.
Wie erwartet wird die Nacht unruhig. Vor allem das alberne Kichern der Hyänen schien doch sehr nahe zu sein.
Noch näher war freilich Uwes Grunzen und Schnarchen, das seinen tiefen und ungestörten Schlaf verriet. Nachdem er sich am Abend ein paar Flaschen Bier reingekippt hatte, konnte ihm auch das schaurigste Hyänen-Geplärre nicht den Schlaf verderben. Auch meine gelegentlichen Rempler brachten nur kurzzeitig Ruhe.
Am Morgen sehen die meisten noch etwas verschlafen aus. Die erste Nacht im Busch ließ die wenigsten ruhig schlafen.
Doch ein starker Kaffee zum Frühstück weckt uns dann doch die Lebensgeister. Als wir so beim Frühstück sitzen, bekommen wir unerwarteten Besuch. Einige jugendliche Masai kommen neugierig, aber nicht aufdringlich her. Wir bieten ihnen zu Essen an, aber sie lehnen ab. Sie stehen nur da und schauen uns zu. Sie schauen sich alles interessiert an. Dann gehen sie zu den Zelten. Etwas argwöhnisch schauen wir ihnen hinterher. Der eine Junge, er ist wohl der Älteste, zeigt auf eines der Zelte, mit fragendem Blick. Offensichtlich möchte er hineinschauen. Wir gewähren den Jugendlichen diesen Wunsch und öffnen das Zelt. Interessiert und mit Verwunderung sehen sie sich das Zelt an und befühlen es. Sie lächeln uns verlegen an. Möglicherweise haben sie so etwas zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen. Zurück beim Frühstückstisch lehnen sie auch unser erneutes Angebot, mit zu essen, ab. Nachdem sie sich noch eine Weile umgesehen haben, verabschieden sie sich mit einer grüßenden Handgeste und gehen wieder zurück zu ihrer Manyatta, wie wir vermuten.
Sie werden bei ihren Freunden in der Manyatta bestimmt viel zu erzählen haben, über uns und unsere Sachen, von denen sie manches vielleicht zum ersten Mal gesehen haben. Campingutensielien und Expeditonsausrüstung gehören ja nicht unbedingt zum täglichen Bedarf der Masai. Vermutlich werden ihre Erzählungen über uns in ihrer Manyatta mehr Bewunderung auslösen, als wenn sie ein wildes Tier erlegt hätten. Die meisten Masai in dieser abgelegenen Gegend kennen die Touristen nur aus der Ferne, sehen sie nur regelmäßig mit ihren Safaribussen vorbeifahren, wenn sie auf dem Weg hinunter zur Keekorok Lodge oder den anderen Safaricamps in der Masai Mara sind. Aber die Wenigsten haben diese Touristen je aus der Nähe gesehen, beim Frühstücken, haben ihre Ausrüstung anschauen dürfen und sogar in die Zelte der Weißen schauen dürfen. Das war bestimmt ein ganz besonderes Erlebnis und genauso viel wert, wie einen Löwen töten.
Und auch für uns war es ein erster Kontakt zu der Bevölkerung dieses Gebietes, ohne den üblichen Touristenkitsch und ohne aufdringliches Handeln um irgend welche Schnitzereien. Die jungen Masai waren höflich und zurückhaltend, ganz anders, als die Typen in Namanga.
Wir packen unser Zeug zusammen und machen uns wieder auf den Weg, Richtung Keekorok im Masai Mara Nationalpark.
Bald überqueren wir die Grenze des Nationalparks. Immer öfters erblicken wir Wildtiere, die über die weite Steppe ziehen. Doch meist flüchten sie vor dem großen Fahrzeug, so dass genauere Beobachtungen kaum möglich sind.
Die Landschaft wird nun offener. Die Savanne mit ihrem dornigen Buschwerk weicht allmählich offener Steppe mit einigen Galleriewäldern an Flussläufen.
In der Keekorok Lodge legen wir eine Pause ein, um uns einen Erfrischungsdrink zu gönnen.
Danach setzen wir unsere Fahrt fort, Richtung Süden, nach Tansania. Auf unserer Fahrt können wir noch einige Zebras und Giraffen, ein paar Gnus und einen einzelnen Elefanten beobachten, die friedlich in der Steppe grasen.
Bald erreichen wir die Grenzstation, die auch gleichzeitig Parkeingang der Serengeti ist.
Wir stellen uns auf längere Zollformalitäten ein. Ulf geht in die Zollstation hinein und nimmt alle Pässe mit. Schon nach kurzer Zeit kommt er wieder heraus. "Alles in Ordnung", meint er, "Ihr könnt kommen und Euere Pässe abholen. Geht nach einander hinein, er möchte nur noch die Passfotos vergleichen!" Etwas verwundert über die überaschend zügige Abfertigung folgen wir der Aufforderung. Lange Zeit war die Grenze zwischen Kenia und Tansania absolut dicht, eine Einreise nach Tansania war absolut unmöglich. Derzeit ist ein Grenzübertritt nun wieder möglich und das soll nun ganz ohne Schwierigkeiten ablaufen! Wir sind gespannt, wo der Haken ist. In der Zollstation sitzt ein freundlicher afrikanischer Beamter in sauberer Uniform, barfüßig in den Sandalen. Mit freundlichem Lächeln überreicht er jedem einzelnen seinen abgestempelten Pass, sagte: "Wellcome to Tansania" und wünschte jedem "Happy christmas!" In zwei Tagen ist Weihnachten.
Wir können es kaum glauben, aber wir haben tatsächlich ohne Probleme die Grenzformalitäten hinter uns gebracht. Wir wünschen dem Grenzer auch eine "Happy Christmas" und gehen zurück zum Wagen. Da kommt uns Ulf entgegen und geht mit einer gefüllten Plastiktüte nochmals in die Zollstation. Fragende Gesichter!
Als er zurück kommt grinst er über das ganze Gesicht. "Habe ihm ein paar T-Shirts geschenkt, für seine Kinder. Übermorgen ist doch Heilig Abend. Über solche kleinen Aufmerksamkeiten sind die armen Kerle immer ganz dankbar. Ihr Gehalt ist schlecht genug!" Aha, das war also der Grund für den reibungslosen Verlauf. "Gewusst wie!" lacht Ulf und gibt Gas, bevor sich's der Grenzer anders überlegt.
Von nun an bedeutet der Safariverlauf auch für mich Neuland, denn auf meinen bisherigen Afrikareisen besuchte ich ausschließlich Kenias Wildreservate sowie einige Gebiete im südlichen Afrika.
Unsere Fahrt geht durch die weite offene Serengetisteppe in Richtung Süden. Sanft gewellte Hügel bestimmen das Landschaftsbild. Das Gras ist jetzt, kurz nach der Regenzeit noch saftig grün. Vereinzelte Bäume und Büsche bieten zusammen mit herumliegenden Felsbrocken Abwechslung im eintönigen Grün des Grases. Am tiefblauen Himmel ziehen einzelne weiße Haufenwolken friedlich dahin. Tiere sind nicht viele zu sehen, ein paar Gazellen, vereinzelte Zebras und Gnus. Die großen Herden sind um diese Jahreszeit viel weiter nach Süden gezogen. Stunde um Stunde fahren wir so durch die weite Landschaft. Plötzlich deutet Erich nach rechts. Ein gutes Stück westlich des Weges sind am Himmel mehrere große Vögel zu erkennen. Ulf velässt den Fahrweg und steuert den Truck querfeldein in Richtung der Vögel. Beim Näherkommen erkennen wir, dass es Geier sind, die nun geradeaus vor uns am Himmel kreisen. Zielstrebig steuert Ulf auf die Stelle zu, über der die Geier ihre Kreise ziehen, muss dabei aber immer wieder Felsbrocken, Löchern und Buschwerk ausweichen. Die Spannung steigt. Die Tatsache, dass die Geier noch hoch am Himmel kreisen, ohne herunter zu stoßen, deutet darauf hin, dass sich dort wohl noch Löwen befinden, die gerade ein Beutetier verspeisen. Die Entfernung ist größer, als wir zunächst annahmen, die klare Luft lässt vieles näher erscheinen, als es tatsächlich ist. Endlich kommen wir näher und erkennen zwischen einigen Felsen und Büschen einige Löwen. Wir können nur bis etwa hundert Meter an die Katzen heranfahren. Sie haben ein schon sehr zerrissenes Tier vor sich liegen, an dem sie sich ihren Hunger stillen. Einige Löwen haben sich mit einem Stück Fleisch etwas abseits zurückgezogen, um es in Ruhe zu fressen. Wir können sechs Löwen zählen, es kann jedoch sein, dass sich noch weitere Tiere im Gebüsch oder hinter den Felsen befinden. Was für ein Tier sie gerissen haben, ist auf die Entfernung nicht zu erkennen. Ulf versucht, noch etwas näher heran zu kommen, aber das Gelände ist sehr unwegsam. Durch unsere Bemühungen werden die Löwen unruhig und ziehen sich schließlich ins dichte Gebüsch zurück. Wir ziehen uns ebenfalls zurück und setzen unsere Fahrt fort. Schon nach kurzer Zeit stoßen die ersten Geier auf die Erde herab, um sich einen Happen blutiges Fleisch zu ergattern. Als wir den Weg wieder erreicht haben, kreisen die Geier wieder hoch am Himmel. Die Löwen sind also zurück gekommen und setzen ihr Mahl fort. Es ist ein malerisches Bild, die kreisenden Geier am Himmel zwischen den still dahinziehenden Wolken, die mit ihren weisen "Wattebäuschen" und den flachen hellgrauen Unterseiten wie gemalt aussehen, über der weiten grünen Landschaft.
Am späten Nachmittag erreichen wir die Lobo Wildlife Lodge, wo wir uns eine Erfrischung gönnen. Die Auswahl an Getränken erreicht hier, in den staatlich geführten Lodges Tansanias bei weitem nicht den Standard der privatwirtschaftlichen Unterkünfte in Kenia.
Nach unserer Pause fahren wir wieder ein kurzes Stück zurück, Richtung Norden, ehe Ulf den Truck auf einen kaum erkennbaren Fahrweg nach Osten, in Richtung Lake Natron lenkt. Nach wenigen Kilometern erreichen wir die Grenze des Nationalparks. Kurze Zeit später finden wir unweit des nahezu ausgetrockneten Flussbettes des Grumeti einen geeigneten Platz, um unser zweites Nachtlager aufzuschlagen, auf einer Wiese im Schutz von Felsen. Nachdem die Zelte aufgebaut sind klettere ich auf die Anhöhe der Felsen und werde mit einen herrlichen Blick über das Buschland der Umgebung belohnt. In etwa zweihundert Meter Entfernung kann ich eine kleine Gruppe Büffel sehen, die friedlich zwischen den verstreuten Büschen grasen.
Nach dem wir uns am Lagerfeuer das Abendessen bereitet haben sitzen wir noch eine Weile zusammen, trinken noch ein Tusker Premium, plaudern noch etwas und lauschen den vielen unbekannten Geräuschen, die den Abend über der Savanne erfüllen. Über uns spannt sich der tiefschwarze Nachthimmel, von dem die Sterne klar und hell, als wären sie greifbar nahe, herunterfunkeln.
Dann ziehen wir uns nach und nach ins Zelt zurück. Nach den beiden letzten unruhigen Nächten kann mich auch Uwes nächtlicher Sägeakkord nicht vom Schlaf abhalten. Und auch die Geräusche der Wildnis, die ich anfangs noch höre, entschweben bald in weite Ferne.
Schon früh sind wir am Morgen wieder auf den Beinen. Wir haben eine anstrengende Strecke zum Lake Natron vor uns. Morgen abend wollen wir dort ankommen. Auf dem schlechten Naturweg kann sich unser allradgetriebener Truck zum ersten Mal bewähren. Wir kommen nur langsam voran.
Seit wir gestern den Nationalpark verlassen haben, befinden wir uns wieder im Siedlungsgebiet der Masai. Es dauert auch nicht lange, bis wir die ersten jungen, in rotbraune Decken gehüllte Hirten treffen, die gerade ihre Rinder und Ziegen auf die Weidegründe treiben. Die Hirtenaufgabe kommt bei den Masai den jungen Burschen zu, bevor sie dann so etwa mit 14 Jahren, bei der rituellen Beschneidungsaktion die Bewährungsprobe zum Jungkrieger bestehen.
Bald erscheinen auch die ersten Manyattas, die kreisförmig angeordneten Hüttenansammlungen der Masai, die jeweils einem Familienverband Wohnraum bieten. Meist winken uns die Masai freundlich zu, zeigen jedoch unmissverständlich an, dass sie nicht fotografiert werden wollen.
Später bekommen wir dann doch in einer Manyatta Fotografiererlaubnis. Die Masai sind sogar bereit, uns einen kleinen Einblick in ihr tägliches Leben zu gewähren, gegen Bezahlung natürlich. Den Wert des Geldes haben die Masai, bei aller konservativen Lebenseinstellung, auch zu schätzen gelernt.
Wie ich später erfuhr, ist es den Masai nach tansanischem Gesetz verboten, sich fotografieren zu lassen, weder mit noch ohne Bezahlung. Doch wer will es ihnen verdenken, wenn sie diese Einnahmequelle trotzdem nutzen wollen, andere Verdienstmöglichkeiten gibt es hier draußen in der Wildnis ja nicht. Außerdem ist die nächste Polizeistation meilenweit entfernt und die tansanischen Polizisten machen sich auch nicht die Mühe jeden Winkel im Busch auf die Einhaltung des Fotografierverbotes zu kontrollieren. Es kommt ohnehin nur alle paar Wochen mal vor, dass sich Touristen in diese abgelegene Gegend verirren und Masai fotografieren wollen.
Wir sind jedenfalls ganz dankbar für diese willkommene Gelegenheit und lassen uns etwas aus dem Leben der Masai vorführen. Das ist für uns genauso interessant, wie es gestern morgen für die jungen Masai war, unsere Ausrüstung, die für sie unheimlich luxuriös erscheinen musste, anzuschauen. Auch wir sehen und erleben vieles, was wir hier gezeigt bekommen, zum ersten Mal.
Wir haben Glück, die Hirten dieser Manyatta wollten die Herde gerade hinaustreiben, als wir ankamen. Nun warten sie noch und zeigen uns, wie sie eine Kuh zur Ader lassen.
Dazu stauen die Masai einer eingefangenen Kuh die Halsschlagader bis diese deutlich hervortritt. Mit einem abgestumpften Pfeil und einem kleinen Bogen zielt nun ein junger Mann aus kurzer Entfernung auf die Schlagader und schießt den Pfeil ab. Nach dem die Stauung gelöst ist quillt das Blut in einem dicken Strom aus der Wunde und wird mit einer Kalebasse aufgefangen. Die Wunde wird anschließend mit Rinderdung und einer bestimmten Pflanze verschlossen. Die Blutung kommt sofort zum Stillstand und das Rind wird wieder freigelassen. Die Masai trinken das frische Blut direkt aus der Kalebasse, oder sie vermischen es mit Milch zu einem nahrhaften Getränk. Milch und Blut gehören zu den Hauptnahrungsmitteln der Masai.
Inzwischen ist die zur Ader gelassene Kuh wieder bei der Herde und ein etwa zehnjähriger Knabe treibt die Tiere hinaus, in den Busch. Er ist für die Herde verantwortlich und muss sie draußen auf sich selbst gestellt vor Raubtieren und anderen Gefahren verteidigen.
In trockenen Zeiten müssen die Hirten ihre Rinder und Ziegen oft über weite Strecken treiben, auf der Suche nach frischem Gras und Wasser. Tausende Gefahren lauern in dieser Wildnis auf die Masaikinder und sie haben öfters die Gelegenheit, bereits jetzt ihren Mut unter Beweis zu stellen. Das bestehen von Mutproben ist sehr wichtig für das Ansehen innerhalb der gleichen Altersklasse.
In der Manyatta zeigen uns die Masai nun, wie sie Felle bearbeiten und aus Rinderleder Sandalen herstellen. Auch das Werkzeug und den Nähfaden dafür, haben die Masai selbst gefertigt. Wir dürfen auch einen Blick in das Innere der Hütten werfen. Beißender dicker Rauch vermischt mit penetrantem Geruch nach Schweiß, Tieren und Mist kommt uns beim Betreten der Hütte entgegen. Im Inneren befinden sich sowohl die Schlafplätze der Menschen als auch Lager für die Tiere. In der Mitte gibt es eine Kochstelle. Leider ist es in der Hütte sehr dunkel, so dass wir kaum Einzelheiten erkennen können.
Die Hütte selbst ist aus einem Gerüst aus Baumstämmen und Ästen errichtet. Die Zwischenräume werden mit Lehm und Kuhdung abgedichtet.
Innerhalb der Manyatta sind die Hütten streng nach Personenkreis getrennt. Frauen haben ihre eigene Hütte, ebenso wie die Männer und die Jugendlichen. Die Kleinkinder leben in der Hütte der Mutter. Die Jungkrieger leben für einige Wochen außerhalb der Manyatta und errichten sich dort eine eigene Wohnstätte.
Um die ganze Manyatta haben die Masai eine Barrikade aus dornigem Gestrüpp errichtet, zum Schutz vor Raubtieren.
Draußen führen uns zwei Jungkrieger jetzt den Umgang mit Pfeil und Bogen vor. Die Jungkrieger sind die Generation, die gerade das Beschneidungsritual hinter sich hat.
Die Beschneidungssaison wird vom "Laibon", dem Medizinmann und Seher ausgerufen. In der Regel sind junge Masai etwa zwischen 13 und 17 Jahre alt, wenn sie beschnitten werden.
Bei diesem schmerzhaften Ritual, das bei vollem Bewusstsein und ohne Betäubung durchgeführt wird, dürfen die jungen Krieger keine Miene verziehen oder gar Schmerzensäußerungen von sich geben.
Für die nächsten zwei bis drei Jahre sind sie nun Jungkrieger müssen sich als Krieger bewähren und dürfen in der Regel völlig frei leben. Nur in Notzeiten müssen sie auch Hüteaufgaben und andere Arbeiten übernehmen.
Während ihres Kriegerdaseins sind die Masai eine verschworene Einheit. Sie müssen alles gemeinsam machen. Keinem ist erlaubt, sich von der Gruppe abzusondern, nicht einmal zum Essen, Schlafen oder zum Entspannen. Später, wenn sie heiraten dürfen, teilen sie auch ihre Frauen mit ihren Beschneidungsgenossen. Eigentlich heiratet eine Frau nicht einen Mann, sondern gleich die ganze Generation. Jeder, der Beschneidungsbrüder darf mit ihr Sex machen, wenn sie es will. Für die Jungkrieger ist Sex Tabu.
Die Zeit als Jungkrieger ist die Zeit der Mutproben, wie zum Beispiel einen Löwen erlegen oder bei einem anderen Stamm die Rinder stehlen, was bei den Masai nicht als Diebstahl gilt, weil nach dem Glauben der Masai Gott alle Rinder den Masai geschenkt hat. So betrachten die Masai den Viehdiebstahl nur als ein Nachhauseholen der Rinder.
Von Gesetzeswegen wird es natürlich als Diebstahl behandelt und auch das Löwentöten steht als Wilderei unter Strafe. Deshalb führen die Krieger heute ein ziemlich langweiliges Leben und vertreiben sich die Zeit damit, Touristen vor der Kamera Modell zu stehen, was ja, wie gesagt auch verboten ist. Am liebsten würde man das Kriegertum ganz abschaffen und die Masai zu einem den heutigen Zivilisationsnormen entsprechenden Leben zwingen.
Die Jungkrieger beweisen ihre Männlichkeit heute hauptsächlich an den Mädchen, was aber nur spielerisch angedeutet werden darf, denn die Krieger haben sexuelle Enthaltsamkeit gelobt, für die Zeit, in der sie Jungkrieger sind. Heiraten dürfen sie erst, wenn sie die "Eunoto"-Zeremonie hinter sich haben. Dies wird nach etwa drei Jahren Rekrutenleben als Jungkrieger sein.
In letzter Zeit hat bei den Masai der Viehandel die Raubzüge abgelöst. Sie verbringen viel Zeit mit dem Umherwandern, oft über die Grenzen ihrer Stammessektion hinaus.
Die Zeit als Moran, als Krieger, ist die wichtigste Zeit im Leben eines Masai. Er steht im Mittelpunkt der Gesellschaft und regelt alle Angelegenheiten, die Verteidigung, Sicherheit, sowie Vieh und Weidegründe betreffen.
Mit etwa 30 Jahren kann er dann nach eigenem Ermessen Mitglied im Ältestenrat werden, als Junior-Ältester und muss dann von der Manyatta in den Familienkral "enkang" umziehen. Nach einer unbestimmten Zeit wird er dann Senior-Ältester, was wieder mit einer Zeremonie, dem "ol-ng esher" gefeiert wird. Den letzten Lebensabschnitt bildet dann die Zeit im Kreis der "ehrwürdigen Ältesten".
Doch zunächst einmal kommt für den Jung-moran das "eunoto", das bedeutendste Fest der Masai.
Das eunoto ist das "Mündigwerden" des Kriegers. Er wird mit dem eunoto Junior -Ältester, kann aber auch noch ein paar Jahre Alt-Krieger sein. Ausgerufen wird das eunoto wiederum vom laibon. Kuriere bringen die Kunde in das gesamte Hoheitsgebiet. Daraufhin kommen die Kriegertrupps nach einigen Tagen zum Ort der Feierlichkeiten und mit ihnen die Familien. Sie gehen oft mehrere hundert Kilometer weit. Das eunoto wird etwa 10 Tage lang gefeiert, mit rituellem Fleischessen, wozu im Verlauf der Feierlichkeiten drei schwarze Ochsen geschlachtet werden. Während des eunotos werden die Krieger einzeln vom Laibon beurteilt. Von dieser Beurteilung hängt nicht nur ihre eigene Zukunft, sondern auch die soziale Stellung des Vaters ab.
Nachdem der offizielle Teil abgeschlossen ist und die Krieger nun ihren neuen Lebensabschnitt als Junior-Ältester beginnen, wird noch tagelang getanzt und gefeiert.
Die jungen Männer sind von nun an auch berechtigt, zu heiraten. Die Masai haben Vielweiberei und Vielmännerei. Innerhalb der gleichen Altersklasse darf eigentlich jeder mit jedem. Eine absolute Schande für einen Mann ist es aber, ein unbeschnittenes Mädchen zu schwängern.
Im Gegensatz zu den Männern führen die Masaifrauen ein weniger spektakuläres Leben. Die Mädchen haben im Dorf die Aufgabe, Kälber, Schafe und Ziegen zu hüten und zu melken. Mit etwa 13 Jahren werden sie beschnitten und sind nun berechtigt, zu heiraten. Wen sie heiratet, wird normalerweise von den Eltern und den Clanmitgliedern vertraglich geregelt. Als Ehemann ausgeschlossen sind natürlich alle Blutsverwandte, also auch die Altersklasse ihres Vaters, weil ja theoretisch jeder ihr Vater sein könnte. Meist willigt das Mädchen der arrangierten Heirat ein, doch in Ausnahmefällen, wenn ihr ein Mann überhaupt nicht gefällt, kann sie es auch ablehnen.
Wie bereits weiter oben angedeutet, möchten die Regierungen von Kenia und Tansania am liebsten die Rieten und Bräuche der Masai abschaffen und die Masai in gängige Zivilisationsnormen zwingen. Man schämt sich wohl auch etwas vor der übrigen "zivilisierten" Welt über diese "Wilden" im Busch. Es ist schade das dadurch in absehbarer Zeit eine der letzten ursprünglichen Kulturen dieser Welt zu Grunde gehen wird. So werden auf Dauer auch die letzten "Wilden" aus ihrem kleinen Paradies vertrieben und begeben sich in das für sie völlig neue Abenteuer "moderne Zivilisation".
Der Wandel vollzieht sich bereits und wird sich in der Zukunft allmählich weiter fortsetzen. Bereits heute trifft man viele Masai, die als Safarifahrer den Touristen aus aller Welt fach- und ortskundig ihre Heimat zeigen, die als Hotelpersonal an der Küste arbeiten, in Werkstätten und Büros beschäftigt sind, und sogar bei der kenianischen Regierung in Nairobi gibt es bereits Abgeordnete der Masai.
Vielleicht ist aber die Kultur der Masai noch nicht ganz verloren. Für die Masai ist das Leben in der freien Natur und das Umherziehen mit ihren Rinderherden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Das Nomadenleben als Rinderzüchter ist untrennbar mit der Kultur der Masai verbunden.
Inzwischen gibt es bereits Ansätze, dieses Züchterleben kommerziell anzuwenden, anstatt raubend bei den Nachbarstämmen einzufallen. Die Masai können ihren Besitztum, ihre Rinder also, vermarkten, ohne ihr Nomadenleben in den Savannen aufgeben zu müssen.
Vielleicht können die Masai in fernerer Zukunft ihr Leben so umgestalten, wie es z.B. früher schon die Lappen in Skandinavien getan haben. Auch für die Lappen ist das Nomadenleben in Verbindung mit der Rentierzucht untrennbar mit ihrer Kultur verbunden. Sie haben einen Weg gefunden, ihre Rentiererzeugnisse kommerziell zu vermarkten ohne dabei ihre alte Kultur als Rentierzüchter und Nomaden ganz aufgeben zu müssen, wenn sie auch nach und nach immer mehr vom Nomadentum abkommen. Dennoch müssen die Tiere auch heute noch von den Sommerweiden zu den Winterweiden getrieben werden und umgekehrt. Und in diesen wenigen Wochen des Jahres kommt die alte Nomadentradition der Lappen wieder zum Vorschein. Das Volk der Lappen ist heute eine selbstbewusste Nation und in der skandinavischen Gesellschaft voll integriert.
Warum sollte dies nicht auch den Masai gelingen. Ich denke, es wäre doch eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive für die Masai, ihre Rinderprodukte zu vermarkten und dabei ihre Nomadentraditionen beizubehalten. Zusätzlich ließe sich sicherlich mit dem Tourismus auch noch einiges verdienen.
Die Masai selbst erträumen sich eine Zukunft mit einem unabhängigen Masailand innerhalb der Staaten Kenia und Tansania.
Fortsetzung folgt...
PS:
Wer mehr über das Leben der Masai wissen möchte, dem kann ich das Buch "Masai, die letzten ihres Volkes" empfehlen. Die Autoren und Fotografen Mohamed Amin, Duncan Wiletts und John Eames dokumentieren darin mit sehr anschaulichen Texten und Fotos die Traditionen dieses Volkes. Auch ich habe einige der vorstehenden Beschreibungen aus diesem Buch entnommen.