Artikel aus dem Bonner General-Anzeiger vom 03.02.01 (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo zusammen,
einem Vorschlag von Georg folgend findet sich hier ein Artikel aus dem Bonner General-Anzeiger vom 03./04. Februar 2001, der sich im "Journal" auf Seite VII fand.
Zwar dreht es sich auch hier leider sehr oft um Schuhe, aber einige der Grundaussagen sind wohl ganz in unserem Sinne!
Der Artikel fand sich nicht in der Suchmaschine "Paperball", daher habe ich mein kürzlich von einem bekannten Lebensmittel-Discounter erworbenes Texterkennungsprogramm in Gang gesetzt (erstmals!).
Viel Spaß beim Lesen wünscht
MarkusII
Schuhe behindern bei Kleinkindern häufig die Entwicklung der Füße. Orthopäden empfehlen deshalb barfuß gehen und Gegenstände ertasten
Spiel mit zierlichen Zehen
Schuhe sind nicht zum Laufen lernen da, meinen Experten. Viel zu früh drückt bereits Babys das oft auch noch falsche Schuhwerk. Später müssen die Kinder häufig mit Schmerzen dafür büßen
Von Christiane Ruoss
Tante und Onkel hatten es gut gemeint. Als die kleine Lisa vier Monate alt war, schenkten ihr die Verwandten ein Paar Sportschuhe von Nike: So genannte Heckeinsteiger mit Klettverschluss, Größe 18,5 - obwohl sich das Baby bis dahin kaum von der Stelle bewegte.
Wenn es nach den Herstellern geht, kann der Mensch offenbar kaum früh genug anfangen, Schuhe zu tragen. Doch Experten raten ab: "Im Krabbelalter ist eine Schuhversorgung nicht sinnvoll", warnt Professor Fritz Uwe Niethard, Direktor der Orthopädischen Universitäts-Klinik und Poliklinik der RWTH Aachen und früherer Vorsitzender der Vereinigung für Kinderorthopädie.
Der jetzige Präsident der Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie ist überzeugt, dass Kinder erst dann Laufschuhe tragen sollen, wenn sie zu laufen anfangen. Wolfgang Goebel und Michaela Glöckler, Autoren des medizinisch-pädagogischen Ratgebers "Kindersprechstunde", gehen noch weiter: "Schuhe sind nicht zum Laufen lernen da. Am besten entwickeln sich die Füße, wenn barfuß, in Strümpfen oder in Hüttenschuhen gegangen wird, die einzig die Funktion des Kälteschutzes haben." Die Füße sollten etwas zum Tasten haben: beispielsweise einen Sisalteppich, Gras oder Sand.
"Schuhe dagegen verwöhnen den Fuß und machen ihn passiv." Eine gesunde Form und Funktion entwickele der Fuß nicht durch einen Schuh, sondern durch seine eigene Aktivität, sind die beiden Kinderärzte überzeugt.
Die Füße der Kleinen wachsen schnell: Um zwei bis drei Größen pro Jahr bei Zwei- und Dreijährigen, im Kindergartenalter um zwei Nummern und im Schulalter um ein bis zwei Größen pro Jahr. Empfehlungen von Ärzten und Schuhherstellern gehen dahin, alle drei bis sechs Monate nachzumessen, weil Kinder es selbst nicht merken, wenn sie der Schuh drückt. Dabei ist die "Daumenprobe" an der Schuhspitze nur sinnvoll, wenn die Kinder dabei nicht reflexartig die Zehen einziehen. "Wenn Schuhe zu klein sind, wird das Wachstum der Füße behindert", sagt Niethard. Dabei könne es sogar zu Verkrüppelungen kommen.
Kinder, die auf Dauer falsche Schuhe tragen, müssen dies als Erwachsene schmerzlich büßen: durch Platt-, Senk- oder Spreizfüße, Krallen- oder Hammerzehen. Aber auch Knie- und Hüftgelenksbeschwerden sowie Venenleiden können die Folge sein. Der nach eigenen Angaben in Europa führende Kinderschuhanbieter Elefanten will durch eine Fußmess-Aktion bei Erstklässlern herausgefunden haben, dass rund 70 Prozent der Kinder falsche Schuhe tragen. Bei jedem fünften Kind waren die Schuhe entweder zwei Nummern zu groß oder zwei Nummern zu klein, jedes dritte Kind trug Schuhe, die eine Nummer zu klein waren. Aber auch zu weite Schuhe - selbst wenn sie in der Länge passen - sind auf Dauer schädigend, weil der Fuß bei jedem Schritt nach vorn rutscht und die Zehen dabei gestaucht werden.
Beim Kauf ist vor allem auf die Größe und Weite der Schuhe zu achten. Kinderschuhe sollten innen in der Länge zwölf bis 15 Millimeter Spielraum bieten, damit sich der Fuß beim Laufen ungehindert nach vorn strecken und noch etwa sechs Millimeter wachsen kann. Nur eines muss von Anfang an passen: die Weite. Die meisten Schuhgeschäfte bieten einen Mess-Service für Länge und Weite an.
Und auch die Markenschuh-Hersteller produzieren ihre Schuhe nach dem so genannten WMS, dem Weiten-Maß-System für weite, mittlere und schmale Kinderfüße. So können die passenden Schuhe leichter ausgesucht werden.
Müssen es aber unbedingt die oft recht kostspieligen Markenschuhe sein? Niethard sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Preis und der Qualität: "Markenschuhe erfüllen meistens alle Anforderungen an einen guten Kinderschuh. Es gibt allerdings auch 'no names', die diese Kriterien aufgegriffen haben." Wichtig ist nach Ansicht des Aachener Professors aber auch ein eingearbeitetes leichtes Fußbett und eine flexible Sohle, die ein Abrollen des Fußes ermöglicht. "Bei Kleinkindern ist eine feste Fersenkappe zur Stabilisierung des Fußes sinnvoll."
Bei dem flotten Wachstum der Kinderfüße lässt sich manche Mark sparen, wenn die älteren Geschwister an die jüngeren ihre Schuhe weitergeben. Aber damit es zu keinen Schäden an den empfindlichen Füßchen kommt, empfielt Niethard "Eine Vererbung der Schuhe ist möglich, wenn sie nicht völlig abgelaufen sind und damit den Fuß in eine krankhafte Stellung zwängen. Die Art der Beanspruchung lässt sich an der Schuhsohle ablesen Sie ist die 'Ganganalyse des kleinen Mannes' . Wenn zum Beispiel die Absätze nach außen abgelaufen sind, deutet das auf einen leichte O-Stellung der Ferse hin. Wenn ein Geschwisterteil nun aber diese O-Stellung nicht besitzt, sollten die Schuhe nicht weiter getragen werden."
Eltern sollten beim Schuhkauf auch auf das Material achten. Laut Goebel/Glöckler sind ungefütterte Lederschuhe mit flachem Absatz am gesündesten. Wollstrümpfe, die allerdings in den Schuhen genügend Platz haben sollten, seien im Winter wärmer und umhüllten den ganzen Fuß, während Synthetik- oder Lammfellfütterungen meist nur die oberen und hinteren Teile des Schuhes auskleideten. Außerdem seien feuchtigkeitsdurchlässige Fasern bei Schuhen und Strümpfen immer noch die beste Vorbeugung gegen Schweißfüße und Pilze.