Hallo malo, Lotsi, Lorenz, Unci und alle, die sonst noch auf ein breitenwirksames Barfußjahr 2001 hoffen,
Eueren (wenn auch verhaltenen) Optimismus kann ich leider nicht mehr ganz teilen. Zwar habe auch in vor nicht allzu langer Zeit noch an viele latente Barfüßer in Deutschland geglaubt (So sah ich's damals), doch mittlerweile befürchte ich immer mehr, daß sich unsere Gesellschaft schon viel zu weit vom Barfußlaufen entfernt hat. Wie sieht denn unsere Zielgruppe der latenten Barfußläufer aus?
Es gibt doch zumindest einen Ort, wo sämtliche gegen das Barfußlaufen hervorgebrachten Argumente (zu kalt, zu heiß, zu dreckig, zu eklig, zu uneben, Glasscherben, Zigarettenstummel, Bienen, Konventionen, "was denken die Leute" etc.) nicht gelten: Die eigenen vier Wände. Zumindest im (Hoch-) Sommer sollte man doch davon ausgehen, daß fast jeder zumindest in der eigenen Wohnung barfuß laufen müsste. Wenn ich mir aber meine Verwandt-, Bekannt- und Nachbarschaft so anschaue, laufen selbst bei Temperaturen von über 25°C höchstens 20 bis 30 Prozent barfuß in der Wohnung (!) rum. Die meisten haben trotzdem Hausschuhe (bäh!) oder Socken oder gar beides (!) an.
Gehen wir also mal von optimistischen 30% "Sommer-Wohnungsbarfußläufern" aus. Die meisten davon (ich schätze mal mind. zwei Drittel) würden schon deswegen nicht länger draußen barfuß laufen, weil ihre Füße das nicht mitmachten; soll heißen, sie empfänden Barfußlaufen außerhalb weicher Teppiche schnell als Qual und hätten schnell die Schnauze voll davon. Schon sehr oft habe ich Leute "Das könnte ich nicht" sagen gehört, wenn ich auf stinknormalem Asphalt gelaufen bin. Und wenn ich mir erst das Geeiere der Leute am Baggersee anschaue nur weil sie am Ufer mal 5m nicht im weichen Gras laufen können: Selbst für hartgesottene, muskelbepackte und wachbrettbäuchige Supermänner wird da auf einmal jedes Ästchen zum unüberwindbaren Hindernis, jedes noch so kleine Steinchen bohrt sich brutal in die butterweichen Fußsohlen und das schmerzverzerrte Gesicht würde am liebsten nach der Mamma rufen und sehnt sich nach den tiefen Stellen, wo man endlich schwimmen kann und nicht mehr laufen muß... Da läuft man (bzw. frau) doch lieber in Schuhen statt sich mühsam eine Hornhaut anzutrainieren. Den kleinen Barfußparcours laufen die alle noch gerne mit, 5 min ist ja auch kein Problem, aber einen halben Tag barfuß rumlaufen? Aua! Diese Gruppe kann man vielleicht kurzfristig überreden, aber nicht vom Barfußlaufen überzeugen! Barfuß laufen die nur in Sandalen. Die verweichtlichen Füßchen werden allenfalls ausgepackt, wenn man sie nicht braucht, z.B. auf der Parkbank oder in der Eisdiele.
Bleiben also optimistische 10% als vorläufige Zielgruppe für uns. Ich schätze mal, daß mindestens für die Hälfte davon die Argumente "zu dreckig" und "zu eklig" innerhalb der Zivilisation so unerschütterlich gelten, daß wir sie ausschließen müssen. Allerdings könnten sie sich für Barfußwanderungen in der Natur vielleicht begeistern lassen, womit Du lieber Lorenz immerhin die größte Zielgruppe ansprichst!
Bleiben 5% für das Barfußlaufen in der Öffentlichkeit abseits des eigenen Gartens, von Stränden, Badeseen und Parks oder geführter Wanderungen durch die Natur, über. Da können wir sicher auch noch einige von abschreiben, weil sie eine panische, nicht heilbare Angst vor fußzerstümmelnden Killerglasscherben und flammenwerfenden Horrorzigaretten haben. Aber egal, wenn auch nur jeder 30ste oder gar nur jeder 50ste ein echter latenter Freizeit-Warmwetterbarfußläufer wäre, wäre das ja schonmal eine respektable Zielgruppe, die immer noch um ein Vielfaches über der gelebten Realität läge. Und für diese Leute gibt es nur noch ein Argument, auch bei entsprechendem Wetter nicht barfuß zu laufen: Die Furcht vor anderer Leute Gedanken und Reaktionen.
Ich denke aber, das ist das am leichtesten zu bekämpfende Argument (ist noch schwer genug, ich weiß), weil es bei dieser Zielgruppe auch das einzige ist. Sie wollen, aber sie trauen sich nicht und vielen von uns ging's ja auch mal so. Diese Zielgruppe können wir wohl am besten durch unser eigenes Vorbild erreichen, denn je mehr Menschen barfuß vorlaufen, desto eher traut sich jemand aus dieser latenten Barfußläufergruppe es gleich zu tun.
Barfußlaufen als "Modeerscheinung" halte ich für nahezu unmöglich, allerdings wäre es gut, wenn die Medien das trotzdem so propagieren würden, denn das helfe der Akzeptanz des Barfußlaufens auch beim großen Rest der Bevölkerung. Das "Problem" würde so quasi von der anderen Seite angegangen. Außerdem macht es unserer Zielgruppe Mut.
Es gab ja schonmal eine barfußfreundlichere Zeit: Hat denn jemand hier die 68er Zeit live als Jugendlicher miterlebt? Wie hoch war denn der Barfüßeranteil bei entsprechendem Wetter? Waren viele der "Protestbarfüßer" froh, wenn sie wieder Schuhe anziehen konnten? Wurde Barfußlaufen nur als Protest oder wirklich auch als Genuß empfunden? Wenn ja, warum klang diese "Mode" dann mit dem Protest ebenfalls ab? (Oh Gott, ich klinge schon wie Burkhard . Auf Bildern aus dieser Zeit sehe ich zwar jede Menge Hippies in "Jesuslatschen", aber nur wenige wirklich barfuß. Wahrscheinlich galt damals schon das, was ich oben gesagt habe.
Was ich mit dem Wortschwall sagen will: Wir sollten uns keinen zu großen Erwartungen hingeben, dann fällt auch die Enttäuschung kleiner aus. Lieber kleine, realistische Ziele stecken. Wenn die übertroffen werden, ist die Freude umso größer. Bin gespannt, auf Eure Meinung.
Serfuß,
Jörg