Barfuß um die Welt, die schönste Wanderung in Lappland (Hobby? Barfuß! 2)
In meinem vorerst letzten Reisebericht möchte ich Euch heute von meiner bisher schönsten Barfußwanderung erzählen. Sie ging über eine Strecke von etwa 125 Kilometer von Sulitjelma in Nordnorwegen nach Kvikkjokk im schwedischen Lappland. Die Tour dauerte 8 Tage und ich war fast durchweg barfuß.
Nach dem ich zuvor 3 Wochen mit meiner Familie in einer Hütte in der kleinen westnorwegischen Gemeinde Hopland am Invikfjord Urlaub machte, ging ich alleine auf diese Tour. Schon in Hopland hatte ich viel Gelegenheit, barfuß zu laufen. Ich nutzte das natürlich voll aus und trug so gut wie nie Schuhe, auch nicht, wenn ich in den kleinen Krämerladen zum Einkaufen ging. Per Helge, der Ladeninhaber, nahm dies überhaupt nicht zur Kenntnis. Wir kannten ihn ja ohnehin schon von 2 weiteren Aufenthalten zuvor und er hat noch nie irgendwelche Bemerkungen dazu gemacht. Auch die anderen ca 110 Einwohner von Hopland nahmen es nicht zur Kenntnis, wenn ich barfuß herumlief. Keine auffälligen Blicke, keine Bemerkungen, kein Tuscheln. Es hatte so viel Stellenwert als ob einer eine grüne oder eine blaue Jacke trägt: unwichtig!
Das Wetter war ja meist auch wie geschaffen zum barfuß Laufen, für September war es ganz fantastisch. "Wärmer als im ganzen Sommer" sagte auch Per Helge und als die Temperatur an einem Tag gar auf 27 Grad stieg, meinte er dazu: "das dürfte so ziemlich Rekord sein, für September!" Wir nutzten das Wetter zum Baden im Fjord, es war dennoch ein sehr erfrischendes Erlebnis. Der Fjord ist ca 800 Meter tief und entsprechend kalt! Nach drei gemütlichen Angel-, Bade-, Wander- und Faullenzer-Wochen (Das Auto haben wir gleich zu Hause gelassen und sind mit Bahn, Schiff und Bus angereist) trennten sich unsere Wege. Meine Frau und die Kinder fuhren per Bahn nach Hause, ich nahm den Zug in entgegengesetzter Richtung, zum Polarkreis. Ein paar Stunden bis Trondheim und dann den Nachtzug in den Norden. In der herbstlichen Morgensonne überquerte der Zug die gelb-rot gefärbte Hochebene am Polarkreis, dann ging es hinunter nach Fauske. Über 20 Grad und strahlender Sonnenschein auch hier, ca 100 km nördlich des Polarkreises. "It's unusualy hot!" bemerkten auch zwei schwedische Wanderer, die mit mir den Bus nach Sulitjelma nahmen. Wird es in Sulitjelma auch so sein? Auf dem 1200 Meter hohen Pass, den ich überqueren muss, bleibt der Schnee oft den ganzen Sommer über liegen und jetzt, Mitte September, gibt es häufig schon Neuschnee. Nebel ist ohnehin normal. Das Sulitjelmamassiv ist das erste Hindernis, das die Wolken vorfinden, wenn sie regenschwer vom Nordatlantik hereinziehen. Mit den beiden Schweden teilte ich mir dann auch das Taxi zum Ausgangspunkt der Wanderung in 800 Meter Höhe. (das ersparte uns 10 km langweilige Wanderung entlang dem Fahrweg, was bei der Steigung mit 30 kg Gepäck wohl fast eine Tagestour gewesen wäre, Sulitjelma selbst liegt nur etwa 40 m über NN).
Hier war es dann vorbei mit "hot", ein kräftiger Wind blies uns um die Ohren, als wir unsere Rucksäcke richteten. Auf den Bergspitzen der Umgebung, die in den blitzblank polierten Himmel aufragten, lag bereits der erste "Zucker" des nahenden Winters. Es war ca 15:30 Uhr, als wir startklar waren. Die Schweden planten eine Gipfeltour im Sulitjelmamassiv und campierten schon nach wenigen Hundert Metern. Ich wollte auf meinem Weg Richtung Schweden heute noch so weit wie möglich kommen und das schöne Wetter ausnutzen. Falls irgendwie möglich, wollte ich noch vor Sonnenuntergang die Wetterscheide erreichen und von der regenreichen Westseite wegkommen, bevor am nächsten Tag vielleicht Nebel die Gegend einhüllt und jegliche Orientierung unmöglich macht.
Das Gelände ist felsig, oft aber mit einer dünnen Erdschicht bedeckt, so war es ganz angenehm, barfuß zu wandern. Ich kam recht gut voran. Öfters musste ich kleine Bäche durchqueren, die aber kaum mehr als knöcheltief waren. Die ausgewaschenen Ufer zeigen jedoch, dass sie bei Regen auch schnell zu reißenden Strömen werden können.
Schon nach etwa 2 Stunden erreichte ich die Passhöhe und konnte also noch ein Stück Richtung Sorjosjaure absteigen. Hier auf der kalten Nord-Ostseite musste ich noch einige kümmerliche Schneereste überqueren, die auf meiner topographischen Karte als Gletscher eingezeichnet waren. Barfuß meisterte ich diese "Gletscher", wenngleich ich dabei auch eine unfreiwillige Rutschpartie auf dem Hosenboden in Kauf nehmen musste...
Unterhalb dieser Schneefelder plätschert ein munteres Bächlein ins Tal hinunter und hier schlug ich an einem windgeschützten Patz mein erstes Nachtlager auf. In der Ferne war im Tal bereits der langgestreckte See Sorjosjaure im Licht der Abendsonne zu erkennen.
In der klaren Nacht sank die Temperatur bereits auf knapp über 0.
Am Morgen konnte ich bereits fast meine ganze Tagesetappe entlang dem Sorjosjare, der tiefblau im Tal liegt, überblicken. Vor mir lag Schwedisch-Lappland.
Über Geröll und Schneereste stieg ich hinunter zum See, wobei ich mehr rutschte als wanderte. Der teilweise sehr steile Abstieg erwies sich als zeitraubender als ich dachte und gegen Mittag erreichte ich die norwegische Sorjoshütte direkt am See. Die Sonne schien auch heute vom tiefblauen Himmel, aber der Wind war nach wie vor sehr heftig.
Die Wanderung am See entlang ging den ganzen Tag über sonnenbeschienene Wildwiesen, eine herrliche Wanderung! Nur an einigen wenigen Stellen unterbrachen kurze felsige Abschnitte das Wiesengelände mit etwa kniehohem Gras. Am Nachmittag musste ich alledings ins Wasser. Ein Zufluss kommt direkt aus den Gletschern des Sulitjelma und ergießt sich in mehreren Armen in den See. Das Wasser ist eiskalt und reichte an der tiefsten Stelle bis weit über die Knie. Auf den rutschigen Geröllbrocken konnte ich den Fluss nur mit großer Vorsicht durchqueren.
Auf der anderen Seite ging's dann wieder über endlose Wiesen zur schwedischen Grenze, die ich bald erreichte. Außer dass der See auf der Karte nun Sårjåsjaure geschrieben wird änderte sich natürlich nichts, ich wanderte weiterhin auf Gras, der Himmel war immer noch endlos blau und der Wind pfiff unvermindert heftig von den Bergen herunter. Zwei mal ist es mir passiert, dass mich der Wind einfach umblies, mit meinem schweren Rucksack bot ich auch eine hervorragende Angriffsfläche.
Gegen Abend erreichte ich die schwedische Sårjåshütte, die herrlich am Sandstrand des Sees liegt. Das letzte Stück der Strecke hatte ich meine Fußabdrücke im weichen Sand des Strandes hinterlassen, als ich am See entlang wanderte. In der Hütte war außer mir kein Mensch. Aus Sicherheitsgründen trug ich mich in das Gästebuch ein. Das mache ich immer, wenn ich alleine unterwegs bin und an einer Hütte vorbei komme. Im Falle eines Unfalls erleichtert das die Bemühungen der Suchmannschaften erheblich.
Nach dem Abendessen wanderte ich noch ein Stück weiter und musste zunächst einen felsigen Hügel erklimmen, von wo aus ich dann einen herrlichen Sonnenuntergang über dem See bewundern konnte. Auf der anderen Seite fand ich dann ein windgeschütztes Plätzchen, herrlich gelegen zwischen Felsen, nach Nord-Osten hin offen, mit Blick über den Fluss Sårjåsjåkkå, der in die Weite der Hochebene Padjelanta mit ihren sanften Hügeln fließt. Hier baute ich mein Zelt auf. In der Nähe plätscherte sanft ein Bächlein vorbei.
Am dritten Tag spannte sich wieder der gleiche tiefblaue Himmel von einem Horizont zum anderen. Der Wind hatte nachgelassen und es stand ein herrlich warmer Tag bevor. Trotz des klaren Wetters blieb auch die Nacht relativ mild, so um die 5 Grad. Die Wanderung ging durch das weite Hochtal entlang der Flüsse Sårjåsjåkkå und Stalojåkkå. Über den Zufluss Staddajåkkå gibt es eine Brücke. Um zu ihr zu gelangen musste ich ein gutes Stück flussaufwärts wandern. Dort, bei einem tosenden Wasserfall überspannt die Hängebrücke aus Stahl den Fluss. Auf der anderen Seite musste ich wieder zurück und einen weiteren Kilometer flussabwärts wandern um die Hütten Staddajåkkåstugorna zu erreichen. Dort stellte ich fest, dass ich den Fluss problemlos hätte durchwaten können, ohne den Umweg über die Brücke zu machen. Was soll's. Weiter ging's über herrliche sonnengeflutete Wiesen, deren Gras nur von einigen Rentieren "gemäht" wird. Kleine Bächlein durchzogen immer wieder das saftige Gras, die letzten Blumen streckten ihre Blüten ins warme Sonnenlicht, eine richtige Wohltat ist es, hier barfuß über die sanft gepolsterten Wiesen und durch die klaren Bächlein zu wandern.
Kurz nach Staddajåkkåstugorna kam mir ein anderer schwer bepackter Wanderer entgegen. Ich werde nie verstehen, wie man auf solch herrlichem Untergrund seine Fuße in solch schwere Stiefel zwängen kann! Dem Jungen entgeht ja die Hälfte des Naturgenusses!
Wie sich im Gespräch schnell heraus stellte, ist er auch aus Karlsruhe. Großes Hallo, wir unterhielten uns eine Weile und er kann natürlich überhaupt nicht verstehen, wie man hier barfuß laufen kann, dabei ist es angenehmer wie zu Hause auf dem Kies des Baggersees!
Er hat noch eine Besteigung des 1700 Meter hohen Jeknaffo vor.
Wir verabschieden uns und jeder geht seiner Wege.
Kurze Zeit später legte ich erneut ein Päuschen ein. Ein wunderschönes Plätzchen, saftiges Gras, ein munteres klares Bächlein sprudelt mitten hindurch, die Sonne scheint, es ist warm, was liegt da näher, als einfach mal den schweren Rucksack abzustellen, und eine Weile ins Gras zu liegen, die nackten Füße in die Sonne zu strecken und frisches Wasser aus dem Bächlein zu schlürfen. Eigentlich ist dieses wunderschöne Fleckchen Erde wie geschaffen für ein Nachtlager, dachte ich mir, aber es war noch zu früh am Tag, ein Stückchen wollte ich schon noch wandern.
Also ging ich nach einer längeren Pause weiter, durch die rote Herbstlandschaft aus Heidelbeersträuchern, Gras und Heidesträuchern, unterbrochen vom grau der Felsen und blau der Seen und Flüsse. Die weiße Gischt von kleinen und größeren Wasserfällen leuchteten gleißend und oft weithin sichtbar im Sonnenlicht. Immer mehr mischt sich nun auch das Gelb vereinzelter Birken in die Landschaft, bis diese das Landschaftsbild farblich dominieren.
Am Abend erreichte ich Staloluokta am riesigen blauen See Virihaure, auf dessen anderer, weit entfernter Seite die schnee- und gletscherbedeckten norwegischen Berge in den wolkenlosen Abendhimmel ragten. Direkt am Strand des Seeufers, im Schutze von Gebüsch schlug ich mein Zelt auf.
Ich war völlig alleine hier am Ufer des weiten Sees. Stalolukta ist um diese Jahreszeit ein Geisterdorf. Im Sommer leben hier die Samen, Staloluokta ist eine ihrer Sommersiedlungen. Hier lassen sie ihre Rentiere weiden. Es gibt einige Häuser, traditionelle Erdkojen. Sogar eine Kirche ist hier. Aber jetzt war alles verlassen. Die Boote standen festgemacht am Strand.
Auch die angeschlossene Touristensiedlung mit einigen Blockhäusern war menschenleer. Ich war absolut alleine. Über die Mündung des Kieddejåkkå zwischen meinem Zeltplatz und der Siedlung spannte sich eine stählerne Hängebrücke.
Der Sonnenuntergang über der Weite des Sees ist eine Augenweite. Ich ging noch etwas am feinsandigen Strand spazieren, platschte mit den Füßen ins recht frische Wasser.
Es war fast windstill, als ich mich in meinen Schlafsack verkroch. Doch irgendwann in der Nacht wurde ich abrupt geweckt. Der Sturm hat wieder kräftig zugelegt und die Heringe meines Zeltes aus dem Sand gerissen. Die Außenplane flatterte im Wind und drohte davonzufliegen. Nackt sprang ich hinaus in die Kälte, suchte im Licht der Taschenlampe einige schwere Steine um die Plane notdürftig zu befestigen, während der Sturm weiter zulegte. Um die Nachtruhe war es geschehen! Ich verkroch mich wieder im warmen Schlafsack und lauschte dem Toben des Sturms, dem gespenstischen Singen der stählernen Hängebrücke, das sich wie das Heulen von Wölfen anhörte. Die Kirchenglocke läutete, sie läutete, obwohl außer mir weit und breit kein Mensch war. Unregelmäßig trieb der Sturm ihr klingen zu mir herüber. Die Wellen des Sees platschten bedrohlich an das Ufer, Gott sei dank waren noch etwa 10 Meter Strand zwischen meinem Zelt und dem nächtlich aufgewühlten See. Ich fürchtete um die Festigkeit meiner Zeltplane.
Gegen Morgen ließ der Sturm wieder etwas nach und ich konnte noch etwas schlafen. Doch weiterhin zerrte der immer noch starke Wind an der Zeltplane.
Schon früh brach ich das Zelt ab und startete zu einem weiteren Wandertag. Der Himmel war nach wie vor wolkenlos und der Sturm blies kräftig. Eigentlich wollte ich von hier aus in den Sareks Nationalpark wandern. Doch alleine erschien mir das dann doch zu riskant. Jeden Tag kann nun der Winter hereinbrechen, mit Neuschnee und Kälte. Es besteht dann kaum noch die Hoffnung, im Notfall andere Wanderer zu finden, bzw. gefunden zu werden. Im gesamten Sarek gibt es keine Hütten und Wege und nur eine einzige Brücke. So blieb ich auf dem markierten Padjelantapfad Richtung Kvikkjokk, was noch 80 km Wanderung bedeutete. Es ist einfach sicherer.
Der Weg führte mich zunächst über eine weite, herbstlich rot gefärbte Ebene mit kaum erwähnenswerter Steigung. Das Gelände bestand aus trockenem Moorboden, bewachsen mit Heidekräutern und Heidelbeeren, es war eine angenehme Barfußwanderung, allerdings weiterhin mit dem Wind als Gegner. Und der erwies sich mit zunehmender Höhe als sehr hartnäckig! Wenn der Wind direkt von vorne kam hatte ich manchmal kaum noch eine Chance, mich vorwärts zu kämpfen, ich konnte mich nur noch dagegenstämmen, um nicht umgeblasen zu werden, was mir dennoch mehrfach passierte.
An einem Wasserfall machte ich Mittagsrast. Es war eine windgeschützte sonnige Stelle und ich konnte auf einer Felsplatte, die vom Ufer in den Fluss hineinragte sitzen und die Füße ins Wasser hängen.
Von nun an wurde der Weg steiniger und es ging auch ständig steil bergan. Der Wind pfiff ständig schräg von vorne, je nach Richtung, in die der Pfad gerade führte. Er nahm mir zeitweise fast den Atem und er war kalt. Die Umgebung wurde immer karger, die Vegetation immer weniger, nur noch Fels und Geröll, dazwischen einige Regen- und Schmelzwasserseen, die sich in Mulden ansammelten. Flüsse stürzen sich in kleineren und größeren Katarakten über die Felsstufen. Das ständige Ankämpfen gegen den kalten Sturm ermüdete sehr.
Ich sehnte mich danach, endlich die Hütten von Tuottar zu erreichen, denn an ein Aufstellen des Zeltes war nicht zu denken. Der Wind hätte mir die Plane hinweggeblasen, bevor ich auch nur einen einzigen Hering in den Boden geschlagen hätte. Ich wusste, die Hütten liegen so ziemlich auf dem höchsten Punkt des Padjelantaweges. Ich war schon seit Stunden bergauf gegangen, musste eigentlich bald dasein. Vor mir sah ich das Ende der Steigung, ich kämpfte mich voran, erwartete den Anblick der Hütten vor mir, aber nein, es ging nur ein Stück eben weiter, dann folgte wieder eine steile Steigung. Voller Hoffnung erklomm ich auch diese, wieder Enttäuschung, vor mir nur die nächste Steigung. So wiederholte sich das, es ging immer weiter nach oben. Der Wind pfiff mir ins Gesicht, die Landschaft änderte sich nicht. Wenigstens konnte ich nach Herzenslust fluchen, es war niemand da, der es hören könnte!
Felsen, nur noch Felsen. Dazwischen hin und wieder ein Schmelzwassertümpel. Die Felsen machten alles noch gespenstischer, der Sturm heulte sein Lied in tausend Tönen. Plötzlich war er weg! Ich blieb stehen, horchte: In den Felsen weiter oben heulte es noch, ich befand mich nur in einer geschützten Mulde. Ich sah mich um, links von mir war ein kleiner See, ein Tümpel, im Schutze eines großen Felsblockes ist eine ebene Stelle, hier könnte ich mein Zelt vielleicht aufstellen. Aber es war sehr nass. Unter dem Moos war nur Fels, ich hätte keinen Hering hineinbekommen. Nichts, kein geeigneter Zeltplatz, zumindest nicht bei Sturm.
Weiter, bergauf, zwischen riesigen, meterhohen dunkelgrauen Felsblöcken hindurch.
Dann öffnet sich der Blick, ein See. Und dahinter, auf einem Felsplateau standen Hütten, die typischen Hütten der schwedischen Naturschutzbehörde, Tuottar! Vergessen waren die Strapazen. Ich war gleich am Ziel, ein warmes Plätzchen, Wasser, Feuer. Auch der Wind hatte nachgelassen.
Das Seeufer war sehr feucht, es quietschte und quatschte bei jedem Schritt. Es war angenehm weich. Noch durch einen kleinen Wasserlauf, der zwei Seen mit einander verbindet, dann den steilen Hang hinauf. Ich legte den Rucksack nieder. Ich war da! Über dem See ging glutrot die Sonne unter, ganz in der Ferne konnte ich noch den Virihaure im Tal erkennen, wo ich am Morgen gestartet war.
Ich schaute mich um, suchte die Hütte, welche einen Antenne auf dem Dach hat. Diese ist immer geöffnet. (außerhalb der Saison ist immer nur eine Hütte geöffnet, die mit dem Nottelefon) Ich ging hin, es standen zwei Paar Wanderschuhe vor der Tür, es war jemand da! Die Tür ging auf und ein großer bärtiger Mann trat heraus. Wir begrüßten uns, er war auch Deutscher. "Da drin ist gerade Fotosession!" sagte er. "Gut, aber ich darf doch rein, oder!" "Klar, nur dass Du nicht erschrickst, wenn Du reingehst!" "Ja, alles klar!" Ich trat ein. Ungewohnte stickige Wärme strömte mir entgegen. Wäscheleinen waren überall gespannt, darauf hingen nasse Socken, Wäsche, Hosen, Jacken. Und dazwischen stand ein Fotostativ, mit Kamera obendrauf und dahinter eine junge, hochgewachsene Frau. Der Mann war mir gefolgt, wir unterhielten uns ein Weile, ich sah, dass nur zwei Betten im Raum waren.
Also schlug ich unten am Seeufer mein Zelt auf. Dann ging ich mit meinem Tütenmenue und einem Teebeutel zurück zur Hütte, um mein Abendessen zuzubereiten. Wir unterhielten uns dabei über die jeweiligen Erlebnisse des anderen. Die beiden hatten in den letzten Tagen fast nur Regen und Nebel. Aber Sturm? Nein, überhaupt nicht! Sonnenschein? Keine Spur! Der Abend hier in Tuottar war ihr erster Lichtblick. Sollte das Wetter auf der anderen Seite wirklich so unterschiedlich sein, zu dem, was ich erlebt hatte? Ich sollte es am nächsten Tag erfahren!
Nach dem Essen, so gegen 20 Uhr, ging ich runter zum Zelt, sagte noch, dass ich später wieder zurückkommen wolle. Ich wollte nur mein Zelt schlaffertig machen, den Schlafsack ausrollen, alles einräumen und meine Tagebucheintragungen machen, so lange es noch einigermaßen hell war. Ich kuschelte mich in den warmen Schlafsack, fing an zu schreiben, aber weit kam ich nicht! Es dauerte nur wenige Minuten, da schlief ich tief und fest.
Die Kälte hat mich wieder aufgeweckt, es war hell! ein Blick auf die Uhr, es war bereits nach neun Uhr morgens, ich hatte mehr als 13 Stunden geschlafen!
Ein Blick vors Zelt: Dicker Nebel!
Die anderen waren bereits fort, die Hütte war aufgeräumt, ich war wieder alleine beim Frühstück.
Der routinemäßige Tagesablauf begann, Zelt abbrechen, Ausrüstung einpacken, Wasserflasche mit Tee füllen, Sicherheitseintrag im Gästebuch, Rucksack aufschnallen und los! Halt! Den Gashahn an der Hütte habe ich vergessen, den muss ich noch zudrehen.
Dann aber endgültig los. Bergauf! Das Ende der Steigung war im Nebel nicht auszumachen! Aber es war nicht mehr viel, dann ging es nur noch sanft bergab, auf Hochmoor, Moos, Gras, herrlich, teilweise auch auf felsigem Untergrund. Viele, nahezu gleich aussehende Seen tauchten aus dem Nebel auf, eine genaue Orientierung ist kaum möglich. Immer nur dem ausgetretenen Pfad nach. Ich kam gut voran, das fühlte ich.
Je weiter ich ins Tal kam, um so mehr lichtete sich auch der Nebel. Ausgeschlafen, wie ich nun war, ging alles viel einfacher, ich hatte das Gefühl, nur so dahin zu fliegen, barfuß über das weiche Hochmoor zu schweben, der Rucksack kam mir heute nur halb so schwer vor. Eine Rentierherde machte sich eilig davon, obwohl halb zahm, sind diese Tiere viel scheuer, als beispielsweise Elche.
Schon zur Mittagszeit erreichte ich die Hütten von Tarraluoppal. Ganz alleine war ich hier. Ich blätterte im Gästebuch. Herausragend der Eintrag einer schwedischen Familie mit kleinen Töchtern, die im April mit 8 Schlittenhunden hier war. Viele Einträge auch von deutschen Wanderern. Wer war wohl der letzte Karlsruher? Ich blätterte zurück, Seite um Seite: dieses Jahr war niemand da, das Jahr zuvor auch nicht. Aber da, fast genau vor 2 Jahren - ha, das war ich selbst! Damals bin ich aus dem Sarek gekommen und ab hier den gleichen Weg zurück gegangen, wie dieses Mal auch.
Vorbei ist das schöne Wetter, trübe, grau in grau! Ich zog weiter, ins Tarratal. Bald tauchten die ersten Birken auf und es begann zu regnen. Auf einer Wildwiese an einem kleinen Wasserfall errichtete ich mein Nachtlager. Als ich später noch mal aus dem Zelt heraus musste, stand in der Nähe noch ein zweites Zelt. andere Wanderer hatten sich ebenfalls hier niedergelassen. Ein junges Paar aus München.
Der nächste Tag ist schnell erzählt. Nass!
Am späten Nachmittag schlug ich mein Zelt am Ufer des Tarraflusses auf, ein herrliches Plätzchen, umgeben von Birkenurwald, der das gesamte Tarratal dominiert. Kurz zuvor hatte ich eine Elchkuh mit Baby beobachten können. Sie ließen mich bis auf wenige Meter herankommen, ohne jegliche Scheu zu zeigen.
Am Abend zogen die beiden anderen vorbei, sie wollten weiter flussabwärts ein Platz suchen.
Na, da werden sie noch eine Weile latschen müssen, dachte ich mir. Ich kannte den Weg ja bereits und wusste, dass es erst etwa 3 Stunden weiter wieder eine geeignete Stelle gibt.
Dort, an einem kleinen See, hatte ich vor 2 Jahren gezeltet, und ein recht aufregendes Erlebnis gehabt.
Es war ein genau so verregneter Tag, wie heute. Es dämmerte bereits, ich war im Zelt und kochte in der Absis Tee. Plötzlich hörte ich trampelnde Geräusche! Andere Wanderer, dachte ich zunächst, aber die Schritte waren doch sehr schwer! Dann ein dröhnendes Grunzen! Solch ein Asthma kann niemand haben! Das konnte kein Wanderer sein, Herzklopfen! Die Schritte kamen näher, der moorige Boden vibrierte.
Ein großer Schatten beugte sich über mein Zelt, in dem ich wie in einer Falle saß! Der riesengroße Kopf mit einer überdimensionalen Nase beugte sich zu meinem dampfenden, rußgeschwärzten Wildnis-Teekessel herunter. Ich bellte wie ein Hund und wie angeschossen fuhr das große Tier in die Höhe, rannte davon, der Boden bebte.
Als ich mich von dem Schreck erholt hatte, öffnete ich den Reißverschluß, schaut hinaus. Am Seeufer, etwa 50 Meter von mir entfernt, stand ein fast erwachsener Elch und blickte erstaunt über die Schulter zu mir her. Ich blickte wahrscheinlich ebenso erstaunt zu ihm hin.
Dann trabte der Elch davon.
Dieses Jahr blieb die Nacht ruhig, an meinem Lagerplatz.
Der nächste Tag war wie der vorherige: Nass!
Nachdem ich die anderen, wie erwartet, am "Elchsee" überholte, trafen wir uns am Abend wieder, im Fichtenwald, an einem kleinen Fluss, beim nächsten Nachtlager.
Noch wenige Kilometer bis Kvikkjokk. Der Weg ist breit und ausgetreten, führte durch Fichtenwald, der Boden ist dick mit Fichtennadeln bedeckt, weich, teilweise auch vom Regen aufgeweicht und es ist fantastisch schön, hier barfuß zu laufen.
Plötzlich lag vor mir, mitten auf dem Weg ein riesiger Haufen Heidelbeeren, ziemlich verrottet. Was ist das, da sind ja Fußspuren, da ist einer barfuß gegangen! Nein, das kann kein Mensch gewesen sein, der hat ja mindestens Schuhgröße 53, extraweit! Wie winzig mein zartes "Patschefüßlein" dagegen ist! Das muss ein Riese von einem Bären gewesen sein! Danach schaute ich mir den Boden genauer an, auf dem Weg und fand im weiteren Verlauf noch einige Spuren. Von einer Mutter mit Kind und noch mal von einem Weibchen, oder auch einem kleineren Männchen.
Kvikkjokk kann man nur mit dem Boot erreichen. Doch in der Nachsaison gibt es keinen regelmäßigen Bootsverkehr im Tarradelta. Also musste ich durch dichten Wald und nasses Unterholz bis auf Sichtweite des Dorfes gehen, barfuß durch hohes Gras und Farne.
Am gegenüberliegenden Ufer des 18-Seelen-Dorfes musste ich mich nun bemerkbar machen. Mittels Buschtelefon! Nein keine Trommel, afrikanisch versteht in Lappland keiner. Also versuchte ich es mit Rauchzeichen! Und siehe da, das Feuerchen brannte noch gar nicht richtig, da kam auch schon ein Motorboot angerauscht, um mich aus der Wildnis zu holen. Ich erzählte dem Bootsführer von den Bärenspuren. Er nickte nur gelangweilt: "There are a lot!"
Noch zwei gemütliche Barfußtage in Kvikkjokk, bei nun wieder herrlichstem Spätsommerwetter, dann brachte mich der Bus wieder zum Bahnhof in Murjek und ich konnte Richtung Heimat rattern.
Ja, vorerst wird es hier keine Reiseberichte mehr von mir geben, habe einfach keinen Stoff mehr! Im Mai möchte ich ja wieder nach Norwegen fahren, auf die Lofoten. Dann wird's wieder was zu erzählen geben. Vielleicht möchte ja auch jemand mitfahren?