Harte Männer in Eis und Schnee (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A @, Thursday, 07.12.2000, 13:01 (vor 8690 Tagen)

Hallo,
auf meinen Beitrag "barfuß bei extremen Temperaturen" (vor ca 2 Wochen) haben ja einige Leser mit Skepsis reagiert.
Andere haben aber auch richtig festgestellt, dass es früher durchaus üblich war, fast das ganze Jahr barfuß zu laufen, zumindest in ländlichen Gegenden, auch bei uns in Mitteleuropa. Selbst in Schweden, das ja wesentlich kälteres Klima hat, haben mir schon viele ältere Leute erzählt, dass sie früher als Kind im Sommer immer barfuß waren und auch im Winter häufig mal schnell barfuß in den Schnee rausgegangen sind. Es liegt wohl wirklich mehr an der Verweichlichung von uns Großstadtmenschen vom Jahr 2000, dass sich viele nicht vorstellen können, barfuß in den Schnee zu gehen, erst recht nicht bei großer Kälte, noch nicht mal für ein oder zwei Minuten...
Als Hobby-Abenteuerer und Liebhaber der kalten Gebiete der Erde lese ich natürlich auch öfters Expeditionsberichte von Expeditionen in die Polargebiete. Vor allem, was die Männer um Nansen, Amundsen, Shackleton und auch Scott auf ihren Entdeckungsreisen geleistet und ertragen haben ist für heutige Maßstäbe kaum fassbar und unglaublich.
Scotts Mannschaft ist ja bekanntlich auf Grund katastrophaler Fehleinschätzung in der Antarktis erfroren, viele andere, besser ausgerüstete Expeditionen haben aber keinen einzigen Mann verloren.
Die Leistungen der Männer sind umso heldenhafter, wenn man bedenkt, dass die damalige Ausrüstung bei weitem nicht die Anforderungen moderner High-Tech-Produkte erfüllen konnte.
Es gab nur eine Devise: Vorwärts! Auf Gedeih oder Verderb! Zurück ging nicht. Und wenn die Expedion scheitern würde, würde man erst nach Jahren nach den Männern suchen. Keine Satelitennavigation, kein Hubschrauber, der die Männer rausholen könnte, wenn's brenzlig wird.
Gegen die Expeditionen der Entdecker sind die Unternehmungen heutiger Abenteuerer wie Messmer, Fuchs, Etienne oder Hellen Thayer nur Lausbubenspiele. Der Franzose Nikolas Vanier (oder ist er Westschweizer?) macht seine "abenteuerlichen Expeditionen" sogar mit Frau und Kind...!
"Vorwärts", norwegisch: "fram", das war auch das Motto von Fridjof Nansen und so nannte er auch sein berühmtes Schiff, das aufgrund seiner Nussschalenbauweise nicht vom Eis zerdrückt werden konnte, sondern hochgehoben wurde und mehrere Polarexpeditionen überstand.
Was Nansen in seinem Buch "In Nacht und Eis" (norw, Orginaltitel: "På ski over polhavet") berichtet, ist unglaublich.
Er wollte ja mit dieser Expedition beweisen (und hat dies auch getan), dass es eine Eistrifft von Sibierien nach Grönland gibt. Die Idee dazu hatte er 5 Jahre zuvor, als er zusammen mit einigen Männern als erster Grönland durchquerte. Er lies sich mit seinem Schiff also in Sibierien ins Eis einfrieren und wollte mit dem Eis nach Grönland triften. Dabei hoffte er, so nah wie niemand zuvor an den Nordpol zu kommen. Als er sah, dass er am Pol vorbeitriftete, versuchte er zusammen mit seinem Gefährten Johansen und einigen Hunden den Pol zu Fuß zu erreichen und sich dann nach Spitzbergen durchzuschlagen. Die Fram mit dem Rest der Besatzung trifete derweilen weiter Richtung Grönland. Er erreichte den Pol nicht, kam aber näher heran, als alle zuvor. Der Rückzug wurde zum nackten Überlebenskampf. Natürlich liefen die Männer nicht barfuß, aber bei der wochenlangen Wanderung durch Eisschlamm, in den sie oft tief einsanken waren die Schuhe bald derart aufgeweicht, dass sie keinerlei Isolation mehr boten. Es war also wie barfuß. Die Schuhe schützten nur noch vor Verletzungen an scharfen Eiskanten. Nach Wochen erreichten Sie Franz Josef Land (ohne selbst zu wissen, wo sie sind) und überwinterten dort in einem kleinen Verschlag aus Treibholz. Um nicht zu verhungern aßen sie ihre Hunde!
Ein zufällig vorbeikommendes Forschungsschiff fand sie dann dort im nächsten Sommer. Die Besatzung war denkbar überrascht, den berühmten Nansen zu finden, denn man vermutete ihn natürlich auf der Fram, irgendwo im Eis und nicht zu Fuß in Franz Josef Land.
Bezeichnend war, dass am gleichen Tag, an dem Nansen und Johansen nach Tromsø zurück kehrten auch die Fram in dem nordnorwegischen Hafen einlief, auf der Rückfahrt von Grönland! Da es damals noch keine Fernkommunikationsmittel gab, wusste natürlich keiner, was mit dem anderen passiert war.
Die Expedition des Engländers Ernest Shackleton wurde in letzter Zeit sehr intensiv literarisch aufgearbeitet und es sind eine ganze Flut von Büchern erschienen, über die gescheiterte Fahrt der "Edurance". Selbst aus der imaginären Sicht der Schiffskatze wurde die Expedition erzählt...
Mich, als Fotograf, hat das Buch neben dem Abenteuerbericht vor allem wegen der fantastischen Aufnahmen des Fotografen Frank Hurley interessiert. Die Fotos, die er mit für heutige Maßstäbe unglaublicher technischer Ausrüstung gezaubert hat, sind unfassbar. Wohl kaum ein heutiger Fotograf könnte mit der gegebenen Ausrüstung solche Bilder hevorzaubern.
Nach dem die "Edurance" im Eis zerquetscht wurde (es ist unglaublich, wie man 20 Jahre nach dem Bau der "Fram" immernoch mit solch einem untauglichen Schiff in die Antarktis segeln konnte), mussten die Männer monatelang ihre Beiboote über das Eis schleppen, mit Muskelkraft, um dann von der Eigrenze 800 Meilen bei extremen Stürmen über das Meer nach Südgeorgien zu ruden! Dort war die nächste menschliche Behausung.
Während dem 6 Monate langen Fußmarsch durch Kälte und Nässe, unter extremer Anstrengung beim Ziehen der schweren Boote + Ausrüstung und Verpflegung über das Eis, war auch die gesammte Ausrüstung(Kleidung, Schuhe, Zelte, Schlafsäcke etc)dieser Männer schnell vollkomen aufgeweicht und bot kaum noch Schutz vor der beißenden Kälte der Antarktis. Oft mussten die Männer mit der gesmmten Kleidung ins eiskalte Wasser, wateten wochenlang durch aufgeweichten Eisschlamm. Dennoch schaften es die Männer, sich ein halbes Jahr lang bis zur Eisgrenze durchzuschlagen und danach noch mal einen Monat über offenes Meer zu rudern. Die Expedition verlor keinen einzigen Mann!

Was ist dagegen eine High-Tech-Expediton heutiger Tage? Und was ist dagegen eine Barfußwanderung im Schnee von ein paar Stunden, mit der Gewissheit, jederzeit in die warmen trockenen Stiefel schlüpfen zu können und am Abend wieder in der molligen Wohnung zu sein?

Immernoch skeptisch?

Gruß, Bernd A

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