Nachträge (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Wednesday, 22.11.2000, 21:08 (vor 8705 Tagen)

Hallo zusammen,

jobbedingt hatte ich einige Tage ziemlich landunter. Nun sieht es wieder ein wenig besser aus, und ich möchte gern noch einige Nachträge machen.

Zu der "Geld annehmen ?" - Sache:
Tatsächlich bin ich davon ausgegangen, das das Angebot letztlich auf Provokation beruht. Ich lasse mich gerne davon überzeugen, dass ältere Damen mit einschlägigen Kindheitserfahrungen (wir waren zu arm für Schuhe ...) nicht provozieren wollen, sondern gutmeinend helfen wollen.
Das ändert allerdings nicht daran, dass sie die Änderung der Rahmenbedingungen nicht zur Kenntnis genommen haben : bei den heutigen Schuhpreisen im Vergleich zu den Einkommen resp. den Leistungen unseres Sozialen Netzes gibt es "zu arm für Schuhe" nicht mehr. IMHO kann es zumindest nichts schaden, auch freundliche ältere Damen darauf aufmerksam zu machen - und darauf, dass es in anderen Teilen der Welt - den Entwicklungsländern nämlich - anders ist : mögen sie also dort helfen ...

Da wären wir gleich beim nächsten Aspekt.
Natürlich bezweifle ich nicht, dass bei Kinderarbeit im Steinbruch oder beim Leben auf der Mülldeponie Schuhe notwendig sind. Aber die fehlenden Schuhe sind doch nicht das wirkliche Problem dieser Kinder - sondern Armut und Hunger, die sie dahin treiben, und die fehlende Bildung, die auch ihre Zukunft mitruiniert.
Das Geld der Spender im sogen. "reichen Westen" mag da helfen und sicher auch für Schuhe sorgen, wenn diese nicht als Statussymbol, sondern für die Bewältigung der realen Lebenssituation benötigt werden.

Zur Ganzjahres - barfuß - frage wurde eine Anleihe in vergangenen Jahrhunderten gemacht, um "die Machbarkeit" zu prüfen (Leibeigene etc.). Die Überlegung ist gewiss nicht uninteressant, läuft aber wie alle historischen Vergleiche schnell Gefahr, die ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu übersehen.
Mag sein, dass manche Familien so gut wie gar keine Schuhe besaßen und rund ums Jahr barfuß gingen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass man für sehr kalte Tage die Füße zumindest umwickelte oder aus einem Holzstück doch nicht Energie durch Verbrennen sondern Holzschuhe durch Bearbeiten gewann - Zeit dafür war ja, denn in der vorindustriellen Landwirtschaft gab es im Winter nicht allzu viel zu tun.
Außerdem waren diese Menschen weitaus besser trainiert - waren sie doch viel abgehärteter, weil von Klein an den Wechsel derTemperaturen gewöhnt - übrigens nicht nur über die Jahreszeiten, sondern auch im Tagesablauf, denn der Tag einer bäuerlichen Familie reichte vom Sonnenauf- bis zum -untergang. Und so früh morgens ist es nicht nur im Winter recht frisch ! (Wessen Konstitution das nicht durchhielt, war übrigens schon sehr jung verstorben.)
So lebt bei uns aber niemand mehr (gut so) - und also hinkt der Vergleich zumindest erheblich.

Schließlich das "Barfuß als Sucht" - Thema.
Ich habe mal MS Encarta ‘99 bemüht und dort folgende Definition gefunden :
Sucht, im weitesten Sinn jede zwanghafte Bedürfnisbefriedigung, die Symptome einer psychischen und/ oder physischen Abhängigkeit aufweist.
Abhängigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass eine für den Betroffenen unerträgliche innere Spannung die Bedürfnisbefriedigung erzwingt.
Von Sucht kann in diesem Sinn sowohl bei der Abhängigkeit von einer psychoaktiven Substanz gesprochen werden (vor allem Drogen), als auch hinsichtlich eines bestimmten Verhaltensmusters.
Als nicht substanzbezogene Sonderformen der Sucht sind etwa Essstörungen [...] zu nennen. Häufig wird auch bei Verhaltensstörungen, wie übermäßigem Hang zur Kritik, auffällig übersteigertem Arbeitsdrang oder Machthunger und Ähnlichem von Kritik-, Arbeits- oder Machtsucht etc. gesprochen.
Im engeren Sinn wird unter Sucht zumeist der zwanghafte Missbrauch von Suchtmitteln, d. h. von Drogen, Rausch- und so genannten Genussmitteln verstanden [... es folgen Ausführungen zu Sucht im engeren Sinn / Drogen]
.
Da die Definition im engeren Sinne ja ohnehin nicht in Frage kommt, bliebe noch die "im weitesten Sinne". Zwanghafte Bedürfnisbefriedigung und Abhängigkeitssymptome im Sinne einer unerträglichen inneren Spannung werden hierbei genannt.
Wenn ich es recht sehe - im Urteil über sich selbst sollte man ja vorsichtig sein - wird, bei allem Spaß am Barfußlaufen, meine innere Spannung so groß nun auch wieder nicht. Obwohl : irgendwie fehlt mir schon was, wenn ich über einen längeren Zeitraum nicht barfuß sein kann ...
Allerdings kenne ich jede Menge Leute, denen auch etwas fehlt - wenn sie z.B. keine Musik hören können, ein bestimmtes Lebensmittel länger nicht bekamen, keine Gelegenheit zum Laufen - Schwimmen - Tanzen ... hatten, keinen Schwatz mit Nachbarn hielten usw. usf.
Für eine Sucht muss es doch schon weit zwanghafter sein als "nur" ein gern gepflegtes Hobby. In diesem Sinne ist es auch ganz gut, dass dieses board "Hobby? Barfuß!" und nicht etwa "Barfußsüchtig" heißt ...

Herzliche Füße an alle
sendet Georg


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