"Barfuß-Fraktion" und was meine Mutter dazu sagt... (Hobby? Barfuß! 2)

Kerstin, Monday, 13.11.2000, 22:17 (vor 8714 Tagen)

Hallo zusammen,

ich bin jetzt seit einem Monat im Sportunterricht barfuß dabei und habe, wie sich heute únd letzte Woche herausgestellt hat, schon zwei Freundinnen überzeugt, es mir gleichzutun.

Obwohl das Barfußlaufen im Sport anfangs ziemlich ungewohnt war, finde ich es mittlerweile richtig angenehm, einmal in der Woche für 90 Minuten aus den Schuhen zu kommen. Aber das habe ich ja schon erzählt.

Seit wir aber von Anfang an zu dritt barfuß Sport machen, ist auch unsere Lehrerin auf uns aufmerksam geworden. Sie meinte zu uns, wir hätten ja bereits eine kleine "Barfuß-Fraktion" gegründet. Sie schien nichts dagegen zu haben, daß wir barfuß Sport machen. Da sie sich aber dafür zu interessieren schien, sprachen wir sie darauf an, daß unsere Sporthalle immer so schmutzig ist.
Mir persönlich macht das nicht soviel aus, solange ich die Füße hinterher waschen kann, aber meine Freundin Natascha findet den Dreck an ihren Füßen ziemlich eklig (Umso toller finde ich es, daß sie trotzdem mitmacht). Aber unsere Lehrerin meinte, es sei kaum zu erwarten, daß man wegen drei Leuten die Halle putzt. Sie meinte es nicht böse, aber wir waren trotzdem ziemlich sauer. Wenn "Gefahr" bestünde, daß die anderen schmutzige Schuhe bekämen, würde sicher sofort etwas unternommen.

Außerdem habe ich noch eine ganz andere Erfahrung gemacht. Wie ich vor einiger Zeit schon geschrieben habe, bin ich vor meiner eher zufälligen Barfußerfahrung fast nur mit Schuhen und Strümpfen herumgelaufen, auch zu Hause. In den letzten Wochen habe ich angefangen, auch zu Hause barfuß zu laufen (bei uns ist gut geheizt).
Das ist meiner Mutter natürlich nicht entgangen. Als sie mich darauf ansprach und ich ihr daraufhin erzählte, daß ich neuerdings auch barfuß Sport mache, schien sie doch ziemlich geschockt. Wir hätten doch mehr als genug Geld für Sportschuhe, und auch fürs Haus könne ich mir was Nettes kaufen. Es fiel mir schwer, ihr klarzumachen, daß ich barfuß laufe, weil ich mich so freier fühle, und als ich mit ihr darüber sprach, erfuhr ich auch warum: Meine Mutter hat als Kind bis ins Alter von 14 Jahren barfuß laufen müssen, wann immer das Wetter es erlaubte, um ihre Schuhe zu schonen, weil kein Geld für neue da war (meine Mutter stammt aus einer sehr ländlichen Gegend in Südbayern, wo nach dem Krieg große Armut herrschte).
Für sie ist Barfußlaufen ein Zeichen von Notstand und Armut, und darum kann sie nicht verstehen, daß man es tun kann, weil man sich dabei wohl fühlt. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich sie überzeugt habe, falls ich das überhaupt schaffe. Schließlich sind meine eigenen Barfußerfahrungen noch nicht besonders groß. Aber ich glaube, daß auch sie der ganzen Sache positiver gegenüberstehen würde, wenn sie erst einmal sieht, daß ich mich dabei gut fühle. Vielleicht probiert sie es dann selbst einmal aus (wie ihr sicher erraten habt, ist meine Mutter niemals barfuß unterwegs, weder draußen noch im Haus; ich habe das wohl von ihr übernommen), aber sie mit Gewalt dahin zu drängen erscheint mir nicht die richtige Lösung.
Was denkt ihr darüber?

Viele Grüße
Kerstin

"Barfuß-Fraktion" und was meine Mutter dazu sagt...

spency @, Tuesday, 14.11.2000, 00:26 (vor 8714 Tagen) @ Kerstin

Hoi Kerstin

Deine Beiträge veranlassen auch mich wieder mal nach langer Zeit, wieder einen Beitrag hier im Forum zu posten

Mir persönlich macht das nicht soviel aus, solange ich die Füße hinterher waschen kann, aber meine Freundin Natascha findet den Dreck an ihren Füßen ziemlich eklig

Es ist ja mehr als logisch, dass man als BarfussläuferInnen die Fusssohlen äusseren Einflüsse aussetzt (eben wie Schmutz, Dreck, aber auch Hitze, Kälte und allen möglichen arten von Böden). Gerade etwas schmutzige Füsse gehören doch einfach zum Barfusslaufen, Hauptsache, man kann sie wie erwähnt, wieder waschen. Würde man das Barfusslaufen nur auch jene Böden beschränken, wo die füsse sauber bleiben, ist der Radius doch sehr eingeschränkt.

bin ich vor meiner eher zufälligen Barfußerfahrung fast nur mit Schuhen und Strümpfen herumgelaufen, auch zu Hause. In den letzten Wochen habe ich angefangen, auch zu Hause barfuß zu laufen

Ein typisches Beispiel, wenn die Eltern die Kinder von klein an dazu erziehen, immer mit Socken und Hausschuhe herumzulaufen, braucht es einfach früher oder später den "Klick", um von dieser "Unsitte" abzukommen

Für sie ist Barfußlaufen ein Zeichen von Notstand und Armut, und darum kann sie nicht verstehen, daß man es tun kann, weil man sich dabei wohl fühlt.

Da spielt die Psychologie eben stark mit. Barfusslaufen war ein zeichen der Armut, was sich im Kopf und Denken deiner Muttter festgesetzt hat. Sie empfand ihre Barfusszeit (weil eben auferzwungen und nicht freiwillig) als negatives Erlebnis, so dass es auch heute gar nicht mehr möglich sein wird, wieder einen positiven Aspekt zu finden, sie kann und will sich barfuss nie mehr "wohl fühlen".

Ich glaube, es ist wesentlich einfacher, Deine Barfussfraktion in der Schule zu vergrössern, als deiner Mutter ein paar Meter im Haus barfuss zuzumuten.

Veruche nicht, Deiner Mutter "mit Gewalt" das Barfusslaufen beizubringen, denn sonst geht ihr auf Konfrontation und sie wird versuchen, dir das Barfusslaufen "zu verbieten".

Dir weiterhin viel Spass beim Schulsport, und wer weiss, vielleicht im nächsten Sommer auch anderswo

Spency

"Barfuß-Fraktion" und was meine Mutter dazu sagt...

Lorenz ⌂, Tuesday, 14.11.2000, 08:14 (vor 8713 Tagen) @ Kerstin

Hallo Kerstin,

.... Meine Mutter hat als Kind bis ins Alter von 14 Jahren barfuß laufen müssen, wann immer das Wetter es erlaubte, um ihre Schuhe zu schonen, weil kein Geld für neue da war (meine Mutter stammt aus einer sehr ländlichen Gegend in Südbayern, wo nach dem Krieg große Armut herrschte).

Für Deine Mutter ist Barfußlaufen sehr stark mit der in der Kindheit erlittenen Armut verknüpft. Jahrelang wird sie es wohl als demütigend erlebt haben, daß andere Kinder bereits ausreichend Schuhe bekommen konnten. Und vielleicht wurde sie von denen auch noch verspottet.....

Für sie ist Barfußlaufen ein Zeichen von Notstand und Armut, und darum kann sie nicht verstehen, daß man es tun kann, weil man sich dabei wohl fühlt. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich sie überzeugt habe, falls ich das überhaupt schaffe.

Man hat heute dank des Wohlstands die Wahlfreiheit zwischen barfuß und Schuhen -- kein vernünftiger Mensch wird noch annehmen, daß Du aufgrund von Armut barfuß läufst.

Schließlich sind meine eigenen Barfußerfahrungen noch nicht besonders groß. Aber ich glaube, daß auch sie der ganzen Sache positiver gegenüberstehen würde, wenn sie erst einmal sieht, daß ich mich dabei gut fühle. Vielleicht probiert sie es dann selbst einmal aus (wie ihr sicher erraten habt, ist meine Mutter niemals barfuß unterwegs, weder draußen noch im Haus; ich habe das wohl von ihr übernommen), aber sie mit Gewalt dahin zu drängen erscheint mir nicht die richtige Lösung.

Ganz sicher sollte niemand gedrängt werden! Weder zu baren Füßen, noch zu Schuhen! Für Deine Mutter wäre ein Barfußpark wie in Dornstetten oder Bad Sobernheim genau das Richtige -- vielleicht kommt ihr da mal auf der Durchreise vorbei. Dann kann sie erleben, wie viele Leute mit größtem Vergnügen diese Freizeitvariante der Wohlstandsgesellschaft erleben. Ich füge hier einen Link auf meine Fotosammlung zu diesen Einrichtungen bei, vielleicht kannst Du ihr das mal zeigen -- nicht um sie zu bekehren, sondern damit sie sieht, wie viele Leute Spaß am Barfußgehen haben, wenn durch eine öffentliche Einrichtung alle Vorurteile wegfallen.

Für regelmäßige Barfußgeher bedarf es dieser Einrichtungen natürlich nicht, denn die ganze Welt ist ein Barfußpark......

Viele Grüße, Lorenz

[image] Barfußparks Dornstetten und Bad Sobernheim

"Barfuß-Fraktion" und was meine Mutter dazu sagt...

XL ⌂ @, Tuesday, 14.11.2000, 11:45 (vor 8713 Tagen) @ Kerstin

Hi Kerstin!

Also erst einmal zu den dreckigen Turnhallen: Ich finde es auch nicht toll, barfuß in einer knietiefen Staubschicht zu trainieren, aber leider spart unser Staat am Bildungssystem und deswegen werden Schulen und Unis sowie deren Turnhallen nur noch einmal im Monat geputzt. Ich kann mich dunkel daran erinnern, daß sowas einstmals selbstverständlicherweise täglich geschah, aber die Zeiten sind wohl vorbei. ich weiß inzwischen, wo bei uns in der Turnhalle die Putzutensilien versteckt sind und fege die Halle meistens vor dem Training durch, richtig putzen ist mir dann doch etwas zu aufwendig.
Übrigens geht der Dreck ganz prächtig von den Füßen wieder runter, wenn man nach dem Sport duscht.
Aber noch eine kleine Kuriosität am Rande: neulich hat mir doch tatsächlich die Ballett-Übungsleiterin, die die selbe Halle nutzt wie wir, weismachen wollen, daß wir kampfsportler an dem Dreck in der Halle schuld seine, da wir ja barfuß trainieren und deswegen unseren ganzen Schweiß in der Halle verteilen. Naja, ich nehme die gute Frau ohnehin nicht ernst (aus anderen Gründen), aber ich habe sie dann doch mal gefragt, wie wir Barfüßer eigentlich Dreck in die Halle bringen könnten, da wir ja normalerweise nicht barfüßig anreisen und uns im Zweifel vorm Training die Füße waschen, aber was soll's, das war eh zu hoch für sie.

Ich denke, der Versuch, Deine Mutter vom Barfußgehen zu überzeugen, ist relativ aussichtslos. Bei ihr weckt das Gefühl des Bodens unter den bloßen Fußsohlen eben unangenehme Erinnerungen an eine harte Zeit. Solange sie trotzdem verstehen kann, daß es für Dich etwas wahnsinnig angenehmes ist, solltest Du Dich da nicht weiter dran stören.

[image] Schnaxel-Online

Staub

lothar, Tuesday, 14.11.2000, 22:34 (vor 8713 Tagen) @ XL

Leider spart unser Staat am Bildungssystem und deswegen werden Schulen und Unis sowie deren Turnhallen nur noch einmal im Monat geputzt. Ich kann mich dunkel daran erinnern, daß sowas einstmals selbstverständlicherweise täglich geschah, aber die Zeiten sind wohl vorbei.

Kürzlich habe ich gelesen, daß die Kinder zu steril aufwachsen und deshalb als Erwachsene häufiger als früher unter Hautkrankheiten und
Allergien leiden und es sinnvoller sei die Kinder im Dreck aufwachsen
zu lassen.
Somit hat doch die Sparsamkeit des Staates und der damit verbundene Dreck in den Schulen noch einen positiven Effekt.

Lothar

Hygiene

XL ⌂ @, Wednesday, 15.11.2000, 10:49 (vor 8712 Tagen) @ lothar

Hi Lothar!

Ich kann mir kaum vorstellen, daß ausgerechnet dies der Grund für die übertriebene Sparsamkeit bei der Sauberkeit ist, zumal das Argument eigentlich nur für Kindergärten und Grundschulen anzuwenden ist.
Wenn Kinder, die mit der Sagrotanflasche großgezogen wurden, es einmal bis auf eine Weiterführende Schule geschafft haben, ist es zu spät, sie an die ganz normalen Keime des ganz normalen Lebens heranzuführen.

XL

[image] Schnaxel-Online

Mal ein anderer Vergleich

Georg @, Tuesday, 14.11.2000, 21:00 (vor 8713 Tagen) @ Kerstin

Hallo Kerstin, hallo zusammen,

das barfuß = arm - Motiv wird immer wieder mal bemüht, auch von den Medien, die zum Beweis eher karger Lebensverhältnisse gern darauf hinweisen, dass die Kinder barfuß gehen.
Im Falle deiner Mutter ist die empfindung leicht nachvollziehbar. Ohne Euch zu kennen wäre es auch schlechte Kaffeesatzleserei prognostizieren zu wollen, ob und wenn ja mit Argumenten etwas aufzubrechen ist.
Tatsächlich aber wird kein vernünftiger Mensch in Mitteleuropa glauben, jemand könne sich keine Schuhe leisten - schon deshalb, weil sie im Grunde ja spottbillig (geworden !) sind - für 29 DM bekommt man schließlich schon recht manierlich aussehende. Wenn es dennoch behauptet wird, ist derjenige ein Idiot (auf dessen Meinung man eh nichts geben sollte) oder (wahrscheinlicher) ein Provokateur.
In beiden Fällen empfiehlt sich übrigens m. E. souveränes Schweigen und Ignorieren.
Man kann den Sachverhalt übrigens - wie hier mehrfach dargestellt wurde - auch dadurch recht leicht klarstellen, dass man ansonsten ganz normal gekleidet ist (muss meiner Meinung gar nicht betont gepflegt sein), da weiß auch gleich jeder, dass der Klamottenetat für Schuhe durchaus auch noch reicht.

Unabhängig also von der Frage, ob es Dir in der Diskussion mit Deiner Mutter nützen würde, möchte ich aber noch einen anderen Vergleich anbringen.
Fleisch zu essen, war in der Vergangenheit auch ein Zeichen von Wohlstand, zumal Tierbestände oder Pökelsalz abgabenpflichtig waren. Umgekehrt war also die ausschließliche Ernährung aus pflanzlichen Produkten ein Zeichen von Armut.
Und wer verdächtigt heutzutage Vegetarier, zu arm zu sein, um sich Fleisch kaufen zu können ? Auch nur Idioten oder Provokateure.

Wer mit dem Fahrrad fährt statt mit dem Auto könnte sich dem Verdacht aussetzen, zu arm zum Tanken zu sein; wer mit der Hand schreibt statt mit dem Computer wäre zu arm für moderne Kommunikationstechnologie - und meine Familie ist ohnehin zu arm für ordentliches Kommunizieren (meine Frau verteidigt energisch unser Wählscheibentelefon gegen alle Neuerungen).
Ach ja : Und wer selbst denkt, ist übrigens zu arm, um denken zu lassen.

Spaß beiseite : es kommt darauf an klar zu machen, dass die Gleichsetzung barfuß = arm in bestimmten Kontexten zutreffend sein mag.
In einem Land, in dem jeder Anspruch auf Sozialhilfe mit Kleiderzuschuss hat, der über kein eigenes Einkommen verfügt, und in dem Schuhe kaum teurer sind als ein warmes Mittagessen im Gasthaus, ist die Gleichsetzung einfach nur Quatsch.

Serfuß
Georg

"Barfuß-Fraktion" und was meine Mutter dazu sagt...

MarkusII, Tuesday, 14.11.2000, 23:13 (vor 8713 Tagen) @ Kerstin

Hallo Kerstin,

ich glaube, das Gewöhnen der Mutter an das Barfußlaufen der Tochter ist ein allmählicher Prozeß und kann gar nicht von heute auf morgen geleistet werden.

Wenn Deine Mutter "nur" vom dabei aufsteigenden Armut-Gefühl beeinträchtigt wird, ist dies m.E. noch positiv zu werten. Ich selbst habe das Pech, daß meine Eltern das Barfußlaufen seltsam finden und überdies außerhalb der Natur als sehr stark imageschädigend einstufen. Und dies wird mir weiterhin überdeutlich und mit starken Emotionen klar gemacht, und es besteht schlicht keine Chance, das zu ändern.

Daher wünsche ich Dir sehr, daß die "Image-Komponente" bei Deiner Mutter möglichst wenig mit hereinspielt und sie im Grunde genommen ein natürliches Verhältnis zum Barfußlaufen hat. Dann dürfte es mittelfristig kein Problem sein, ein tolerantes Verhalten ihrerseits zu "erarbeiten". In diesem Zusammenhang wünsche ich Dir im Umgang mit Deiner Mutter eine behutsame Hand und sozusagen "geduldiges Vorleben", daß "es" gut geht und - vor allem - Dir guttut.

Wenn allerdings ähnliches der Fall ist wie bei meinen Eltern, wirst Du umso stärkere Nerven brauchen, je weiter Du Deinen "Barfuß-Aktionsradius" ziehst. Ich habe mich selbst für über ein Jahr weitgehend "befreien" (= praktisch nur noch barfuß sein) können, bin in diesem Spätsommer/ Herbst aber wieder "eingeknickt". Ich wünsche Dir schließlich, daß Dir letzteres erspart bleibt! Aber vielleicht gehen Deine Barfuß-Bedürfnisse ja auch gar nicht so weit wie die meinen!

Viele Grüße,

MarkusII

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