Barfuß um die Welt, In den argentinischen Anden oder "el Condor barfuß" (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A @, Sunday, 12.11.2000, 21:06 (vor 8715 Tagen)

San Carlos de Bariloche in den südlichen Anden Argentiniens. Vom Fenster unseres Hotelzimmers hat man einen herrlichen Blick über den Lago Nahuel Huapi. Der langgestreckte See könnte auch in den Schweizer Alpen liegen, oder im Fjordland Südwestnorwegens. Die Berge der Umgebung ragen bis zu 3500 Meter auf, die Gletscher am Tronador reichen bis auf eine Höhe von ca 300 Meter herunter. Doch sie schmelzen langsam ab. In Bariloche gibt es einige Skilifte, die Stadt gilt bei reichen Leuten in Europa und Amerika als Insidertip für exklusives Skivergnügen. Doch es gab schon lange keinen Schnee mehr, in Bariloche. Ab und zu rieseln im Süd-Winter mal ein paar Flocken vom Himmel, doch liegen bleibt das kaum. Und die Gletscher am Tronador eignen sich nicht zum Skifahren. So bringen die Lifte heute nur noch Wanderer in die grandiose Bergwelt rund um den Nahuel Huapi. Wir waren im Februar da, Spätsommer in Argentinien.
Zusammen mit einer Reisegruppe eines deutschen Abenteuer-Reiseveranstalters war ich 1989 hierher gereist um in den argentinischen Anden zu wandern. Der Veranstalter hat sich spezialisiert auf Reisen für junge Leute, die mit wenig Geld viel Natur erleben wollen und gerne auf Komfort verzichten. Da bin ich genau richtig und bestimmt nicht der einzige, der barfuß herumläuft, dachte ich mir. Es war auch von Anfang an eine sehr ungezwungene Atmosphäre in der Gruppe.
Der erste Ausflug von Bariloche ging mit dem Bus durch die Bergwelt nach San-Martin-de-los-Andes. Eine herrliche Landschaft mit einigen fjordähnlichen Seen. Doch es ist wesentlich trockener, als an den norwegischen Fjorden. Die hohen Anden halten fast alle Niederschläge, die vom Südpazifik nach Chile ziehen ab und östlich der Anden bleibt es meist trocken, was man an der wüstenhaften Vegetation sieht. Direkt an den Seen gibt es jedoch dichte Wälder, wie bei uns in Mitteleuropa. Zu meinem Erstaunen war ich der einzige der Gruppe, der bei den herrlichen Sommertemperaturen barfuß lief. Und es gab auch die ersten verwunderten Blicke und die üblichen Bemerkungen (zu kalt, zu heiß, zu steinig...).
Dann der erste Wandertag, zum Eingewöhnen. Mit einem Kleinbus fuhren wir Richtung Tronador. Zunächst gab es eine kurze Wanderung durch dichten Wald zu einem herrlichen Wasserfall, der über einen Felsvorsprung rauscht, so dass man dahinter durchlaufen kann. Eigentlich ein herrlicher, geradezu idealer Weg zum Barfußlaufen. Die anderen konnten es jedoch nicht fassen! Selbst der einheimische Busfahrer zeigte sich verwundert und fragte, ob ich denn so arm sei, dass ich mir keine Schuhe kaufen könne... Die Sichtweise eines Argentiniers. Dann ging es zum Gletscher des Tronador, über große Geröllfelder, naja, ihr könnt euch die Blicke und Bemerkungen der anderen sicher vorstellen. Man musste kein Hellseher sein um ihre Gedanken erahnen zu können!
Doch nun ging es erst richtig zur Sache. Eine dreitägige Wanderung durch felsige Berglandschaft stand bevor. Um einer endlosen Diskussion aus dem Weg zu gehen zog ich meine Sportschuhe an. Doch welch ein vielstimmiger Aufschrei der Entrüstung! Ob ich den tatsächlich D A M I T wandern möchte???? Da braucht man doch richtige Wanderstiefel...
Lange stand Franz, der Reiseleiter da, fassungslos auf meine Sportschuhe starrend und nach Luft ringend. Nach langem Überlegen fand er sich schließlich damit ab. Doch als ich später in einem herrlichen Flusstal die Schuhe ganz auszog und barfuß über die weiten Grasflächen lief, fiel er fast in Ohnmacht! Doch das hielt mich nicht davon ab die wunderschöne Berglandschaft zu genießen, in felsigem Gelände ließ ich mich dann dazu überreden, doch zumindest meine Sportschuhe anzuziehen. Abends erreichten wir unsere erste Übernachtungshütte an einem kleinen See. Das Matratzenlager war nicht unbedingt nach meinem Geschmack aber das Abendessen von den Mapuche dafür umso mehr. Und der Mate-Tee war super.
Am Morgen gab es ein herrliches "Anden"-Glühen. Die rötlich leuchtenden Zinnen des Zerro-Cathedral spiegelten sich perfekt im See.
Dann ging es weiter. Bei der Hütte hat sich noch eine bildhübsche Studentin aus Buenos-Aires zu unserer Gruppe gesellt. Sie ließ sich wohl von mir inspirieren und lief ebenfalls an ebenen, sandigen Wegabschnitten barfuß und zeigte auch, dass sie es schön findet. Leider spreche ich so gut wie kein spanisch und sie weigerte sich standhaft englisch zu sprechen. So klappte es mit der Verständigung nur, wenn einer unserer Spanischkundigen übersetzte. Ich fragte sie, ob sie denn kein Englisch kann, als Studentin. "Ja, schon, wir haben es in der Schule lernen müssen, aber es interessiert mich nicht!" Die Argentinier haben die Falkland-Niederlage gegen England nicht vergessen. Und die "Gringos" aus USA sind ohnehin in ganz Südamerika sehr unbeliebt.
Die Wanderung ging über felsige Bergkämme und durch saftige Flusstäler. Am Abend mussten wir einen steilen Geröllhang hinunter wandern, wobei wir mehr schlitterten als wanderten. Das letzte Stück durch dichten Wald zur Hütte war dann wieder barfuß angesagt.
Am dritten Tag ging es durch ein heißes Flusstal und ständig am Wasser entlang. Hier erlaubte mir Franz sogar, barfuß zu gehen. Um die Mittagszeit wurde es allerdings so heiß, dass barfuß laufen kaum noch möglich war.
Am Abend kamen wir zurück nach Bariloche. Und da gab es offizielle Maneuverkritik. Jeder durfte loslassen, was ihm in den ersten Tagen nicht gefiel. Neun vorwurfsvolle Augenpaare richteten sich auf mich und meine Füße...
Ich würde die Gruppe aufhalten, weil ich ja barfuß nicht so schnell bin, wie die anderen. Das stimmt natürlich, allerdings bin ich auch mit Schuhen langsamer, ich fahre ja nicht ans andere Ende der Welt, um dann im Sauseschritt durchzuhasten. Ich will ja auch was sehen.
Jedenfalls baten sie mich eindringlich im weiteren Reiseverlauf doch auf längeren Wanderungen Schuhe anzuziehen. Die Erfüllung dieser Bitte war kein Problem, denn es gab keine längeren Wanderungen mehr.
So war dieses Problem dann für den Rest der Reise gelöst.
Unsere Reise ging weiter, mit dem Schiff über die Seen Nahuel Huapi und Todos Los Santos Nach Puerto Montt in Chile. Vom Nahuel Huapi gab es noch mal einen herrlichen Ausblick auf den vergletscherten Tronador. Der Name bedeutet auf deutsch "der Donnernde" und kommt daher, dass immer wieder riesige Stücke der Gletscher abbrechen und donnernd ins Tal stürzen. Zwischen den beiden Seen verkehrt ein Bus über den 960 Meter hohen Pass bei Puerto Frias. Jenseits, auf der regenreichen Westseite der Anden wird die Vegetation dann viel üppiger. Dann steht wieder eine Schiffspassage bevor, über den Todos los Santos. Auch hier gibt es wieder eine malerische Bergkulisse, der absolut symmetrische Kegel des Bilderbuch-Vulkans Osorno mit seiner schneebedeckten Spitze dominiert die Aussicht.
Auf dem Schiff sind auch einige chilenische Studentinnen. Man sieht ihnen an, dass sie aus wohlhabenden Bevölkerungschichten sind. Doch sie stellen sich gerne als Fotomodel vor der malerischen Bergkulisse zu Verfügungen. Eine davon spricht fast perfekt deutsch und es stellt sich heraus, dass sie jahrelang in Bremen als Austauschschülerin gelebt hat.
Am Ende des Sees machen wir noch eine kurze Wanderung am Fuße des Osorno und zu einigen Wasserfällen.
Dann geht es mit dem Bus weiter, nach Puerto Montt.
Was wir in Chile erlebten, das werde ich demnächst hier berichten, nur soviel vorweg: Barfuß auf einem gewaltig rauchenden Vulkan....

Barfuß & Treckinggruppen

Harald, Tuesday, 14.11.2000, 11:54 (vor 8713 Tagen) @ Bernd A

Hallo Bernd (und all Ihr anderen)!
Barfuß und Treckinggruppen scheint ein eigenes spannendes Thema zu sein. Ich habe zwar noch nie an so einer Gruppe oder anderen organisierte Reisen teilgenommen (dazu bin ich zu individualistisch - weniger Wohlwollende sagen zu stur und eigensinnig), da ich aber gerne reise und wandere, mache ich aber immer wieder witzige Beobachtungen dazu.
Eine Begegung "der besonderen Art" hatte ich vor ein paar Jahren auf den Kapverdischen Inseln (einen tollen Beitrag zu meiner "Lieblings-Inselwelt" gab es übrigens vor kurzem hier im Forum). Ich war dort mit Freunden unterwegs und bin einfach einmal, während die irgendwo im Schatten oder am Meer herumgesessen sind, ein Tal hinaufspaziert. Es war ein gemütlicher Weg, zwischendurch habe ich eine Pause in einer Dorfbar gemacht, dann ein Stück mit einem Auto mitgefahren, so nach einem halben Tag war ich wieder zurück. Der Großteil des Weges war eigentlich eine Auto-bafahrbare Piste, ein Stück gepflasterter Fußweg. Großteils war ich barfuß unterwegs, für steinige Wegstücke hatte ich meine Flipflops im Rucksack, mit denen auch die meisten Kapverdeaner unterwegs sind. Die Bewohner dieses Tals haben sich weder über meine Füsse noch über meine sonstige Bekleidung (kurze Jeans, T-Shirt) gewundert: es war ein schöner warmer Tag, wie meistens auf den Kapverden. Ich habe das ganze eher als längeren Spaziergang und nicht als wirkliche "Bergtour" erlebt.
Plötzlich kam eine Gruppe großteils deutscher Trecking-Touristen des Weges. Die Ausrüstung: schwere Bergschuhe, Treckinghosen im Army-Stil, großteils wärmere Sweater umgehängt oder gar angezogen, fast alle mit Teleskopstöcken, große Rucksäcke....schweißüberströmt und wirklich fast mit heraushängender Zunge. Ich hab sie angestarrt wie Wesen von einem anderen Stern, und sie mich auch!
Ich habe dann lange überlegt, wo denn in dieser Gegend das Gebirge ist, dass sie gerade "erstürmen" wollten. Bloß - es gab keines. Auf den einzigen Berg führt auf der anderen Seite eine Paßstraße hinauf. Und über die örtlichen Verhältnisse müßten sie informiert sein: Die (damals) einzige Trecking-Agentur der Insel wurde von vor Ort lebenden EuropäerInnen geleitet.
Ich denke, diese Begegnung war nicht nur recht witzig, da steckt schon ein bisschen was dahinter: Wie sehr nämlich Reisen mit Sehnsüchten nach Freiheit zu tun hat, die dann von der Tourismusindustrie wieder enttäuscht werden. (Ist zunächst etwas weit hergeholt und wäre eher ein Thema für ein Forum zur "Reisephilosophie" -kennt jemand so etwas?)
Ähnliches beobachte ich auch immer wieder in den Alpen: Nichts gegen ordentlich Ausrüstung. Ich habe schon gerne einen warmen Pullover, eine Regenjacke und feste Schuhe dabei, wenn ich auf höhere Berge gehe. Nur: ich muß sie nur dann verwenden, wenn mir mein Gefühl sagt, dass es jetzt notwendig ist. Und ich muss keinen ungeschriebenen Kleidercodex erfüllen, der bis zur Farbe der Socken reicht (und nach Altersgruppen fein differenzier ist - macht echt Spass, das zu beobachten!) Zerrissene Jeans und nackte Füsse sind da ein Zeichen, das gerade jüngeren "Bergsportler" offenbar unangenehm an die Freiheit erinnert, die man auch in den Bergen finden kann, wenn man nicht nur den Stress sucht, den der Alpenverein in die Berge getragen hat. (Sorry, dieser Verein hat natürlich auch ein paar gute Seiten. Aber ich habe halt auch ein paar Probleme mit dem Alpinismus. Aber das gehört auch nur mehr am Rand hier her ...)
Euer Harald

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