Angeborene Wanderstiefel oder: Der Barfußfühlpfad am Brauneck (Hobby? Barfuß! 2)

Barfußmatthias, Friday, 27.10.2000, 23:03 (vor 8796 Tagen)

War das ein Gefühl, als meine nackten Füße immer tiefer im kühlen Morast versanken! Mit ausgestreckten Armen balancierend, spürte ich kurz bevor die Knie eintauchten, festeren Untergrund unter den Fußsohlen. Im Storchengang durchquerte ich das Schlammfeld. Mit jedem Schritt wuchs meine Freude über den Entschluß, die Sandalen für den Rückweg an den Rucksack gehängt zu haben (und da blieben sie übrigens bis zu Hause). Statt wie die anderen Bergwanderer ängstlich darauf bedacht zu sein, daß nichts von oben in die Wanderschuhe schwappt und mit Grausen an abbröckelnden Schlamm im Auto und an das häusliche Stiefelputzen zu denken, waren diese paar Schritte eins meiner schönsten Barfußerlebnisse. Nun muß ich aber noch die Vorgeschichte berichten.

"Bist‘ mit denen gut zu Fuß?" fragte der Wirt der Stie-Alm und deutete auf meine Trekkingsandalen, in denen nackte Füße steckten. Die anderen Bergwanderer trugen zumindest knöchelhohes Schuhwerk. An einem wunderschönen Herbstwochenende, an denen die meisten Berge eigentlich wegen Überfüllung geschlossen gehört hätten, war ich auf der Suche nach einem ruhigen sonnigen Plätzchen zum Lesen und zur Brotzeit. Der Wirt riet mir, einen wenig bekannten Pfad Richtung Benediktenwand-Südseite zu gehen und beschrieb mir den Weg.

Der Pfad war steinig, wurzelübersät und teilweise schlammig, wenngleich sonnig und nicht ausgesetzt. Nach einer knappen Viertelstunde kam eine etwa 5 Meter lange Schlammpassage, die kaum zu umgehen war. Über herausragende Steine und Holzstücke balancierend, konnte ich nicht verhindern, daß etwas Morast in die Sandalen schwappte. Fühlte sich schön weich an!

Nach der nächsten Biegung gelangte man auf eine herrliche Almwiese. Hier schlug ich mein Lager auf, machte Brotzeit und verbrachte schöne ruhige Mittagstunden.

Sonne getankt, hatte ich beim Aufbruch keine Lust mehr auf Sandalen. Um mir entgeisterte Blicke zu ersparen, ließ ich eine Gruppe von Wanderern passieren, ehe ich barfuß den Rückweg antrat. Die Almwiese war herrlich weich und von der Sonne erwärmt, vor allem die von den Kühen verschmähten Graspolster. Zum vollen "Heidi-Feeling" fehlten nur noch Alp-Öhi und Geißenpeter...

Normale grüne Disteln machen einer guten Hornhaut nichts aus, die trockenen Silberdisteln, welche stellenweise gehäuft wachsen, sind zwar wunderschön anzuschauen, jedoch der Feind jeder Fußsohle. Also aufgepaßt.

Auf dem Wanderpfad angekommen, stieg die Spannung anläßlich des bevorstehenden Schlammfeldes an. Dann kamen sie, die besten 5 Meter der Wanderung, über die ich oben bereits geschwärmt habe.

So, nun waren meine Beine bis knapp unterhalb des Knies mit Schlamm bedeckt. Sah cool aus! In bester Laune ging ich barfuß weiter:

- durch herrlich warmes, raschelndes und teilweise an den Füßen klebenbleibendes Laub

- über weichen Nadelwaldboden

- über warme trockene festgetretene Erde

- über von unzähligen Wanderstiefeln rundgeschliffenen Fels

- über weiches Gras

- und immer wieder sumpfiger Morast.

Somit ein regelrechter Barfuß-Fühlpfad, der unbedingt zu empfehlen ist! Neuentdeckung!

Wenn ich das beim Hinweg bereits gewußt hätte! Meine Trekkingsandalen sind nicht schlecht und wenn sie gut festgezurrt sind, sind sie recht bergtauglich. Aber - einen noch viel besseren Halt bieten meine Füße "ohne"! Sowohl die Rutschfestigkeit auf Schlamm oder feuchtem Fels als auch die Griffigkeit auf trockenem Untergrund ist der von Schuhsohlen deutlich überlegen. Außerdem geben die Fußsohlen ständig mehr oder weniger unbewußt Rückmeldung über den Untergrund - ähnlich den elektronischen Fahrstabilisatorsystemen hochpreisiger Limousinen.

Und das kostenlos und seit Geburt vorhanden! Würde die Stiftung Warentest beim nächsten Wanderschuh-Vergleichstest bare Füße mitlaufen lassen, sie bekämen bestimmt "Preis-Leistungsverhältnis überragend"! Ich fühlte mich nach wenigen Schritten barfuß so wohl wie nie, als hätte ich ANGEBORENE BERGSTIEFEL an (durch den langsam antrocknenden Schlamm sahen meine Füße auf den ersten Blick auch so ähnlich aus - entgegenkommende Wanderer machten jedenfalls erst nach dem zweiten Blick auf meine Füße ein überraschtes Gesicht).

Am Ende des Pfades, zurückkehrend in die auf breiten Schotterwegen sich wälzenden Herden von Sonntagsausflüglern, fiel mir die Entscheidung, weiter barfuß zu bleiben, nicht schwer und die größtenteils positiv überraschten Blicke und Kommentare machten mir nichts mehr aus. Abgesehen davon, wo hätte ich auch den getrockneten Schlamm abwaschen sollen?

Am Sonntag zuvor (Lorenz berichtete im Forum - liebe Grüße an dieser Stelle!) hatten meine Füße nur stachlige Schotterwege und silberdistelübersäte Wiesen kennengelernt, insofern war die erste kurze Barfußbergwanderung vom "Fußgefühl" her ein nur mäßiges Vergnügen gewesen. Diese Wanderung heute war dagegen wunderschön und machte Lust auf mehr!

In der Schlange vor der Abfahrt mit der Seilbahn waren alle Kinder von meinen Füßen begeistert, die Reaktionen reichten von "Papaaa, schau‘ mal, Schlammfüße!" über "kann man denn im Oktober noch barfuß gehen?" und "ich will auch meine Schuhe ausziehen" bis zu "Papa, schau mal, noch ein Mann ohne Schuhe" - Nanu? War an dem Tag am Brauneck etwa noch ein Barfüßer unterwegs gewesen? Habe jedenfalls keinen bemerkt.

Der Seilbahnmitarbeiter an der Talstation erschrak, als ich schlammbarfuß aus der Kabine sprang, sagte dann scherzhaft: "Daß du mir aber heute abend ja die Füße wäschst, bevor du ins Bett gehst!" - Meine Antwort kam prompt: "Natürlich nicht, da zieh‘ ich morgen Socken drüber".

Ein älteres Ehepaar schließlich noch, mich wohl mit einem der zahlreichen Gleitschirmflieger verwechselnd: "Da haben Sie sich aber einen schlechten Landeplatz ausgesucht!" Im weiteren Gespräch gaben sie sich übrigens als dem Barfußgehen zumindest im Sommer nicht abgeneigte Kneippianer zu erkennen.

Das häusliche Bad war insofern noch ein lustiger Abschluß, als es sich durch meine Füße unversehens in ein Moorbad verwandelte - trocken war der lehmige Schlamm nicht abzukriegen gewesen. Dafür war er jetzt viel leichter abzuwaschen als im Sommer der Stadtdreck von den "dirty soles".

Abschließende Inspektion eines glücklichen Menschen seiner glücklichen, sauberen, trockenen und warmen Füße: Makellos unversehrte Haut, trotz teilweise glasscherbenspitzen Schotters auf dem neuen Fußpfad unterhalb der Tölzer Hütte (empfehlenswerterer Barfußrückweg zur Seilbahn: die glatt gesandete Fahrstraße).

Meine "angeborenen Bergstiefel" hatten den Härtetest bestanden!

Fuß zum Gruß

Barfußmatthias

PS: Wer den "Barfußfühlpfad vom Brauneck" selbst ausprobieren möchte:
Es handelt sich um den Wanderweg Nr. 10a, der von der Strasser-Alm über die Krottenalm bis in die Jachenau führt. Ich bin ihn allerdings nur die ersten 20 Minuten bis zu meiner Almwiese gegangen, weiß also nicht, wie barfußtauglich die Fortsetzung ist - werde es allerdings beim nächsten Mal ausprobieren...


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